Dr. med. Peter Stiefelhagen, Hachenburg
Chronisch myeloproliferative Erkrankungen
Die chronisch-myeloische Leukämie (CML) stellt ein Modell für die Diagnostik und Therapie anderer Hämoblastosen dar, denn bei über 90 % der Patienten liegt eine Gen-Translokation mit dem charakteristischen Philadelphia-Chromosom (22 q) vor. Molekular handelt es sich dabei um die Fusion der Gene BCR und ABL mit den Folgen einer konstitutionellen Aktivierung der ABL-Tyrosinkinase. Seit einigen Jahren besteht die Möglichkeit der selektiven Hemmung dieser Tyrosinkinase mit Imatinib (Glivec®).
Durch ältere Therapiestrategien mit Interferon alfa und Hydroxycarbamid konnten bereits in einem hohen Prozentsatz hämatologische und zytogenetische Remissionen bei diesem Krankheitsbild erzielt werden. Doch mit Imatinib gelingt nun zum ersten Mal eine molekulare Remission bei etwa 40 % der mit dieser Substanz behandelten Patienten.
Die Studie, die zum Durchbruch dieses Therapiekonzepts geführt hat, ist die IRIS-Studie (International randomised study of interferon plus ARA-C vs. Glivec). Von dieser Studie liegen nun die Ergebnisse einer 54-monatigen Verlaufskontrolle vor. Sie zeigen, dass Imatinib bei neu diagnostizierten Patienten mit Philadelphia-Chromosom-positiver CML anhaltend hohe Remissionsraten bewirkt: 93 % der primär mit Imatinib behandelten Patienten überlebten ohne Akzeleration und Blastenkrise.
Ein Problem bleibt die Imatinib-Resistenz. Diese versucht man mit folgenden Therapiestrategien zu durchbrechen:
- Zusätzliche Gabe einer anderen Substanz (Cytarabin, Interferon alfa, Hydroxycarbamid)
- Dosiserhöhung von Imatinib auf 600 bis 800 mg täglich
- Allogene Stammzellentransplantation
- Neue ABL-Kinase-Inhibitoren (Dasatinib, AMN-107)
Erste Studien mit solchen neuen ABL-Inhibitoren stimmen optimistisch, da fast jeder zweite Patient mit einer Imatinib-Resistenz davon profitiert.
Auch bei den Philadelphia-negativen myeloproliferativen Erkrankungen gibt es Fortschritte. Bei ihnen konnten in den letzten Jahren verschiedene zytogenetische Marker identifiziert werden, beispielsweise eine Mutation des JAK2-Gens, welches die Janus-Kinasen kodiert. Die Janus-Kinasen (JAK) wurden nach dem doppelgesichtigen römischen Gott benannt, weil sie zwei nahezu identische Kinase-Domänen enthalten. Eine JAK2-Mutation findet sich bei 77 % der Patienten mit einer Polycythaemia vera, bei 43 % mit einer Osteomyelofibrose und bei 45 % mit einer essenziellen Thrombozythämie. Doch der Nachweis dieser erworbenen Genmutation ist nicht immer mit einem aggressiven Krankheitsverlauf assoziiert. Die Janus-Kinasen könnten jedoch ein Ziel für eine spezifische Kinase-Inhibitor-Therapie sein.
Für Patienten mit einer Osteomyelofibrose stehen zurzeit verschiedene Therapieoptionen zur Verfügung, deren Stellenwert jedoch noch nicht genau definiert ist:
- „wait and see“
- Splenektomie
- Radiatio der Milz
- Zytoreduktion (Hydroxycarbamid, Interferon, Melphalan, Anagrelid)
- Thalidomid
- Autologe/allogene Stammzelltherapie
Myelodysplastisches Syndrom
Bei diesen Erkrankungen findet sich häufig eine Inaktivierung wichtiger Tumorsuppressor-Gene durch eine aberrante Methylierung. Deshalb stellen hypomethylierende Substanzen (Azacytidin, Decitabin [Dacogen®]) einen innovativen und interessanten Therapieansatz dar. Diese Substanzen induzieren Apoptose oder hemmen die Proliferation. Erste Studien zeigen, dass durch die Gabe einer solchen Substanz der Krankheitsverlauf günstig beeinflusst werden kann. Bei Hochrisiko-Patienten mit einem myelodysplastischen Syndrom dürfte eine autologe Stammzelltransplantation aber günstiger sein als eine Chemotherapie. Bei Patienten mit niedrigem Risiko empfiehlt sich zunächst eine Therapie mit Erythropoetin oder neueren Substanzen, wozu auch Lenalidomid (in USA als Revlimid®, in Deutschland nicht im Handel) gehört.
