Christian Trautwein, Hannover
Das Hepatitis-B-Virus (HBV) ist das am längsten bekannte der bisher fünf entdeckten Hepatitis-Viren. Nach Infektion kann es – abhängig von der Aktivität des Immunsystems – zu einem chronischen Verlauf der Virusinfektion kommen. Die chronische Hepatitis definiert sich über eine Nekrose und Entzündung mit oder ohne Zeichen von Fibrose in der Leber über einen Zeitraum von mindestens sechs Monaten. Während das Risiko eines chronischen Verlaufs bei perinataler Übertragung bei fast 100 % liegt, beträgt die Chronifizierungsrate bei einem immunkompetenten Erwachsenen nur etwa 5 %. Weltweit leiden etwa 350 Millionen Menschen an einer chronischen Hepatitis-B-Infektion.
Der chronische Krankheitsverlauf kann in etwa 30 % der Fälle zu einer Leberzirrhose mit Komplikationen wie portaler Hypertension oder Dekompensation der Leberfunktion sowie zur Entwicklung eines hepatozellulären Karzinoms (HCC) führen. Allerdings existieren auch blande Verläufe mit sehr geringer Virusreplikation ohne nachweisbare biochemische entzündliche Aktivität (normwertige Transaminasen) – der so genannte „asymptomatische HBsAg-Trägerstatus“. Die Indikation zur Therapie der chronischen HBV-Infektion sollte daher anhand des klinischen, biochemischen, virologischen und möglichst des histologischen Befunds gestellt werden. Ansprechparameter auf eine Therapie sind der Nachweis von anti-HBe (teilweises Ansprechen, partial response) und anti-HBs (komplettes Ansprechen, complete response) bei Transaminasen-Normalisierung bzw. bei HBeAg-negativen Patienten der Abfall der HBV-DNS, die Normalisierung der Transaminasen und das Auftreten von anti-HBs (complete response). Zusätzlich kann der Erfolg durch die Leberhistologie dokumentiert werden.
Stand der HBV-Therapie vor Einführung von Adefovirdipivoxil
Bereits vor der Einführung von Adefovirdipivoxil standen zur Therapie der chronischen Hepatitis B zwei prinzipielle Therapieoptionen zur Verfügung: Interferon und das orale Nucleosid-Analogon Lamivudin. Aufgrund der Erfahrung mit diesen beiden Medikamenten wurden Prognosefaktoren erarbeitet, mit denen die Wahrscheinlichkeit eines Therapieansprechens abgeschätzt werden kann und die somit bei der Entscheidung, welche Therapie primär sinnvoll ist, helfen.
Für eine primäre Therapie mit Interferon sprechen: kurzer Infektionsverlauf, hohe Transaminasen (> 5fach der Norm) bei mäßiger HBV-DNS (< 200 pg/ml), HBeAg-positiver Status und das Fehlen von Kontraindikationen für eine Interferon-Therapie. Die Erfolgschancen belaufen sich dann auf etwa 40 %, daher sollte bei diesen Patienten eine Interferon-Therapie diskutiert werden (Abb. 1). Liegen allerdings negative Interferon-Prognosekriterien wie ein langer Verlauf mit möglicherweise perinatal erworbener HBV-Infektion, eine fortgeschrittene Leberzirrhose (Child B oder C) oder eine hohe HBV-Viruskonzentration bei relativ niedrigen Transaminasen (< 2fach der Norm) vor, sollte in der Regel primär ein orales Nucleosid- oder Nucleotid-Analogon zum Einsatz kommen [19].
Bei der Mehrzahl der Patienten führt Lamivudin zu einer wirksamen Reduzierung der entzündlichen Aktivität (biochemisch und histologisch). Die Dauer der Behandlung ist noch nicht abschließend geklärt. Es gibt aber Hinweise dafür, dass versucht werden kann, die Therapie mit Nucleosid-Analoga bei Patienten mit nicht perinatal erworbener Infektion sechs Monate nach HBe-Serokonversion abzusetzen. Patienten mit preCore-Mutanten (HBeAg-negativ) oder fortgeschrittenem Leberumbau profitieren möglicherweise von einer langfristigen Behandlungsdauer [5, 20] (Abb. 1).
