Immuntherapie von Infektionen


Hartmut Lode und Ralf Stahlmann, Berlin*

Die derzeit verfügbare antiinfektive Therapie beruht überwiegend auf einem Erreger-zentrierten Ansatz in der mikrobiellen Pathogenese der Infektion und zielt deshalb ausschließlich auf die Hemmung des mikrobiellen Wachstums. Zunehmend gibt es allerdings Erreger, die nicht mehr antibiotisch erfasst werden können, oder aber die immunologische Situation des befallenen Wirtsorganismus ist nicht in der Lage, zusammen mit der antibiotischen Therapie den Erreger zu beseitigen. Eine Immuntherapie mit sehr unterschiedlichen Ansätzen stellt ebenfalls eine Art antimikrobielle Behandlung dar, da sie die immunologische Abwehr des Wirtes stimuliert. Erregerspezifische und nicht-erregerspezifische, immunologisch basierte Behandlungsformen sind heute verfügbar. Diese immunologischen therapeutischen Ansätze werden zurzeit intensiv weiterentwickelt und klinisch überprüft. Sie werden in der Zukunft einen wesentlichen Beitrag in der Behandlung immungestörter Patienten mit resistenten Infektionserregern leisten.
Arzneimitteltherapie 2005;23:398–400.

Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts waren Infektionserkrankungen die führende Ursache für Morbidität und Letalität der Bevölkerung. Seit Beginn des 20. Jahrhunderts und insbesondere seit der Entwicklung der Sulfonamide und Penicilline in der Mitte des 20. Jahrhunderts schienen die Infektionskrankheiten besiegt zu sein. In den letzten 30 Jahren wurde aber deutlich, dass dieses eine vergebliche Hoffnung war, da neue Infektionserreger wie HIV oder das SARS-Corona-Virus für immense medizinische Probleme sorgen. Darüber hinaus ist es weltweit zu einer bedrohlichen Resistenzentwicklung von häufigen bakteriellen Erregern gekommen und weiterhin haben sich Erreger vermehrt, die bei einer gestörten Wirtsimmunität Infektionen verursachen, für die es keine Behandlungsmöglichkeiten gibt. Im Bereich der intensivmedizinischen Infektionen treten zunehmend gramnegative Erreger auf, die polyresistent sind und gegen die überhaupt keine Antibiotika mehr verfügbar sind [1]. Diese Fakten haben zu sehr unterschiedlichen Überlegungen zur Überwindung dieser Situation geführt, worunter auch die Rückbesinnung auf die schon vor mehr als 100 Jahren inaugurierte Serumtherapie gehört.

Serumtherapie

Behring und Kitasato entwickelten erstmals 1890 die Serumtherapie der Diphtherie, die bei nichtimmunen Tieren oder Menschen sowohl in der Prävention wie auch in der Therapie zu einer antitoxischen Immunität führt. Die Serumtherapie wurde nicht nur bei der Diphtherie sondern auch beim Tetanus mit Erfolg eingesetzt. Es wurde aber schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts deutlich, dass die Serumtherapie gegen Pneumokokken, Meningokokken und Streptokokken nicht sehr erfolgreich war, da bei diesen Erregern weniger die Toxinneutralisation entscheidend ist, sondern dass es bei derartigen Erregern auf eine Antikörperreaktion mit direktem bakterizidem Effekt mittels Opsonisation sowie einer Stimulation der Komplementaktivierung und anderer Immunmechanismen ankommt.

Allerdings konnte in New York City zwischen 1920 und 1940 zumindest bei der Typ-I-Pneumokokken-Pneumonie mit der Serumtherapie die Letalität von 20 % auf 5 % gesenkt werden, soweit die Behandlung innerhalb von 24 Stunden nach Beginn der Symptomatik begonnen wurde. Die Serumtherapie wurde mit Erfolg auch für andere bakterielle Infektionen eingesetzt, wie Haemophilus-influenzae-Typ-B-Meningitis, Shigellose, Anthrax, Erysipel, Pertussis, Clostridien-Infektionen, Tularämie und Bruzellose. Der Einsatz dieser Therapie bei Staphylokokken-, Salmonellen- oder Mycobacterium-tuberculosis-Infektionen war hingegen enttäuschend.

