Glucocorticoid-induzierte Osteoporose


Eine therapierbare Erkrankung mit hohem Frakturrisiko

Johann D. Ringe, Leverkusen, Dieter Felsenberg, Berlin, und Gerd Möller, Weiterstadt

Die Glucocorticoid-induzierte Osteoporose (GIOP) gehört zu den häufigsten und folgenschwersten Nebenwirkungen einer langzeitigen Glucocorticoid-Therapie. Der größte Knochenmasseverlust ereignet sich in den ersten Monaten der Therapie, einhergehend mit einer schnellen Zunahme des Frakturrisikos. Bisphosphonate stehen heute bei der Therapie und Prophylaxe der GIOP an erster Stelle. Die zur Behandlung der GIOP bei postmenopausalen Frauen bisher zugelassenen Bisphosphonate Risedronsäure und Etidronsäure sind in der neuen EBM-basierten Leitlinie zur Glucocorticoid-induzierten Osteoporose des Dachverbandes deutschsprachiger wissenschaftlicher Gesellschaften für Osteologie (DVO) als Therapie der ersten Wahl empfohlen. Für die bei der Therapie der postmenopausalen Osteoporose gut dokumentierte Alendronsäure war den Zulassungsbehörden die Datenlage bezüglich GIOP bislang unzureichend. Das gleiche gilt für die interessante Option der intermittierenden intravenösen Therapie mit Ibandronsäure oder Zoledronsäure.
Arzneimitteltherapie 2004;22:20-5.

Abb. 1. Schnelle Zunahme des Risikos für Wirbelkörperfrakturen unter Glucocorticoid-Therapie

Epidemiologie der Glucocorticoid-induzierten Osteoporose

Der Begriff Osteoporose bezeichnet eine systemische Skeletterkrankung mit veränderter Masse und Mikroarchitektur mit entsprechend reduzierter Festigkeit und erhöhter Frakturneigung des Knochengewebes. Die postmenopausale Osteoporose und die Osteoporose des hohen Lebensalters gelten als primäre Osteoporosen. Sekundäre Osteoporosen sind Folge verschiedener Grunderkrankungen. Die häufigste sekundäre Form der Osteoporose ist die Glucocorticoid-induzierte Osteoporose (GIOP). Glucocorticoide werden bei einer Vielzahl von entzündlichen Systemerkrankungen eingesetzt, wie der rheumatoiden Arthritis (RA), chronisch entzündlichen Darmerkrankungen (CED) – Colitis ulcerosa (CU), Morbus Crohn (MC) – und der chronisch obstruktiven Lungenerkrankung (COPD). Die häufigsten behandelten Indikationen sind mit etwa 40 % Atemwegserkrankungen [1]. Das am häufigsten verordnete Corticosteroid ist Prednisolon.

Die GIOP ist eine der schwerwiegendsten Komplikationen der Glucocorticoid-Therapie [2]. Die Prävalenz der oralen Glucocorticoid-Einnahme ist ungefähr 1 % in der Erwachsenen-Bevölkerung [1]. Dieser Prozentsatz steigt auf 2,5 % in der Altersgruppe 70 bis 79 Jahre [1]. Die Einnahme von oralen Glucocorticoiden variiert über das Lebensalter, am höchsten ist der Verbrauch bei Männern und Frauen im Alter über 50 Jahren [1]. Davon entfällt etwa die Hälfte auf Indikationen im Rahmen chronisch-entzündlicher Erkrankungen, am häufigsten sind hierbei die rheumatoide Arthritis und die Polymyalgia rheumatica [3]. Auch bei den anderen entzündlich rheumatischen Erkrankungen, die eher jüngere Patienten betreffen, wie ankylosierender Spondylitis und systemischem Lupus erythematodes [4], sind eine erniedrigte Knochendichte und erhöhte Frakturraten berichtet worden.

Der Knochenmasseverlust ist in den ersten Monaten der Glucocorticoid-Therapie am größten [5]. Deshalb nimmt das Frakturrisiko auch bei Kurzzeitbehandlungen zu (Abb. 1) [6].