Ein entscheidender Nachteil der Lamivudin-Therapie ist die Resistenzentwicklung durch Selektion von Virusmutanten unter der Therapie. Hierfür ist eine Mutation im so genannten YMDD-Motiv des Polymerase-Gens verantwortlich. Innerhalb des ersten Jahres treten unter der Therapie bei etwa 10 bis 20 % der Patienten Lamivudin-resistente Stämme im Serum auf. Nach drei Jahren weisen etwa 50 % der behandelten Patienten einen gegen Lamivudin resistenten Virusstamm auf. Auch nach Selektion resistenter Stämme kann es unter Fortführung der Therapie noch zur Normalisierung der Transaminasen und zur Serokonversion kommen; es sind aber auch hochprogrediente Verläufe unter einer Lamivudin-Therapie (bei kombinierten Mutationen) beobachtet worden [3]. Ein erhöhtes Risiko zur Entwicklung von YMDD-Mutationen scheint bei Patienten mit erhöhten Transaminasen, hoher HBV-DNS, HBeAg-positivem Status und vorheriger Therapie mit einem anderen Nucleosid-Analogon (z. B. Famciclovir) oder Interferon zu bestehen [11].
Nachdem bereits Lamivudin zur Therapie der chronischen Hepatitis-Infektion zugelassen ist, stellt sich nach der Zulassung von Adefovirdipivoxil (Hepsera®) die Frage, welche möglichen Vorteile eine zweite Substanz aus einer ähnlichen Substanzgruppe bringt und wo die Indikationsgebiete der neuen Substanz liegen. Aus diesem Grund soll im Folgenden auf verschiedene Aspekte der Substanz Adefovirdipivoxil eingegangen werden.
Wirkungsprinzip und Pharmakokinetik
Adefovirdipivoxil (9-[2-(Bispivaloyloxymethyl-phosphonyl-methoxyethyl]-adenin) ist ein zur oralen Einnahme konzipiertes Prodrug des aktiven Wirkstoffs Adefovir (PMEA) aus der Wirkstoffklasse der antiviral wirkenden Nucleotid-Analoga (Abb. 2). Nach Aufnahme von Adefovirdipivoxil über den Gastrointestinaltrakt wird es sehr schnell in Adefovir umgewandelt und von den Zellen aufgenommen. Knapp 60 % der eingenommenen Menge werden nahrungsunabhängig resorbiert. Maximale Serumkonzentrationen können in der Regel nach 1,75 Stunden (0,58–4,0 h) gemessen werden. Die terminale Eliminationshalbwertszeit im Serum beträgt 6 bis 7,5 Stunden. Allerdings liegt die intrazelluläre Halbwertszeit bei 12 bis 36 Stunden, daher ist eine tägliche Gabe von Adefovirdipivoxil ausreichend, um therapeutische Wirkspiegel aufzubauen [1].
Adefovir wird über einen aktiven Transportmechanismus in das Innere der Zellen aufgenommen. Da Adefovir in seiner Struktur eine Phosphorsäure besitzt, bedarf es in den Körperzellen der Patienten nur noch zwei weiterer Phosphorylierungsschritte zur Umwandlung in seine aktive Form Adefovirdiphosphat. Dies ist von potenziellem Vorteil, da bei Nucleosid-Analoga wie beispielsweise Lamivudin noch alle drei Phosphorylierungsschritte erforderlich sind.
In der Zelle konkurriert Adefovirdiphosphat direkt mit dem natürlichen Substrat (Desoxyadenosintriphosphat, dATP) um die Bindung an die virale DNS-Polymerase. Nach seinem Einbau in den wachsenden DNS-Strang führt es zu einer Blockade der Synthese und zu einem Strangabbruch [18].
