Exenatid


Inkretin-Mimetikum zur Therapie von Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2

Roland Büttner, Regensburg, und Annemarie Musch, Stuttgart

Mit Exenatid (Byetta®) steht Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2, die keine zufriedenstellende Blutzucker-Einstellung mit Metformin oder Sulfonylharnstoffen erreichen, eine neue Therapieoption zur Verfügung; es ist in ausgewählten Fällen eine Alternative zur Gabe von Insulin.Die Zulassung für das erste Inkretin-Mimetikum, das in Kombination mit Metformin und/oder Sulfonylharnstoffen anzuwenden ist, wurde von der europäischen Arzneimittelbehörde im November 2006 erteilt, Exenatid ist in Deutschland seit dem 18. April 2007 verfügbar.
Arzneimitteltherapie 2007;25:284–9.

Bei Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2 kann mit fortschreitender Erkrankung meist die angestrebte normnahe Blutzucker-Einstellung – laut Definition der Deutschen Diabetesgesellschaft: präprandialer oder Nüchternblutzucker-Wert = 80 bis 120 mg/dl und HbA1c-Wert < 6,5 % – mit Lebensstilumstellung und oralen Antidiabetika nicht mehr erreicht werden: Die Gabe von Insulin wird erforderlich. Ein alternativer Behandlungsansatz steht nun mit dem ersten Inkretin-Mimetikum Exenatid (Byetta®) zur Verfügung.

In den USA ist Exenatid bereits seit 2005 zur Therapie von Typ-2-Diabetikern, bei denen mit oralen Antidiabetika keine zufriedenstellende glykämische Kontrolle erreicht wurde, zugelassen. In Europa erfolgte die Zulassung im November 2006.

Pharmakologie

Pharmakodynamik

Inkretin-Mimetika imitieren die bei Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2 verminderte Inkretin-Wirkung, das heißt, sie bewirken, wie die bei Gesunden postprandial freigesetzten Dünndarmhormone – „Gastric inhibitory peptide“ und „Glucagon-like peptide 1“ (GIP bzw. GLP-1, Inkretine) – , unter anderem in den pankreatischen Langerhans-Inseln eine Steigerung der Insulin-Sekretion und eine Reduktion der Glucagon-Sekretion.

Dieser Effekt, der Inkretin-Effekt, ist bei Typ-2-Diabetikern vermindert: Bei ihnen kann nach oraler Glucose-Gabe im Vergleich zur intravenösen Gabe von Glucose keine rasche und deutliche Steigerung der Insulin-Sekretion festgestellt werden. Hierfür scheinen unter anderem eine verminderte GLP-1-Sekretion und eine verminderte Sensitivität der Beta-Zellen gegenüber GLP-1 verantwortlich zu sein.

Zusätzlich sind für GLP-1 hemmende Effekte auf die Magenentleerungsgeschwindigkeit und eine Appetitminderung beschrieben worden, was im Hinblick auf die meist zugrunde liegende Adipositas auch zu einer kausalen Therapie des Typ-2-Diabetes beitragen könnte.

Exenatid ist ein synthetisches Analogon von Exendin-4, einem Protein aus dem Speichel einer nordamerikanischen Krustenechse (Abb. 1), das humanem GLP-1 ähnelt und am humanen GLP-1-Rezeptor wirkt (Abb. 2). Im Gegensatz zu GLP-1, das physiologischerweise eine sehr kurze Halbwertszeit von weniger als zwei Minuten hat, wird Exenatid nicht durch die Dipeptidylpeptidase IV abgebaut und kann so eine längere Wirkung entfalten.

Pharmakokinetik

Die wichtigsten pharmakokinetischen Daten zu Exenatid sind in Tabelle 1 zusammengefasst [1]. Nach subkutaner Applikation werden bei Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2 maximale Plasmaspiegel nach 2 Stunden erreicht. Die Fläche unter der Plasmakonzentrations-Zeit-Kurve nimmt proportional bei einer Dosissteigerung von 5 auf 10 µg zu. Die Plasmakonzentration ist vom Applikationsort weitgehend unabhängig.

Exenatid wird vorwiegend durch glomeruläre Filtration ausgeschieden, die mittlere terminale Halbwertszeit beträgt 2,4 Stunden. Bei Patienten mit leichter bis mäßig schwerer Nierenfunktionseinschränkung ist die renale Clearance gegenüber der bei Patienten mit normaler Nierenfunktion um 13 bzw. 36 % reduziert. Nach bisher vorliegenden Daten ist bei diesen Patienten keine Dosisreduktion erforderlich. Dagegen ist die Clearance bei schwerer Beeinträchtigung der Nierenfunktion (Creatinin-Clearance < 30 ml/min) deutlich verringert, so dass Exenatid hier nicht angewendet werden sollte.

