Prof. Dr. med. Hans Christoph Diener, Essen
Bei Patienten mit generalisierter Atherosklerose finden sich häufig nicht nur extrakranielle, sondern auch intrakranielle hämodynamisch relevante Stenosen als Ursache von Schlaganfällen. Insgesamt haben diese Patienten eine schlechte Prognose. Obwohl durch Studien nicht belegt, wurden bisher die meisten dieser Patienten mit oralen Antikoagulanzien (z. B. Vitamin-K-Antagonisten Phenprocoumon – z. B. Marcumar® – oder Warfarin – z. B. Coumadin®) behandelt. Die Ergebnisse einer kleinen Beobachtungsstudie hatten nahe gelegt, dass eine orale Antikoagulation wahrscheinlich wirksamer ist als die Gabe von Acetylsalicylsäure (ASS, z. B. Aspirin®). Eine große Vergleichsstudie mit oralen Antikoagulanzien und Thrombozytenfunktionshemmern gab es bisher nicht.
In eine solche aktuelle randomisierte, doppelblinde Vergleichsstudie wurden 569 Patienten mit einer angiographisch nachgewiesenen intrakraniellen Stenose mit einem Stenosegrad von > 50 % eingeschlossen. 60 % der Patienten hatten einen Schlaganfall und 40 % eine transitorische ischämische Attacke (TIA) erlitten. Das mittlere Alter der Patienten betrug 63 Jahre, 62 % der Patienten waren männlich. Das Risikoprofil zeigte einen hohen Anteil von Patienten mit Hypertonie (84 %) und mit Diabetes mellitus (37 %). Die Stenose lag in abnehmender Reihenfolge in der A. cerebri media, im intrakraniellen Abschnitt der A. carotis interna, in der A. vertebralis oder der A. basilaris.
Die Patienten wurden in dieser Studie entweder mit Warfarin (n = 289) mit einer INR zwischen 2,0 und 3,0 behandelt oder erhielten 1 300 mg Acetylsalicylsäure pro Tag (n = 280).
Der primäre Endpunkt waren ischämische Schlaganfälle, zerebrale Blutungen oder vaskulärer Tod.
Die Studie wurde vorzeitig abgebrochen, da bei Patienten, die mit Warfarin behandelt wurden, signifikant mehr zerebrale Blutungen auftraten.
Bezogen auf den primären Endpunkt ergaben sich 62 Ereignisse in der ASS-Gruppe und 63 in der Warfarin-Gruppe. Dieser Unterschied war statistisch nicht signifikant. Für ischämische Insulte im Versorgungsgebiet der stenosierten Arterien ergaben sich ebenfalls keine Unterschiede. Die Sterblichkeit war mit 4,3 % in der ASS-Gruppe geringer als in der Warfarin-Gruppe mit 9,7 %. Dieser Unterschied war statistisch signifikant.
Schwere Blutungskomplikationen traten bei 3,2 % der Patienten in der ASS-Gruppe auf verglichen mit 8,3 % in der Warfarin-Gruppe: In absoluten Zahlen waren dies 9 und 24 Fälle.
Kommentar
Die hier durchgeführte Studie ist sehr wichtig, da zum ersten Mal ein orales Antikoagulans und ein Thrombozytenfunktionshemmer direkt verglichen wurden. Die Ergebnisse belegen, dass bei identischer Wirksamkeit die orale Antikoagulation zu einer signifikanten Erhöhung schwerwiegender Blutungskomplikationen führt. Ungewöhnlich war die Wahl der hohen Dosis von Acetylsalicylsäure. Dies mag auch erklären, warum 16 % der Patienten in dieser Gruppe die Einnahme der Medikation abbrachen.
Die Ergebnisse belegen allerdings auch ein pathophysiologisches Konzept: Nicht nachvollziehbar war bislang, warum bei atherosklerotischen Stenosen und potenzieller Plaqueruptur eine Antikoagulation besser wirksam sein sollte als die Gabe eines Thrombozytenfunktionshemmers.
Eine ganze Reihe von Fragen bleibt jedoch noch offen. So ist beispielsweise nicht geklärt, ob auch eine niedrige Dosis von Acetylsalicylsäure wirksam wäre und ob eine Kombination von Thrombozytenfunktionshemmern wie Acetylsalicylsäure plus Dipyridamol (Aggrenox®) oder Acetylsalicylsäure plus Clopidogrel (Iscover® und Plavix®) besser wirksam wären als eine Acetylsalicylsäure-Monotherapie.
Quelle
Chimowitz MI, et al. Comparison of warfarin and aspirin for symptomatic intracranial arterial stenosis. N Engl J Med 2005;352:1305–16.
Arzneimitteltherapie 2005; 23(12)