Ivabradin


Herzfrequenz-Senkung durch Hemmung des If-Kanals

Thomas Meinertz, Hamburg, Red.

Ivabradin (Procoralan®) senkt die Herzfrequenz durch Hemmung des If-Kanals in der Plasmamembran von Schrittmacherzellen des Sinusknotens.Der neue Arzneistoff bietet einen Therapie-Ansatz bei einer Reihe kardiovaskulärer Erkrankungen. Bevorzugte klinische Anwendung – entsprechend aktueller Studienlage und Zulassung – findet Ivabradin derzeit bei Patienten mit koronarer Herzkrankheit und stabiler Angina pectoris, bei denen Beta-Rezeptorenblocker kontraindiziert sind oder die diese nicht vertragen.
Arzneimitteltherapie 2006;24:308–13.

Herzfrequenz-Senkung: Durch welche Medikamente?

Eine Senkung der Herzfrequenz ist bei einer Vielzahl kardiovaskulärer Krankheiten therapeutisch indiziert. Durch Beta-Rezeptorenblocker lässt sich dieses Ziel erreichen, allerdings unter Inkaufnahme zusätzlicher erwünschter und unerwünschter Begleitwirkungen, wie

  • Blutdrucksenkung,
  • negativ inotroper Effekt,
  • Beeinträchtigung der AV-Überleitung,
  • Vaso- und Bronchokonstriktion sowie
  • unerwünschte zentralnervöse Wirkungen (Depression, Schlafstörungen).

Bisher gibt es zur Herzfrequenz-Senkung durch Beta-Rezeptorenblocker kaum praktikable pharmakotherapeutische Alternativen.

Herzwirksame Glykoside haben bei Sinusrhythmus nur einen minimalen Herzfrequenz-senkenden Effekt, Calciumkanalblocker vom Diltiazem- und Verapamil-Typ müssen zur Herzfrequenz-Senkung hoch dosiert werden, wobei neben der deutlich negativ inotropen Wirkung ein Teil des Herzfrequenz-senkenden Effekts durch die gleichzeitige Vasodilatation antagonisiert wird. Amiodaron, unter Erhaltungsdosis durchaus effektiv in der Herzfrequenz-Senkung, führt bei Langzeittherapie zu zahlreichen und zum Teil schwerwiegenden Nebenwirkungen und ist nur in Ausnahmefällen mit dieser Indikation einsetzbar.

Die Suche nach anderen Herzfrequenz-senkenden Substanzen, die nicht über eine Blockade der Beta-Rezeptoren wirksam sind, datiert über mehr als zwei Jahrzehnte zurück.

Die erste einer Reihe von Substanzen, die klinisch geprüft wurde, war das Clonidin-Derivat Alinidin. Alinidin führte auch bei Menschen zu einer dosisabhängigen Senkung der Herzfrequenz und besaß antiischämische und antianginöse Wirksamkeit [1, 2]. Die Weiterentwicklung dieser Substanz wurde wegen des negativ inotropen Effekts und extrakardialer Nebenwirkungen eingestellt. ULFS-49, ein Benzazepinonderivat, wirkte ebenfalls relativ selektiv bradykardisierend, wurde aber wegen häufiger Nebenwirkungen nicht weiter klinisch entwickelt. Zatebradin, eine ebenfalls relativ spezifisch bradykardisierende Substanz, wurde wegen einer gleichzeitigen Verlängerung des QT-Intervalls als Risikofaktor für die Auslösung potenziell bedrohlicher ventrikulärer Arrhythmien ebenfalls nicht weiter klinisch entwickelt [3].

Die einzige derzeit verfügbare relativ selektiv wirksame bradykardisierende Substanz, die klinisch weiterentwickelt wurde, ist Ivabradin (Procoralan®). Diese Substanz hemmt dosis- bzw. konzentrationsabhängig den so genannten If-Strom unter verschiedenen experimentellen Bedingungen. Dieser Strom ist entscheidend für die elektrische Impulsbildung im Sinusknoten verantwortlich. Durch Ivabradin werden auch andere Ionenströme, die ebenfalls für die Sinusknotenfunktion verantwortlich sind, gehemmt, allerdings erst in Dosierungen und Konzentrationen, die deutlich über den klinisch angewandten liegen.

Herzfrequenz-Senkung: Über welchen Mechanismus?