Daten zu Patienten mit Leberfunktionsstörungen liegen bislang nicht vor. Da Exenatid primär über die Nieren ausgeschieden wird, dürften Lebererkrankungen keinen großen Einfluss auf die Pharmakokinetik haben.

Wirksamkeit

Die Wirksamkeit von Exenatid bei Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2, die mit Metformin (z. B. Glucophage®) und/oder Sulfonylharnstoffen (z. B. Glimepirid, Amaryl®) nicht (mehr) zufriedenstellend therapiert werden konnten, wurde in drei dreifachblind, Plazebo-kontrolliert und randomisiert durchgeführten Phase-III-Studien in den USA untersucht [1–4]. Primärer Endpunkt war die Senkung des HbA1c-Werts. Ein sekundärer Endpunkt war der Einfluss auf das Körpergewicht.

Die Patienten erhielten jeweils zusätzlich zu Metformin und/oder Sulfonylharnstoffen Exenatid oder Plazebo. Die Dosis von Metformin betrug mindestens 1 500 mg/Tag (in Kombination mit Sulfonylharnstoffen 1 500 mg/Tag), bei den Sulfonylharnstoffen wurde die maximal effektive Dosis eingesetzt. In den ersten vier Behandlungswochen injizierten alle Patienten der Exenatid-Gruppen jeweils zweimal täglich 5 µg Exenatid subkutan. Anschließend wurde bei einem Teil dieser Patienten die Dosis verdoppelt: Die Patienten injizierten nun zweimal täglich 10 µg Exenatid.

Nach 30 Wochen wurden die Ergebnisse (gepoolte Daten) der drei Behandlungsgruppen verglichen. Es zeigte sich eine im Vergleich zur Gabe von Plazebo signifikante Reduktion des HbA1c-Werts und des Körpergewichts (Tab. 2) (siehe auch Arzneimitteltherapie 2005;23:315–8).

In unverblindeten Verlängerungsstudien wurde ein Großteil der Patienten über 50 Wochen mit Exenatid in einer Dosis von 10 µg zweimal täglich weiterbehandelt. Die positive Wirkung auf die Blutzucker-Kontrolle und das Körpergewicht zeigte sich nach 82 Wochen bei allen Patienten, unabhängig davon, welche Therapie sie in den Wochen zuvor erhalten hatten (Abb. 3 und 4).

Vergleich mit langwirksamem Insulin

In einer offenen, randomisierten Cross-over-Studie sollte die Nichtunterlegenheit der Therapie mit Exenatid gegenüber der mit einem lang wirksamen Insulinanalogon bei Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2 gezeigt werden. Bei den eingeschlossenen Patienten wurde mit oralen Antidiabetika keine ausreichende glykämische Kontrolle mehr erreicht [6, 7]. Sie erhielten nun randomisiert zusätzlich zur bei Studienbeginn bereits bestehenden oralen Therapie – jeweils in maximaler Dosis – mit Metformin (56 %) oder einem Sulfonylharnstoff (44 %) Exenatid oder Insulin glargin jeweils für 16 Wochen.

Exenatid wurde jeweils zunächst für 4 Wochen in einer Dosierung von 5 µg, dann 10 µg zweimal täglich s. c. appliziert, die Insulin-Dosis orientierte sich am Nüchternblutzucker-Spiegel, der ≤ 5,6 mmol/l betragen sollte. Primäres Wirksamkeitskriterium war die Reduktion des HbA1c-Werts.

Die Patienten (n = 114) litten seit 7,4 ± 5,5 Jahren (Mittelwert ± Standardabweichung) an Diabetes mellitus Typ 2; der durchschnittliche HbA1c-Wert betrug 8,6 ± 1,0 % und 8,9 ± 1,1 %.

Beide Behandlungsregime führten zu einer vergleichbaren Reduktion des HbA1c-Werts: Bei der Behandlung mit Exenatid betrug sie –1,43 ± 0,09 %, in der Insulin-Gruppe –1,41 ± 0,09 % (Differenz: –0,02 %; 95%-Konfidenzintervall [95%-KI] –0,20 bis 0,15; p = 0,773). Nach dem Cross-over konnte mit beiden Behandlungsregimen, der zuvor erreichte HbA1c-Wert aufrechterhalten werden (Abb. 5).

In beiden Behandlungsgruppen erreichten vergleichbar viele Patienten die HbA1c-Zielwerte von ≤ 7 bzw. ≤ 6,5 % (40 vs. 41 % – Exenatid vs. Insulin glargin – bzw. 24 vs. 14 %).

