Thomas Rotthoff und Werner A. Scherbaum, Düsseldorf
Tab. 1. Sympathomimetika für die Kurzzeittherapie zur Gewichtsreduktion
Arzneistoffe |
Handelspräparate |
Cathin |
Antiadipositum X 112 T® |
Phenylpropanolamin |
Boxogetten® S-vencipon, Recatol® mono |
Amfepramon |
Regenon®, Tenuate® Retard |
Kombinationspräparate |
Antiadipositum Riemser |
Die zunehmende Prävalenz der Adipositas mit ihren zahlreichen Risikofaktoren und Begleiterkrankungen stellt eine therapeutische Herausforderung dar. Viele konservative Therapien zeigen langfristig nur geringen Erfolg, weshalb der Bedarf nach medikamentösen Therapieoptionen zunimmt. In der nachfolgenden Übersicht werden neben den für die Adipositas-Therapie zugelassenen Arzneistoffen auch andere Wirkstoffe mit Einfluss auf das Gewicht sowie die Perspektiven neuer therapeutischer Konzepte dargestellt und diskutiert.
Kurzzeittherapie
Die für die Kurzzeittherapie zur Gewichtsreduktion zugelassenen zentral wirkenden Sympathomimetika (Tab. 1) beeinflussen die Steuerung von Appetit und Sättigung. Sie wirken am Zentralnervensystem, indem sie aus extragranulären Speichern adrenerger Neuronen im Gehirn Noradrenalin und Dopamin freisetzen. Es existieren nur wenige kleinere Studien zu Amfepramon und Phenylpropanolamin. Der Einsatz dieser Substanzen ist nur für eine kurze, vier- bis sechswöchige Behandlung zugelassen und damit für die notwendigerweise langfristige Adipositas-Therapie ohne Bedeutung. Da keine Sicherheitsgrundlage für eine längerfristige Therapie existiert, ist vom Einsatz dieser Wirkstoffe in der Adipositas-Therapie abzuraten. In Leitlinien zur Adipositas-Behandlung finden sie keine Berücksichtigung.
Langzeittherapie
Sibutramin und Orlistat waren bislang die einzigen für eine Langzeittherapie der Adipositas zugelassenen Substanzen.
Am 21. Juni 2006 erhielt Rimonabant von der europäischen Arzneimittelbehörde die Zulassung zur Behandlung der Adipositas; derzeit liegen Daten zur Wirksamkeit und Verträglichkeit des Arzneistoffs über einen Zeitraum von zwei Jahren vor.
Sibutramin
Sibutramin (Reductil®) ist für die Behandlung des ernährungsbedingten Übergewichts im Rahmen eines umfassenden Behandlungskonzepts vorgesehen. Das Arzneimittel wurde hierfür im Januar 1999 zugelassen. Die aktuellen Indikationen sind ein Körpermassenindex (BMI) ≥ 30 kg/m2 sowie ein BMI≥27kg/m2 mit Adipositas-bedingten Risikofaktoren wie Diabetes mellitus Typ 2 oder Dyslipidämie.
Wirkungsprinzip und Effekte
Sibutramin ist ein Inhibitor der zentralen Wiederaufnahme von Noradrenalin und Serotonin sowie ein schwacher Inhibitor für die Dopamin-Wiederaufnahme, wobei die Hauptwirkung zur Gewichtsreduktion der indirekt noradrenergen Wirkung zugeschrieben wird [1]. Zugelassen ist der Wirkstoff zur Gewichtsreduktion und deren Erhaltung im Zusammenhang mit einer kalorienreduzierten Ernährung. Sibutramin wird in einer Dosis von 10 bis 15 mg einmal täglich verabreicht. Sollte unter einer Dosierung mit 10 mg/d ein nur unzureichender Gewichtsverlust erfolgen, wird empfohlen, die Dosis bei guter Verträglichkeit auf 15 mg/d zu steigern.