Adefovir wird praktisch vollständig und unverändert über die Nieren eliminiert, und zwar durch eine Kombination aus glomerulärer Filtration und aktiver tubulärer Sekretion. Eine Dosisanpassung ist erst ab einer Creatinin-Clearance von unter 50 ml/min notwendig. Alle Untersuchungen zeigen, dass Adefovir nicht in der Leber metabolisiert wird. Dies bedeutet, dass es zu keiner Interaktion von Adefovir mit dem Cytochrom-P450-Enzymsystem der Leber kommt. Daher ist bei Patienten mit Einschränkung der Leberfunktion auch keine Dosisanpassung notwendig [8].
Nebenwirkungsprofil
Adefovirdipivoxil wurde in mehreren großen Phase-II- und -III-Studien bei Patienten mit chronischer HBV-Infektion eingesetzt. Hierbei wurden Patienten mit histologisch und biochemisch entzündlicher Aktivität ohne und mit preCore-Mutante eingeschlossen. Außerdem erfolgte die Therapie von Patienten mit Leberzirrhose vor und nach Lebertransplantation und Patienten mit YMDD-Mutante im Polymerase-Motiv sowie mit HIV-Koinfektion. Bei der zugelassenen Dosierung von 10 mg/Tag waren die häufigsten Nebenwirkungen Asthenie, Kopf- und Bauchschmerzen (Tab. 1). Allerdings traten die Nebenwirkungen im Vergleich zur Plazebo-Gruppe nicht vermehrt auf. Zusammenfassend wurde in allen Studien Adefovirdipivoxil sehr gut vertragen und auch bei den biochemischen Parametern gab es keine signifikanten Unterschiede im Vergleich zur Plazebo-Gruppe [2, 6, 9].
Einer der wesentlichen Vorbehalte gegen Adefovirdipivoxil war seine mögliche nephrotoxische Wirkung (Tab. 2). Die Substanz wurde zur Therapie der HIV-Infektion initial in einer Dosierung 120 mg/Tag getestet. Darunter wurden teilweise Einschränkungen der Nierenfunktion beobachtet. Im Rahmen der Phase-III-Studie bei HBeAg-positiven Patienten wurde ein Therapiearm mit 30 mg/Tag eingeschlossen. Unter dieser Therapie – im Gegensatz zur 10 mg/Tag Dosierung – kam es im Vergleich zur Plazebo-Gruppe häufiger zu reversiblen Einschränkungen der Nierenfunktion. Unter der Dosierung von 10 mg Adefovirdipivoxil/Tag wurde bei insgesamt vier Patienten ein Anstieg der Serum-Creatinin-Werte beobachtet, der zum Absetzen der Therapie führte. Einer von 492 Patienten zeigte nach 96 Wochen Therapie eine längerfristige Erhöhung des Serum-Creatinin-Werts. Nach Absetzen von Adefovirdipivoxil war die Veränderung vollständig reversibel. Bei den übrigen drei Patienten (3 von 324) handelte es sich um den speziellen Einsatz von Adefovirdipivoxil vor und nach Lebertransplantation. Bei diesem Patientenkollektiv liegen meist mehrere kumulative Risikofaktoren für eine Einschränkung der Nierenfunktion vor. Daher sollte bei Patienten vor und nach Lebertransplantation bei einer Adefovirdipivoxil-Therapie der Einfluss auf die Nierenfunktion sorgfältig kontrolliert werden.
Wirksamkeit bei chronischer Hepatitis-B-Infektion
In zwei Phase-III-Studien wurde Adefovirdipivoxil bei Patienten mit chronischer Hepatitis-B-Infektion geprüft.
Im Rahmen dieser beiden multizentrischen Studien (HBeAg-negative und HBeAg-positive Patienten) wurden insgesamt 700 Patienten mit chronischer Hepatitis-B-Infektion betreut [6, 9].