Die spontane diastolische Depolarisation des Sinusknotens kommt durch das Zusammenwirken von mindestens vier Ionen-Strömen zustande:

  • Abnahme des Kaliumionen-Auswärtsstroms (Ik), der durch das vorangegangene Aktionspotenzial aktiviert wurde
  • Aktivierung eines zeitabhängigen Einwärtsstroms (If)
  • Aktivierung von zwei Calciumionen-Strömen, eines längeranhaltenden und eines vorübergehenden (beides Calciumionen-Einwärtsströme)

Der If-Strom wurde 1979 von Braun und Mitarbeitern [4] entdeckt und durch DiFrancesco und Mitarbeiter eingehend charakterisiert [5]. Die Autoren nannten diesen Strom „Funny“, da dieser Strom erstaunlicherweise als Nettoeinwärtsstrom sowohl von Natrium- als auch Kaliumionen getragen wird und langsam durch Hyperpolarisation aktiviert wird. Der If-Strom bestimmt die Steilheit der Phase der diastolischen Depolarisation bis zu einer Schwelle von etwa –40 mV, die letztlich das Intervall zwischen zwei aufeinander folgenden Aktionspotenzialen bestimmt.

Die If-Kanäle, die für den If-Strom verantwortlich sind, sind sogenannte HCN-Ionenkanäle, das heißt durch Hyperpolarisation aktivierte und durch zyklische Nucleotide modulierte Ionenkanäle. Von diesen existieren vier verschiedene Isoformen (HCN 1 bis 4), die in ihren Eigenschaften und ihrer Verteilung in verschiedenen Geweben variieren [5]. HCN-Kanäle werden im Herzen, in der Retina und im Gehirn exprimiert. Die im Herzen hauptsächlich nachweisbare Isoform ist der HCN-4-Kanal, der nicht nur im Sinusknoten, sondern in geringer Dichte auch im AV-Knoten und Purkinje-System nachweisbar ist. Unter normalen Bedingungen sind diese Kanäle in den letztgenannten Strukturen nicht aktiv. Unter pathologischen Bedingungen kann es jedoch zu einer Aktivität dieser Kanäle kommen, so zum Beispiel bei Herzinsuffizienz und bei kardialer Hypertrophie.

Ivabradin: Herzfrequenz-Senkung durch Hemmung des If-Kanals

Ivabradin bindet spezifisch an intrazellulär gelegene Rezeptoren der If-Kanäle der Plasmamembran von Schrittmacherzellen des Sinusknotens. Hierdurch kommt es zu einer Hemmung des If-Stroms. Die direkte Folge ist die Abflachung des Verlaufs der diastolischen Depolarisation und damit eine Abnahme der Herzfrequenz (Abb. 1).

Dieser Mechanismus wurde experimentell an verschiedenen Spezies nachgewiesen (z. B. [10]). Ivabradin hemmt diesen Kanal während der Phase der Depolarisation (also im offenen Zustand). Die Hemmung des Kanals in dieser Weise führt dazu, dass die Wirkung von Ivabradin bei höheren Herzfrequenzen stärker ausgeprägt ist. Bei deutlich höheren Dosierungen von Ivabradin als den klinisch verwendeten (60fach höher als die therapeutischen Dosen) kommt es zusätzlich zu einer wenig ausgeprägten Hemmung des L-Typ-Calciumkanals, während die T-Typ-Calciumkanäle durch Ivabradin nicht beeinflusst werden. Ivabradin hat keinen Einfluss auf die Natrium- oder Kaliumionen-Ströme der Sinusknotenzelle.

Pharmakokinetik

Im Dosisbereich von 0,5 bis 24 mg weist Ivabradin eine lineare Pharmakokinetik auf. Wichtige pharmakokinetische Parameter sind in Tabelle 1 zusammengefasst [12].

Nach der raschen Freisetzung des Arzneistoffs aus den Tabletten wird dieser schnell und fast vollständig resorbiert: Bei Nüchterneinnahme werden maximale Plasmakonzentrationen nach einer Stunde erreicht. Die Einnahme zu den Mahlzeiten kann die Zeit bis zum Erreichen maximaler Plasmakonzentrationen um etwa eine Stunde verzögern, die Plasmakonzentration steigt um etwa 20 bis 30 %. Es wird die Einnahme zu den Mahlzeiten empfohlen.

