Dr. Barbara Kreutzkamp, München
Hintergrund
Bei Patienten mit Herzinfarkt mit persistierenden ST-Hebungen ist die primäre perkutane Koronarintervention (PCI) einer fibrinolytischen Therapie überlegen, wenn sie zu einem frühen Zeitpunkt nach Symptombeginn erfolgt. Entsprechend empfehlen beispielsweise US-amerikanische und europäische Leitlinien eine primäre PCI innerhalb von 90 Minuten nach Auftreten der Symptome. In randomisierten Studien mag ein solches Zeitfenster erreichbar sein, in der täglichen Praxis vergeht aber doch erheblich mehr Zeit, bis die Behandlung begonnen werden kann, ein Zeitverlust von etwa drei Stunden zwischen dem Eintreffen in einem Krankenhaus und dem Aufblasen des ersten Ballons in der betroffenen Arterie an einem spezialisierten Zentrum scheint Studien zufolge realistisch. Zu diesem Zeitpunkt erreicht man aber auch mit der Fibrinolyse vergleichbare Ergebnisse. Hinweise, dass die Ergebnisse der PCI weiter verbessert werden können, wenn der Eingriff an einem schon eröffneten Gefäß durchgeführt wird, lieferten einen zusätzlichen Grund für die Erprobung der Fibrinolyse-gestützen PCI.
Fragestellung
In der ASSENT-4-PCI-Studie (Assessment of the safety and efficacy of a new treatment strategy with percutaneous coronary intervention) wurde untersucht, ob bei Patienten mit einem großen Myokardinfarkt die Gabe des Fibrinolytikums Tenecteplase (Metalyse) vor einer verspäteten PCI den negativen Effekt der Verspätung verringern kann.
In der randomisierten Studie wurden Patienten mit einem Myokardinfarkt mit ST-Hebung (STEMI) und einem Symptombeginn innerhalb der letzten sechs Stunden einer Standard-PCI (n = 838) oder einer PCI nach vorheriger Gabe einer therapeutischen Dosis von Tenecteplase (n = 829) zugewiesen. Die primäre PCI fand in der Regel mit einer Verzögerung von ein bis drei Stunden statt. Alle Patienten erhielten zusätzlich Acetylsalicylsäure und unfraktioniertes Heparin. Primärer kombinierter Endpunkt war Tod, Herzinsuffizienz oder Schock innerhalb von 90 Tagen.
Studienverlauf
Die Studie, an der ursprünglich 4 000 Patienten teilnehmen sollten, wurde vorzeitig beendet, nachdem die zwischenzeitlich ausgewerteten Daten eine höhere stationäre Sterblichkeit bei Patienten mit der gestützten PCI im Vergleich zu Patienten mit primärer PCI zeigten (6 % [43 von 664] vs. 3 % [22 von 656], p = 0,0105). Von den bis dahin behandelten Patienten konnten sechs aus der gestützten PCI-Gruppe und sieben aus der primären Gruppe nicht mehr weiterverfolgt werden.
Die Zeit zwischen Randomisierung und der ersten Ballondilatation war in beiden Gruppen vergleichbar. Die mediane Zeitspanne zwischen der Gabe des Tenecteplase-Bolus und der Ballondilatation betrug 104 Minuten.
Studienergebnisse
Der primäre Endpunkt, Tod, Herzinsuffizienz oder Schock innerhalb von 90 Tagen, trat bei 19 % (151 von 810) der Patienten aus der Gruppe mit Fibrinolyse plus PCI und 13 % (110 von 819) der Patienten unter der primären PCI auf (relatives Risiko 1,39, p = 0,0045). Während des Krankenhausaufenthalts erlitten die Fibrinolyse-gestützt PCI-behandelten Patienten außerdem signifikant mehr Schlaganfälle (1,8 % vs. 0%, p < 0,0001), bei nicht-zerebralen anderen schweren Blutungskomplikationen bestand zwischen den beiden Gruppen kein Unterschied (6 % vs. 4 %, p = 0,3118). Auch fanden sich bei den Patienten mit der gestützten PCI mehr ischämische Herzkomplikationen wie Reinfarkt (6 % vs. 4 %, p = 0,0279) oder wiederholte Revaskularisation (7 % vs. 3 %, p = 0,0041) innerhalb von 90 Tagen.
Fazit und Diskussion
Die gestützte PCI bestehend aus der Gabe eines Tenecteplase-Bolus in voller therapeutischer Dosierung zusammen mit einer antithrombotischen Komedikation und einer nach ein bis drei Stunden durchgeführten PCI ist im Vergleich mit einer primären PCI mit einem signifikant häufigeren Auftreten von schwerwiegenden Nebenwirkungen behaftet und kann bei Patienten mit einem Myokardinfarkt und ST-Hebung nicht empfohlen werden. Die negativen Effekte in der kombiniert behandelten Gruppe überwogen, obwohl bei diesen Patienten vor der PCI durch die Fibrinolyse höhere TIMI-Flussraten in der betroffenen Arterie erreicht werden konnten. Die hier gefundenen Ergebnisse stehen in Übereinstimmung mit den Ergebnissen anderer klinischer Studien, in denen ebenfalls keine überzeugende Überlegenheit einer Lyse vor PCI im Vergleich zur primären PCI erzielt werden konnte.
Zu den schlechten Ergebnissen beigetragen hat möglicherweise die nur suboptimale antithrombotische Begleitmedikation in der gestützten PCI-Gruppe. Ob die Strategie einer Fibrinolyse-gestützen PCI zu besseren Resultaten führt, wenn die Begleitmedikation verbessert wird, zum Beispiel durch eine im Voraus gegebene Loading-Dose eines Thienopyridins und eine verbesserte antithrombotische Komedikation, ist nicht bekannt und könnte sich gegebenenfalls als Fragestellung für eine neue Studie anbieten.
Quelle
Assessment of the Safety and Efficacy of a New Treatment Strategy with Percutaneous Coronary Intervention (ASSENT-4PCI) investigators. Primary versus tenecteplase-facilitated percutaneous coronary intervention in patients with ST-segment elevation acute myocardial infarction (ASSENT-4 PCI): randomised trial. Lancet 2006;367:569–78.
Arzneimitteltherapie 2006; 24(09)