Darüber hinaus gilt: Je höher die Glucocorticoid-Dosen und je länger die Therapiedauer, desto größer ist das Frakturrisiko. Eine konkrete Schwellendosis, ab der das Osteoporoserisiko unter Glucocorticoid-Therapie beginnt oder signifikant steigt, lässt sich nicht eindeutig definieren. Die oft angegebene „Cushing-Schwelle“ von 7,5 mg Prednisolonäquivalent ist auf das Osteoporoserisiko nicht übertragbar. Auch eine sehr niedrige Glucocorticoid-Dosis kann bereits zur Osteoporose führen, wobei der Effekt der Glucocorticoid-Therapie meist nicht von den Auswirkungen der zugrunde liegenden Erkrankung auf die Knochenmasse scharf abgegrenzt werden kann [6]. Der Knochenmasseverlust steht in Relation zur kumulativen Dosis [6]. Eine niedrige Ausgangsknochendichte, ebenso wie bereits initial vorhandene Frakturen, besitzen prädiktorischen Wert für das Auftreten weiterer Frakturen [7]. Männer mit GIOP hatten in einer Querschnitts-Studie im Mittel bereits 2,5 Wirbelkörperfrakturen. Diese sind mit einer deutlich erhöhten Letalität assoziiert [8]. Eine länger dauernde (> 6 Monate) Glucocorticoid-Therapie ist unabhängig von der Grundkrankheit mit einem hohen Risiko eines Knochendichteverlustes verbunden. Bei inhalierbaren Glucocorticoiden ist von einer geringeren systemischen Wirkung auszugehen, jedoch besteht bei regelmäßiger und häufiger Anwendung inhalierbarer Glucocorticoide ein eindeutiges Risiko [9].

Der stärkste Knochendichteverlust betrifft die Wirbelsäule. Bei der GIOP treten sehr häufig Frakturen im Bereich der Wirbelkörper, der Rippen und auch im Bereich des proximalen Femurs auf. Insbesondere postmenopausale Frauen sind gefährdet, Wirbelkörperfrakturen unter Glucocorticoid-Therapie zu entwickeln. In zwei großen Studien erlitten mehr als 20 % der Frauen in der Kontrollgruppe, die nur mit Calciumsalzen supplementiert wurden, innerhalb eines Jahrs eine Wirbelkörperfraktur [10, 11]. Bis zu 50 % der mit Corticosteroiden behandelten Patienten erleiden eine Fraktur. Die hiervon betroffenen Patientinnen sind meist postmenopausale Frauen. Im Vergleich dazu liegt die Prävalenz von Wirbelkörperfrakturen in der Bevölkerung bei 12 %; die Zahlen sind aber deutlich alters- und geschlechtsabhängig [12].

Risikofaktoren der Glucocorticoid-induzierten Osteoporose

Diagnostik und Therapie der GIOP sind dringend notwendig. Zur Abschätzung des individuellen Frakturrisikos sollten neben der Grunderkrankung (Krankheitsdauer und -aktivität sowie -schweregrad) und der Corticosteroid-Anamnese weitere Risikofaktoren im Rahmen der Anamnese und körperlichen Untersuchung erfasst werden. Als Hochrisikofaktoren gelten [13]:

 Vorbestehende Frakturen nach Niedrigenergie-Trauma,

 Abnahme der Körpergröße > 4 cm seit dem jungen Erwachsenalter oder > 2 cm seit letzter Messung,

 sehr niedriges Körpergewicht (BMI < 20) oder unbeabsichtigte Gewichtsabnahme von > 10 % seit dem jungen Erwachsenenalter oder seit letzter Bestimmung,

 hohes Sturzrisiko,

 Alter > 70 Jahre und

 stark eingeschränkte Mobilität.

Weitere moderate Risikofaktoren sind weibliches Geschlecht sowie verkürzte reproduktive Phase der Frau, unabhängig von der Ursache.

Methoden zur Messung der Knochendichte

Unter Glucocorticoid-Therapie macht sich der Mineralverlust zuerst überwiegend im Bereich des spongiösen Knochens, insbesondere in der Wirbelsäule, bemerkbar. Empfehlenswert ist deshalb eine Messung der Knochendichte der Lendenwirbelsäue (LWS). Bei morphologischen Veränderungen im Bereich der Wirbelsäule kann auch am proximalen Femur gemessen werden.

