Dr. Susanne Heinzl, Stuttgart
Hintergrund
Atherothrombotische Veränderungen der koronaren, zerebralen oder peripheren arteriellen Gefäße sind die häufigste Ursache der kardiovaskulären Morbidität und Letalität. Den Thrombozyten wird bei der Atherothrombose eine zentrale Rolle zugeschrieben. Niedrig dosierte Acetylsalicylsäure erwies sich als sinnvoll, um bei Patienten mit einer bestimmten Risikokonstellation ischämische Ereignisse zu vermeiden. Acetylsalicylsäure hemmt die Thrombozytenfunktion über die Hemmung der Prostaglandin-Synthese. Clopidogrel wirkt als ADP-Antagonist auf einem anderen Weg.
Eine relativ kurzfristige kombinierte Gabe der beiden Therapieprinzipien hatte sich in verschiedenen Studien (z. B. CAPRIE, COMMIT) bei Patienten nach Infarkt, Schlaganfall oder peripherer Verschlusskrankheit als sinnvoll erwiesen, um die Rate erneuter Ereignisse und die Zahl der Rehospitalisierungen zu verringern.
Ziel
In der CHARISMA-Studie (Clopidogrel for high atherothrombotic risk and ischemic stabilization, management and avoidance) sollte nun untersucht werden, ob eine längere kombinierte Gabe von Acetylsalicylsäure und Clopidogrel bei Hochrisikopatienten für ein atherothrombotisches Ereignis die kardiovaskuläre Morbidität und Letalität im Vergleich zu Plazebo verringert und wie häufig es bei diesen Patienten zu schweren Blutungen kommt.
Design
Interventionelle, randomisierte, doppelblind durchgeführte, Plazebo-kontrollierte Phase-III-Studie im Parallelgruppen-Design zur Untersuchung von Wirksamkeit und Verträglichkeit der Kombinationstherapie aus Clopidogrel plus Acetylsalicylsäure.
Patienten
In die Studie wurden in 32 Ländern in 768 Zentren 15603 Männer und Frauen aufgenommen, die mindestens 45 Jahre alt waren und mindestens einer von vier verschiedenen Risikokategorien zugeordnet werden konnten:
- Dokumentierte koronare Herzkrankheit und/oder
- Dokumentierte zerebrovaskuläre Erkrankung und/oder
- Dokumentierte arterielle Verschlusskrankheit und/oder
- Zwei schwerwiegende oder ein schwerwiegender plus ein leichterer oder drei leichtere Risikofaktoren
Therapie
Alle Patienten wurden mit Acetylsalicylsäure in niedriger Dosierung (75 bis 162 mg/d) behandelt. Zusätzlich erhielten sie randomisiert Clopidogrel (75 mg/d, n = 7 802) oder Plazebo (n = 7 801). Die Studie war endpunktgesteuert, sie dauerte so lange, bis 1 040 primäre Endpunktereignisse aufgetreten waren. Die Patienten wurden im Median 28 Monate beobachtet.
Endpunkte
Primärer Wirksamkeitsendpunkt war die Kombination aus kardiovaskulärer Letalität, Schlaganfall und Myokardinfarkt. Sekundäre Endpunkte waren die Kombination aus Myokardinfarkt, Schlaganfall, kardiovaskulärer Letalität, Hospitalisierung wegen instabiler Angina pectoris, transienter ischämischer Attacke oder Revaskularisierungsmaßnahme sowie diese Komponenten jeweils einzeln.
Primärer Verträglichkeitsendpunkt war die Zahl schwerer Blutungen. Weitere Endpunkte waren die Zahl tödlicher Blutungen, primärer intrakranieller Blutungen und mäßig schwerer Blutungen.
Ergebnisse
Die demographischen Daten der beiden Gruppen waren vergleichbar. Das mediane Alter lag bei 64 Jahren, knapp 30 % waren Frauen. Über 55 % der Patienten wurden mit Betablockern, über 60 % mit ACE-Hemmern, rund 76 % mit CSE-Hemmern und etwa 36 % mit Calciumantagonisten behandelt.
Wie Tabelle 1 zeigt, war die Kombination aus Clopidogrel und Acetylsalicylsäure nicht wirksamer als Acetylsalicylsäure allein. Myokardinfarkte, Schlaganfälle und kardiovaskulär bedingte Todesfälle traten in der Kombinationsgruppe nicht signifikant seltener auf. Darüber hinaus erhöhte die Kombination das Risiko für mäßig schwere Blutungen signifikant. Schwere Blutungen waren zwar nicht signifikant häufiger in der Clopidogrel-Gruppe, der Trend sollte jedoch zur Vorsicht Anlass geben.
Als überraschend wurde das Ergebnis einer Subgruppenanalyse bezeichnet. Die Subgruppen waren zwar in den bisherigen Publikationen des Designs nicht dargestellt, sie sollen jedoch vor der Entblindung und statistischen Auswertung definiert worden sein.
