Dr. Susanne Heinzl, Stuttgart
In vielen Studien konnte gezeigt werden, dass der Plasma-Homocystein-Spiegel ein deutlicher und unabhängiger Risikofaktor für Herzinfarkt und Schlaganfall ist. Außerdem konnte ein Zusammenhang zwischen Herzinfarkt und Schlaganfall und einer zu geringen Zufuhr von Vitamin B6 (Pyridoxin) hergestellt werden. Erhöhte Homocystein-Spiegel können relativ gut durch eine Behandlung mit Pyridoxin und Folsäure gesenkt werden, allerdings war bislang unbekannt, ob hierdurch auch das Risiko eines Herzinfarkts verringert wird. Dies sollte nun in der NORVIT-Studie (Norwegian vitamin trial) untersucht werden, die von folgenden Hypothesen ausging:
- Eine Behandlung mit Folsäure senkt die Inzidenz von Herzinfarkt und Schlaganfall um 20 %
- Eine Behandlung mit Vitamin B6 senkt die Inzidenz von Herzinfarkt und Schlaganfall um 20 %
In die randomisierte, kontrollierte, doppelblind durchgeführte Studie wurden 3 749 Patienten zwischen 30 und 84 Jahren aufgenommen, die innerhalb der vorangegangenen sieben Tage einen Herzinfarkt erlitten hatten. Ausschlusskriterien waren eine laufende Therapie mit B-Vitaminen, andere lebensbedrohliche Erkrankungen und erwartete schlechte Compliance. Die Studie wurde durch das norwegische Research Council und andere Nicht-Profit-Institutionen finanziert. Die 3 749 Patienten im Durchschnittsalter von 64 Jahren (74 % Männer) wurden im 2 x 2 Factorial Design in vier Gruppen randomisiert:
- Folsäure (0,8 mg/Tag) plus Vitamin B6 (40 mg/Tag) (n = 937)
- Folsäure allein (n = 935)
- Vitamin B6 allein (n = 934)
- Plazebo (n = 943)
Primärer Endpunkt war die Kombination aus nichttödlichem und tödlichem Herzinfarkt inklusive plötzlichem Herztod und nichttödlichem und tödlichem Schlaganfall. Sekundäre Endpunkte waren die Einzelendpunkte des primären Endpunkts, die Gesamtsterblichkeit, die Zahl kardiovaskulärer Interventionen und Bypass-Operationen und die Hospitalisierungen aufgrund einer instabilen Angina pectoris.
Der Plasma-Homocystein-Spiegel sank nach zwei Monaten in den Gruppen, die Folsäure nahmen, deutlich um 28 % im Vergleich zur Plazebo-Gruppe und im Vergleich zur Gruppe, die nur Vitamin B6 nahm. Die Plasma-Folat-Spiegel stiegen in den Folsäure-Gruppen um das 6- bis 7fache.
Wie Tabelle 1 zeigt, war der primäre Endpunkt in der Folsäure-plus-Vitamin-B6-Gruppe signifikant häufiger als in den anderen drei Gruppen. Die Ereignisraten der einzelnen Komponenten des primären Endpunkts waren ebenfalls höher. In beiden Folsäure-Gruppen wurden mehr Krebserkrankungen gesehen, der Unterschied war aber nicht signifikant.
Das Risiko für einen Herzinfarkt plus Schlaganfall, einen Herzinfarkt, Tod und Krebserkrankung war in den Folsäure- und in den Vitamin-B6-Gruppen höher als in der Kontroll-Gruppe. Das Krebsrisiko war in den Folsäure-Gruppen höher als in den Kontroll-Gruppen, der Unterschied war jedoch statistisch nicht signifikant. Ein kausaler Zusammenhang zwischen erhöhten Homocystein-Spiegeln und kardiovaskulären Erkrankungen konnte damit nicht nachgewiesen werden. Nach den Daten der NORVIT-Studie können damit Vitamin B6 und Folsäure zur Sekundärprophylaxe nach Infarkt nicht empfohlen werden.
Quelle
Bonaa KH. NORVIT: Randomised trail of homocysteine-lowering with B-vitamins for secondary prevention of cardiovascular disease after acute myocardial infarction. ESC 2005, Stockholm, 5. September 2005.
Tab. 1. Ereignisraten pro 1 000 Personenjahre in der NORVIT-Studie
Folsäure plus Vitamin B6 |
Folsäure |
Vitamin B6 |
Plazebo |
|
Primärer Endpunkt |
81,6 |
66,9 |
70,1 |
67,2 |
Herzinfarkt |
73,0 |
57,5 |
64,0 |
59,2 |
Gesamtsterblichkeit |
37,5 |
28,7 |
33,4 |
31,7 |
Krebserkrankung |
12,0 |
11,9 |
8,0 |
9,0 |
Arzneimitteltherapie 2005; 23(12)