Dr. med. Annette Schlegel, Stuttgart
Die Ruptur einer atherosklerotischen Plaque oder eine Endothelverletzung ist die pathophysiologische Grundlage des akuten Koronarsyndroms. Eine Plättchenadhäsion oder -aggregation und Aktivierung der Gerinnungskaskade sind die unmittelbaren Folgen. Ein zentraler Schritt bei der Bildung eines Blutgerinnsels ist die Verbindung von Thrombozyten mit dem Protein Fibrinogen. Diese Verbindung erfolgt über den Glykoprotein-(GP-)IIb/IIIa-Rezeptor der Thrombozyten.
Acetylsalicylsäure (ASS, z. B. Aspirin®) ist der am längsten bekannte, preiswerteste Thrombozytenfunktionshemmer und nach wie vor auch Mittel der ersten Wahl. Unter Berücksichtigung von Kontraindikationen ist der Einsatz von Acetylsalicylsäure bei allen Patienten mit akutem Koronarsyndrom und als Ergänzung eines geplanten interventionellen Eingriffs zu empfehlen. Im Anschluss daran sollte Acetylsalicylsäure lebenslang gegeben werden.
In den letzen Jahren hat die Therapie mit Thienopyridinen wie Clopidogrel (Plavix®, Iscover®), so genannten ADP-Rezeptorantagonisten, zunehmend Eingang in die klinische Routine gefunden. Die plättchenaggregationshemmende Wirkung wird etwas stärker bewertet als bei Acetylsalicylsäure. Mit der kombinierten Gabe von Acetylsalicylsäure und Clopidogrel können zwei Aktivierungswege der Thrombozyten gleichzeitig blockiert werden. Die Kombinationstherapie senkt bei Patienten mit akutem Koronarsyndrom das Risiko, an Herzinfarkt, Schlaganfall oder anderen kardiovaskulären Ereignissen zu versterben. Auch bei der Prävention von Gefäßthrombosen nach interventionellen Eingriffen ist der synergistische Effekt der Kombination bedeutsam. Allerdings steigt gleichzeitig auch das Blutungsrisiko.
Die GP-IIb/IIIa-Rezeptorantagonisten Abciximab (ReoPro®), Eptifibatid (Integrilin®) und Tirofiban (Aggrastat®) sind die wirksamsten, jedoch auch teuersten Thrombozytenfunktionshemmer. Das Wirkungsmaximum wird bereits Minuten nach der ersten Bolusinjektion erreicht.
In einer randomisierten, doppelblinden Studie mit 2 159 Patienten, die sich einer PTCA unterzogen, wurde die Dreifach-Kombination von Clopidogrel, Acetylsalicylsäure und Abciximab mit der Zweifachkombination Clopidogrel plus ASS verglichen. Die zusätzliche Gabe von Abciximab konnte das Risiko für ischämische Ereignisse nach elektiver Stentimplantation bei Patienten mit niedrigem bis mäßigem Ausgangsrisiko nicht senken. Dagegen wurde das Thrombozytopenie-Risiko erhöht und Bluttransfusionen waren häufiger. Patienten, deren Risikoprofil bezüglich ischämischer Komplikationen eher als niedrig bewertet wird, sollten daher nur mit Acetylsalicylsäure und Clopidogrel behandelt werden. Hochrisikopatienten, mit erhöhten Serum-Troponin-Konzentrationen, relevanter kardialer Vorgeschichte oder ST-Senkungen im EKG, profitieren im Gegensatz dazu von der kombinierten Gabe aller drei Medikamente (Tab. 1).
Quellen
Lange RA, et al. Antiplatelet therapy for ischemic heart disease. N Engl J Med 2004;350:277-80.
Kastrati A, et al. A clinical trial of abciximab in elective percutaneous coronary intervention after pretreatment with clopidogrel. N Engl J Med 2004;350:232-8.
Tab. 1. Thrombozytenfunktionshemmer bei Patienten mit akutem Koronarsyndrom oder Koronardilatation (PTCA; die Kostenangaben sind der Originalarbeit im N Engl J Med entnommen und beziehen sich auf die Preise in den USA)
Wirkstoff/Medikament |
Zielgruppe |
Sättigungsdosis |
Erhaltungsdosis pro Tag |
Zeitpunkt der |
Therapiedauer |
Kosten [US-$/ Tag] |
Akutes Koronarsyndrom |
||||||
Acetylsalicylsäure |
Alle Patienten |
162–325 mg oral |
162–325 mg oral |
Sofort |
Lebenslang |
0,04 |
Clopidogrel |
Alle Patienten* |
300 mg oral |
75 mg oral |
Sofort** |
9–12 Monate |
4 |
Glykoprotein-IIb/IIIa-Rezeptorantagonisten |
||||||
– Abciximab |
Keine |
– |
– |
– |
– |
– |
– Eptifibatid |
Hochrisikopatienten# |
180 µg/kg KG intravenös (i. v.); |
2 µg/kg/min i. v. |
4–24 h vor PTCA |
48–72 h oder 18–24 h nach PTCA |
600– 1 800 |
– Tirofiban |
Hochrisikopatienten |
0,4 µg/kg/min i. v. über 30 min |
0,1 µg/kg/min i. v. |
4–24 h vor PTCA |
48 h oder 12–18 h |
500–1 200 |
Koronardilatation |
||||||
Acetylsalicylsäure |
Alle Patienten |
162–325 mg oral |
162–325 mg oral |
> 30 min vor PTCA |
Lebenslang |
0,12 |
Clopidogrel |
Alle Patienten |
300–600 mg oral |
75 mg oral |
≥ 4 h vor PTCA |
9–12 Monate |
4 |
Glykoprotein-IIb/IIIa-Rezeptorantagonisten |
||||||
– Abciximab |
Hochrisikopatienten |
0,25 mg/kg i. v. |
0,125 µg/kg/min i. v. (max. 10 µg/min) |
Sofort, vor PTCA |
12 h nach PTCA |
1 740 |
– Eptifibatid |
Hochrisikopatienten |
180 µg/kg i. v. (max. 22,6 mg) zwei Boli mit 10 min Abstand |
2 µg/kg/min i. v. |
Sofort, vor PTCA |
18–24 h nach PTCA |
600–1 800 |
– Tirofiban |
Keine |
– |
– |
– |
– |
– |
*Außer vor geplanten invasiven Eingriffen
**Wenn nach angiographischem Befund kein invasiver Eingriff erforderlich ist
#Patienten mit erhöhten Serum-Troponin-Konzentrationen, relevanter kardialer Vorgeschichte oder ST-Senkungen im EKG
Arzneimitteltherapie 2004; 22(08)