Dr. Susanne Heinzl, Stuttgart
Daptomycin wurde erstmals aus Streptomyces roseosporus, einem Bodenbakterium, isoliert. Zunächst wurde es von Lilly entwickelt, die amerikanische Firma Cubist arbeitete ab 1997 mit der Substanz und erhielt in den USA 2003 die Zulassung für die Behandlung komplizierter Haut- und Weichgewebeinfektionen.
Daptomycin unterscheidet sich als erster Vertreter der so genannten zyklischen Lipopeptide auch im Wirkungsmechanismus von den anderen Antiinfektiva. In Gegenwart freier Calciumionen dringt Daptomycin mit der Lipidseitenkette in die bakterielle Zytoplasma-Membran ein. Dadurch kommt es über eine Oligomerisation der Substanz zur Ausbildung von Kanälen oder Transmembran-Poren, durch die intrazelluläre Kaliumionen ausströmen. Dies führt zur Depolarisation der Zellmembran, zu multiplen Schädigungen verschiedener Biosysteme (DNS-, RNS- und Proteinsynthese) und in der Folge zum Zelltod. Die bakterizide Wirkung tritt sehr rasch ein. Daptomycin wirkt unabhängig vom Zellzyklus und vom Metabolismus auf die Bakterienzelle. In-vitro-Untersuchungen zeigten, dass Daptomycin auch auf sich nicht teilende Staphylococcus-aureus-Stämme rasch bakterizid wirkt, was eine direkte physikalische Wirkung an der Zellmembran vermuten lässt.
In-vitro-Wirkung und Resistenzentwicklung
Daptomycin zeigt in vitro eine hohe Aktivität gegen die meisten aeroben und anaeroben grampositiven Erreger, einschließlich Staphylococcus aureus, Koagulase-negative Staphylokokken und Staphylococcus epidermidis, Enterococcus faecalis und Enterococcus faecium sowie Streptococcus pyogenes, S. agalactiae, Viridans-Streptokokken und Pneumokokken. Auch multiresistente Erreger werden erfasst, wie Methicillin-resistente S. aureus (MRSA), Methicillin-resistente S. epidermidis (MRSE), Glykopeptid(Vancomycin)-intermediäre und -resistente S. aureus (GISA, VRSA) sowie Vancomycin-resistente E. faecalis (VRE). Unter Anaerobiern gelten vor allem Peptostreptococcus spp., Propionibacterium spp., Clostridium difficile und Clostridium perfringens sowie Bifidobacterium spp. als Daptomycin-empfindlich.
Die gute Wirksamkeit wurde in der European Daptomycin Surveillance Study bestätigt, in der zwischen Oktober 2004 und März 2005 in verschiedenen europäischen Zentren die In-vitro-Aktivität der Substanz bei 2 900 Bakterienisolaten untersucht wurde. Nahezu alle Isolate (99,8 % der Staphylokokken und 100% der Enterokokken vorwiegend aus Haut- und Weichgewebeinfektionen) waren empfindlich.
Nach den bisher vorliegenden Daten wird das Resistenzrisiko von Daptomycin als gering bewertet. Bei 4- und 8facher MHK wurden in vitro keine spontanen Resistenzen nachgewiesen. Eine Abnahme der Empfindlichkeit konnte nur durch wiederholte Passagen (> 20) und chemische Mutagenese induziert werden.
Auf der ICAAC im Dezember 2005 wurde über eine 26-jährige Patientin nach Stammzell-Transplantation berichtet, bei der sich eine Daptomycin-Resistenz gegen einen Vancomycin-resistenten Enterococcus-faecium-Stamm entwickelte. Der Mechanismus dieser Resistenzentwicklung ist unklar.
Komplizierte Haut- und Weichgewebeinfektionen
In zwei internationalen, Untersucher-verblindeten Phase-III-Studien zur Behandlung komplizierter Haut- und Weichgewebeinfektionen durch grampositive Erreger, in denen Daptomycin mit dem damaligen Therapiestandard (Vancomycin oder Penicillinase-festes Penicillin) verglichen wurde, konnte eine vergleichbar gute Wirkung in den beiden Gruppen gezeigt werden.