Sowohl die Behandlung mit Exenatid als auch die mit Insulin glargin führte zu einer signifikanten Reduktion der Nüchternblutzucker-Spiegel, mit Insulin glargin wurden allerdings signifikant bessere Ergebnisse erzielt (Exenatid: –3,04 ± 0,23 mmol/l; Insulin glargin: –4,17 ± 0,23 mmol/l; p < 0,0001 für den Vergleich in/zwischen den Behandlungsgruppen). Die Exenatid-Gabe zeigte eine signifikant bessere Wirkung auf postprandiale Blutzucker-Spiegel.

Während die Therapie mit Exenatid jeweils zu einer Gewichtsreduktion bei den Patienten führte, nahmen die Patienten bei der Insulin-Therapie zu; insgesamt ergab sich ein signifikanter Unterschied zwischen den beiden Behandlungsregimen (durchschnittlich –1,95 kg bei der Exenatid-Therapie vs. +0,35 kg bei der Insulin-Therapie; p < 0,001).

Die Gewichtsreduktion war bei Patienten, die Metformin einnahmen, größer als bei Patienten, die einen Sulfonylharnstoff einnahmen.

Die Nichtunterlegenheit der zusätzlichen Exenatid-Gabe in der Reduktion des HbA1c-Werts im Vergleich zur zusätzlichen Therapie mit Insulin glargin wurde hiermit gezeigt.

Vergleich mit Mischinsulin

In einer offenen Studie wurde bei Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2, bei denen mit oralen Antidiabetika (Metformin plus Sulfonylharnstoff) keine zufriedenstellende Blutzucker-Einstellung erreicht wurde (HbA1c-Wert ≥ 7 %), die Wirksamkeit der zusätzlichen Gabe von Exenatid mit der von einem zusätzlich gegebenem Mischinsulin (Insulin aspart plus Insulin aspart zur verzögerten Freisetzung im Verhältnis 30 : 70, NovoMix®) verglichen [6, 8, 9]. Die Patienten nahmen nach der Randomisierung in beiden Studienarmen weiterhin Metformin und einen Sulfonylharnstoff ein und erhielten zusätzlich für 52 Wochen

  • Exenatid (zu Beginn 4 Wochen lang 5 µg, dann 10 µg zweimal täglich; n = 253) oder
  • Mischinsulin (titriert nach Richtwerten [Nüchternblutzucker < 7 mmol/l und postprandialer Glucose-Spiegel < 10 mmol/l]; n = 248).

Der primäre Endpunkt war die Veränderung im HbA1c-Wert nach 52 Wochen gegenüber der Ausgangssituation. Es sollte die Nichtunterlegenheit der Therapie mit Exenatid gezeigt werden.

Die eingeschlossenen Patienten litten seit 9,8 ± 6,3 Jahren (Mittelwert ± Standardabweichung) in der Exenatid- und 10,0 ± 6,2 Jahren in der Mischinsulin-Gruppe an Diabetes mellitus Typ 2. Der durchschnittliche HbA1c-Wert betrug 8,6 ± 1,0 % und 8,6 ± 1,1 %.

Nach 52 Wochen war die Reduktion im HbA1c-Wert in beiden Behandlungsgruppen vergleichbar: Die zusätzliche Exenatid-Gabe führte zu einer durchschnittlichen Reduktion des HbA1c-Werts um 1,04 ± 0,07 Prozentpunkte, die zusätzliche Gabe von Mischinsulin zu einer durchschnittlichen Reduktion um 0,89 ± 0,06 Prozentpunkte (Differenz –0,15 Prozentpunkte; 95%-KI –0,32 bis 0,01; p = 0,069).

Den HbA1c-Zielwert von ≤ 6,5 % erreichten deutlich mehr Patienten der Exenatid- als der Mischinsulin-Gruppe (18 vs. 9 %; p = 0,002); einen HbA1c-Wert ≤ 7 % erreichten ebenfalls mehr Patienten, die mit Exenatid behandelt wurden (32 vs. 24 %; p = 0,078).

Die Nüchternblutzucker-Spiegel wurden in beiden Behandlungsgruppen vergleichbar gesenkt (–1,8 ± 0,2 vs. –1,6 ± 0,2 mmol/l; p < 0,001 für den Vergleich mit der Ausgangssituation).

Patienten, die Exenatid erhielten, nahmen signifikant an Gewicht ab (–2,5 ± 0,2 kg; p < 0,001), die Patienten, die Insulin spritzten, nahmen dagegen zu (+2,9 ± 0,2 kg; p < 0,001), so dass sich für die Exenatid-Gruppe gegenüber der Mischinsulin-Gruppe ein signifikanter Unterschied in der Gewichtsentwicklung von –5,4 kg ergab (95%-KI –5,9 bis –5,0 kg; p < 0,001).

Bei der Therapie mit Exenatid traten als häufigste unerwünschte Wirkung Übelkeit und Erbrechen auf (bei 33 bzw. 15 % der Patienten; darauf zurückzuführende Studienabbrüche 3,5 bzw. 1,6 %).

