GLP-1- und GIP-Agonisten


Jenseits von Diabetes mellitus und Adipositas

Prof. Dr. med. Hans-Christoph Diener, Essen

[Foto: privat]

Bis vor einigen Jahren war die medikamentöse Therapie des Diabetes mellitus sehr unbefriedigend. Die damals zur Verfügung stehenden Antidiabetika reduzierten zwar die Blutglucose-Spiegel und das HbA1c, führten jedoch nicht zu einer Reduktion vaskulärer Endpunkte. Das änderte sich mit der Einführung der Natrium-Glucose-Cotransporter-2 (SGLT-2)-Hemmer, bei denen sich nicht nur ein guter Therapieeffekt bezüglich des Diabetes mellitus zeigte, sondern auch eine signifikante Reduktion der kardiovaskulären Sterblichkeit – überwiegend bedingt durch positive Effekte bei Patienten mit Herzinsuffizienz.

Nun gibt es mit den GLP-1- und GIP-Agonisten eine neue Klasse von Antidiabetika. Das glucagonähnliche Peptid 1 (GLP-1) und das Glucose-abhängige Insulinotrope Polypeptid (GIP) spielen eine wichtige Rolle beim Diabetes mellitus und bei der Adipositas. Die entsprechenden Rezeptoren finden sich nicht nur im Pankreas, im Darm und in der Leber, sondern auch im Zentralnervensystem. Präklinische Modelle, zumeist an transgenen Mäusen, zeigten eine Wirksamkeit der GLP-1-Agonisten nicht nur beim Diabetes mellitus und der Adipositas, sondern auch bei Lebererkrankungen, bei Nierenerkrankungen und bei neurodegenerativen Krankheiten. Zusätzlich haben GLP-1- Agonisten antiinflammatorische Eigenschaften.

Einfluss auf Körpergewicht und Schlaganfallrisiko

GLP-1-Agonisten reduzieren das Körpergewicht und haben positive Auswirkungen auf den Blutdruck und den Lipidstoffwechsel. In den Studien zum Einsatz der GLP-1- Agonisten beim Diabetes mellitus fand sich in einer Metaanalyse mit mehr als 58 000 Patienten eine signifikante Risikoreduktion für Schlaganfälle von fast 80 % im Vergleich zu Placebo. In einer Metaanalyse zum Einsatz der GLP-1- Agonisten bei der Adipositas mit mehr als 30 000 Patienten fand sich eine signifikante Reduktion des Blutdrucks und des Risikos von Myokardinfarkten. Das Risiko von Schlaganfällen war allerdings nicht reduziert. Dies liegt wahrscheinlich daran, dass das Risiko von Schlaganfällen bei der Adipositas deutlich geringer ist als beim Diabetes mellitus.

Adipositas ist eine der wichtigsten Risikofaktoren für das Schlafapnoesyndrom. In zwei großen Studien mit dem GIP/GLP-1-Agonisten Tirzepatid fand sich eine signifikante Besserung des Schlafapnoesyndroms im Vergleich zu Placebo – unabhängig davon, ob die Patienten mit oder ohne kontinuierliche Überdruckbeatmung (CPAP) behandelt wurden.

Rauchen, Alkohol und Co

In den Therapiestudien zum Diabetes mellitus und der Adipositas gab es Hinweise darauf, dass einige Raucher in den Studien ihren Nikotinkonsum einstellten. Eine kleine Pilotstudie mit Exenatid bei 84 Patienten, die Raucher und übergewichtig waren, zeigte, dass unter Exenatid 46 % der Studienteilnehmer das Rauchen einstellten, verglichen mit 27 % in der Placebo-Gruppe. Derzeit wird eine Reihe von weiteren Placebo-kontrollierten Studien bei Rauchern durchgeführt.