Planare Dualenergie-Röntgen-Absorptiometrie

In der Praxis ist die Knochendichtemessung mit planarer Dualenergie-Röntgen-Absorptiometrie (Dual-X-Ray-Absorptiometry = DXA) weit verbreitet und wird empfohlen [13]. Diese Röntgen-absorptiometrische Technik misst bei geringer Strahlenbelastung (1–10 μSv) eine „Flächendichte“ (gemessener Calcium-Hydroxylapatit-Gehalt pro Flächeneinheit in g/cm2), die als Surrogat für die Knochenmasse dient. Durch Überlagerungseffekte kalkhaltiger Strukturen können falsch hohe Messwerte auftreten. Letzteres betrifft insbesondere Messungen an der LWS (Osteophyten; Aortensklerose); auch Skoliose und Frakturen können die Messwerte beeinflussen. Die DXA-Methode hat grundsätzlich eine hohe Messpräzision (1–3 %). Die Messtechnik ist gut validiert; Qualitätsstandards für Mess- und Auswertungsprotokolle sind erarbeitet worden. Eine Beurteilung des individuellen Frakturrisikos auf der Basis der Knochendichte allein ist allerdings nicht möglich.

Quantitative Computertomographie

Die quantitative Computertomographie (QCT) misst eine Volumendichte, also einen echten physikalischen Dichtewert (gemessener Calcium-Hydroxylapatit-Gehalt pro Volumeneinheit in g/cm3). Kortikalis und Spongiosa können getrennt untersucht werden.

Der Stellenwert der Knochendichtemessung für die Diagnostik der Osteoporose besteht darin, dass die WHO osteodensitometrische Messwerte für die Diagnosestellung festgelegt hat. Damit wird eine Frühdiagnose und die Beurteilung des Frakturrisikos ermöglicht. Frühdiagnostik und rechtzeitiges Management der GIOP und des Frakturrisikos sind nur mit Hilfe der Osteodensitometrie möglich. Nach Beschluss des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen ist die Knochendichtemessung in der Frühdiagnostik der Osteoporose jedoch seit dem Jahr 2000 keine kassenärztliche Leistung mehr, soweit keine Fraktur vorliegt. Dies ist für Patienten mit lebensnotwendiger Corticosteroid-Medikation eine besonders gravierende Benachteiligung.

Quantitative Ultraschalluntersuchung (QUS)

Die röntgenstrahlenfreie Methode der quantitativen Ultraschallmessung (QUS) des Knochens ist kein Dichtemessverfahren. Bei der quantitativen Ultraschalluntersuchung des Knochens (QUS) wird letztlich an verschiedenen peripheren Skelettabschnitten (Calcaneus, Phalangen, Tibia) die Schallgeschwindigkeit und Schallschwächung im Knochen gemessen. Für den Einsatz der QUS-Messung des Knochens liegen bislang zu wenig Erfahrungen aus randomisierten klinischen Studien vor. Sie ist weiterhin Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen. Für die Praxisroutine ist diese Methode noch nicht geeignet.

Röntgen

Zur Diagnose osteoporotischer Wirbelkörperfrakturen sollten beim Auftreten von akuten schweren Rückenschmerzen, im Falle einer Größenabnahme von mehr als 4 cm oder beim Vorliegen typischer auf Frakturen hinweisender Skelettdeformitäten Röntgenaufnahmen der BWS/LWS durchgeführt werden. Bei mehreren Wochen andauernder klinischer Symptomatik (Rückenschmerzen, andere Skelettschmerzen) sollte grundsätzlich eine zielgerichtete bildgebende Diagnostik durchgeführt werden. Bei Nachweis von Frakturen ist dann, auch nach jetziger Gesetzeslage, eine Osteodensitometrie (und natürlich eine therapeutische Intervention) indiziert.

Laborchemische Diagnostik und Biomarker

Die Labordiagnostik dient im Wesentlichen zum Ausschluss anderer oder zusätzlicher Ursachen von Osteoporose. Zusätzlich zur Anamnese und körperlichen Untersuchung sollten folgende Parameter bestimmt werden:

 BSG

 CRP

 Blutbild

 Serumwerte von Calcium, Phosphat, Creatinin, alkalischer Phosphatase (AP), Gamma-GT, basales TSH, Elektrophorese

 Urinwerte von Calcium und Eiweiß

Dabei ist zu beachten, dass der TSH-Wert unter Glucocorticoid-Einnahme erniedrigt sein kann. Darüber hinaus sind Bestimmungen von Vitamin D, Parathormon und (Immunfixations-)Elektrophorese indiziert, wenn entsprechende Anhaltspunkte vorliegen. Erniedrigte Vitamin-D-Spiegel werden vermehrt bei Patienten mit aktiver rheumatoider Arthritis nachgewiesen [14].