In die dreiarmige Studie zur Therapie HBeAg-positiver Patienten wurden 515 Patienten eingeschlossen, die mit 30 mg Adefovirdipivoxil, 10 mg Adefovirdipivoxil oder Plazebo über 48 Wochen behandelt wurden [9]. Der primäre Endpunkt der Studie war der Einfluss von Adefovirdipivoxil auf die histologische Aktivität in der Leber. In beiden Adefovirdipivoxil-Armen kam es im Vergleich zur Plazebo-Gruppe zu einer signifikanten Hemmung der Entzündung und des Umbaus in der Leber. Die Unterschiede zwischen den beiden Adefovirdipivoxil-Gruppen waren nicht signifikant, wenngleich die 30-mg-Gruppe insgesamt besser abschnitt (Abb. 3). Mit der histologischen Verbesserung ging eine signifikante Reduktion der HBV-DNS-Serumkonzentrationen und der Aminotransferasen einher.
Die zweite zweiarmige Studie (n = 185) diente der Untersuchung der Wirksamkeit von Adefovirdipivoxil bei HBeAg-negativen Patienten mit chronischer Hepatitis-B-Infektion. Die Patienten wurden für 48 Wochen mit 10 mg Adefovirdipivoxil/Tag oder Plazebo behandelt [6]. Die Studie wurde analog zur Studie der HBeAg-positiven Patienten durchgeführt. Es konnte ein signifikanter Einfluss von Adefovirdipivoxil im Vergleich zur Plazebo-Gruppe bezüglich der Reduktion der entzündlichen Aktivität und des Umbaus in der Leber dokumentiert werden (Abb. 4). In der Adefovirdipivoxil-Gruppe kam es zu einer Reduktion der HBV-DNS (Kopien/ml) im Serum um 3,9 log10, und auch die Normalisierung der Serumtransaminasen war in der Adefovirdipivoxil-Gruppe im Vergleich mit der Plazebo-Gruppe signifikant höher.
Wirksamkeit bei chronischer Hepatitis-B-Infektion bei speziellen Patientenkollektiven
Neben den beiden Phase-III-Studien wurde Adefovirdipivoxil häufig bei Patienten eingesetzt, bei denen eine resistente Mutante im YMDD-Motiv des Polymerase-Gens unter Lamivudin-Therapie selektioniert wurde. Hierbei wurden insbesondere Patienten analysiert, bei denen bereits eine kompensierte oder dekompensierte Leberzirrhose vorlag, eine Lebertransplantation geplant oder durchgeführt wurde oder eine Ko-Infektion mit dem HI-Virus vorlag.
Bei Patienten mit chronischer HBV-Infektion, kompensierter Leberzirrhose und Lamivudin-Resistenz wurde eine dreiarmige, randomisierte multizentrische Studie (n = 59) durchgeführt. Die Patienten wurden entweder mit Lamivudin allein weiterbehandelt, oder erhielten zur laufenden Lamivudin-Medikation zusätzlich Adefovir oder aber nur Adefovir als Monotherapie [14, 15]. In der Adefovir- und der Adefovir-Lamivudin-Gruppe kam es zu einer ~4 log10-Reduktion der HBV-DNS (Kopien/ml) im Serum (Abb. 5), die mit einer signifikanten Reduktion der Serumtransaminasen im Vergleich zur fortgesetzten Lamivudin-Monotherapie-Gruppe einherging (Tab. 3). Zusätzlich konnten in der Adefovir- oder Adefovir/Lamivudin-Gruppe signifikant mehr Patienten mit HBeAg-Serokonversion und Transaminasen-Normalisierung beobachtet werden als unter fortgesetzter Lamivudin-Monotherapie.
Ähnliche Studien wurden außerdem bei Patienten mit dekompensierter HBV-Zirrhose durchgeführt. Hier wurde analog Adefovirdipivoxil zusätzlich zu Lamivudin gegeben. Alle Patienten profitierten von der zusätzlichen Adefovirdipivoxil-Therapie (HBV-DNS, biochemische Werte, Child-Pugh-Klassifikation) [10, 13].
