HIV-Therapie

Nucleosidischer Reverse-Transcriptase-Hemmer für einmal tägliche Gabe


Veröffentlicht am: 28.11.2019

Andrea Warpakowski, Itzstedt

Der für die einmal tägliche Einnahme entwickelte nucleosidische Reverse-Transcriptase-Inhibitor (NRTI) Emtricitabin (FTC) ist der NRTI mit den längsten Halbwertszeiten und in der Monotherapie der derzeit potenteste Vertreter dieser Substanzgruppe. Im direkten Vergleich mit Stavudin war Emtricitabin wirksamer und verträglicher, wie auf der Einführungspressekonferenz der Firma Gilead berichtet wurde.

Emtricitabin (FTC, Emtriva®, Abb. 1) ist wie Lamivudin (3TC, Epivir®) ein Cytidinanalogon, unterscheidet sich jedoch durch ein Fluoratom. Unter den NRTI hat es die längsten Verweilzeiten im Plasma und in den Zellen: Nach Einnahme der empfohlenen Tagesdosis von 200 mg in einer Kapsel beträgt die Plasmahalbwertszeit 10 Stunden und die intrazelluläre Halbwertszeit 39 Stunden. Im Steady State liegen die mittleren Plasmaspiegel 84 Stunden lang über der IC90 (Wirkstoffkonzentration, die nötig ist, um 90 % der Virusvermehrung zu hemmen). Im Vergleich zu Lamivudin besitzt Emtricitabin in vitro eine 10-mal größere Substratspezifität zur viralen HIV-Transcriptase, aber eine 24-mal geringere Substratspezifität zur humanen mitochondrialen DNS-Polymerase. In der kurzzeitigen Monotherapie reduziert Emtricitabin die Viruskonzentration im Blut im Vergleich zu allen anderen NRTI am stärksten: Nach 12 bis 14 Tagen sinkt bei HIV-Patienten die Viruskonzentration um 1,7 bis 1,92 log-Stufen (Abb. 2).

Emtricitabin kombiniert mit dem NRTI Didanosin (ddI, Videx®) und dem nicht nucleosidischen Reverse-Transcriptase-Inhibitor Efavirenz (EFV, Sustiva®) ist mit drei Tabletten beziehungsweise Kapseln am Tag eine einfache HIV-Therapie. In der noch laufenden, offenen Pilotstudie ANRS 091 nahmen von anfangs 40 Patienten nach drei Jahren noch 32 Patienten Emtricitabin/Didanosin/Efavirenz als Ersttherapie ein. Die Intention-to-treat-Analyse ergab zu diesem Zeitpunkt bei 75 % der Patienten eine Viruskonzentration unter 400 HIV-RNS-Kopien/ml Blut und die CD4-Zellzahl stieg im Vergleich zum Ausgangswert um 304 Zellen/µl.

Mit Emtricitabin wurde erstmals auch die statistische Überlegenheit eines NRTI gegenüber einem anderen NRTI gezeigt. In der randomisierten, doppelblinden Studie FTC-301 erhielten 286 bisher nicht vorbehandelte Patienten einmal täglich Emtricitabin/Didanosin/Efavirenz und 285 Patienten erhielten statt Emtricitabin zweimal täglich den NRTI Stavudin (d4T, Zerit®). Aufgrund einer Zwischenauswertung der Daten nach 24 Wochen empfahl das Data Safety Monitoring Board wegen der signifikant schlechteren Ergebnisse, den Stavudin-Behandlungsarm abzubrechen. Zu diesem Zeitpunkt lag der mediane Behandlungszeitraum bei 42 Wochen. In der Intention-to-treat-Analyse erreichten nach 48 Wochen 74 % der Patienten im Emtricitabin-Arm eine Viruskonzentration unter der Nachweisgrenze von 50 Kopien/ml im Vergleich zu 58 % im Stavudin-Arm (p = 0,0001), in der As-treated-Analyse waren es 91% und 84 % (p < 0,05). Durchschnittlich stieg mit Emtricitabin die CD4-Zellzahl um 168 Zellen/μl und mit Stavudin um 134 Zellen (p ≤ 0,05). Insgesamt 6 % der Patienten aus der Emtricitabin-Gruppe brachen die Studie wegen Nebenwirkungen ab und 3 % wurden wegen virologischen Versagens ausgeschlossen, im Stavudin-Arm wurde als Abbruchgrund bei 27 % Nebenwirkungen und bei 12 % virologisches Versagen angegeben. Signifikant weniger Patienten hatten unter Emtricitabin im Vergleich zu Stavudin Diarrhö (23% vs. 32 %), Übelkeit (13 % vs. 23 %), periphere Neuropathie (4 % vs. 13 %) und Laktatazidose (0 % vs. 3%). Vermehrter Husten war die einzige Nebenwirkung, unter der mehr Patienten aus dem Emtricitabin-Arm litten (14 % vs. 8 %).

Emtricitabin wurde im Oktober 2003 in Europa in Kombination mit anderen antiretroviralen Substanzen zur Behandlung von HIV-1-infizierten Erwachsenen und Kindern ab vier Monate zugelassen.

Quelle

Prof. Dr. Jürgen Rockstroh, Bonn, Prof. Dr. Schlomo Staszewski, Frankfurt, Dr. Stefan Esser, Essen; Einführungs-Symposium und Pressekonferenz „Emtricitabin – eine neue Substanz zur Behandlung der HIV-Infektion“, Frankfurt, 28. und 29. November 2003, veranstaltet von Gilead Sciences.

Abb. 1. Emtricitabin

Abb. 2. Wirksamkeit nicht nucleosidischer Reverse-Transcriptase-Inhibitoren (NRTI) bei Kurzzeit-Monotherapie in verschiedenen Studien – Senkung der Viruskonzentration nach 12- bis 14-tägiger Behandlung

Arzneimitteltherapie 2004; 22(06)