Die Ergebnisse mehrerer systematischer Übersichtsarbeiten zu Langzeitstudien mit Sibutramin konnten – bei gleichzeitiger Kalorienreduktion – eine signifikante, wenn auch moderate Gewichtsreduktion im Vergleich zu Plazebo über einen Studienzeitraum von ein bis zwei Jahren belegen [2, 3]. Bei Betrachtung von drei Studien mit einer Mindestlaufzeit von einem Jahr nahmen Patienten mit Sibutramin 4,3 kg (95%-Konfidenzintervall [95%-KI] 3,6–4,9) mehr Gewicht ab als die Patienten der Plazebo-Gruppe. Der BMI konnte, verglichen mit Plazebo, bei den mit Sibutramin behandelten Gruppen um 1,5 kg/m2 reduziert werden. 15 % der Patienten (95%-KI 4–27) erreichten eine Gewichtsreduktion von 10 % des Ausgangsgewichts oder mehr [4–6]. Die Studienteilnehmer waren mehrheitlich Frauen. Der mittlere BMI betrug 33,4 kg/m2, das Durchschnittsalter 47 Jahre.
Im Vergleich zu Lebensstil-Veränderungen ist eine alleinige Sibutramin-Therapie über den Zeitraum eines Jahres weniger erfolgreich: –6,7 kg (± 7,9 kg) versus –5,0 kg (± 7,4 kg). Eine Kombination aus Lebensstil-Veränderungen und Sibutramin war jedoch einer Monotherapie überlegen: –12,1 kg (± 9,8 kg) [7]. In allen Studien schränkt ein hoher Anteil von Patienten, die aus der Studie ausgeschieden sind, die Aussagefähigkeit ein (siehe auch Kasten).
Bei Typ-2-Diabetikern konnte mit Sibutramin innerhalb einer 12- bis 52-wöchigen Nachbeobachtungszeit eine Gewichtsreduktion von 5,1 kg (95%-KI 3,2–7,0) gegenüber Plazebo gezeigt werden [8].
Therapiekosten
Die Jahrestherapiekosten betragen entsprechend der in den Studien angegebenen Dosierung von 10 bis 15 mg täglich etwa 430 Euro (Dosis 15 mg Sibutramin täglich; Stand August 2006). Das Präparat ist verschreibungspflichtig und wird nicht von der GKV erstattet.
Nebenwirkungen
Im deutschen Spontanerfassungssystem für unerwünschte Wirkungen, einer gemeinsamen Datenbank der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) und des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), sind seit der Zulassung 121 Fallberichte mit 467 unerwünschten Wirkungen dokumentiert [9]. Die meisten unerwünschten Wirkungen beziehen sich auf das zentrale, periphere und vegetative Nervensystem (Kopfschmerzen, Schwindel, Tachykardie, trockener Mund und Hypertonie) und psychiatrische Störungen (Schlafstörungen, Nervosität, Angst).
Nebenwirkungen für das Myo-, Endo-, Perikard und die Herzklappen haben einen relativen Anteil von 11% an den Meldungen. Diesen Nebenwirkungen wurde eine vermehrte Aufmerksamkeit gewidmet, da zuvor eingesetzte Appetitzügler, wie Dexfenfluramin und Fenfluramin, wegen gehäufter Berichte von pulmonaler Hypertonie und Herzklappenveränderungen vom Markt genommen werden mussten. Bisher liegen für Sibutramin keine Meldungen über pulmonale Hypertonie oder Herzklappenveränderungen vor. In einer sechsmonatigen Studie konnte bei der Einnahme von Sibutramin keine erhöhte Inzidenz von Herzklappenveränderungen nachgewiesen werden [10]. In allen Langzeitstudien wurde bei der Therapie mit Sibutramin ein im Vergleich zu Plazebo statistisch signifikanter, wenngleich moderater Blutdruckanstieg (systolisch um 1,9 mm Hg, 95%-KI 0,2–3,6 bzw. diastolisch um 1–4 mm Hg) sowie ein statistisch signifikanter Anstieg der Herzfrequenz gezeigt [4, 6, 11, 2].
Obwohl in den randomisierten Studien keine schwerwiegende Nebenwirkung berichtet wurde, lag die obere Grenze des Konfidenzintervalls für unerwünschte Wirkungen bezogen auf alle Patienten, die Sibutramin bekamen, bei 0,15 %. Die Anzahl schwerwiegender Nebenwirkungen könnte somit mit 1,5 auf 1 000 Fälle geschätzt werden [12].
In der Kritik
Seit seiner Zulassung geriet Sibutramin (Reductil® bzw. Meridia® in den USA) immer wieder in der Nutzen/Risiko-Abwägung in die öffentliche Kritik. Wiederholt wurden Forderungen nach einer Marktrücknahme laut. In Europa wurde das Präparat in Italien vorübergehend vom Markt genommen und darf dort jetzt nur von Kardiologen, Endokrinologen und Internisten verordnet werden [13].