Ivabradin unterliegt einem First-Pass-Effekt in Darm und Leber.

Die Metabolisierung erfolgt ausschließlich über das Cytochrom-P450(CYP)-Isoenzym 3A4. Aktiver Hauptmetabolit ist das N-demethylierte Derivat, das ebenfalls über CYP3A4 abgebaut wird.

Da Ivabradin nur geringe CYP3A4-Affinität aufweist, ist eine Beeinflussung anderer Arzneistoffe, die ebenfalls über dieses Isoenzym metabolisiert werden, nicht zu erwarten. Dagegen sind Wechselwirkungen mit Induktoren und Inhibitoren von CYP3A4 zu erwarten: Kontraindiziert ist so die gleichzeitige Gabe von starken CYP3A4-Inhibitoren, abgeraten wird von der Kombination mit mäßig starken Inhibitoren und besondere Vorsicht ist geboten bei gleichzeitiger Therapie mit Induktoren dieses Isoenzyms.

Die Ausscheidung von Ivabradin und seinen Metaboliten erfolgt zu gleichen Teilen über Fäzes und Urin.

Bei älteren Patienten und Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion (Creatinin-Clearance > 15 ml/min) sind keine Besonderheiten zu beachten (Vorsicht ist geboten bei Patienten mit Creatinin-Clearance < 15 ml/min; es liegen nicht ausreichend Daten zur Therapie bei diesen Patienten vor). Bei Patienten mit leichten Leberfunktionsstörungen wurde ein Anstieg der AUC beobachtet. Eine Dosisanpassung ist hier aber nicht erforderlich. Vorsicht ist geboten bei Patienten mit mäßigen Leberwerterhöhungen, kontraindiziert ist die Gabe von Ivabradin bei Patienten mit schwerer Leberfunktionsstörung. Zur Behandlung dieser Patienten mit Ivabradin liegen bislang nicht genügend Daten vor.

Klinische Ergebnisse

In einer randomisierten, doppelt blinden Studien mit 360 Patienten wurde die Herzfrequenz-senkende Wirkung von Ivabradin in drei Dosierungen (2,5 mg, 5 mg oder 10 mg zweimal täglich) im Vergleich zu Plazebo bestimmt [6]. Sowohl unter Ruhebedingungen als auch unter Belastung kam es zu einer deutlichen Senkung der Herzfrequenz. Die Größenordnung dieser Herzfrequenz-Senkung lag etwa in dem Bereich, wie sie auch bei Beta-Rezeptorenblockern beobachtet wird. Bei der höchsten Dosis kam es zu einer Senkung der Herzfrequenz um etwa 15 Schläge/min. Trotz der erheblichen Senkung der Herzfrequenz kam es zu keiner bedeutsamen Veränderung des Blutdrucks – anders als bei Beta-Rezeptorenblockern.

Kriterien zur Beurteilung der klinischen Wirksamkeit

Eine Senkung der Herzfrequenz kann bei verschiedenen kardiovaskulären Krankheitsbildern sinnvoll sein. Am naheliegendsten ist dieser Nutzen bei Patienten mit koronarer Herzkrankheit und stabiler Angina pectoris. Daher wurde die klinische Wirksamkeit von Ivabradin zunächst bei diesen Patienten untersucht. Das klinische Entwicklungsprogramm von Ivabradin zur Behandlung der stabilen Angina pectoris schloss mehr als 5 000 Patienten mit koronarer Herzkrankheit und chronischer stabiler Angina pectoris ein [7]. Damit handelt es sich um das größte jemals durchgeführte Programm zur Entwicklung einer neuen antianginös wirksamen Substanz.

In den entscheidenden klinischen Studien wurde Ivabradin über mindestens drei Monate untersucht. Es handelte sich dabei um Plazebo-kontrollierte Studien oder um Studien mit einer Kontrollgruppe, die mit einer antianginös wirksamen Substanz behandelt wurden. Gemessen wurde die Belastbarkeit in der Laufband- oder Belastungsergometrie. Diese Belastbarkeit war der primäre Endpunkt für die meisten Studien, in denen die Wirksamkeit der Substanz bestimmt wurde.