Multiples Myelom
Die Behandlung von Patienten mit symptomatischem multiplem Myelom orientiert sich am Alter: Bei jüngeren Patienten wird eine maximale Reduktion der Tumormasse angestrebt, um eine lange Remissionsdauer zu ermöglichen, und zwar mit einer Hochdosis-Chemotherapie und anschließender autologer Stammzelltransplantation. Bei Patienten, die älter als 70 Jahre sind, ist ein Leben mit möglichst wenig Krankheitssymptomen das eigentliche Behandlungsziel. Doch durch eine weniger intensive Therapie kann meist keine komplette Remission erreicht werden. Bei älteren Patienten und solchen, die nicht für eine Hochdosis-Chemotherapie geeignet sind, ist die initiale Behandlung mit Melphalan (Alkeran®) und Prednison weiterhin Goldstandard. Mit dieser Kombination wird eine Remissionsrate von etwa 50 % erreicht und das Überleben auf etwa drei Jahre verlängert.
Neueren Studien zu Folge kann durch die Kombination von Thalidomid plus Dexamethason in der Primärtherapie die Remissionsrate gesteigert werden. Unter Thalidomid treten allerdings häufig schwerwiegende Nebenwirkungen, zum Beispiel tiefe Beinvenenthrombose, oder Neuropathie, auf. Das potentere immunmodulatorische Thalidomid-Analogon Lenalidomid erwies sich bei Patienten mit therapierefraktärer oder rezidivierender Erkrankung einer Dexamethason-Stoßtherapie signifikant überlegen und hatte ein günstigeres Verträglichkeitsprofil.
Neben Thalidomid und Lenalidomid gehört auch der Proteasomen-Inhibitor Bortezomib (Velcade®) zum Spektrum der Therapiemöglichkeiten. Zielstrukturen dieser Substanzen sind die Stromazell-Interaktion, die Zellteilung, die Immunantwort, die Entzündung und die Angiogenese.
Angesichts der überzeugenden Daten bei der Rezidiv-Therapie drängen diese neuen Wirkstoffe jetzt auch in die First-Line-Therapie in Kombination mit Melphalan und Prednisolon.
Non-Hodgkin-Lymphome
Bei den niedrig malignen follikulären Lymphomen und Mantelzell-Lymphomen gilt die Chemo-Immuntherapie mit dem monoklonalen Antikörper Rituximab (Mabthera®) heute als gesicherter Standard, nachdem auch in einer Metaanalyse der Cochrane-Gruppe ein signifikanter Überlebensvorteil für die mit Rituximab behandelte Patienten-Gruppe belegt werden konnte.
Eine Dauertherapie mit Rituximab nach einer initialen Chemotherapie mit Cyclophosphamid (Endoxan®), Vincristin und Prednison beeinflusst den klinischen Verlauf bei Patienten mit einem follikulären Lymphom günstig, so die Ergebnisse dreier randomisierter Studien. Sowohl die progressionsfreie Zeit als auch die 3-Jahres-Überlebensrate konnten durch eine Rituximab-Erhaltungstherapie verbessert werden.
Im Rahmen der RICOVER-Studie konnte für ältere Patienten mit einem aggressiven Lymphom gezeigt werden, dass die sechsmalige Gabe des CHOP-14-Schemas (Cyclophosphamid, Doxorubicin, Vincristin, Prednison) in Kombination mit Rituximab und einer Strahlentherapie am effektivsten ist und deshalb für die Erstbehandlung älterer Patienten zum neuen Therapiestandard werden dürfte.
Hodgkin-Lymphome
Bei der Behandlung von Hodgkin-Lymphomen werden drei Behandlungsgruppen unterschieden:
- Frühe Stadien: CS I–II ohne Risikofaktoren
- Intermediäre Stadien: CS I–II mit Risikofaktoren
- Fortgeschrittene Stadien: CS III–IV, einige CS IIB
Standardtherapie für Frühstadien ist heute die kombinierte Chemo-Strahlentherapie. Die Kombination von zwei Zyklen ABVD (Doxorubicin, Bleomycin, Vinblastin, Dacarbazin) vor einer Radiotherapie zeigt die besten Ergebnisse.
Bei der Behandlung von Hodgkin-Lymphom-Patienten in mittleren Stadien ist ebenso die Kombination aus Chemo- (4–6 Zyklen) und Strahlentherapie Standard. In einer neueren Studie konnte gezeigt werden, dass vier Zyklen ABVD plus Strahlentherapie ebenso effektiv sind wie vier Zyklen BEACOPP (Bleomycin, Etoposid, Doxorubicin, Cyclophosphamid, Vincristin, Procarbazin, Prednison) oder sechs Zyklen ABVD plus Strahlentherapie. Eine Behandlung ohne Bestrahlung verschlechtert zwar die Überlebensrate nicht, lässt jedoch das Rezidiv-Risiko stark steigen.
Für Patienten in fortgeschrittenen Stadien gilt das Chemotherapie-Schema mit acht Zyklen BEACOPP als Standard.
Quelle
Priv.-Doz. Dr. med. Andreas Josting, Priv.-Doz. Dr. med. Peter Borchmann, Priv.-Doz. Dr. med. Christof Scheid, Priv.-Doz. Dr. med. Marcel Reiser, Prof. Dr. med. Andreas Engert, Prof. Dr. med. Michael Hallek, Köln. Post-ASH 2005 „Breaking News“, Fortbildungsveranstaltung Universitätsklinikum Köln, Köln, 1. Februar 2006.
Arzneimitteltherapie 2006; 24(08)