Nierenzellkarzinom

Neue Therapieoption mit Sorafenib


Veröffentlicht am: 28.11.2019

Bettina Martini, Stuttgart, Ihre AMT-Redaktion

Sorafenib ist ein oral verfügbarer Multikinase-Hemmer, der Proliferation und Angiogenese hemmt. Am weitesten fortgeschritten ist die klinische Entwicklung bei der Indikation Nierenzellkarzinom. Studiendaten und Wirkungsmechanismus wurden auf einem Satellitensymposium der Firma Bayer beim 27. Deutschen Krebskongress im März 2006 in Berlin und bei einer Pressekonferenz im Juli 2006 in Köln präsentiert.

Das Nierenzellkarzinom macht 2 % aller Krebsarten in Deutschland aus. Die Ursachen des Nierenzellkarzinoms sind nicht vollständig geklärt. Der wichtigste Risikofaktor ist das Von-Hippel-Lindau-Syndrom. Es gibt Belege dafür, dass über 50 % der Nierenkarzinom-Patienten im Von-Hippel-Lindau-Gen (VHL-Gen) Mutationen aufweisen. Das Von-Hippel-Lindau-Syndrom ist eine autosomal-dominante Erbkrankheit, die durch eine Mutation des Chromosoms 3p gekennzeichnet ist. Ein hohes Risiko tragen außerdem Dauerdialysepatienten. Die Wahrscheinlichkeit für Nierenzellkrebs beträgt nach mehrjähriger Dialyse 6 %.

Die mittlere Überlebenszeit beim metastasierten Nierenzellkarzinom liegt bei etwa zehn Monaten. Nierenzellkrebs spricht vergleichsweise schlecht auf Hormon- oder Chemotherapien an. Beim metastasierten Tumor kann die Entfernung des Primärtumors einen rein palliativen Charakter haben oder in einem kombiniert chirurgisch-systemischen Behandlungskonzept gesehen werden. Anschließend kann eine Immuntherapie durchgeführt werden. Mit Interleukin-2- und Interferon-alfa-gestützten Behandlungsregimen konnten in Studien bei bis zu 30 % der metastasierten Patienten objektive Remissionen erzielt werden. In diesen Fällen kann es auch zu einer Überlebensverlängerung kommen.

Seit Dezember 2005 ist Sorafenib (Nexavar®) in den USA und seit Ende Juli 2006 in der EU zur Therapie des fortgeschrittenen Nierenzellkarzinoms nach Versagen einer Zytokin-Therapie oder als First-Line-Therapie bei Patienten, die für eine Zytokin-Therapie nicht geeignet sind, zugelassen.

Sorafenib ist ein oral verfügbarer so genannter Multikinase-Hemmer (Abb. 1). Als Hauptzielstruktur für Sorafenib wurde zunächst die RAF-Kinase, eine Serin-Threonin-Kinase, angesehen, eine Hemmung unterdrückt die Zellteilung. Somit ist Sorafenib ein Proliferationshemmer (Abb. 2a). Außerdem hat man beobachtet, dass Sorafenib auch die Wachstumsfaktor-Rezeptoren VEGF-R-2 und -3 (vascular endothelial growth factor receptor) hemmt, diese spielen vor allem bei der Bildung neuer Blutgefäße eine wichtige Rolle. Somit ist Sorafenib auch ein Angiogenesehemmer (Abb. 2b). Daneben werden auch die c-KIT-Tyrosinkinase, PDGF-R-β (platelet-derived growth factor receptor) und FLT-3 (FMS-like tyrosine kinase 3) durch Sorafenib gehemmt.

In einer Phase-III-Studie wurde Sorafenib bei 905 Patienten mit fortgeschrittenem Nierenzellkarzinom, bei denen nach einer systemischen Therapie die Erkrankung erneut fortgeschritten ist, untersucht. Die Patienten bekamen randomisiert entweder Sorafenib 400 mg zweimal täglich oder Plazebo bei bestmöglicher unterstützender Behandlung. Nach einer vorläufigen Analyse des progressionsfreien Überlebens wurde das Protokoll geändert, um Patienten den Wechsel von Plazebo zu Sorafenib zu ermöglichen. Zu diesem Zeitpunkt betrug das mediane Überleben in der Plazebo-Gruppe 14,7 Monate und war in der Sorafenib-Gruppe noch nicht erreicht.

Eine Analyse sechs Monate nach dem „crossover“ ergab ein medianes Überleben von 19,3 Monaten mit Sorafenib im Vergleich zu 15,9 Monaten mit Plazebo (Hazard-Ratio = 0,77, p = 0,015). Außerdem hatten die Patienten in der Sorafenib-Gruppe ein signifikant längeres progressionsfreies Überleben (24 Wochen versus 12 Wochen, p < 0,00001).