Als zusätzliche Effekte wurden die Zeit bis zur Induktion einer Ischämie (anhand der Analyse der elektrokardiographischen Veränderungen des ST-Segments) und die klinische Angina-Schwelle bestimmt. Den Regeln entsprechend wurde die Belastungstoleranz zum Teil beim Maximum der vermuteten Wirkung, in der Regel aber immer am Ende des Dosisintervalls bestimmt. Zusätzlich erfasst wurden die Frequenz der Angina-pectoris-Attacken und das Ausmaß des Verbrauchs an akut eingesetzten Nitraten.

Klinische Wirksamkeit bei stabiler Angina pectoris

Die klinische Wirksamkeit von Ivabradin bei Patienten mit stabiler Angina pectoris wurde sowohl im Vergleich zu Plazebo als auch in weiteren Studien im Vergleich zu Beta-Rezeptorenblockern (Atenolol) und Calciumkanalblockern (Amlodipin) untersucht.

Die Ergebnisse der Plazebo-kontrollierten Studie (mehr als 300 Patienten) lassen sich wie folgt zusammenfassen: Im Vergleich zu Plazebo kam es zu einer deutlichen Zunahme der Zeit bis zum Auftreten von Angina pectoris. Der Effekt von Ivabradin war dosisabhängig. Während der dreimonatigen Plazebo-kontrollierten Therapie mit Ivabradin kam es bei einer Dosierung von 2 x 5 mg und 3 x 5 mg täglich zu einer Zunahme der Belastbarkeit und zu einer Reduktion der Ischämie. Auch hier fand sich ein dosisabhängiger Effekt. Im Vergleich zu einem Zeitraum vor Behandlung waren die Häufigkeit der Angina-pectoris-Attacken und der Nitrat-Verbrauch deutlich reduziert.

Die Wirksamkeit von Ivabradin als antianginöse und antiischämische Substanz wurde in einer großen, doppelblind durchgeführten Studie im Vergleich zu Atenolol (50 mg/d für einen Monat, gefolgt von 100 mg/d für drei Monate) bei über 900 Patienten geprüft, dies bei Dosierungen von 2 x 5 mg für einen Monat, gefolgt von 2 x 7,5 mg oder 2 x 10 mg täglich für drei Monate [11]. Die Behandlung mit beiden Substanzen führte zu einer Zunahme der Belastbarkeit um etwa 1,5 Minuten und zu einer Zunahme der Zeit, bis Angina pectoris auftrat. Ivabradin führte im Vergleich zu einer normal dosierten Beta-Rezeptorenblocker-Therapie nicht nur zu einer Zunahme der Belastbarkeit (Abb. 2),
sondern auch zu einer Abnahme der Ischämie (Abb. 3). Dabei entsprechen sich nach dem Ausmaß des Effekts die Dosierungen von 2 x 7,5 mg Ivabradin täglich und 100 mg Atenolol einmal täglich.

In einer ebenfalls vergleichenden Studie wurde die Wirksamkeit von Ivabradin im Vergleich zum Calciumkanalblocker Amlodipin untersucht. Auch diese Studie war als sogenannte Non-inferiority-Untersuchung ausgelegt. Auch hier wurde Ivabradin in einer Dosierung von 2 x 7,5 mg und 2 x 10 mg täglich getestet und mit Amlodipin 10 mg einmal täglich verglichen. Die Therapiephase dauerte drei Monate. Ivabradin 2 x 7,5 mg hatte die gleiche Wirksamkeit wie Amlodipin 10 mg einmal täglich für alle auf dem Fahrradergometer gemessenen Testparameter. Nach dem Ergebnis dieser Untersuchung ist die Therapie mit Ivabradin der mit Amlodipin in der Prävention von Angina-pectoris-Attacken nicht unterlegen.

Die Wirksamkeit und Verträglichkeit von Ivabradin in einer Kombinationstherapie wurde über ein Jahr bei 386 Patienten mit stabiler Angina pectoris getestet. Diese Patienten wurden mit Nitraten oder Dihydropyridin-Calciumkanalblockern vorbehandelt. Die Senkung der Herzfrequenz durch Ivabradin blieb über den gesamten Beobachtungszeitraum erhalten. Die Zahl der Angina-pectoris-Attacken konnte durch die zusätzliche Gabe von Ivabradin weiter deutlich reduziert werden. Somit lässt sich der günstige therapeutische Effekt von Ivabradin bei stabiler Angina pectoris auch unter Langzeitbedingungen nachweisen.