Die Wertigkeit der so genannten Knochenmarker für Diagnose, Prognose und Monitoring der Therapie der Osteoporose ist bislang noch nicht eindeutig definiert. Für einen Einsatz in der Primärdiagnostik der Osteoporose sind die biochemischen Marker des Knochenstoffwechsels zu unspezifisch, können aber zur Verlaufskontrolle unter Therapie herangezogen werden.

Marker des Knochen- und Kollagenabbaus sind Hydroxyprolin, Pyridinium-Crosslinks, Crosslink-vernetzte Telopeptide und die von Osteoklasten sezernierte Tartrat-resistente saure Phosphatase. Marker für den Knochenaufbau sind alkalische Phosphatase, Osteocalcin und Serum-Typ-l-Prokollagen-Peptid, welche bei Patienten mit rheumatoider Arthritis im Vergleich zu normalen Kontrollen zum Teil unterschiedlich ausfallen [15]. Eine routinemäßige Bestimmung von Knochenumbaumarkern zur Beurteilung des Frakturrisikos ist derzeit nicht zu empfehlen.

Erhebliche Standardisierungsprobleme schränken die Messreliabilität ein. Bislang ist nicht nachgewiesen, dass sich die Voraussage des Frakturrisikos auf individueller Ebene durch die Bestimmung von biochemischen Markern in Serum oder Urin verbessern lässt. Auch hier werden weitere Einsichten aus noch laufenden Studien erwartet. Der Einsatz und die Beurteilung biochemischer Marker des Knochenstoffwechsels sollte Spezialisten vorbehalten bleiben.

Der so genannte „osteoclast differentiation factor“ (ODF) und das Osteoprotegerin (OPG) werden von Osteoblasten sezerniert, deren Liganden sind zum Teil auch auf Osteoklasten zu finden; OPG und sein Ligand scheinen eine große Bedeutung in der Pathogenese und zukünftig möglicherweise auch der Therapie von Skelettmetastasen zu haben [16]. Für die Diagnostik und das Monitoring der Osteoporose befinden sich diese neuen Parameter zur Zeit in der Erprobung.

Pathogenese der Glucocorticoid-induzierten Osteoporose

Bei der Glucocorticoid-induzierten Osteoporose ist die Knochenneubildung vermindert und die Knochenresorption gesteigert. Dies führt zum Verlust von Knochenmasse und letztlich zur Erhöhung des Frakturrisikos. Histologisch zeigt sich eine Hemmung der Knochenneubildung mit reduzierter Knochenappositionsrate, eine Reduktion der trabekulären Knochenmasse bei Abnahme der „Trabekeldichte“ sowie eine Suppression von Bone-Remodelling-Units.

Bei den Steroidwirkungen werden indirekte genomische, die bei allen Dosierungen auftreten, und direkte nicht-genomische [17], die nur bei mittleren und hohen Dosen vorkommen, unterschieden. Neben den erwünschten antiphlogistischen und immunsuppressiven Wirkungen (Hemmung von Chemotaxis, Zytokin- und Prostaglandin-Synthese) gibt es eine Reihe unerwünschter Wirkungen, zu denen neben dem Cushing-Syndrom, Diabetes mellitus, Katarakt und Glaukom auch die Osteoporose zählt. Glucocorticoide

 hemmen die intestinale Calciumabsorption,

 fördern die renale Calciumausscheidung,

 vermindern die Synthese osteoanaboler Wachstumsfaktoren wie der Insulin-ähnlichen Wachstumsfaktoren (IGF),

 hemmen Osteoblasten direkt und

 beeinflussen den Knochen indirekt über eine Verminderung der Geschlechtshormone (Abb. 2).

Andere zur Osteoporose führende Mechanismen sind

 Erhöhung der ossären Calciumresorption,

 vermehrte Osteoklastenaktivität,

 eine geringere Empfindlichkeit der Vitamin-D-Rezeptoren und

 eine beeinträchtigte Synthese von Kollagen.

