Bettina Martini, Memmingen
Eine akute Mittelohrentzündung heilt in den meisten Fällen auch spontan ab – ohne Antibiotika-Therapie. Trotzdem wird meist ein Antibiotikum verordnet, um die Erkrankungsdauer zu reduzieren und mögliche Komplikationen zu verhindern.
Nun wurde in einer randomisierten, kontrollierten Studie eine abwartende Strategie untersucht, bei der die Eltern zwar beim ersten Arztbesuch ein Rezept für ein Antibiotikum erhielten, die Therapie aber nur verabreichen sollten, wenn innerhalb von 48 Stunden keine Besserung der Erkrankung eintrat oder es zu einer Verschlechterung kam. Diese abwartende Strategie wurde mit einer sofort beginnenden Antibiotika-Therapie verglichen.
Studiendesign
Randomisiert wurden 284 Kinder im Alter von 6 Monaten und 12 Jahren, die die Notfallambulanz eines Krankenhauses (Yale-New Haven Hospital, New Haven, Connecticut, USA) wegen einer Mittelohrentzündung aufgesucht haben. Alle Patienten oder deren Eltern erhielten ein Rezept über ein Antibiotikum (meist Amoxicillin für eine 10-tägige Therapie). Bei 138 Kindern wurden die Eltern instruiert, nur bei einer Verschlechterung oder nach 48 Stunden, wenn bis dahin keine Besserung eingetreten ist, die Antibiotika-Therapie zu beginnen. Die anderen 145 Patienten sollten unverzüglich mit der Antibiotika-Therapie beginnen.
Zusätzlich bekamen alle Patienten Ibuprofen-Saft und schmerzlindernde Ohrentropfen sowie schriftliche Informationen zur richtigen Dosierung und Anwendung.
Primärer Endpunkt der Studie war der Antibiotika-Verbrauch. Daneben wurden auch Erkrankungsdauer und mögliche unerwünschte Wirkungen der Antibiotika-Therapie erfasst. Dazu wurden die Eltern im weiteren Verlauf dreimal angerufen, 4 bis 6 Tage nach Vorstellung in der Ambulanz, 11 bis 14 und 30 bis 40 Tage danach.
Ergebnisse
Durch die Verordnung mit dem Hinweis, zunächst abzuwarten, konnte der Antibiotika-Verbrauch signifikant reduziert werden. In der Gruppe mit abwartender Strategie lösten 62 % das Rezept über das Antibiotikum nicht ein. In der anderen Gruppe verzichteten 13 % auf das Antibiotikum (p < 0,001).
Häufigkeit und Dauer von Fieber und Ohrenschmerzen unterschieden sich kaum, auch zusätzliche Arztbesuche waren in beiden Gruppen gleich häufig. Die Dauer der Ohrenschmerzen war in der Gruppe mit abwartender Haltung um lediglich 0,4 Tage länger (p = 0,02). In der Gruppe mit „normaler“ Antibiotika-Verordnung trat dagegen signifikant häufiger Durchfall auf (23 % versus 8 %, p < 0,001).
Die häufigsten Symptome, die bei zunächst abwartender Haltung schließlich zum Einsatz des Antibiotikums führten, waren Fieber und Ohrenschmerzen.
Diskussion
Es gilt zwar als belegt, dass eine Antibiotika-Therapie die Erkrankungsdauer bei akuter Mittelohrentzündung reduziert, aber man weiß auch, dass dieser Effekt nicht groß ist. In einer Metaanalyse wurde eine Number-needed-to-treat von 15 bis 17 ermittelt, damit ein Kind wirklich von der Therapie profitiert.
Die vorliegende Studie zeigt, dass eine Verordnung, die erst nach einer gewissen Zeit des Abwartens eingelöst werden soll, den Antibiotika-Verbrauch reduzieren kann. Allerdings war die Studie zu klein, um eine möglicherweise erhöhte Rate seltener Komplikationen einer Otitis media wie Mastoiditis aufzudecken.
Die Studienkriterien schlossen Kinder aus, die als schwer erkrankt eingestuft wurden. Zusätzlich wurden wegen Bedenken der betreuenden Ärzte etwa 133 Kinder nicht in die Studie aufgenommen, obwohl sie die Einschlusskriterien erfüllt hätten.
Dies sind Hinweise darauf, dass man wohl nicht generell bei einer Mittelohrentzündung auf eine Antibiotika-Verordnung mit Empfehlung zum Abwarten umschwenken sollte, sondern eine individuelle Therapieabwägung nötig ist, um einerseits Antibiotika zu sparen und damit Nebenwirkungen, Kosten und Resistenzen zu reduzieren, und andererseits kein unnötiges Risiko für die Patienten einzugehen.
Quellen
Spiro DM, et al. Wait-and-see prescription for the treatment of acute otitis media – a randomized controlled trial. JAMA 2006;296:1235–41.
Little P. Delayed prescribing – a sensible approach to the management of acute otitis media. JAMA 2006;296:1290–1.
Arzneimitteltherapie 2007; 25(06)