Verträglichkeit und Nebenwirkungen

Bevor Ivabradin im Januar 2006 in die Klinik eingeführt wurde, wurde im Rahmen des systematischen Studienprogramms mit insgesamt mehr als 5 000 Patienten – 3 500 davon mit Verum behandelt – auch die Verträglichkeit der Kurz- und Lanzeittherapie mit Ivabradin untersucht. Mehr als 1 200 dieser Patienten wurden länger als ein Jahr behandelt.

Die mit Abstand häufigste Nebenwirkung waren visuelle Symptome, so genannte Phosphene. Sie bestehen in transienten visuellen Symptomen, wie Blickfelderweiterung, die üblicherweise durch abrupte Veränderungen der Lichtstärke ausgelöst werden. Die visuellen Symptome sind dosisabhängig und werden üblicherweise gut toleriert. Bei weniger als 1 % der Patienten wurde die Therapie wegen solcher visueller Nebenwirkungen unterbrochen. Diese visuellen Nebenwirkungen lassen sich durch den Wirkungsmechanismus von Ivabradin erklären. Ivabradin hemmt so genannte HCN-Kanäle, die beispielsweise auch in der Retina vorhanden sind. Während einer Dauertherapie kommt es zum Rückgang der visuellen Beschwerden, sie erfordern nur selten den Abbruch der Therapie. Nach Abbruch verschwinden diese visuellen Phänomene jedoch vollständig.

Andere gravierende Nebenwirkungen wurden unter Ivabradin bis heute nicht beobachtet: Insbesondere keine Veränderungen des QT-Intervalls, keine Zunahme der AV-Überleitungszeit und keine proarrhythmischen tachykarden oder bradykarden Effekte.

Therapeutisch wichtige Begleiteffekte

Ivabradin hat keinen Einfluss auf die myokardiale Kontraktilität und auf die koronare Vasomotion. Die linksventrikuläre systolische Funktion bleibt bei Gabe von Ivabradin daher unverändert wie auch der Koronartonus. Ivabradin hat keine Wirkung auf die AV-Überleitung oder die intraventrikuläre Leitung. Ebenso wird das QT-Intervall nur insofern beeinflusst, als dass es unter Frequenzabnahme länger wird. Die frequenzkorrigierte QT-Zeit wird nicht beeinflusst, ebenso wenig das Refraktärverhalten der Vorhöfe und der Ventrikel.

Derartige Befunde wurden nicht nur tierexperimentell, sondern auch am Menschen erhoben. So konnten Manz und Mitarbeiter in einer echokardiographischen Studie zeigen, dass eine intravenöse Einzeldosis von Ivabradin im Vergleich zu Plazebo zu keiner ungünstigen Beeinflussung verschiedener Kontraktions- und Kontraktilitätsindizes führt. Auch die Relaxationsphase blieb bei der Gabe von Ivabradin unbeeinflusst [8]. Auch in einer Studie von Colin und Mitarbeitern [9] konnte nachgewiesen werden, dass Ivabradin im Gegensatz zu Beta-Rezeptorenblockern keinen ungünstigen Einfluss auf die myokardiale Relaxation hat.

Welcher Patient ist geeignet?

Derzeitiges Einsatzgebiet für Ivabradin sollten die Patienten mit koronarer Herzkrankheit sein, bei denen Kontraindikationen oder Unverträglichkeit gegenüber Beta-Rezeptorenblockern bestehen. Die Angaben über die Häufigkeit dieser Patientengruppe sind außerordentlich unterschiedlich und reichen von 5 bis 30 % der potenziell mit Beta-Rezeptorenblocker zu behandelnden Patienten. Vorzugsweise sollte Ivabradin dabei bei stabiler Angina pectoris zur Prävention von Angina-pectoris-Episoden und zur Verbesserung der Ischämietoleranz eingesetzt werden.

Besonders bewähren sollte sich Ivabradin bei den Patienten, die einer Herzfrequenz-Senkung bedürfen und gleichzeitig Kontraindikationen für Beta-Rezeptorenblocker aufweisen (Asthma bronchiale, intermittierende AV-Blockbilder). Zahlreiche weitere Indikationen werden derzeit in kontrollierten klinischen Studien überprüft. Bis die Ergebnisse dieser Studien vorliegen, sollte Ivabradin bei diesen Indikationen nicht in der therapeutischen Routine eingesetzt werden.