Prophylaxe der Glucocorticoid-induzierten Osteoporose

Glucocorticoide sollten, wenn irgend möglich, durch eine suffiziente, eventuell intensivierte Behandlung der Grunderkrankung eingespart werden. Bei zu niedrig dosierter immunsuppressiver oder anti-inflammatorischer Therapie kann der dadurch bedingte Knochenabbau andererseits den durch die Glucocorticoid-Medikation übersteigen. Calciumsalze und Vitamin D sind als Begleitmedikation in der Lage, zumindest bei niedrig dosierter Glucocorticoid-Therapie den densitometrisch nachweisbaren Kalksalzverlust zu vermindern [11, 18]. Deshalb wird zur allgemeinen Prophylaxe der GIOP die Einnahme von Vitamin D (400–1 000 I. E./Tag) und Calciumsalz (1 000–1 500 mg/Tag) empfohlen [13]. Die Calciumzufuhr kann auch über eine entsprechende Ernährung erfolgen. Kontraindikationen (Hyperkalzämie, Hyperkalzurie, calciumhaltige Nierensteine) sollten ausgeschlossen werden. Bei akut entzündlich verlaufenden Erkrankungen wie bei besonders stark betroffenen RA-Patienten, bei denen es innerhalb des ersten Jahrs zum größten Knochendichteverlust kommt, kann es notwendig sein, schon initial zusätzlich Bisphosphonate und aktive Vitamin-D-Metaboliten einzusetzen. Im Rahmen einer Beratung zu modifizierbaren Risikofaktoren sollten die Patienten zudem auf die Vermeidung eines alimentären Calcium- und Vitamin-D-Mangels, die Risiken von Untergewicht (BMI < 20) und drastischen Gewichtsabnahmen, Maßnahmen zur Sturzprophylaxe sowie auf den Nutzen von physischer Aktivität insbesondere zur Senkung des Sturzrisikos, Nicotin-Karenz und Vermeidung schädlichen Alkoholkonsums hingewiesen werden [13].

Obwohl niedrige Knochendichte bei der GIOP erfolgreich therapiert werden kann und dadurch Frakturen verhindert werden können, erhält gegenwärtig nur ein kleiner Teil von 5,6 bis 14 % der mit Glucocorticoiden behandelten Patienten eine osteoprotektive Begleittherapie zur Verhinderung des Knochenverlustes [19, 20]. Auch nach einer Fraktur ist die medikamentöse Versorgung nicht die Regel. Nur 33,4 % der Patienten mit Wirbelkörperfraktur erhalten eine Bisphosphonat-Therapie in den ersten sechs Monaten nach einer Fraktur [21]. Bei der Indikationstellung zu einer Glucocorticoid-Therapie für voraussichtlich mehr als drei Monate sollte deshalb frühzeitig die Prophylaxe der GIOP eingeleitet werden.

Die Bisphosphonate sind die Therapie der ersten Wahl bei der Glucocorticoid-induzierten Osteoporose, wobei bislang nur Risedronsäure und Etidronsäure zugelassen sind [13].

Für die Primär- und Sekundärprävention der GIOP mit Bisphosphonaten gibt es eine gute Datenlage. Bisphosphonate binden im Bereich der osteoklastären Resorptionslakunen der Knochenbälkchen an Hydroxylapatit und verändern dadurch das chemische Verhalten der organischen Knochenmatrix. Bisphosphonate beeinflussen den Krankheitsverlauf der GIOP dadurch positiv, dass sie die Reifung der Osteoklasten unterdrücken, die Knochenresorption durch Osteoklasten hemmen und die Osteoklasten durch die Osteoblasten supprimiert werden. Da der vermehrte osteoklastäre Knochenabbau unter der Therapie mit Glucocorticoiden wirksam gebremst und die Knochenmikroarchitektur erhalten werden kann, senken Bisphosphonate bei GIOP effektiv das Frakturrisiko.

Das zeigen beispielhaft die randomisierten, doppelblinden Multicenterstudien, die mit dem Bisphosphonat Risedronsäure durchgeführt wurden. Der Einfluss von Risedronsäure auf die GIOP wurde in zwei identisch aufgebauten randomisierten, Plazebo-kontrollierten Ein-Jahres-Studien zur Prävention untersucht (Abb. 3) [22, 23]. In diesen Studien wurden 518 Patienten (Prednisolon-Äquivalent-Dosis von 7,5 mg oder mehr über ein Jahr), darunter 184 Männer, analysiert. Risedronsäure reduzierte das Wirbelkörper-Frakturrisiko bei der Gesamtpopulation um 70 % (p = 0,01) [24]. Die Risikoreduktion bei postmenopausalen Frauen betrug 73 %. Bei postmenopausalen Frauen betrug die NNT (number needed to treat) 9, bei Männern 5. Die Zulassung zur Behandlung der GIOP wurde in Deutschland jedoch für Risedronsäure [25] und Etidronsäure [26] nur für postmenopausale Frauen erteilt. Unseres Erachtens sollte jedoch betroffenen Männern diese effektive Therapie nicht aus formalen Gründen vorenthalten werden.

