Andrea Warpakowski, Itzstedt
Obwohl sich Patienten während der Operation in einem prokoagulatorischen Zustand befinden und sich zu diesem Zeitpunkt schon Mikrothromben bilden können, ist die präoperative Thromboseprophylaxe nicht überall Standard. Es gibt unterschiedliche Strategien in der orthopädischen Chirurgie: In den USA beginnt die Antikoagulation 12 bis 24 Stunden nach der Operation mit niedermolekularen Heparinen (NMH) oder Warfarin, in Europa dagegen 12 Stunden vor dem Eingriff mit dem NMH Enoxaparin (Clexane®) als Standardtherapie. Auch mit Ximelagatran/Melagatran (Exanta®; Melagatran ist der Wirkstoff und wird subkutan gegeben, Ximelagatran ein oral anwendbares Prodrug) wurden deshalb Studien mit prä- und postoperativen Behandlungsschemata bei Hüft- oder Kniegelenksersatz-Operationen durchgeführt. In der Studie EXPRESS (Expanded prophylaxis evaluation surgery study) und METHRO-II (Melagatran for thrombin inhibition in orthopaedic surgery II) wurden Wirksamkeit und Sicherheit des präoperativen Beginns in Europa untersucht. In den EXULT-A- und EXULT-B-Studien (Exanta used to lessen thrombosis) wurde der postoperative Beginn in den USA geprüft.
Das Fazit: Je früher die Prophylaxe gegeben wurde, umso besser war der Thromboseschutz, aber umso höher war die Blutungsrate. Im Vergleich zu Warfarin war 2 x 36 mg Ximelagatran in den EXULT-Studien bei vergleichbarem Blutungsrisiko wirksamer als Warfarin (INR 2–3).
Das beste Nutzen-Risiko-Verhältnis zeigte die postoperative initiale Gabe von 3 mg Melagatran subkutan gefolgt von zweimal täglich 24 mg Ximelagatran oral bis zum elften Tag nach der Operation. In der Studie METHRO-III, an der 2 788 Patienten mit elektiver Hüft- und Kniegelenksersatz-Operation teilnahmen, wurde die Therapie mit Ximelagatran/Melagatran 4 bis 12 Stunden postoperativ begonnen und war mindestens so wirksam wie die am Abend vor dem Eingriff gestartete Prophylaxe mit Enoxaparin täglich 40 mg subkutan. In beiden Behandlungsgruppen traten etwa 30 % phlebographisch nachgewiesene venöse Thromboembolien (Gesamt-VTE) und jeweils um 6 % proximale tiefe Venenthrombosen und Lungenembolien (schwerwiegende VTE) auf. Eine Subgruppenanalyse dieser Studie ergab, dass das Schema mit Ximelagatran/Melagatran 4 bis 8 Stunden postoperativ Enoxaparin nicht unterlegen ist und einen vergleichbaren Schutz vor nachgewiesenen und symptomatischen Thrombosen bietet. Symptomatische oder asymptomatische Venenthrombosen wurden bei jeweils 27 % der Patienten nachgewiesen, in der Behandlungsgruppe mit Melagatran 8 bis 12 Stunden postoperativ waren es 35 %. Mit der frühen Gabe von Ximelagatran/Melagatran traten 5,5 % schwerwiegende Venenthrombosen auf und mit Enoxaparin 6,2 %. Schwere Blutungen waren unabhängig vom Zeitpunkt der Melagatran-Gabe in beiden Behandlungsgruppen mit jeweils 1,6 % gleich häufig. Der Bedarf an Bluttransfusionen war auch mit Melagatran 4 bis 8 Stunden postoperativ geringer als mit dem NMH, und mehr Patienten aus der Enoxaparin-Gruppe mussten wegen der Blutungen erneut operiert werden. Die Art der Anästhesie, Creatinin-Clearance, Body-Mass-Index oder Alter hatten keinen Einfluss auf die Wirksamkeit und Sicherheit der initialen subkutanen Melagatran-Gabe gefolgt von der fixen oralen Dosis Ximelagatran.
Pro Jahr werden in Deutschland etwa 190 000 Hüft- und Kniegelenksersatz-Operationen durchgeführt. Dabei treten unter Heparin etwa 3 % symptomatische tiefe Beinvenenthrombosen auf. Die Therapie solch einer Thrombose kostet schätzungsweise 14 600,– €. Eine medikamentöse Thromboseprophylaxe bei elektiven Hüft- und Kniegelenksersatz-Operationen macht nur 1,5 % von etwa 12 000,– € Gesamtkosten aus. Neben dem medizinischen Vorteil könnten mit einer Langzeitprophylaxe über 35 Tage pro vermiedener Thrombose auch 1 833,– € eingespart werden. Ein gesundheitsökonomisches Modell auf Basis der METHRO-III-Daten ergab, dass aus der Sicht der gesetzlichen Krankenkassen und des Krankenhauses sich die Behandlungskosten für Enoxaparin und Ximelagatran/Melagatran kaum unterscheiden. Im Städtischen Krankenhaus in Wismar wurden die begleitenden Prozesskosten für den Einsatz des Heparins und des Thrombin-Hemmers berechnet. Wird Ximelagatran/Melagatran statt Enoxaparin eingesetzt, könnten durch den Wegfall der regelmäßigen Thrombozytenbestimmung und der täglichen Spritzengabe in diesem Krankenhaus pro Jahr 6 800,– € eingespart werden.
Quelle
Prof. Dr. Rupert Bauersachs, Darmstadt, Dr. Patrick Mouret, Frankfurt, Prof. Dr. Stefan Willich, Berlin, Michael Kulle, Wismar, Satellitensymposium „Orale direkte Thrombin-Inhibition in der orthopädischen Chirurgie: eine Standortbestimmung“, veranstaltet von der Firma Astra Zeneca im Rahmen der 49. Jahrestagung der Gesellschaft für Thrombose- und Hämostaseforschung, Mannheim, 25. Februar 2005.
Arzneimitteltherapie 2005; 23(08)