Bei den so genannten symptomatischen Patienten (n = 12 153), die an einer definierten kardiovaskulären Erkrankung litten, kam es zu einer knapp signifikanten Senkung des primären Endpunkts (6,9 % versus 7,9 %, relative Risikoreduktion 12 %, p = 0,046). Die kardiovaskuläre Letalität wurde nicht signifikant verändert.
In der so genannten asymptomatischen Gruppe (n = 3 284) dagegen nahmen in der Kombinationsgruppe die Sterblichkeit und die Rate schwerer Blutungen zu. Diese Patienten sollten also nicht mit der dualen antithrombotischen Therapie behandelt werden.
Fazit
In der Charisma-Studie konnte bei der Gesamtgruppe der eingeschlossenen Patienten keine Überlegenheit der dualen antithrombotischen Therapiestrategie gezeigt werden. Die Antwort ist damit klar: Die langfristige Kombinationstherapie mit Clopidogrel und Acetylsalicylsäure ist für die in der Studie eingeschlossenen Patienten nicht sinnvoll.
Aufgrund der Ergebnisse der unter Experten allerdings heftig diskutierten Subgruppenanalyse könnte die Kombination in der Sekundärprävention bei Patienten mit manifesten atherothrombotischen Erkrankungen nützlich sein. Zumindest entsprechen die Ergebnisse den bisher für diese Patientengruppe vorliegenden Daten, so dass hier keine Änderung der Therapie angezeigt ist.
In der Primärprävention ist die duale Strategie nicht angezeigt, hier scheint sie nach derzeitigem Stand der Kenntnis eher nachteilige Wirkungen zu haben.
Quellen
Bhatt D. Clopidogrel for high atherothrombotic risk and ischemic stabilization, management and avoidance (CHARISMA). ACC.06, Atlanta, 12. März 2006.
Bhatt D, et al. Clopidogrel and aspirin versus aspirin alone for the prevention of atherothrombotic events. N Engl J Med 2006;354:(Online publiziert am 12. März 2006).
Pfeffer MA, Jarcho JA. The charisma of subgroups and the subgroups of CHARISMA. N Engl J Med 2006;354:(Online publiziert am 12. März 2006).
Tab. 1. Primäre und sekundäre Endpunkte [n (%)] in der CHARISMA-Studie (95%-KI = 95%-Konfidenzintervall)
Clopidogrel plus ASS (n = 7 802) |
Plazebo plus ASS (n = 7 801) |
Relatives Risiko (95%-KI) |
p-Wert |
|
Primärer Wirksamkeitsendpunkt |
534 (6,8 %) |
573 (7,3 %) |
0,93 (0,83–1,05) |
0,22 |
Sekundäre Wirksamkeitsendpunkte |
1301 (16,7 %) |
1 395 (17,9 %) |
0,92 (0,86–0,995) |
0,04 |
Alle Todesfälle |
371 (4,8 %) |
374 (4,8 %) |
0,99 (0,86–1,14) |
0,90 |
Kardiovaskulär bedingte Todesfälle |
238 (3,1 %) |
229 (2,9 %) |
1,04 (0,87–1,25) |
0,68 |
Myokardinfarkt |
147 (1,9 %) |
159 (2,0 %) |
0,92 (0,74–1,16) |
0,48 |
Schlaganfall |
149 (1,9 %) |
185 (2,4 %) |
0,80 (0,65–0,997) |
0,05 |
Hospitalisierung |
866 (11,1 %) |
957 (12,3 %) |
0,90 (0,82–0,98) |
0,02 |
Verträglichkeitsendpunkte |
||||
Schwere Blutungen |
130 (1,7 %) |
104 (1,3 %) |
1,25 (0,97–1,61) |
0,09 |
Tödliche Blutungen |
26 (0,3 %) |
17 (0,2 %) |
1,53 (0,83–2,82) |
0,17 |
Primäre intrakranielle Blutungen |
26 (0,3 %) |
27 (0,3 %) |
0,96 (0,56–1,65) |
0,89 |
Mäßig schwere Blutungen |
164 (2,1 %) |
101 (1,3 %) |
1,62 (1,27–2,10) |
< 0,001 |
CHARISMA-Studie
+ Große randomisierte, doppelblinde, Plazebo-kontrollierte Studie
+ Klares Ergebnis: Langfristige duale antithrombotische Therapie für die in die Studie eingeschlossenen Patienten nicht geeignet, in erster Linie nicht geeignet für die Primärprävention
– Subklassen-Spezifikation in den Publikationen des Designs und auf der NIH-Seite (www.clinicaltrials.gov) nicht erwähnt
– Im Trend höhere kardiovaskuläre Letalität mit Clopidogrel plus Acetylsalicylsäure
– Signifikant mehr mäßig schwere Blutungen mit Clopidogrel plus Acetylsalicylsäure
Arzneimitteltherapie 2006; 24(05)