Im Rahmen einer großen offenen Studie wurden Patienten, bei denen eine Lamivudin-resistente chronische HBV-Infektion vorlag, vor (n = 126) und nach (n = 196) Lebertransplantation mit Adefovirdipivoxil behandelt [12, 16, 17]. Nach 96 Wochen Therapie kam es bei den Patienten vor und nach Lebertransplantation zu einer > 4 log10-Reduktion der HBV-DNS (Kopien/ml) (Abb. 6) und zu einem signifikanten Ansprechen der klinischen Parameter (Child-Pugh-Kriterien), sodass in der Patientengruppe vor Lebertransplantation bei einem Teil der Patienten die Transplantation sogar vermieden werden konnte.
Resistenzentwicklung unter der Therapie mit Adefovirdipivoxil
Im Gegensatz zu Lamivudin kam es im Rahmen der bisher bekannten Studien unter der Therapie mit Adefovirdipivoxil zu keiner häufigen Selektion bestimmter Mutanten im Bereich des HBV-Genoms, insbesondere der kodierenden Region des HBV-Polymerase-Gens. Diese Beobachtung gilt für Patienten, die mit einem Wild-Typ-HBV-Virus, einem Virus mit einer preCore-Mutante oder einer Mutante im Bereich des YMDD-Motivs infiziert sind [4, 7, 10].
Allerdings sind zwei Einzelfälle bekannt, bei denen eine Mutation im Bereich des Polymerase-Gens selektioniert wurde, die mit einem Nicht-Ansprechen auf eine Therapie mit Adefovirdipivoxil assoziiert war. Dieser Effekt konnte durch komplementäre Zellkulturexperimente bestätigt werden. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass in seltenen Fällen eine HBV-Mutante unter der Gabe von Adefovirdipivoxil selektioniert werden kann, dies jedoch im Vergleich zur Therapie mit Lamivudin deutlich seltener vorkommt. Zusätzlich zeigen die Einzelfallbeispiele ein Ansprechen bei Vorliegen der Adefovirdipivoxil-abhängigen Mutante auf Lamivudin. Abzuwarten bleibt, ob beide Resistenz-Mutanten parallel im HBV-Genom selektioniert werden können.
Bei den Patienten mit chronischer HBV-Infektion und Lamivudin-Resistenz wurde zusätzlich der Einfluss der Adefovirdipivoxil-Therapie auf die YMDD-Mutation untersucht. Bei etwa einem Viertel aller Patienten war nach einer 16-wöchigen Therapie mit Adefovirdipivoxil keine YMDD-Mutante im HBV-Polymerasegen mehr nachweisbar [15]. Dies deutet darauf hin, dass Adefovirdipivoxil zu einer Re-Selektion des Wild-Typ-HBV-Genoms bei diesen Patienten führt und damit die Replikation der Lamivudin-resistenten Stämme wirksam inhibiert.
Qual der Wahl: Adefovirdipivoxil versus Lamivudin
Adefovirdipivoxil ist seit 15. April 2003 in Deutschland zur Therapie der chronischen HBV-Infektion eingeführt. Die Therapiekosten belaufen sich auf etwa 780 €/Monat. Damit ist die Therapie mit Adefovirdipivoxil gegenüber Lamivudin (150 €/Monat) etwa fünfmal so teuer. Beide Medikamente haben ein vergleichbares, sehr günstiges Nebenwirkungsprofil.
Der Nachteil von Lamivudin im Vergleich zu Adefovirdipivoxil ist, wie erwähnt, das hohe Risiko der Selektion einer Mutation im Bereich des YMDD-Motivs des HBV-Polymerasegens. Allerdings kann die Selektion einer Mutation unter Lamivudin-Therapie durch regelmäßige Serumkontrollen einfach erkannt werden. Daher kann bei Patienten mit chronischer HBV-Infektion überlegt werden, primär mit der preisgünstigeren Lamivudin-Therapie zu beginnen. Kommt es unter der Behandlung mit Lamivudin zu der Selektion einer YMDD-Mutation, die mit einem erneuten Anstieg der HBV-DNS und Transaminasen einhergeht, sollte die Indikation zum Wechsel auf die Therapie mit Adefovirdipivoxil gestellt werden.