Die Entscheidung des italienischen Gesundheitsministeriums veranlasste auch die europäische Arzneimittelbehörde EMEA und das BfArM, zusammen mit anderen Mitgliedsstaaten der EU eine erneute Bewertung des Arzneimittels Reductil® vorzunehmen [14]. Im Rahmen eines Begutachtungsverfahrens bei der EMEA verpflichtete sich die Firma, eine Studie zur Beurteilung des Einflusses von Sibutramin auf das kardiovaskuläre Risiko durchzuführen [15].
Diese wurde als SCOUT-Studie initiiert (Sibutramin cardiovascular morbidity/mortality outcome study in overweight or obese subjects at risc of a cardiovascular event); Studienteilnehmer sind übergewichtige und adipöse, kardiovaskuläre Risikopatienten, die 55 Jahre oder älter sind, das heißt, Patienten mit einem BMI zwischen 27 und 45 kg/m2, einem Diabetes mellitus Typ 2 sowie entweder koronarer Herzerkrankung (KHK) oder peripher arterieller Verschlusskrankheit (pAVK) > IIa, oder Patienten, die bereits einen Herzinfarkt oder Schlaganfall erlitten haben. Untersucht wird die langfristige Sicherheit und Wirksamkeit von Sibutramin versus Plazebo beim Körpergewichtsmanagement dieser Patienten. Die Studie soll fünf Jahre dauern. Die Ergebnisse dieser Langzeitstudie mit Sibutramin werden erstmalig zeigen können, ob Sibutramin einen Effekt auf klinisch relevante Endpunkte hat.
Orlistat
Orlistat (Xenical®) ist seit dem Ende der 90er Jahre auf dem Markt und ist in Verbindung mit einer leicht hypokalorischen Kost zur Behandlung von Patienten mit Adipositas und Übergewicht ab einem BMI≥28kg/m2 mit begleitenden Risikofaktoren zugelassen.
Wirkungsprinzip und Effekte
Orlistat ist ein Derivat des Lipstatins, einem natürlich vorkommenden Lipaseinhibitor, der von Streptomyces toxytricini produziert wird. Orlistat bindet an die gastrointestinale Lipase im Lumen des Dünndarms. Dadurch wird die Hydrolyse von Triglyceriden, die mit der Nahrung aufgenommen werden, verhindert.
Patienten, die 120 mg Orlistat mit einer Mahlzeit einnehmen, scheiden annähernd ein Drittel des mit der Nahrung zugeführten Fetts wieder aus. Dadurch vermindert sich die Fett- und Kalorienaufnahme [16].
Für Orlistat liegen randomisierte Langzeitstudien für größere Patientenzahlen vor. Aus einer Metaanalyse [2] von 11 Studien mit einer Nachbeobachtungszeit von mindestens einem Jahr ergibt sich eine zusätzliche Gewichtsreduktion von 2,7 kg (95%-KI 2,3–3,1) gegenüber Plazebo. Während der Phase des Gewichtserhalts – nach erfolgter Gewichtsreduktion – nahmen alle Patienten wieder zu, wobei der Effekt bei der Gabe von Orlistat im Vergleich mit Plazebo um 7 bis 22 % niedriger lag.
Erste Erfahrungen aus einer 54-wöchigen, randomisiert kontrollierten Studie liegen nun auch für Jugendliche vor. Hier konnte eine Reduktion des BMI um 0,55 kg/m2 bei der Therapie mit Orlistat und eine Zunahme von 0,31 kg/m2 bei der Gabe von Plazebo gezeigt werden [17]. In der längsten Follow-up-Studie (XENDOS, Xenical in the prevention of diabetes in obese subjects) konnte eine geringe, aber signifikante Gewichtsreduktion nach vier Jahren gegenüber Plazebo nachgewiesen werden [18]. Trotz der geringen Gewichtsreduktion lag die Inzidenz eines Diabetes mellitus Typ 2 hier niedriger als in der Plazebo-Gruppe.