Die Wirksamkeit von Alendronsäure bei der GIOP wurde in verschiedenen Studien untersucht [27–30]. In der primär als Zulassungsstudie geplanten Untersuchung an 560 Patienten über ein Jahr wurde jedoch das Ziel der Minderung vertebraler Frakturen verfehlt [28], möglicherweise bedingt durch die Selektion von Patienten mit relativ geringer Gefährdung und Aufteilung in vier Subgruppen. Die Fortführung dieser Studie an 208 Patienten für weitere zwölf Monate ergab zumindest für die postmenopausalen Frauen eine signifikante Senkung der Inzidenz von Wirbelbrüchen [27]. Das BfArM hat jedoch trotz dieser bereits vor zwei Jahren veröffentlichten neuen Daten Alendronsäure weiterhin nicht die Indikation GIOP zugesprochen [31].

DVO-Leitlinie zur Glucocorticoid-induzierten Osteoporose

Kürzlich sind Leitlinien zur Osteoporose vom Dachverband deutschsprachiger wissenschaftlicher Gesellschaften für Osteologie (DVO) erschienen [13]. Es handelt sich dabei um Leitlinien der Entwicklungsstufe 3 nach AWMF und ÄZQ. Sie wurden nach methodischen Vorgaben der von der Bundesärztekammer und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung eingerichteten Ärztlichen Zentralstelle Qualitätssicherung für die Entwicklung und Implementierung ärztlicher Leitlinien (ÄZQ), der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) und des Scottish Intercollegiate Guidelines Network (SIGN) nach den Kriterien der evidenzbasierten Medizin erstellt. Inhalt im Abschnitt zur GIOP sind Epidemiologie, Prophylaxe, Diagnose und Therapie dieser wichtigsten sekundären Osteoporoseform bei Glucocorticoid-behandelten Patienten mit rheumatoider Arthritis, chronisch entzündlichen Darmerkrankungen und chronisch obstruktiven Lungenerkrankungen. Wie bereits erwähnt sind Risedronsäure und Etidronsäure bei der GIOP für postmenopausale Frauen, basierend auf den Ergebnissen in randomisierten klinischen Studien und den vorliegenden Zulassungen, als Therapie der ersten Wahl empfohlen [13].

In der Leitlinie zur GIOP wird zwischen so genannten „inzidenten Patienten“ und „prävalenten Patienten“ unterschieden. „Inzidente Patienten“ sind solche, die erstmalig oder nach wenigstens einjähriger Pause erneut eine Glucocorticoid-Therapie mit mindestens 7,5 mg/Tag Prednisolonäquivalent für voraussichtlich mindestens sechs Monate erhalten, und solche mit neu aufgetretenen klinisch apparenten Frakturen. Die Interventionsschwelle ist T-Wert < –1,5 SD.

„Prävalente Patienten“ sind solche, die bereits seit mindestens sechs Monaten mit Glucocorticoiden in einer Mindestdosierung von 7,5 mg/Tag Prednisolonäquivalent behandelt werden. Auch sind es Patienten, die eine wenigstens sechsmonatige Glucocorticoid-Therapie der genannten Dosierung vor weniger als zwölf Monaten abgeschlossen hatten und vor oder am Anfang einer erneuten Therapie stehen. Interventionsschwelle ist hier T-Wert < –2,5 SD.

Therapie der ersten Wahl für „inzidente und prävalente Patienten“ sind:

1. Für postmenopausale Frauen: Risedronsäure 5 mg/Tag plus allgemeine Prophylaxe mit Calciumsalz und Vitamin D3 oder Etidronsäure zyklisch 400 mg/Tag für 14 Tage, anschließend für 76 Tage Calciumsalze, mindestens 500 mg/Tag.

2. Für Männer und prämenopausale Frauen: Täglich 1 500 mg Calciumsalz und 400 I. E. Vitamin D3.

Als Verordnungszeitraum sind zwei bis drei Jahre vorzusehen. Nur bei klinisch eindeutiger Unverträglichkeit sind parenterale Applikationen zugelassen. Da Daten zu teratogenen Wirkungen von Bisphosphonaten nicht vorliegen, sind bei jüngeren Frauen entsprechende Schutzmaßnahmen unter der Therapie mit Bisphosphonaten zu empfehlen.

