Prof. Dr. med. H. C. Diener, Essen
Etwa 50 % aller Patienten mit Diabetes mellitus entwickeln im Laufe der Zeit eine Polyneuropathie und 10 % aller Diabetiker haben im Rahmen der Polyneuropathie ausgeprägte Schmerzen. Die Behandlung erfolgt üblicherweise mit trizyklischen Antidepressiva oder Membranstabilisatoren. Diese können allerdings, wenn gleichzeitig eine koronare Herzerkrankung oder Herzrhythmusstörungen bestehen, problematisch sein. Seit einiger Zeit ist bekannt, dass auch Opioide und insbesondere retardierte Opioide bei der Behandlung der schmerzhaften diabetischen Polyneuropathie wirksam sind.
In einer randomisierten Studie wurde untersucht, ob dies auch für retardiertes Oxycodon (Oxygesic®) gilt. Retardierte Opioide haben den Vorteil, dass sie im Gegensatz zu nicht retardierten Anwendungsformen sehr viel seltener zu Toleranz und Abhängigkeit führen. In die Studie wurden 45 erwachsene Patienten mit Diabetes mellitus und chronisch neuropathischen Schmerzen im Rahmen einer Polyneuropathie, die seit mindestens 6 Monaten bestanden, eingeschlossen. Die Patienten erhielten randomisiert entweder 10 mg retardiertes Oxycodon alle 12 Stunden oder 0,25 mg Benztropin als aktives Plazebo, das ähnliche Nebenwirkungen hervorruft wie Oxycodon (z. B. Mundtrockenheit). In der Folge wurde dann die Dosis von Oxycodon je nach Verträglichkeit erhöht mit einer Maximaldosis von 240 mg (Plazebo: 2 x 1 mg Benztropin). Vier Wochen nach Erreichen der Maximaldosis wurde auf die jeweils andere Behandlungsgruppe gewechselt. Paracetamol durfte als Akutmedikation zur Schmerztherapie eingenommen werden. Zielkriterien der Studie waren die Schmerzintensität gemessen auf einer visuellen Analogskala oder einer verbalen Skala mit 5 Punkten, außerdem Lebensqualität und Schlaf. Für die Endauswertung waren die Daten von 36 Patienten verfügbar.
Oxycodon war für alle Messparameter, insbesondere für die Reduktion der Schmerzintensität, signifikant wirksamer als Plazebo. Die number needed to treat (NNT), um bei einem Patienten eine mindest 50%ige Schmerzreduktion zu erzielen, ist 2,6. Die häufigsten Nebenwirkungen in der Verum-Gruppe waren Verstopfung, Mundtrockenheit und Übelkeit.
Dies ist eine der ersten Plazebo-kontrollierten Cross-over-Studien zum Einsatz eines retardierten Opioids bei Patienten mit chronischen neuropathischen Schmerzen bei einer diabetischen Polyneuropathie. Bemerkenswert ist, dass als Plazebo ein Anticholinergikum gegeben wurde, das eine Entblindung über die Nebenwirkungen verhindert. Trotz dieses Studiendesigns war das retardierte Opioid wirksam, wobei relativ hohe Dosierungen von 2 x 40 mg Oxycodon benötigt wurden, um eine signifikante Schmerzlinderung zu erreiche. Eine andere Besonderheit der Studie war, dass Patienten vorbestehende Medikationen, beispielsweise mit Trizyklika oder Antikonvulsiva, weiternehmen konnten. Dies belegt, dass die zusätzliche Gabe von Oxycodon im Vergleich zu Plazebo die Nebenwirkungen nicht wesentlich erhöht, wenn man von Mundtrockenheit und Verstopfung absieht. Retardierte Opioide kommen bei Patienten mit diabetischer Polyneuropathie und Schmerzen zum Einsatz, wenn eine Behandlung mit trizyklischen Antidepressiva oder Membranstabilisatoren nicht ausreichend wirksam ist oder wenn Kontraindikationen gegen eine solche Behandlung bestehen.
Quelle
Watson CPN, et al. Controlled-release oxycodone relieves neuropathic pain: a randomized controlled trial in painful diabetic neuropathy. Pain 2003;15:71-8.
Arzneimitteltherapie 2004; 22(06)