Nebenwirkungen
In der gemeinsamen Datenbank von AkdÄ und BfArM sind seit der Zulassung 148 Fallberichte mit 487 unerwünschten Wirkungen dokumentiert [9]. Die meisten unerwünschten Wirkungen beziehen sich auf den Verdauungstrakt (schmerzhaftes Abdomen, Pankreatitis, Übelkeit) und Leber- und Gallenveränderungen (Erhöhung der Leberenzyme, Hepatitis). Fettstühle haben unter den Nebenwirkungen einen Anteil von bis zu 50 % [17].
Therapiekosten
Die Therapiekosten betragen entsprechend der in den Studien angegebenen Dosierung von 120 mg dreimal täglich (bzw. zu jeder Hauptmahlzeit) etwa 1 200 Euro (N3) für ein Jahr (Stand August 2006).
Über eine Kombinationstherapie von Sibutramin und Orlistat liegen kaum publizierte Daten vor. Insgesamt scheint die Wirkung von Sibutramin auf die Gewichtsreduktion größer zu sein als die von Orlistat.
Rimonabant
Rimonabant (Acomplia®) ist ein selektiver Cannabinoid-Rezeptor-1(CB1)-Antagonist.
Das endocannabinoide System trägt zur physiologischen Regulation der Energiebalance, Nahrungszufuhr sowie zum Lipid- und Glucosemetabolismus über zentrale und periphere metabolische Effekte bei. Die CB1-Rezeptoren sind in mehreren Hirnregionen und verschiedenen peripheren Geweben einschließlich Fettgewebe, Gastrointestinaltrakt, Hypophyse, Nebenniere und sympathischen Ganglien, aber auch im Bereich von Herz, Lunge, Leber und Harnblase nachweisbar. In Tiermodellen ist das endocannabinoide System bei übermäßiger Nahrungszufuhr überaktiviert, sodass durch eine entsprechende Blockierung des Systems die Nahrungszufuhr verringert werden kann.
Mittlerweile liegen Ergebnisse von Phase-III-Studien mit mehr als 3 000 Patienten für eine Dauer von maximal zwei Jahren vor, die eine Gewichtsreduktion belegen: Die RIO-Lipids [23], RIO-Europe [24] und die kürzliche publizierte RIO-North-America-Studie [25]. Alle drei Studien zeigen für Rimonabant nach einem Jahr eine signifikante Gewichtsreduktion gegenüber Plazebo (Tab. 2).
In die RIO-North-America-Studie wurden Patienten mit einem BMI > 27 kg/m2
mit behandelter oder unbehandelter Hypertonie oder Dyslipoproteinämie eingeschlossen und randomisiert drei Therapiearmen (5 bzw. 20 mg Rimonabant oder Plazebo) zugewiesen. Der Anteil der Patienten, die nach einem Jahr mehr als 10 % ihres Gewichts reduzieren konnten, lag in der Plazebo-Gruppe bei 9 %, mit 5 mg Rimonabant bei 11 % und mit 20 mg Rimonabant bei 25 %. Anschließend wurden die Patienten, die 20 mg Rimonabant erhalten hatten, erneut randomisiert und für ein weiteres Jahr einer Rimonabant- oder Plazebo-Therapie zugeführt. Mit der Einnahme von Rimonabant konnte das Gewicht beibehalten werden, wohingegen die Patienten mit neuer Plazebo-Therapie weitestgehend wieder zunahmen.
In der RIO-Lipids-Studie wurden Patienten mit einer unbehandelten Dyslipoproteinämie eingeschlossen, Patienten mit Diabetes mellitus waren jedoch ausgeschlossen. Nach einem Jahr konnte eine Zunahme von HDL-Cholesterol sowie eine Abnahme des Bauchumfangs und der Triglyceride nachgewiesen werden. Auch die anderen Studien zeigen einen positiven Einfluss auf kardiometabolische Risikofaktoren.
Ein wesentlicher Kritikpunkt an allen Studien sind die hohen Abbrecherquoten (Tab. 2). Für die Auswertung der Daten wurde für Patienten, bei denen keine Gewichtserhebung nach einem Jahr möglich war, der zuletzt gemessene Wert für die Auswertung herangezogen. Dieses Vorgehen ist insofern problematisch, als es auf der wenig realistischen Annahme beruht, dass sich das Gewicht nach der letzten Messung nicht mehr verändert. Aus anderen Adipositas-Studien ist jedoch bekannt, dass es nach Beendigung einer Adipositas-Therapie häufig zu einer erneuten Gewichtszunahme kommt. Wegen des neuen Therapiekonzepts liegen zwangsläufig nur Studienergebnisse mit Surrogatmesswerten vor.