Perspektiven für zusätzliche Indikationen

Nach pharmakologischem Profil und den bisher bekannten klinischen Daten liegen weitere Indikationen für Ivabradin auf der Hand:

  • Herzfrequenz-Senkung bei koronarer Herzkrankheit auch bei Patienten, die keine oder nur minimale Angina pectoris haben
  • Herzfrequenz-Senkung bei koronarer Herzkrankheit mit deutlich eingeschränkter linksventrikulärer Funktion (fehlender negativ inotroper Effekt)
  • Herzfrequenz-Senkung beim akuten Koronarsyndrom bei eingeschränkter linksventrikulärer Funktion

Der günstige Effekt von Beta-Rezeptorenblockern auf die Prognose ist hier bekannt. Es stellt sich die Frage, ob ein ähnlich günstiger Effekt auch durch Ivabradin erreichbar ist, ohne die ungünstigen Effekte der Beta-Rezeptorenblocker in Kauf nehmen zu müssen. Diese Frage ist ungeklärt und Gegenstand laufender Studien. Häufig wird bei Herzinsuffizienz nicht eine ausreichende Herzfrequenz-Senkung durch Beta-Rezeptorenblocker erreicht (z. B. wegen Unverträglichkeit höherer Dosen). Es stellt sich die Frage, ob die Kombinationstherapie eines niedrig dosierten Beta-
Rezeptorenblockers mit Ivabradin eine therapeutische Alternative darstellt.

Ivabradin führt nicht zu einer Verlangsamung der AV-Überleitung und damit nicht zu Herzfrequenz-Reduktion bei Vorhofflimmern. Nach dem Wirkungsmechanismus von Ivabradin ist ebenfalls plausibel, dass Ivabradin nicht zur medikamentösen Kardioversion von Vorhofflimmern eingesetzt werden kann. Ivabradin ist jedoch in der Lage, bei ungeklärter Sinustachykardie die Herzfrequenz merklich zu reduzieren. Hier besteht ein potenzielles Einsatzgebiet, insbesondere für die Patienten, die Beta-Rezeptorenblocker nicht vertragen oder bei denen Kontraindikationen bestehen. Gerade bei den Patienten mit Sinustachykardie und normotensiven Blutdruckwerten ist es wichtig, dass durch Ivabradin im Gegensatz zu Beta-Rezeptorenblocker der Blutdruck nicht gesenkt wird.

Schlussfolgerung

Ivabradin, ein selektiver Hemmstoff des If-Stroms, bietet therapeutische Möglichkeiten bei einer Reihe kardiovaskulärer Krankheitsbilder. Grundsätzlich könnte es Beta-Rezeptorenblocker bei all den Patienten mit koronarer Herzkrankheit und stabiler Angina pectoris ersetzen, bei denen Beta-Rezeptorenblocker kontraindiziert sind oder nicht vertragen werden. Da nach tierexperimentellen und epidemiologischen Daten ein direkter Zusammenhang zwischen der Höhe der Herzfrequenz und der Entwicklung einer koronaren Atherosklerose besteht, ist eine Herzfrequenz-Reduktion bei allen Patienten mit koronarer Herzkrankheit wahrscheinlich sinnvoll. Dies um so mehr, als es wahrscheinlich ist, dass mit Zunahme der Herzfrequenz die Wahrscheinlichkeit der Ruptur atherosklerotischer Plaques steigt.

Auch bei dieser allgemeinen Herzfrequenz-Senkung bei koronarer Herzkrankheit können Beta-Rezeptorenblocker immer dann durch Ivabradin ersetzt werden, wenn sie unverträglich oder kontraindiziert sind.

Indikationsgebiete für Ivabradin, die derzeit in kontrollierten Studien geprüft werden, sind: systolische und diastolische Herzinsuffizienz, koronare Herzkrankheit mit deutlich eingeschränkter linksventrikulärer Funktion sowie die behandlungsbedürftige Sinustachykardie.


Literatur

 

1. Meinertz T, Kasper W, Meier R, Wiegand U, et al. Alinidine in angina. Clin Pharmacol Ther 1983;34:770–6.

2. Meinertz T, Kasper W, Jahnchen E. Alinidine in heart patients: electrophysiologic and antianginal actions. Eur Heart J 1987;8(Suppl L):109–14.

