Probiotika bei Colitis ulcerosa?


Gerd Luippold, Tübingen

Bei einem 46-jährigen Patienten mit rezidivierenden Schüben einer Colitis ulcerosa soll zur Rezidivprophylaxe eine medikamentöse Remissionserhaltung eingeleitet werden. Aus der Vorgeschichte ist eine Unverträglichkeit von 5-Aminosalicylsäure-(5-ASA-)Präparaten bekannt.
• Stellen die so genannten Probiotika eine therapeutische Alternative zur 5-ASA in der Remissionserhaltung dar?
• Welche Erkenntnisse gibt es zum Wirkungsmechanismus der Probiotika?
• Bei welchen weiteren Erkrankungen kann ein klinischer Nutzen der Probiotika angenommen werden?

Escherichia coli Stamm Nissle 1917 [Foto: Ardeypharm]

Die chronisch entzündlichen Darmerkrankungen Colitis ulcerosa und Morbus Crohn mit ihren Leitsymptomen Diarrhö und Bauchschmerzen besitzen in der westlichen Welt eine steigende Inzidenz und Prävalenz. Im Verlauf treten akute Schübe und Remissionsphasen auf. Im Gegensatz zum Morbus Crohn wird bei der Colitis ulcerosa eine remissionserhaltende Therapie über mindestens zwei Jahre als sinnvoll und wirksam erachtet. Hierbei spielen die 5-Aminosalicylsäure-(5-ASA-)Abkömmlinge (z. B. Mesalazin, Olsalazin) eine dominierende Rolle.

Als therapeutische Alternative wird das Probiotikum Escherichia coli Stamm Nissle 1917 empfohlen. Hierbei handelt es sich um einen apathogenen Erreger, der von dem Hygieniker Alfred Nissle während des Ersten Weltkriegs aus der Darmflora eines Soldaten, welcher von einer Durchfallepidemie verschont blieb, isoliert wurde [1]. Probiotika sind definitionsgemäß lebende Mikroorganismen, die für den Wirt einen wissenschaftlich belegten gesundheitlichen Nutzen erbringen. Die Erreger müssen humanen Ursprungs sein und durch mikrobiologische, serologische, biochemische und molekulargenetische Faktoren klar definiert sein. Klinisch relevante Probiotika sind Lactobazillen, Bifidobakterien, das Mischpräparat VSL#3 und E. coli Nissle.

Der Einsatz von E. coli Nissle zur Remissionserhaltung bei der Colitis ulcerosa ist gut untersucht. In einer ersten Pilotstudie wurden 120 Patienten mit inaktiver Colitis entweder mit E. coli Nissle oder einem Mesalazin-haltigen Präparat behandelt. Über eine Beobachtungszeit von 12 Wochen war in beiden Therapiearmen die Rückfallrate ähnlich, die Differenz war nicht signifikant [2].

In einer späteren randomisierten, kontrollierten Studie wurden 116 Patienten mit aktiver Colitis ulcerosa über einen Zeitraum von 12 Monaten beobachtet. Nach Remissionsinduktion wurde eine Behandlung mit E. coli Nissle oder Mesalazin durchgeführt. Die Rezidivrate war nicht signifikant unterschiedlich und betrug in der E.-coli-Nissle-Gruppe 67 % und in der Gruppe, die Mesalazin erhielten, 73 % [3]. Die hohe Rückfallquote führte zu einer weiteren Studie [4], in der 327 Patienten mit in Remission befindlicher Colitis ulcerosa über 12 Monate untersucht wurden. Die Rezidivrate betrug bei Gabe von E. coli Nissle 45% und bei Mesalazin-Therapie 36 %. Statistisch konnte die Gleichwertigkeit beider Therapien gesichert werden.

Insgesamt dokumentiert die aktuelle Datenlage den wichtigen Stellenwert von E. coli Nissle, insbesondere bei Unverträglichkeit von 5-ASA-Derivaten. Als Tagesdosis von E. coli Nissle wird die zweimalige Gabe von magensaftresistenten Kapseln (Mutaflor®) mit jeweils 100 mg empfohlen. Dies entspricht pro Kapsel 2,5–25 x 109 vermehrungsfähigen Zellen.

Wie wirken Probiotika?

Als Wirkungsmechanismus der Probiotika wird die Blockierung von Rezeptoren in der Darmmukosa vermutet, die eine Adhärenz von pathogenen Bakterien verhindert.

Weitere postulierte Mechanismen sind eine Senkung des intestinalen pH-Werts, die Interaktion mit immunkompetenten Darmzellen und die Produktion von bakteriziden Substanzen [5].

Weitere Einsatzgebiete für Probiotika mit gesicherter Datenlage sind die Anwendung von Lactobacillus-Stämmen bei akuten viralen oder bakteriellen Diarrhöen von Kindern. Auch prophylaktisch scheint die Gabe von Lactobazillen das Risiko nosokomialer Diarrhöen bei Kleinkindern deutlich zu reduzieren.

Erste Daten zur Anwendung des Probiotika-Mischpräparats VSL#3 bei der so genannten Pouchitis zeigen einen positiven Effekt sowohl in der Therapie als auch in der Prophylaxe. Die Pouchitis ist eine nach Kolektomie und Anlage eines ileo-analen Pouch auftretende Entzündung der konstruierten „Neo-Ampulle“.

Die Bedeutung der Probiotika beim Colon irritabile ist bisher nicht eindeutig definiert. Dagegen ist die Effektivität von Probiotika zur Prävention von Antibiotika-assoziierten Diarrhöen durch Metaanalysen belegt.

In den letzten Jahren ist die Liste der intestinalen und extraintestinalen Erkrankungen, bei denen die Probiotika einen therapeutischen Effekt aufweisen, stetig länger geworden [5, 6].

Literatur

1. Nissle A. Behandlung von Diarrhoen mit apathogenen E coli. Klin Wochenschr 1931;13:1456–9.

2. Kruis W, Schütz E, Fric P, Fixa B, et al. Double-blind comparison of an oral Escherichia coli preparation and mesalazine in maintaining remission of ulcerative colitis. Aliment Pharmacol Ther 1997;11:853–8.

3. Rembacken BJ, Snelling AM, Hawkey PM, Chalmers DM, et al. Non-pathogenic Escherichia coli versus mesalazine for the treatment of ulcerative colitis: a randomised trial. Lancet 1999;354:635–9.

4. Kruis W, Fric P, Pokrotnieks J, Lukas M, et al. Maintaining remission of ulcerative colitis with the probiotic Escherichia coli Nissle 1917 is as effective as with standard mesalazine. Gut 2004;53:1617–23.

5. Bischoff SC, Manns MP. Probiotika, Präbiotika und Synbiotika. Dtsch Ärztebl 2005;102:B630–7.

6. Meier R, Steuerwald M. Place of probiotics. Curr Opin Crit Care 2005;11:318–25.

Probiotika bei Colitis ulcerosa?

Ja – die Therapie mit E. coli Nissle zur Remissionserhaltung kann entsprechend der aktuellen Datenlage empfohlen werden, insbesondere bei Unverträglichkeit von 5-Aminosalicylsäure-(5-ASA-)Präparaten.

Priv.-Doz. Dr. med. Gerd Luippold, Institut für Pharmakologie und Toxikologie, Wilhelmstraße 56, 72074 Tübingen
E-Mail: gerd.luippold@uni-tuebingen.de

Arzneimitteltherapie 2006; 24(05)