Werden die Ergebnisse der historischen Serumtherapie zusammenfassend analysiert, so kann Folgendes festgestellt werden:

  • Die Serumtherapie allein – oder auch in Kombination – war bei zahlreichen Infektionserregern erfolgreich mit Verminderung der Morbidität und Letalität, insbesondere bei Toxin-produzierenden Erregern aber auch bei Erregern mit unterschiedlichen Virulenzmechanismen.
  • Die Serumtherapie ist eine Typen- und/oder Erreger-spezifische Intervention, die eine exakte mikrobiologische Diagnose erfordert, bevor eine erfolgreiche Therapie begonnen werden kann.
  • Die Serumtherapie muss zu einem frühen Zeitpunkt der Infektion erfolgen, um maximal wirksam zu werden.
  • Der Erfolg der Therapie ist offensichtlich abhängig von einer adäquaten Dosierung des Serums.
  • Die Gabe von heterologem Serum kann mit einer erheblichen toxischen Reaktion verbunden sein.

Strategien zur Unterstützung der Wirtsabwehr

Die Beobachtung in den letzten Jahren, dass patientenbezogene Faktoren und andere nicht mikrobielle Parameter die Invasivität und den Ablauf einer Infektion beträchtlich beeinflussen, hat die bisherige pathogenetische Zentrierung auf ausschließlich den Erreger sehr in Frage gestellt. Da die Erreger-orientierten therapeutischen Ansätze zunehmend unbrauchbar sind, muss eine Erreger-spezifische Unterstützung der immunologischen Reaktion des Wirtes vermehrt angestrebt werden.

Antikörpertherapie

Immunglobuline (Ig) zur intravenösen und intramuskulären Gabe werden aus einem Plasmapool von gesunden Spendern hergestellt. Meist bestehen diese Seren aus intaktem IgG und enthalten zusätzlich natürliche Autoantikörper, Zytokinantikörper, lösliche CD4-, CD8- und HLA-Moleküle sowie bestimmte Zytokine. Das Problem dieser Immunglobulin-Seren und auch von Hyperimmunglobulin-Präparationen besteht darin, dass sie polyklonale Antikörper enthalten und sehr heterogen zusammengesetzt sind. Eine sinnvolle Weiterentwicklung war daher die Herstellung von monoklonalen Antikörpern, die epitopspezifisch homogene und reproduzierbare Reagenzien darstellen. Therapeutisch werden Immunglobuline bei HIV-infizierten Kindern eingesetzt, um bakterielle respiratorische Infektionen zu vermindern. Auch bei Kindern ohne erfolgreiche Immunantwort auf Polysaccharid-Vakzine gegenüber bekapselten Erregern waren polyklonale Immunglobulin-Chargen effektiv in der Prävention von invasiven und lokalisierten Pneumokokken- und Haemophilus-influenzae-Typ-B-Infektionen. IgM- und IgA-angereicherte Immunglobulin-Chargen wurden erfolgreich in der Prophylaxe von schweren postoperativen Infektionen angewandt.

Ein RSV-Hyperimmunglobulin ist wirksam in der Prävention von RSV-Erkrankungen bei Risikokindern [2]; ein entsprechender monoklonaler Antikörper (Palivizumab – Synagis®) erwies sich bei der gleichen Indikation als noch wirksamer als das Hyperimmunglobulin. Dieser Antikörper wird bei Erwachsenen prophylaktisch bei der Stammzellentransplantation eingesetzt [3].

Immunglobuline können weiterhin auch antitoxisch wirkende Antikörper enthalten und werden daher zur Neutralisation von toxischen Superantigenen empfohlen, wie beispielsweise beim Staphylokokken-induzierten und auch beim Streptokokken-bedingten toxischen Schocksyndrom. Spezifische Hyperimmunglobuline sind im Routineeinsatz bei der Postexpositionsprophylaxe gegen Tetanus, Rabies, Hepatitis B und Windpocken bei Risikopatienten. Intramuskuläres Immunglobulin wird bei der Postexpositionsprophylaxe der Hepatitis A und den Masern auch bei nicht-immunen Personen empfohlen.

Probleme der Antikörper-basierten Infektionstherapie sind die Notwendigkeit der parenteralen Gabe, das Risiko von Hypersensitivitätsreaktionen und Immunkomplex-vermittelte Komplikationen. Darüber hinaus sind auch die Kosten einer Antikörpertherapie zurzeit sehr hoch und ihr Einsatz sollte möglichst Erreger-gezielt erfolgen. In Zukunft könnten „Cocktails“ aus multiplen monoklonalen Antikörpern zur Neutralisierung von unterschiedlichen Zielmolekülen eine weitere wirksame Therapie darstellen.

Therapeutische Vakzination

Die therapeutische Vakzination in Form einer Erreger-spezifischen Immuntherapie hat in der Medizin eine lange Tradition, die insbesondere von Pasteur 1885 mit der Einführung der Rabies-Vakzine begonnen wurde. Durch die Einführung der antimikrobiellen Chemotherapie wurde die weitere Entwicklung dieses Gebietes sehr vernachlässigt. In den letzten Jahren wurden jedoch erhebliche Anstrengungen unternommen, um auf diesem Gebiet erneut zu wissenschaftlichen Fortschritten zu gelangen (Abb. 1).