In den bisher durchgeführten Studien wird die Substanz als gut verträglich beschrieben. Zu den häufigeren Nebenwirkungen können Kopfschmerzen und Übelkeit gerechnet werden. Psychiatrische Störungen (Depression, Angststörungen, Agitiertheit, Schlafstörungen) führten bei 7 % der Patienten unter 20 mg Rimonabant zu einem Therapieabbruch.
Arzneistoffe mit gewichtssenkendem Effekt
Mehrere Substanzen, häufig mit neurologischer oder psychiatrischer Behandlungsindikation, haben als Nebenwirkung eine Gewichtsabnahme zur Folge. Aufgrund dieser Beobachtung wurden Studien zur Adipositas-Behandlung durchgeführt.
Für den selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer Fluoxetin (z. B. Fluctin®), der auch bei Ess-Störungen wie der Bulimie eingesetzt wird, wurde in kürzeren und kleinen Studien eine Gewichtsreduktion im Vergleich zu Plazebo beschrieben [19]. In einem Zeitraum von 24 bis 26 Wochen konnte eine Gewichtsreduktion von 5,1 kg (95%-KI 3,3–6,9) nachgewiesen werden [8], allerdings hat sich die Wirkung nicht als nachhaltig erwiesen [20]. Das Präparat ist für die Adipositas-Therapie bei uns nicht zugelassen.
Bupropion (Zyban®) wird unterstützend bei der Raucherentwöhnung nicotinabhängiger Patienten eingesetzt und ist in anderen Ländern auch als Antidepressivum zugelassen. Zur Behandlung der Adipositas ist der Arzneistoff nicht zugelassen. In kleineren kontrollierten Studien konnte jedoch ein moderater Effekt auf das Körpergewicht dokumentiert werden, der sich über acht Wochen bei 50 adipösen Frauen, die täglich 1 600 kcal zu sich nahmen, im Bereich von 4,9 ± 3,4 % zu 1,3 ± 2,4 % bewegte [21]. Die Laufzeit der Studien betrug maximal 48 Wochen [22]. Problematisch ist das Nebenwirkungsprofil mit hauptsächlich psychiatrischen Nebenwirkungen und Meldungen über Suizidversuche.
Potenzielle neue Therapieansätze
Axokine
In Studien zur amyotrophen Lateralsklerose (ALS) konnte gezeigt werden, dass der ziliare neurotrophische Faktor (CNTF) als ein endogener neuroprotektiver Faktor in Schwann-Zellen und Astrozyten wirkt und die Progression der Erkrankung aufzuhalten vermag. Dabei zeigte sich als Nebenwirkung eine verstärkte Gewichtsreduktion dieser primär nicht adipösen Patienten.
Mitterweile ist bekannt, dass CNTF und das die Sättigung regulierende Hormon Leptin bei der intrazellulären Signalverarbeitung zueinander in Beziehung stehen und Einfluss auf die Nahrungsaufnahme und das Körpergewicht haben.
Mit einem gentechnisch hergestellten, rekombinanten und höher potenten CNTF wurde eine 12-wöchige Dosisfindungsstudie mit 173 adipösen Patienten durchgeführt, in der eine größere Gewichtsreduktion gegenüber Plazebo nachgewiesen werden konnte [26]. Die Substanz muss subkutan injiziert werden, wodurch auch die meisten Nebenwirkungen im Bereich der Applikationsstelle mit steigender Dosis resultierten. An einer Applikation in Tablettenform wird gearbeitet. Neben Übelkeit und Husten war die Entwicklung von Antikörpern eine Nebenwirkung.
Antiepileptika: Topiramat und Zonisamid
Die Mechanismen, die zu einer Gewichtsreduktion bei der Therapie mit Topiramat (Topamax®) führen, sind noch unklar, es wird jedoch ein den Appetit-zügelnder Effekt angenommen. Der anorektische Effekt hängt möglicherweise mit der Glutamat-antagonisierenden Wirkung zusammen. In einer doppelblinden, Plazebo-kontrollierten Studie konnte über ein Jahr dosisabhängig ein signifikant größerer Gewichtsverlust gegenüber Plazebo nachgewiesen werden [27], der auch längere Zeit anhielt. Problematisch sind die Nebenwirkungen im Bereich des zentralen und peripheren Nervensystems (Somnolenz, Parästhesien, Störungen des Erinnerungsvermögens und psychiatrische Störungen). Über 90 % der behandelten Patienten klagten über Parästhesien und bei 17 % der Patienten wurde die Therapie wegen zentraler Nebenwirkungen abgebrochen.