Leitlinien sind nicht verbindliche Empfehlungen. Der Erstautor dieser Übersicht würde nach eigenen Erfahrungen bei Nicht-Indikation von Bisphosphonaten Alfacalcidol plus Calciumsalz gegenüber nativem Vitamin D plus Calciumsalz den Vorzug geben [32].

Ob die Patienten-Definitionen der Leitlinien sinnvoll gewählt sind, also verstanden und akzeptiert werden, bleibt abzuwarten.

Fazit für die Praxis

Die Notwendigkeit einer konsequenten Durchführung von Prophylaxe und Therapie der Osteoporose bei Patienten mit und ohne Glucocorticoid-Behandlung muss betont werden. In der konsequenten Durchführung der Therapie und Prophylaxe der GIOP gibt es in der täglichen Praxis noch einen erheblichen Nachholbedarf. Ärzte, die Patienten mit Glucocorticoid-Einnahme behandeln, sollten trotz der vorhandenen budgetären Restriktionen die eindeutigen Interventionsindikationen beachten. Wenn die Indikation feststeht, können gegebenenfalls wirksame Hilfestellungen vor Regress in Anspruch genommen werden, wie zertifizierte Fortbildung, EBM-basierte Leitlinien und gründliche Dokumentation.

Danksagung

Die vorliegende Publikation basiert auf einer Round-Table-Diskussion des Interdisziplinären Forums für Osteoporose (IFO). Die Autoren danken den Ko-Mitgliedern des Interdisziplinären Forums für Osteoporose (IFO) Dr. med. Jutta Semler, Immanuel-Krankenhaus, Rheumaklinik Berlin-Wannsee, 14109 Berlin, und Prof. Dr. med. Hans-Peter Kruse, Universitätskrankenhaus Eppendorf, Medizinische Klinik/Abt. Osteologie, 20251 Hamburg, sowie Prof. Dr. med. R. Dreher, Rheuma-Heilbad AG, Klinik für Rheumakranke, 55543 Bad Kreuznach, und Prof. Dr. med. J. Braun, Rheumazentrum Ruhrgebiet, 44652 Herne, für ihre wertvollen Diskussionsbeiträge.

Literatur

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25. Fachinformation Actonel (Risedronat) 5-mg-Filmtabletten. Procter & Gamble Pharmaceuticals GmbH.

26. Fachinformation Didronel/Didronel-Kit Etidronat. Procter & Gamble Pharmaceuticals GmbH.

27. Adachi JD, Saag KG, Delmas PD, Liberman UA, et al. Two-year effects of alendronate on bone mineral density and vertebral fracture in patients receiving glucocorticoids: a randomized, double-blind, placebo-controlled extension trial. Arthritis Rheum 2001;44:202–11.

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30. Haderslev KV, Tjellesen L, Sorensen HA, Staun M. Alendronate increases lumbar spine bone mineral density in patients with Crohn’s disease. Gastroenterology 2000;119:639–46.

31. Fachinformation Fosamax (Alendronat) 10 mg täglich Tabletten. MSD.

32. Ringe JD, Cöster A, Meng T, Schacht E, et al. Treatment of glucocorticoid-induced osteoporosis with alfacalcidol/calcium versus vitamin D/calcium. Calcif Tissue Int 1999;63:337–40.

Prof. Dr. med. Johann D. Ringe, Medizinische Klinik IV, Klinikum Leverkusen, Dhünnberg 60, 51375 Leverkusen
Prof. Dr. med. Dieter Felsenberg, Zentrum Muskel- & Knochenforschung, Freie Universität Berlin, Universitätsklinikum Benjamin Franklin, Hindenburgdamm 30, 12200 Berlin
Dr. med. Gerd Möller, Procter & Gamble Pharmaceuticals-Germany GmbH, Dr.-Otto-Röhm-Straße 2–4, 64331 Weiterstadt

Abb. 2. Pathophysiologie der Glucocorticoid-induzierten Osteoporose (GIOP)

Abb. 3. Verminderung des Risikos für Wirbelkörperfrakturen bei Patienten mit Glucocorticoid-induzierter Osteoporose nach einem Jahr Therapie mit Risedronsäure [22–24]

Arzneimitteltherapie 2004; 22(01)