Die Medikamentenverordnung ist ein Hochrisikoprozess!


Dr. med. Peter Stiefelhagen, Hachenburg

Durch unerwünschte Arzneimittelereignisse sterben jährlich in Deutschland mehr Menschen als im Straßenverkehr. Diese Meldung kursiert seit vielen Jahren in regelmäßigen Abständen durch die Medien. Doch geändert hat sich, glaubt man den Experten, bisher kaum etwas. Das erschreckende Ausmaß des Problems „Arzneimittelsicherheit“ wird erkennbar, wenn man bedenkt, dass in Deutschland jährlich 470 Mio. Rezepte ausgestellt werden. In etwa 2 % der Fälle ist die Verordnung mit Arzneimittelproblemen verbunden. Wiederum 2,7 % davon erfordern sogar eine stationäre Behandlung, woraus sich insgesamt ein Kostenvolumen von 500 Mio. Euro errechnet.

Sicherlich ist nicht jedes unerwünschte Arzneimittelereignis vermeidbar, aber doch die meisten. So konnte in einer französischen prospektiven Studie gezeigt werden, dass nur 15 % dieser unerwünschten Arzneimittelereignisse bei sorgfältiger Verordnung nicht hätten vermieden werden können. Die Zahlen in Deutschland dürften ähnlich sein.

Das Thema Medikationsfehler hat zweifellos viele Facetten. Schon die fehlende Überprüfung der Patientencompliance ist ein Defizit, das sich im praktischen Alltag mit der bisher üblichen Dokumentation kaum beheben lassen dürfte. Ein besonders gravierendes Problem ist jedoch die Doppelverordnung und die Verordnung von Substanzen ohne Berücksichtigung von etwaigen Kontraindikationen. Auch eine falsche oder fehlende Dosierungsangabe oder die fehlende Berücksichtigung einer Niereninsuffizienz bei der Dosierung ist keine Seltenheit. Ein Beleg dafür, wie fatal eine fehlerhafte Kommunikation bezüglich einer Dosierungsempfehlung sein kann, ist das Beispiel einer Patientin, das vor einigen Jahren auch durch die Medien ging. Im Verlegungsbrief wurden lediglich 10 mg Methotrexat empfohlen, woraufhin die Substanz in der Rehabilitationsklinik täglich statt wöchentlich verabreicht wurde, was schließlich zum Tod der Patientin führte. Und eine Erhebung am Universitätsspital in Basel ergab, dass noch nicht einmal bei jedem dritten Patienten die aufgrund einer Niereninsuffizienz notwendige Dosisanpassung erfolgt.

Ein alltägliches Problem insbesondere bei älteren polymorbiden Patienten sind auch mögliche Interaktionen der eingesetzten Medikamente; denn mit der Zahl der Medikamente, die ein Patient einnimmt, steigt die Menge an Informationen, die der Arzt dazu im Kopf haben müsste. „Wollte ein Arzt bei circa 2 000 verschreibungspflichtigen Substanzen, jährlich 40 neuen Stoffen und 6 500 in den Fachinformationen beschriebenen Interaktionen alle verordnungsrelevanten Informationen im Kopf haben, dann wäre das so, als sollte er die Telefonauskunft für die Stadt München aus dem Gedächtnis machen“, so beschrieb Prof. Daniel Grandt, Chefarzt der Medizinischen Klinik I am Klinikum Saarbrücken, im Rahmen eines Symposiums anlässlich des diesjährigen Internistenkongresses die Dimension des Problems sehr anschaulich. Bei entsprechenden Umfragen hätten gut ausgebildete Ärzte maximal jede zweite mögliche Interaktion parat.

Gefahr erkannt, Gefahr gebannt? Keineswegs! Voraussetzung für Lösungsansätze ist zunächst einmal ein Problembewusstsein bei Ärzten mit einem sich daraus ergebenden neuen Fehlerverständnis, auch Fehlerkultur genannt. Zwingend erforderlich ist dann eine sorgfältige Dokumentation der Arzneimitteltherapie, und zwar mit Hilfe der Elektronik. Gerade die elektronische Verordnung im Rahmen der elektronischen Gesundheitskarte könnte dazu beitragen, das Arzneimittelrisiko drastisch zu senken. Bei der Medikamentenverordnung per Computer mit entsprechender Software wird nämlich eine neue Verordnung mit der bereits bestehenden dahingehend überprüft, ob Kontraindikationen, Dosisanpassungen oder Interaktionen zu berücksichtigen sind. Bei Problemen erfolgt automatisch eine entsprechende Warnung auf dem Bildschirm. Erste Erfahrungen in den USA haben gezeigt, dass durch die Einführung solcher Systeme die Häufigkeit von Medikationsfehlern um über 80 % gesenkt werden kann.

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