Für Zonisamid (Zonegran®) in Kombination mit einer hypokalorischen Ernährung existieren Daten einer doppelblinden, randomisiert kontrollierten Studie über 16 Wochen: Die Gewichtsreduktion lag bei der Gabe von Zonisamid bei 5,9 kg gegenüber 0,9 kg mit Plazebo [28]. Das Nebenwirkungsspektrum wurde aufgrund der Kürze der Studie als gering beschrieben. Bei längerfristiger Einnahme ist mit Nebenwirkungen wie unter einer längerfristigen antiepileptischen Therapie zu rechnen (siehe oben).
Gelten für Medikamente zur Behandlung der Adipositas andere Maßstäbe?
Eine Reduktion Adipositas-assoziierter Begleiterkrankungen und Risikofaktoren ist ohne Zweifel sinnvoll und ein medikamentöser Therapieansatz ist in Anbetracht des zunehmenden Adipositas-Problems hilfreich. Zurzeit fehlen aber für alle verfügbaren medikamentösen Therapien Endpunktstudien, die einen Nutzen der Therapie über die Verbesserung einzelner Surrogatwerte hinaus belegen. Für alle verfügbaren Substanzen kann die Therapiedauer aufgrund der Studienlage und unter Abwägung medikamentöser Nebenwirkungen nur zeitlich limitiert empfohlen werden. Eine zeitliche Limitierung der Therapie erscheint jedoch nur wenig sinnvoll, wenn eine mit Risikofaktoren oder Begleiterkrankungen assoziierte Adipositas als chronische Erkrankung definiert wird. Die meisten Medikamenten-Studien wurden in Kombination mit diätetischen Maßnahmen durchgeführt, wodurch ein größerer Effekt als mit einer alleinigen Pharmakotherapie nachgewiesen werden konnte. Lebensstil-Veränderungen sind einer alleinigen medikamentösen Therapie sogar überlegen [7], jedoch hat auch hier die Kombination mit einem Medikament einen größeren Effekt. Der klinische Alltag zeigt aber auch, wie problematisch und schwierig eine langfristige Ernährungsumstellung und die Steigerung der körperlichen Aktivität für die Patienten sind. Ohne die Umsetzung der diätetischen Maßnahmen ist ein schwächerer Therapieerfolg der gewichtssenkenden Pharmazeutika als in den Studien zu erwarten. Obwohl eine Gewichtsreduktion zu einer Verbesserung kardiovaskulärer Risikofaktoren führt und dadurch eine Reduktion der kardiovaskulären Sterblichkeit und Morbidität anzunehmen ist, wurde dieses bis heute in keiner Studie tatsächlich belegt [32].
Aufgrund des aktuellen Schlankheitsideals besteht für Präparate zur Gewichtsreduktion auch eine erhöhte Missbrauchsgefahr, wenn sie auch von Menschen eingenommen werden, die nur leicht übergewichtig oder gar normalgewichtig und gesund sind [32]. Viele Menschen, die zu einer Einnahme solcher Medikamente neigen, haben oft keine Risikokonstellation für Adipositas-assoziierte Erkrankungen. Daten des 1998 in den USA durchgeführten Behavioral Risk Factor Surveillance System Survey zeigen, dass 30 % der Patienten, die Adipositas-Medikamente einnahmen, einen BMI < 30 kg/m2 hatten und 13,3 % sogar einen BMI < 27 kg/m2 aufwiesen [33].
Trotz des positiven Einflusses auf einzelne Surrogatparameter erscheint der Nutzen der momentan verfügbaren Therapieoptionen insgesamt noch wenig überzeugend. Die Ergebnisse der ersten Endpunktstudien und die Ergebnisse neuer medikamentöser Ansätze werden weiteren Aufschluss bringen.