Dieses Vorgehen kann bei Patienten mit HBV-induzierter Child-B- und -C-Zirrhose und absehbarer Indikation für eine Lebertransplantation problematisch sein. Hier kann die Selektion einer YMDD-Mutante unter einer möglichen Lamivudin-Therapie erneut zu einer Progression der Leberzirrhose führen. Daher sollte bei diesem Patientenkollektiv in Absprache mit einer Spezialambulanz die primäre Indikation für Lamivudin oder Adefovirdipivoxil gestellt werden.
Fazit
Die Einführung von Adefovirdipivoxil zur Therapie der chronischen Hepatitis-B-Infektion stellt eine entscheidende Bereicherung dar. Allerdings kann aufgrund der hohen Kosten das Medikament nicht als First-Line-Therapie bei allen Patienten empfohlen werden. Aus diesem Grunde sollte initial evaluiert werden, welches Konzept – Interferon versus Nucleosid(-tid)-Analogon – bei dem jeweiligen Patienten sinnvoll erscheint. Spricht die Situation für ein Nucleosid(-tid)-Analogon, kann überlegt werden, primär mit Lamivudin zu beginnen (Abb. 1). Entwickelt sich unter Lamivudin eine Resistenz (etwa 15 %/Jahr Therapie), sollte bei Progredienz der Lebererkrankung unmittelbar auf Adefovirdipivoxil gewechselt werden. Eine Ausnahme stellen Patienten mit HBV-bedingter Leberzirrhose und einem klinischen Stadium Child B und C dar, hier sollte in Spezialambulanzen überlegt werden, ob möglicherweise primär eine Therapie mit Adefovirdipivoxil zum Einsatz kommen kann (Abb. 7).
Literatur
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13. Perrillo R, Schiff E, Hann HL, Buti M, et al. The addition of adefovirdipivoxil to lamivudine in decompensated chronic hepatitis B patients with YMDD variant HBV and reduced response to lamivudine – Preliminary 24 week results. Hepatology 2001;34:349A.
14. Peters M, Hann HW, Martin P, Heathcote E, et al. Adefovirdipivoxil alone or in combination with lamivudine (LAM) suppresses LAM-resistant hepatitis B virus (HBV) replication: 16 weeks interim analysis. J Hepatology 2002;36:6A.
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16. Schiff ER, Neuhaus P, Tillmann H, Samuel D, et al. Safety and efficacy of adefovirdipivoxil for the treatment of lamivudine resistant HBV in patients post liver transplantation. Hepatology 2001;34:446A.
17. Schiff E, Neuhaus P, Tillmann H, Samuel D, et al. Adefovirdipivoxil (ADV) for the treatment of lamivudine in post-liver transplant (OLT) patients. J Hepatology 2002;36:32A.
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19. Trautwein C, Manns MP. Antivirale Therapie der Virushepatitis. Internist 2001;42:913–23.
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Prof. Dr. med. C. Trautwein, Abteilung für Gastroenterologie, Hepatologie & Endokrinologie, Medizinische Hochschule Hannover, Carl-Neuberg-Str. 1, 30625 Hannover, E-Mail: trautwein.christian@mh-hannover.de

Abb. 1. Mögliches therapeutisches Vorgehen bei chronischer Hepatitis-B-Virus-Infektion
* positive Interferon-Prognosekriterien sind: hohe Transaminasen (> 5fach der Norm), niedrig-mäßige HBV-DNS (< 200 pg/ml), Infektion im Erwachsenenalter, kurzer Verlauf seit Infektion, weibliches Geschlecht
** Risikofaktoren für die Selektion resistenter YMDD-Mutanten unter Lamivudin-Therapie sind: hohe Transaminasen, hohe HBV-DNS im Serum, HBeAg positiv, vorherige Therapie (z. B. mit Famciclovir); Adefovir kann dann (ebenso wie bei nachgewiesener Lamivudin-Resistenz) als Mittel der ersten Wahl sinnvoll sein.