3. Frishman WH, Pepine CJ, Weiss RJ, Baiker WM. Addition of zatebradine, a direct sinus node inhibitor, provides no greater exercise tolerance benefit in patients with angina taking extended-release nifedipine: results of a multicenter, randomized, double-blind, placebo-controlled, parallel-group study. The Zatebradine Study Group. J Am Coll Cardiol 1995;26:305–12.

4. Braun II, Glagolev AN, Grinius LL, Skulachev VP, Chetkauskaite AV. Na+/K+-gradient as a factor stabilizing the energized state of a membrane. Dokl Akad Nauk SSSR;247:971–4.

5. DiFrancesco D, Camm JA. Heart rate lowering by specific and selective If current inhibition with ivabradine: a new therapeutic perspective in cardiovascular disease. Drugs. 2004;64:1757–65.

6. Borer JS, Fox K, Jaillon P, Lerebours G; Ivabradine Investigators Group. Antianginal and antiischemic effects of ivabradine, an If inhibitor, in stable angina: a randomized, double-blind, multicentered, placebo-controlled trial. Circulation 2003;107:817–23.

7. Borer JS. Drug insight: If inhibitors as specific heart-rate-reducing agents. Nat Clin Pract Cardiovasc Med 2004;1:103–9.

8. Manz M, Reuter M, Lauck G, Omran H, Jung W. A single intravenous dose of ivabradine, a novel If inhibitor, lowers heart rate but does not depress left ventricular function in patients with left ventricular dysfunction. Cardiology 2003;100:149–55.

9. Colin P, Ghaleh B, Hittinger L, Monnet X, Slama M, et al. Differential effects of heart rate reduction and beta-blockade on left ventricular relaxation during exercise. Am J Physiol Heart Circ Physiol 2002;282:H672–9.

10. Bucchi A, Baruscotti M, DiFrancesco D. Current-dependent block of rabbit sino-atrial node If channels by ivabradine. J Gen Physiol 2002;120:1–13.

11. Tardif JC, Ford I, Tendera M, Bourassa MG, Fox K; INITIATIVE Investigators. Efficacy of ivabradine, a new selective If inhibitor, compared with atenolol in patients with chronic stable angina. Eur Heart J 2005;26:
2529–36.

12. Fachinformation Ivabradin (Procoralan®), Stand Oktober 2005.



Prof. Dr. med. Thomas Meinertz, Direktor der Klinik und Poliklinik für Kardiologie/Angiologie, Universitäres Herzzentrum Hamburg gGmbH, Martinistraße 52, 20246 Hamburg, E-Mail: meinertz@uke.uni-hamburg.de

Abb. 1. Selektive und spezifische If-Kanal-Hemmung mit Ivabradin [nach 5, 10]

Tab. 1. Pharmakokinetische Parameter von Ivabradin [nach 12]

Mittlere absolute orale Bioverfügbarkeit

Etwa 40 %

Mittlere maximale Gesamt-Plasmakonzentration

22 ng/ml (chronische Einnahme der empfohlenen Dosis von 5 mg zweimal täglich)

Plasmaeiweißbindung

Etwa 70 %

Verteilungsvolumen

Etwa 100 l

Metaboliten

Aktiver Hauptmetabolit: N-demethyliertes Ivabradin-Derivat

Eliminationshalbwertszeit

11 h (effektive Halbwertszeit; Haupthalbwertszeit im Plasma: 2 h)

Abb. 2. Verlängerung der totalen Belastungsdauer mit Ivabradin vs. Atenolol [nach 11]

Abb. 3. Antianginöse und antiischämische Wirksamkeit von Ivabradin vs. Atenolol
[nach 11]

Ivabradine. Heart rate reduction by inhibition of the If current

Ivabradine (Procoralan®) reduces heart rate by inhibition of the If current. The drug represents a new therapeutic option for different cardiovascular diseases.

At present – according to clinical data and approval – ivabradine is indicated for the treatment of coronary heart disease and stable angina pectoris in patients with contraindications for treatment with beta-blocker or patients, who do not tolerate this treatment.

Keywords: Ivabradine, heart rate reduction, If current

Arzneimitteltherapie 2006; 24(09)