Pharmacotherapy of obesity
Long-term success in obesity therapy is difficult to obtain, therefore drug therapy appears to be helpful. Until today, end-point studies for obesity drugs beyond the improvement of individual surrogate parameters are still missing. For all available drugs, medical treatment can be recommended only for a limited period of time due to the data of the studies and under consideration of side effects. Although a weight reduction leads to an improvement of cardiovascular risk factors and hence a reduction of cardiovascular morbidity and mortality should be expected, no study could prove this so far. Despite the positive influence on individual surrogate parameters, the use of the present available therapies appears underwhelming. In this overview the approved substances and perspectives of new therapeutic concepts are presented.
Keywords: Rimonabant, sibutramine, orlistat, axokine, topiramate
Literatur
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13. Arzneimitteltelegramm 2002;33:96 und 119.
14. http://www.bfarm.de/de/vigilanz/stufenpl/sibutral.pdf (accessed 28.02.06)
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33. Blanck HM, Khan LK, Serdula MK. Prescription weight loss pill use among Americans. Patterns of pill use and lesions learned from the fen-phen market withdrawal. Prev Med 2004;39:1243–8.
Dr. med. Thomas Rotthoff, Klinik für Endokrinologie, Diabetologie und Rheumatologie, Universitätsklinikum Düsseldorf, Moorenstr. 5, 40552 Düsseldorf, E-Mail: rotthoff@med.uni-duesseldorf.de
Prof. med. Werner A. Scherbaum, Klinik für Endokrinologie, Diabetologie und Rheumatologie, Universitätsklinikum Düsseldorf, Moorenstr. 5, 40552 Düsseldorf, E-Mail: Scherbaum@ddz.uni-duesseldorf.de
Therapiestudien zur Adipositas in der Kritik
Langzeiterfolge in der Adipositas sind schwer zu erzielen und die Abbruchquoten generell hoch. Hiervon sind auch medikamentöse Therapiestudien betroffen, wodurch deren Aussagen eingeschränkt sind [29].
Ein kürzlich im JAMA erschienenes Editorial [30] zum methodischen Vorgehen vieler Medikamenten-Studien bei Adipositas kritisiert die fehlende Intention-to-treat-Analyse der Studien. Eine Metaanalyse von 11 Orlistat- und 3 Sibutramin-Studien mit einer Mindeststudiendauer von einem Jahr fand mittlere Studienausfälle von 33 % bis 43 % [31]. Auch in der jüngst publizierten RIO-North-America-Studie (Rimonabant) wurde bei Studienende nur von der Hälfte aller ursprünglich randomisierten Teilnehmer das Gewicht erhoben.
Zahlreiche Studien zur Gewichtsreduktion, sei es medikamentös, diätetisch oder durch Lebensstil-Änderungen, weisen das größte Ausmaß einer Gewichtsreduktion zu Therapiebeginn auf. Im Lauf der Zeit nehmen die meisten Patienten wieder auf das alte Gewicht oder darüber hinaus zu. Es ist also davon auszugehen, dass es auch bei frühzeitigen Therapie- und Studienabbrechern zu einer nachfolgenden Gewichtszunahme kommt. Den zuletzt erhobenen Wert dieser Patienten für die abschließende Analyse zu verwenden, kann den Therapieerfolg überschätzen.
Tab. 2. Gewichtsreduktion durch Rimonabant versus Plazebo nach einem Jahr: Studienergebnisse im Vergleich (angegeben sind Mittelwert und Standardabweichung)
RIO-Europe |
RIO-Lipids |
RIO-North-America |
||||
Gewichtsveränderung |
Verbliebene Probanden [%] |
Gewichtsveränderung |
Verbliebene Probanden [%] |
Gewichtsveränderung |
Verbliebene Probanden [%] |
|
Rimonabant 5 mg |
–3,4 kg (± 5,7) |
63 |
–4,2 kg (± 5,3) |
64 |
* |
51 |
Rimonabant 20 mg |
–6,6 kg (± 7,2) |
61 |
–8,6 kg (± 6,0) |
60 |
–6,3 kg (± 5,2) |
55 |
Plazebo |
–1,8 kg (± 6,4) |
58 |
–2,3 kg (± 5,6) |
63 |
–1,6 kg (± 3,5) |
51 |
* Für 5 mg Rimonabant fehlt die konkrete Angabe in der Literaturquelle
Arzneimitteltherapie 2006; 24(09)