Im CORE-Register (Cubicin Outcomes Registry and Experience) wurden retrospektiv Daten zur Häufigkeit und zum Nutzen einer Daptomycin-Behandlung ausgewertet. Von den 1 160 zwischen November 2003 und Dezember 2004 in 45 Kliniken in CORE erfassten Patienten litten 577 unter einer Haut- und Weichgewebeinfektion. 374 Patienten waren an einer komplizierten, 203 an einer unkomplizierten Infektion erkrankt. Die Patienten wurden im Durchschnitt mit einer Dosis von 4,43 mg/kg Körpergewicht (KG) Daptomycin behandelt, die Dosis war bei komplizierten Infektionen signifikant höher. 359 Patienten (68 %) wurden vor der Daptomycin-Therapie mit einem anderen Antibiotikum behandelt. 249 Patienten (43 %) erhielten zusätzlich zu Daptomycin mindestens eine Dosis eines weiteren Antibiotikums, hauptsächlich aus der Gruppe der Fluorchinolone (21 %) und Cephalosporine (19 %) bei komplizierten Infektionen und Vancomycin (33 %) sowie Clindamycin (32 %) bei unkomplizierten Infektionen. Der Therapieerfolg war bei 522 von 577 mit mindestens einer Daptomycin-Dosis behandelten Patienten auswertbar. Wie Tabelle 1 zeigt, konnte in rund 97 % der mit Daptomycin behandelten Fälle eine Heilung oder Besserung erzielt werden, mit Daptomycin können also auch in der täglichen Praxis ähnlich gute Ergebnisse wie in klinischen Studien erzielt werden.
Infektiöse Endokarditis/Bakteriämie durch S. aureus
Als weitere potenzielle Indikationen für Daptomycin zeichnen sich Endokarditiden und Bakteriämien mit Beteiligung von S. aureus ab. Ziel einer in 76 US-amerikanischen und europäischen Zentren durchgeführten randomisierten, offenenen Studie war der Nachweis, dass bei 235 Patienten mit einer Bakteriämie oder Endokarditis durch S. aureus (MSSA oder MRSA) Daptomycin in einer Dosierung von einmal täglich 6 mg/kg KG i. v. mindestens ebenso wirksam ist wie ein Standardregime (initial 4 Tage Gentamicin i. v., dann semisynthetisches Penicillin oder Vancomycin). In beiden Gruppen sollte die Antibiotika-Therapie mindestens 2 bis 6 Wochen dauern und die Nachbeobachtungszeit bis zu 12 Wochen nach Therapieende fortgeführt werden. Eine unabhängige externe Gutachtergruppe beurteilte verblindet am Ende der Therapie und 6 Wochen nach der Behandlung (TOC = Test of Cure) das Therapieergebnis. Primäre Endpunkte waren der durch die Gutachter bestätigte Therapieerfolg nach sechs Wochen in der Intention-to-treat-Gruppe (ITT-Gruppe) und in der nach Protokoll behandelten Gruppe (PP-Gruppe). In der ITT-Gruppe konnten 235 Patienten, in der PP-Gruppe 139 Patienten ausgewertet werden. Wie die Daten in Tabelle 2 zeigen, war die Wirkung von Daptomycin mindestens so gut wie die der Vergleichstherapie. Vor allem bei Patienten mit MRSA-Infektionen wirkte Daptomycin günstiger, hier betrugen die Erfolgsraten 44,4 % versus 31,8 %.
Nebenwirkungen wurden in beiden Gruppen vergleichbar häufig beobachtet. Bei drei Patienten der Daptomycin-Gruppe wurde die Therapie wegen Erhöhung der Creatinkinase-Aktivität und bei fünf Patienten der Vergleichsgruppe wegen Nierenversagen abgebrochen.
Daptomycin ist also zur Behandlung der Bakteriämie und Endokarditis durch MSSA und MRSA mindestens gleich gut wirksam und verträglich wie die Standardtherapie.
Höhere Dosen verträglich?