Abb. 2. Adefovirdipivoxil
Tab. 1. Gepoolte Ergebnisse therapiebedingter unerwünschter Nebenwirkungen (10 mg Adefovirdipivoxil versus Plazebo); die Unterschiede zwischen Adefovirdipivoxil und Plazebo sind nicht signifikant [6, 9].
Unerwünschtes Ereignis |
Adefovirdipivoxil 10 mg |
Plazebo |
Asthenie |
13 % |
14 % |
Kopfschmerzen |
9 % |
10 % |
Bauchschmerzen |
9 % |
11 % |
Übelkeit |
5 % |
8 % |
Flatulenz |
4 % |
4 % |
Diarrhö |
3 % |
4 % |
Dyspepsie |
3 % |
2 % |
Tab. 2. Einfluss von Adefovirdipivoxil auf die Nierenfunktion, gepoolte Ergebnisse (10 mg Adefovirdipivoxil [ADV] versus Plazebo [6, 9])
Parameter |
ADV 10 mg (n = 294) |
Plazebo (n = 228) |
↑Serumcreatinin ≥ 0,3 mg/dl über dem Ausgangswert |
4 % |
2 % |
↑Serumcreatinin ≥ 0,5 mg/dl über dem Ausgangswert |
0 % |
0 % |
Serumphosphor < 2,0 mg/dl |
0 % |
0 % |

Abb. 3. Adefovirdipivoxil bei HBeAg-positiven Patienten mit chronischer Hepatitis-B-Virus-Infektion: Einfluss der Adefovirdipivoxil-Therapie (10 bzw. 30 mg/Tag versus Plazebo) über 48 Wochen auf die Leberhistologie, a) entzündliche Aktivität, b) Fibrose [9]

Abb. 4. Adefovirdipivoxil bei HBeAg-negativen Patienten mit chronischer Hepatitis-B-Virus-Infektion: Erfolg der Adefovirdipivoxil-Therapie (10 mg/Tag versus Plazebo) über 48 Wochen auf die Leberhistologie, a) entzündliche Aktivität, b) Fibrose [6]

Abb. 5. Einfluss von Adefovir auf die HBV-DNS bei Patienten mit chronischer HBV-Infektion, kompensierter Leberzirrhose und Lamivudin-Resistenz (LAM = Lamivudin, ADV = Adefovirdipivoxil)
Tab. 3. Adefovir bei Patienten mit chronischer HBV-Infektion, kompensierter Leberzirrhose und Lamivudin-Resistenz (LAM = Lamivudin einmal täglich 100 mg, ADV = Adefovirdipivoxil einmal täglich 10 mg, ALT: Alanin-Aminotransferase, ULN: oberer Grenzwert des Referenzbereichs [upper limit of normal])
ADV (n = 19) |
ADV+LAM (n = 20) |
LAM (n = 19) |
|
Baseline |
|||
Median der Viruskonzentration (HBV-DNS) [log10 Kopien/ml] |
8,4 |
7,9 |
8,2 |
Mediane ALT-Spiegel [xULN] |
2,3 |
1,9 |
1,9 |
Vorangegangene Lamivudin-Therapie [Monate] |
37 |
29,5 |
24 |
Woche 48 |
|||
Normalisierung des ALT-Spiegels |
9 (47 %) |
10 (53 %) |
1 (5 %) |
Median der Veränderung des ALT-Spiegels [IU/l] |
– 51 |
– 25 |
0 |
Verschwinden von HBeAg |
3 (16 %) |
3 (17 %) |
0 % |
HBeAg-Serokonversion |
2 (11 %) |
1 (6 %) |
0 % |

Abb. 6. HBV-DNS-Serumwerte bei Patienten mit chronischer HBV-Infektion vor und nach Lebertransplantation unter einer Therapie mit 10 mg Adefovirdipivoxil/Tag.

Abb. 7. Therapeutische Alternativen bei Patienten mit dekompensierter HBV-induzierter Lebererkrankung
Arzneimitteltherapie 2003; 21(08)