Friederike André, Hannover
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Vorhofflimmern (VHF) ist die weltweit am häufigsten auftretende Arrhythmie. Die Herzrhythmusstörung geht dabei mit einem drei- bis fünffach erhöhten Schlaganfall-Risiko einher [1]. Durch die Einnahme von oralen Antikoagulanzien kann dieses Risiko deutlich reduziert werden, jedoch können als Therapie-Komplikation schwere Blutungsereignisse auftreten. Die Beurteilung des individuellen Blutungsrisikos eines Patienten ist daher ein wichtiger Schritt in der Therapie des VHF, weshalb im Laufe der Jahre verschiedene Blutungsrisiko-Scores entwickelt wurden. Alle Scores zeigten bislang allerdings nur eine mäßige Vorhersagekraft bezüglich schwerer Blutungsereignisse und stammen zudem aus einer Zeit, in der Patienten mit VHF hauptsächlich mit Vitamin-K-Antagonisten (VKA) behandelt wurden. Mittlerweile sind direkte orale Antikoagulanzien (DOAK) mit geringerem Blutungsrisiko die am häufigsten verordneten Antikoagulanzien bei VHF-Patienten. Um das Blutungsrisiko bei Patienten, die mit DOAK behandelt werden, besser beurteilen zu können, wurde deshalb der DOAC-Score entwickelt, welcher auch den Stoffwechselstatus (z. B. Body-Mass-Index und Erkrankungen wie Diabetes mellitus) der Patienten berücksichtigt. In einer Analyse wurde nun der DOAC- mit dem HAS-BLED-Score, der von aktuellen europäischen Leitlinien empfohlen wird, in einer großen, prospektiven Kohorte verglichen (Tab. 1). Primärer Endpunkt waren schwere Blutungsereignisse.
Tab. 1. Studiendesign [Mei et al. 2024]
Erkrankung | Blutungsrisiko bei Vorhofflimmern |
Studienziel | Vergleich des DOAK- mit dem HAS-BLED-Score |
Studiendesign | Prospektive Registerstudie, international, multizentrisch |
Eingeschlossene Patienten | 2834 Patienten mit Vorhofflimmern, mit DOAK behandelt |
Primärer Endpunkt | Schwere Blutungsereignisse |
Sponsor | Firmenunabhängig |
DOAK: direktes orales Antikoagulans
Ergebnisse
Insgesamt wurden 2834 erwachsene Patienten mit VHF, die mit DOAK behandelt wurden, in die Analyse einbezogen. Das mediane Alter der Patienten betrug 69 Jahre, 39,6 % waren weiblich. Gemäß HAS-BLED-Score wurden 20,4 % aller Patienten mit einem sehr niedrigem Blutungsrisiko identifiziert, anhand des DOAC-Scores wurden dieser Risikokategorie 45,0 % zugeordnet. Nach einer medianen Nachbeobachtungszeit von 731 Tagen traten insgesamt 55 schwere Blutungsereignisse mit einer Gesamtinzidenz von 1,04 pro 100 Patientenjahre auf (Tab. 2). Um die Fähigkeit, Blutungsereignisse vorherzusagen, zu beurteilen, wurde die ROC(Receiver Operating Characteristic)-Kurve verwendet. Hierbei schnitten sowohl der HAS-BLED- als auch der DOAC-Score mit AUC(Area under the curve)-Werten von 0,65 (95%-Konfidenzintervall [KI] 0,55–0,70) bzw. 0,62 (95%-KI 0,59–0,71) mäßig ab. Die Differenz beider Scores war statistisch nicht signifikant. Für den HAS-BLED-Score konnte in der Kategorie „sehr niedriges Blutungsrisiko“ mit 98 % eine sehr hohe Spezifität für die Vorhersage des Ausbleibens schwerer Blutungsereignisse gezeigt werden, während für den DOAC-Score in derselben Kategorie mit 67 % nur eine mäßige Spezifität festgestellt wurde. Beide Scores zeigten eine schlechte Sensitivität: 21 % bzw. 45 % der Patienten ohne Blutungen in der Nachbeobachtungszeit wurden gemäß HAS-BLED- bzw. DOAC-Score korrekt zugeordnet.
Tab. 2. Blutungsrisiko-Kategorie und Häufigkeit des Auftretens schwerer Blutungsereignisse
Risikokategorie | HAS-BLED-Score | DOAC-Score | ||
[n (%)] | IR/100 PJ | [n (%)] | IR/100 PJ | |
Sehr niedrig | 577 (20,4) | 0,18 | 1276 (45,0) | 0,74 |
Niedrig | 1141 (40,3) | 0,88 | 676 (23,9) | 0,78 |
Mittel | 787 (27,8) | 1,6 | 628 (22,2) | 1,47 |
Hoch | 329 (11,6) | 1,91 | 254 (9,0) | 2,33 |
Risikokategorien gemäß HAS-BLED-Score: sehr niedrig = 0, niedrig = 1, mittel = 2, hoch ≥ 3 Risikokategorien gemäß DOAC-Score: sehr niedrig = 0–3, niedrig = 4–5, mittel = 6–7, hoch = 8–10
IR: Inzidenzrate; PJ: Personenjahre
Diskussion der Studienautoren
In der untersuchten Kohorte wurde für beide Scores nur eine mäßige Vorhersagekraft für Blutungsereignisse gezeigt. Für den HAS-BLED-Score konnte im Vergleich zum DOAC-Score eine höhere Spezifität bei der Identifizierung von Patienten mit sehr geringem Blutungsrisiko beobachtet werden, was darauf hindeutet, dass der HAS-BLED-Score in der klinischen Praxis die bessere Wahl darstellt, um Thromboembolie- und Blutungsrisiken abzuwägen. Zudem sind die Variablen, welche in den DOAC-Score einbezogen werden, hauptsächlich nicht veränderbare Risikofaktoren, während der HAS-BLED-Score sowohl veränderbare als auch nicht veränderbare Faktoren berücksichtigt, die während der Nachsorge angepasst werden können. Ein möglicher Vorteil des DOAC-Scores ist die Berücksichtigung von Variablen zum Stoffwechselstatus. Ein ungesunder Stoffwechselstatus wird mit einem erhöhten Risiko für schwere Blutungen in Verbindung gebracht, das auf die Notwendigkeit eines ganzheitlichen Therapieansatzes für alle VHF-Patienten hinweist. Insgesamt können die Analysenergebnisse die bevorzugte Verwendung des DOAC- gegenüber dem HAS-BLED-Score nicht stützen.
Quelle
Mei DA, et al. Performance of HAS-BLED and DOAC scores to predict major bleeding events in atrial fibrillation patients treated with direct oral anticoagulants: A report from a prospective European observational registry. Eur J Intern Med 2024 Jul 4. Online ahead of print. Doi: 10.1016/j.ejim.2024.06.022.
Literatur
- Wolf PA, et al. Atrial fibrillation as an independent risk factor for stroke: the Framingham Study. Stroke 1991;22:983–8.
Arzneimitteltherapie 2024;42:e24036.
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