Bisher ist Daptomycin mit einer Dosierung von 4 mg/kg KG zugelassen. Für schwierig zu behandelnde Infektionen könnten aber höhere Dosierungen sinnvoll sein. Bekannt ist, dass die pharmakokinetischen Parameter bis zu einer Dosis von 6 mg/kg KG einmal täglich über 14 Tage gegeben linear verlaufen. Verträglichkeit und Pharmakokinetik höherer Dosierungen (6, 8, 10, 12 mg/kg KG einmal täglich) wurden in einer Phase-I-Studie an 36 gesunden Freiwilligen untersucht. Die Flächen unter der Serum-Konzentrations-Zeit-Kurve und die minimale Plasmakonzentration verhielten sich proportional zur Dosis. Die maximale Plasmakonzentration verlief nicht ganz dosisproportional, sie wurde bei allen Dosierungen nach etwa 30 Minuten erreicht. Die Plasmaproteinbindung lag immer zwischen 90 und 93 %. Die Halbwertszeit betrug zwischen 7,5 und 8,3 Stunden.
Bei keiner Dosierung kam es zu schwerwiegenden Nebenwirkungen. Am häufigsten waren Kopfschmerzen, Stomatitis, Verstopfung und Arthralgien. Die Daten deuten darauf hin, dass Daptomyin auch in Dosen über 4 oder 6 mg/kg KG verwendet werden kann [6].
In einer frühen Phase-I-Studie waren bei einer Dosierung von 3 mg/kg alle 12 h reversible Nebenwirkungen an der Skelettmuskulatur aufgetreten. Diese Nebenwirkungen können durch einmal tägliche Gabe weitgehend vermieden werden. Bei Risikopatienten ist aber eine regelmäßige Überwachung der Creatinkinase sinnvoll. Andere Arzneimittel, die Myopathien auslösen können, wie CSE-Hemmer, sollten während eine Daptomycin-Behandlung abgesetzt werden.
Quellen
Mascio, CTM, et al. Bactericidal action of daptomycin against non-dividing staphylococcus aureus. 45. ICAAC, Washington, 16. bis 19. Dezember 2005.
Ramos LG, et al. Development of daptomycin resistant Enterococcus faecium bacteremia in an allogeneic peripheral blood stem cell transplant patient. 45. ICAAC, Washington, 16. bis 19. Dezember 2005.
Arbeit RD, Maki D, Tally FP, et al. The safety and efficacy of daptomycin for the treatment of complicated skin and skin-structure infections. Clin Infect Dis 2004;38:1673–81.
Owens RC, et al. Post marketing experience with daptomycin for the treatment of skin and skin structure infections. 45. ICAAC, Washington, 16. bis 19. Dezember 2005.
Fowler V, et al. Daptomycin vs. standard therapy for staphylococcus aureus bacteremia and infective endocarditis. 45. ICAAC, Washington, 16. bis 19. Dezember 2005.
Benvenuto M, et al. Safety and pharmakokinetics of daptomycin at doses up to 12 mg/kg daily. 45. ICAAC, Washington, 16. bis. 19. Dezember 2005.
Prof. Dr. Dieter Adam, München, Prof. Dr. Harald Seifert, Köln, Prof. Dr. Peter Kujath, Lübeck, Einführungs-Pressekonferenz Cubicin®. Berlin, 27. April 2006, veranstaltet von Novartis/Chiron Pharmaceuticals.
Tab. 1. Therapieerfolg bei 522 Patienten mit Haut- und Weichgewebeinfektionen, die mit mindestens einer Dosis Daptomycin behandelt wurden
Komplizierte |
Unkomplizierte |
Alle |
|
Therapiedauer |
19,1 Tage |
12,8 Tage |
|
Zeit bis zum Ansprechen |
5,5 Tage |
5,3 Tage |
|
Geheilt |
176 (53 %) |
125 (67 %) |
301 (58 %) |
Gebessert |
143 (43 %) |
60 (32 %) |
203 (39 %) |
Therapieversagen |
15 (4 %) |
3 (2 %) |
18 (3 %) |
Tab. 2. Ergebnisse der Phase-III-Studie bei Patienten mit Bakteriämie und Endokarditis (ITT = Intention to treat, PP = Nach Protokoll)
Ende der Therapie |
„Test of Cure“ |
|||
Daptomyin |
Vergleich |
Daptomycin |
Vergleich |
|
Therapieerfolg (ITT-Analyse) |
74/120 |
70/115 |
53/120 |
48/115 |
Therapieerfolg (PP-Analyse) |
43/79 |
32/60 |
Arzneimitteltherapie 2006; 24(06)