HIV-Infektion – das neue Gesicht einer Krankheit


Dr. med. Peter Stiefelhagen, Hachenburg

Bei kaum einem anderen Krankheitsbild konnten in den letzten Jahren so große therapeutische Fortschritte erzielt werden wie bei der HIV-Infektion und Aids-Erkrankung. Die Geschwindigkeit des therapeutischen Fortschritts ist in der Tat Schwindel erregend und vieles, insbesondere die Entwicklung neuer Substanzgruppen wie CCR5- oder CXCR4-Korezeptor-Antagonisten, spricht dafür, dass es so weitergeht. Dies jedenfalls ist der Eindruck, den die Teilnehmer des zweiten Deutsch-Österreichischen Aids-Kongresses in Wien (1. bis 4. Juni 2005) gewinnen konnten.

Dank der Entwicklung zahlreicher neuer Medikamente ist aus einer fast immer tödlichen Bedrohung eine gut behandelbare chronische Erkrankung geworden; denn die überwiegende Mehrzahl der Patienten stirbt heute nicht mehr an, sondern mit Aids. Das Kaposi-Sarkom, die CMV-Retinitis und opportunistische Infektionen treten immer seltener auf. Dagegen steigt die Zahl derjenigen Patienten, die an einer schweren Tuberkulose oder an einem Non-Hodgkin-Lymphom erkranken. Auch unter den Todesursachen stehen Non-Hodgkin-Lymphome, andere Tumorerkrankungen, die Leberzirrhose und kardiovaskuläre Erkrankungen im Vordergrund. Der Anteil der Patienten, die vor Erreichen des Aids-Stadiums an konkurrierenden Todesursachen sterben, ist von anfänglich 10 % auf 34 % gestiegen.

Nicht eindeutig geklärt ist allerdings, inwieweit die Verschiebung des Erkrankungs- und Todesursachenspektrums lediglich eine Folge verlängerter Überlebenszeiten bei diesen Patienten mit überdurchschnittlich hohem Lebensstil-bedingtem Risiko ist, oder ob die Erkrankung und ihre Therapie selbst einen eigenständigen Risikofaktor für die Entstehung von Malignomen, Leber- und anderen Organerkrankungen darstellen.

Doch wo viel Licht ist, gibt es auch Schatten, sprich Nebenwirkungen. Es gilt zwischenzeitlich als gesichert, dass die hochaktive antiretrovirale Therapie (HAART), insbesondere mit Protease-Inhibitoren, durch ihre ungünstigen Begleitwirkungen auf den Kohlenhydrat- und Lipidstoffwechsel das kardiovaskuläre Risiko deutlich erhöht, und zwar in gleichem Maße wie Alter und Zigarettenrauchen. Deshalb gilt es, neue Substanzen zu entwickeln, die diese metabolischen Nebenwirkungen nicht zeigen.

Eine andere große Herausforderung ist die zunehmende Resistenzentwicklung. Etwa 14% der noch nicht behandelten HIV-Infizierten haben Viren, die gegen einzelne antiretrovirale Arzneistoffe oder sogar gegen Arzneistoffgruppen resistent sind. Allerdings sind die antiretroviralen Medikamente trotz Resistenz weiterhin wirksam, wenn auch nicht so gut. Resistenzen bei HI-Viren können sogar als Therapiestrategien eingesetzt werden, da virale Mutationen häufig mit einer Reduktion der viralen Fitness einhergehen oder sogar eine Hypersuszeptibilität gegenüber anderen Substanzen bedingen können. Deshalb fordern Experten, mit der Resistenz kreativ umzugehen. Die sicherste Methode zur Resistenzverhinderung ist eine ausgezeichnete Compliance. Ob darüber hinaus bestimmte Kombinationen oder sogar eine Monotherapie mit einem geboosterten Protease-Inhibitor eine Resistenz verzögern oder verhindern können, wird intensiv diskutiert.

Doch wenn die Compliance entscheidend für den dauerhaften Therapieerfolg ist, müssen die Therapieschemata vereinfacht werden. Es gilt deshalb, Medikamente zu entwickeln, die nur einmal oder maximal zweimal täglich, und zwar unabhängig von den Mahlzeiten eingenommen werden können. Bei einigen Substanzen ist dies bereits gelungen.

In einer Reihe von Studien wurde zweifelsfrei belegt, dass die Arzneistoffexposition pro Jahr ein unabhängiger Risikofaktor für das Auftreten vaskulärer Komplikationen ist. Deshalb werden jetzt neue Therapiestrategien diskutiert mit dem Ziel, mit einer möglichst geringen Arzneistoffexposition die gleichen Therapieergebnisse zu erreichen, also mit Therapiepausen oder Monotherapie. Bei Letzterer geht es darum, ob die Therapie nur mit einem Protease-Inhibitor begonnen werden sollte. Diese Substanzgruppe hat sich als sehr wirksam erwiesen, erst recht in Kombination („Boosterung“) mit niedrig dosiertem Ritonavir. Protease-Inhibitoren zeigen eine hohe genetische Barriere für eine Resistenzentwicklung, das heißt, es müssen einige virale Punktmutationen zusammenkommen, um eine Unwirksamkeit zu erreichen.

Die Ergebnisse erster Pilotstudien zur Monotherapie mit Lopinavir sind viel versprechend, doch müssen diese Ergebnisse durch größere kontrollierte Studien noch bestätigt werden. Dann ist es durchaus möglich, dass das bisher gültige Dogma der HIV-Therapie „If you hit, hit hard!“ ins Wanken gerät. Doch bis dahin muss eine Monotherapie bei bisher nicht behandelten Patienten als ethisch bedenklicher Therapieversuch angesehen werden. Bei Patienten mit einer weit fortgeschrittenen Erkrankung mit virologischem Versagen und Resistenz gegenüber allen verfügbaren Substanzklassen kann jedoch eine Monotherapie zum Beispiel mit Lamivudin aufgrund fehlender effektiver Therapiealternativen durchaus sinnvoll und gerechtfertigt sein.

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