Die Ansprechrate war mit weniger als 1 % komplettem und etwa 10 % partiellem Ansprechen zwar eher gering, der Nutzen gegenüber Plazebo scheint insbesondere darauf zu beruhen, dass die Erkrankung stabilisiert wird (74 % in der Sorafenib-Gruppe gegenüber 53 % in der Plazebo-Gruppe).

Häufige unerwünschte Wirkungen von Sorafenib sind arterielle Hypertension, Diarrhö und Hand-Fuß-Syndrom, die hämatologische Toxizität ist gering (Tab. 1).

Weitere Studien mit Sorafenib in der First-Line-Therapie und in Kombination mit Interferon oder Bevacizumab werden durchgeführt. Außerdem wird der Multikinase-Hemmer in der adjuvanten Therapie untersucht.

Auch bei anderen Tumorarten wird die Substanz in Studien eingesetzt, zum Beispiel bei nichtkleinzelligem Lungenkarzinom, hepatozellulärem Karzinom und malignem Melanom.

Quellen

Prof. Dr. Christoph Huber, Mainz, Prof. Dr. Kurt Miller, Berlin, Prof. Dr. Bernhard Escudier, Villejuif Cedex, Frankreich, Prof. Dr. Martin Gore, Villejuif Cedex, Frankreich, Prof. Dr. Axel-Rainer Hanauske, Hamburg, Prof. Dr. Paolo Pucci, West Haven, USA, Prof. Dr. Walter Stadler, Chicago, USA. Satellitensymposium „Multi-targeted Drugs vs. Multi-drug Targeting“, veranstaltet von Bayer HealthCare im Rahmen des 27. Deutschen Krebskongresses, Berlin, 24. März 2006.

Priv.-Doz. Dr. Dirk Strumberg, Herne, Priv.-Doz. Dr. Detlef Rohde, Darmstadt, Dr. Antonis Tsamaloukas, Hilden, Dr. Erich Enghofer, Leverkusen, Dr. Dimitris Voliotis, Wuppertal. Presse-Workshop „Neue Entwicklungen in der Therapie des Nierenzellkarzinoms“, Köln, 6. Juli 2006, veranstaltet von Bayer HealthCare AG.

Escudier B, et al. Randomized phase III trial of the Raf kinase and VEGFR inhibitor sorafenib (BAY 43-9006) in patients with advanced renal cell carcinoma (RCC) [Abstract No. 4510]. ASCO 2005.

Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften. Interdisziplinäre Leitlinie der Deutschen Krebsgesellschaft und der Deutschen Gesellschaft für Urologie: Nierenzellkarzinom. AWMF online www.uni-duesseldorf.de/AWMF, zugegriffen am 11. April 2006.

Abb. 1. Sorafenib

Abb. 2. Dualer Wirkungsmechanismus von Sorafenib: Proliferationshemmung und Angiogenesehemmung (Zielstrukturen: u. a. RAF-Kinase, VEGF-R, PDGF-R-β)
VEGF = Vascular endothelial growth factor; VEGF-R = Vascular endothelial growth factor receptor
PDGF = Platelet-derived growth factor; PDGF-R = Platelet-derived growth factor receptor
MEK = MAPK/ERK-Kinase (MAPK = mitogen-activated protein kinase)
ERK = Extracellular regulated kinase
PI3K = Phosphoinositide-3 kinase
PLC = Phospholipase C

Tab. 1. Unerwünschte Wirkungen von Sorafenib im Vergleich zu Plazebo bei Patienten mit fortgeschrittenem Nierenkrebs

Sorafenib (n = 451)

Plazebo (n = 451)

Alle Schweregrade

Grad 3/4

Alle Schweregrade

Grad 3/4

Hypertonie

17 %

4 %

2 %

< 1 %

Diarrhö

43 %

2 %

13 %

1 %

Hand-Fuß-Syndrom

30 %

6 %

7 %

0 %

Verringerter Hämoglobin-Wert

8 %

3 %

7 %

4 %

Fatigue

37 %

5 %

28 %

4 %

Dieser Beitrag stand bereits im Augustheft der „Arzneimitteltherapie“ (Seite 298–9), aufgrund eines technischen Fehlers aber leider in einer unfertigen Version. Wir bitten dafür um Entschuldigung und drucken hier den Beitrag nochmals, jetzt in der Fassung, wie Sie ihn schon vor einem Monat hätten lesen sollen.

Arzneimitteltherapie 2006; 24(09)