Eine epidemiologische Studie in Dänemark mit Daten aus dem nationalen Gesundheitsregister der dänischen Bevölkerung zeigte an 38 454 Patienten mit Diabetes mellitus, dass die Inzidenz von alkoholbedingten Ereignissen im Vergleich zu Personen, die Dipeptidylpeptidase-4 (DPP4)-Hemmer einnahmen, signifikant abnahm. Eine weitere retrospektive Kohortenstudie aus den USA mit mehr als 80 000 Patienten mit Adipositas zeigte, dass die Behandlung mit GLP-1-Agonisten mit einem um 50 bis 60 % geringerem Risiko für das Auftreten oder Wiederauftreten von hohem Alkoholkonsum verbunden war. Die einzige kleine randomisierte Placebo-kontrollierte Studie mit Exenatid zeigte allerdings, dass die Zahl der Tage mit erheblichem Alkoholkonsum im Vergleich zu Placebo nicht unterschiedlich war. Im Moment laufen auch hier Studien mit GLP-1-Agonisten bei Patienten mit Alkoholabhängigkeit oder hohem Alkoholkonsum. In weiteren Studien wird die mögliche Wirksamkeit von GLP-1-Agonisten bei Personen mit Kokainabhängigkeit untersucht.

Neuroprotektion bei Morbus Parkinson?

GLP-1-Agonisten zeigen in präklinischen Modellen des Morbus Parkinson neuroprotektive Eigenschaften. Bisher wurden drei randomisierte, Placebo-kontrollierte Studien mit Exenatid, NLY01 und Lixisenatid bei Patienten mit mittelschwerem Parkinson oder frühem Stadium des Morbus Parkinson untersucht. In zwei der Studien (Exenatid, Lixisenatid) zeigte sich eine Verbesserung der motorischen Einschränkungen unter dem GLP-1-Agonisten und eine Verschlechterung unter Placebo. In der Studie mit NLY01 fand sich hingegen kein Unterschied zwischen Verum und Placebo. Deshalb sind auch hier weitere große randomisierte Studien möglichst im frühen Stadium des Morbus Parkinson notwendig.

Welche Rolle spielen GIP/GLP-1-Agonisten bei Demenz?

Ein weiterer potenzieller Einsatz der GIP/GLP-1-Agonisten ist die Therapie bei Demenzen. Eine Arbeitsgruppe aus China analysierte 27 Studien zur Behandlung des Diabetes mellitus. Es handelte sich hierbei zum Teil um randomisierte Therapiestudien, zum Teil um Kohortenstudien. Es konnte gezeigt werden, dass unter modernen Antidiabetika das Risiko einer Demenz reduziert war. Für GLP-1-Agonisten betrug die Risikoreduktion 75 %. Die bisher durchgeführten kleinen Placebo-kontrollierten Studien sind allerdings nicht konklusiv.

Unerwünschte Arzneimittelwirkungen können den Einsatz einschränken

Die wichtigste Einschränkung für den Einsatz von GLP-1-Agonisten sind unerwünschte Arzneimittelwirkungen wie Übelkeit, Erbrechen, Diarrhö oder Obstipation. Möglicherweise besteht auch ein gering erhöhtes Risiko für Pankreatitiden. Ein erhöhtes Suizidrisiko wurde, wie ursprünglich vermutet, nicht beobachtet. Eine weitere potenzielle unerwünschte Arzneimittelwirkung ist die nicht-atherosklerotische anteriore Opticusneuropathie.

Ausblick

GLP-1- und GIP-Agonisten werden auch bei einer Vielzahl von anderen Erkrankungen untersucht. Im Vordergrund stehen metabolische Lebererkrankungen wie Fettleber sowie Erkrankungen der Niere. Hier gibt es ebenfalls bereits kleinere positive Studien. Größere Studien in beiden Indikationen laufen derzeit.

Falls sich die vielfältigen therapeutischen Eigenschaften der neuen Antidiabetika belegen lassen, würde dies zu einer signifikanten Ausweitung des Indikationsspektrums führen. Daraus würden allerdings erhebliche Kosten für das Gesundheitssystem resultieren. Darüber hinaus sind die neuen Antidiabetika und Arzneimittel zur Behandlung der Adipositas nur begrenzt verfügbar. Zudem ist letztendlich ungeklärt, ob es sich bei den dargestellten Erkrankungen um einen kausalen Therapieeffekt handelt oder ob die Wirksamkeit auf einem Einfluss auf vaskuläre Risikofaktoren und Begleiterkrankungen beruht.

Quellen

Drucker DJ. The benefits of GLP-1 drugs beyond obesity. Science. 2024;385(6706): 258–60.

Leslie M. Hot weight loss drugs tested against addiction. Science. 2023;381(6661): 930–1.

Rubin R. Could GLP-1 receptor agonists like semaglutide treat addiction, Alzheimer disease, and other conditions? Jama. 2024;331:1519–21.

Arzneimitteltherapie 2024; 42(06):219-220