Erkrankungen mit teilweise sehr eindrücklichen Ergebnissen waren Lepra, kutane Leishmaniasis, Herpes-simplex-Virusinfektion und Hepatitis B. Bei HIV-Infektionen werden therapeutische Impfstoffe zurzeit intensiv untersucht.

Kritisch muss allerdings zum jetzigen Zeitpunkt festgestellt werden, dass noch keine praktisch verwertbare therapeutische Vakzine verfügbar ist. In naher Zukunft könnten DNS-Vakzinen mit der Induktion von starken und lang dauernden zellulären Immunreaktionen eine bedeutsame Position einnehmen.

Immunmodulatoren

Immunmodulatoren sind üblicherweise biologische oder nicht-biologische Substanzen, die entweder eine spezifische Immunfunktion verändern oder regulatorische Komponenten des Immunsystems beeinflussen. Prinzipiell können Immunmodulatoren differenziert werden in solche mit immunologischen Ersatzfunktionen oder mit stimulierenden Funktionen. Immunmodulatoren sind nicht Erreger-spezifisch aber sie können die immunologische Wirtsreaktion auf einen relevanten Erreger stimulieren oder eine überschießende Immunaktivierung vermindern [4].

Zu den immunstimulierenden Präparaten gehören die Zytokine, wie beispielsweise die koloniestimulierenden Faktoren M-CSF, G-CSF, GM-CSF und Interleukin 3. Zahlreiche Studien haben demonstriert, dass der Einsatz von G- und GM-CSF die Inzidenz von Infektionsperioden bei neutropenischen Patienten eindeutig vermindern kann. Ungeklärt ist allerdings, ob diese Substanzen auch die Morbidität und Letalität von manifesten Infektionserkrankungen signifikant reduzieren können.

Interferone verfügen über eine direkte antivirale und breite immunmodulatorische Aktivitat.

Interferon alfa (Roferon®, Intron®) wird heute erfolgreich allein oder in Kombination mit Lamivudin (Zeffix®) bei der Hepatitis B eingesetzt. Auch bei der Hepatitis C in Kombination mit Ribavirin (Rebetol®) gilt Interferon alfa heute als Standardtherapie.

Interferon gamma (Imukin®) wird erfolgreich als antiinfektive Prophylaxe bei Kindern mit chronischer Granulomatose angewandt. Dieses Interferon wird auch empirisch bei therapieresistenten Erkrankungen von kutaner und viszeraler Leishmaniasis, Lepra und mykobakteriellen Infektionen eingesetzt.

Die Interleukine IL-2, IL-10 und IL-12 werden derzeit bei unterschiedlichen Indikationen mit vorwiegend zellulärem Immundefekt (HIV, mykobakterielle und mykotische Infektionen) bezüglich ihrer immunmodulatorischen Wirkung intensiv untersucht.

Literatur

Unter www.zct-berlin.de

*Erstpublikation in Zeitschrift für Chemotherapie 2005;26:1–3.

Prof. Dr. med. Hartmut Lode, Pneumologie I, Department Lungenklinik Heckeshorn, Zentralklinik Emil-von-Behring, Zum Heckeshorn 33, 14109 Berlin, E-Mail: haloheck@zedat.
fu-berlin.de
Prof. Dr. med. Ralf Stahlmann, Institut für Klinische Pharmakologie und Toxikologie, Abteilung Toxikologie, Charité – Universitätsmedizin Berlin, Campus Benjamin Franklin, Garystr. 5, 14195 Berlin, E-Mail: ralf.stahlmann@charite.de

Abb. 1. Historisch gesehen, bestanden die ersten Ansätze zur Therapie von Infektionskrankheiten in der Beeinflussung des Immunsystems. Sie lassen sich mit den Stichworten „Therapeutische Vakzination“ und „Serumtherapie“ beschreiben. Mit der Entdeckung des Penicillins und dem Beginn der „Antibiotika-Ära“ ließ das Interesse an immunologisch fundierten Therapieansätzen erheblich nach (hellblaue Linie). In den vergangenen zwei bis drei Jahrzehnten haben diese Ansätze jedoch erneut eine verstärkte Beachtung gefunden, da erstens die Erreger in zunehmendem Maße Resistenz gegen die vorhandenen Antibiotika zeigen (durchgehende dunkelblaue Linie) und zweitens immunsupprimierte Patienten immer häufiger vorkommen (durchbrochene Linie).

Arzneimitteltherapie 2005; 23(12)