In dieser Studie konnte die Nichtunterlegenheit in der Reduktion des HbA1c-Werts gezeigt werden. Hierbei erreichte ein größerer Anteil der mit Exenatid behandelten Patienten den HbA1c-Zielwert von ≤ 6,5 %.

Verträglichkeit

Die Daten zur Verträglichkeit stammen von 1 788 Patienten, die in Phase-III-Studien mit Exenatid mindestens eine Dosis des Inkretin-Mimetikums erhalten hatten.

Sehr häufig (mindestens 10 % der Behandelten; Unterschied im Vergleich zur Gabe von Insulin oder Plazebo signifikant) berichtet wurden:

  • Hypoglykämie (meist leicht bis mäßig; Patienten, die zusätzlich zu Exenatid Sulfonylharnstoffe erhielten; anscheinend sowohl mit Exenatid- als auch Sulfonylharnstoff-Dosis steigend)
  • Übelkeit (meist leicht bis mäßig, dosisabhängig; bei 40 bis 50 % der Patienten mindestens einmal aufgetreten; bei fortgesetzter Behandlung Abnahme von Häufigkeit und Schwere)
  • Erbrechen
  • Durchfall

Übelkeit und Erbrechen waren auch der häufigste Grund für einen Studienabbruch: 4 bzw. 1 % der mit Exenatid behandelten Patienten sowie weniger als 1 % der Patienten der Patienten, die Plazebo oder Insulin erhielten. Insgesamt brachen 8 % der Patienten, die Exenatid erhielten, und 1 bzw. 3 % der Patienten der Insulin- oder Plazebo-Gruppen die Studien ab. So die Daten aus Studien, die über mindestens 16 Wochen Behandlung andauerten.

Reaktionen an der Injektionsstelle traten bei etwa 5,1 % der Patienten auf, die Exenatid in Langzeitstudien über mindestens 16 Wochen anwendeten, sie waren meist gering ausgeprägt.

Antikörper gegen das synthetische Protein Exenatid wurden bei den Behandelten nachgewiesen, und zwar in allen Studien etwa gleich häufig; so beispielsweise bei 38 % der Patienten (n = 963) in drei Plazebo-kontrollierten Studien. Bei Patienten, bei denen Antikörper nachgewiesen wurden, wurde keine Beeinflussung der Wirkung oder Verträglichkeit der Therapie beobachtet. Inwiefern sehr hohe Antikörpertiter zu einem Wirkungsverlust von Exenatid beitragen könnten, ist derzeit nicht bekannt.

Wechselwirkungen

Dadurch dass Exenatid die Magenentleerung verzögert, können Ausmaß und Geschwindigkeit der Resorption oraler Arzneistoffe verringert werden. Empfehlungen für die Anwendung kritischer Arzneistoffgruppen sind in Tabelle 3 zusammengestellt.

Indikation, Dosierung, Einsatz und Handhabung

Zugelassen ist Exenatid zur Behandlung von Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2, die mit Metformin oder einem Sulfonylharnstoff in jeweils maximaler verträglicher Dosis keine ausreichende Blutzucker-Kontrolle erreichten: Bei diesen Patienten kann das Inkretin-Mimetikum in Kombination mit Metformin und/oder einem Sulfonylharnstoff eingesetzt werden.

Exenatid wird zweimal täglich subkutan injiziert (Oberschenkel, Abdomen oder Oberarm): jeweils innerhalb von 60 Minuten vor einer Hauptmahlzeit, beispielsweise vor der Morgen- und Abendmahlzeit. Wichtig ist, dass beide Mahlzeiten mindestens 6 Stunden auseinander liegen. Exenatid darf nicht nach den Mahlzeiten injiziert werden.

Die Anfangsdosis beträgt 5 µg zweimal täglich, nach vier Wochen kann die Dosis gegebenenfalls, d. h. bei unzureichender Wirkung, auf 10 µg zweimal täglich gesteigert werden. Durch die langsame Eindosierung wird die Verträglichkeit der Therapie gebessert.

Aufgrund des größeren Risikos für Hypoglykämien ist bei der Kombination mit Sulfonylharnstoffen an eine eventuell erforderliche Dosisanpassung des Sulfonylharnstoffs zu denken, bei Hinzunahme zu einer bestehenden Metformin-Therapie ist dagegen keine Dosisanpassung erforderlich.

Eine Dosisanpassung ist bei Patienten mit Leberfunktionsstörungen nicht notwendig, bei Störungen der Nierenfunktion hingegen wird ab einer mäßigen Einschränkung der Funktion aufgrund der leicht reduzierten Exenatid-Clearance empfohlen, die Dosiseskalation zu Beginn der Therapie mit Exenatid wie in der Fachinformation angegeben (und zwei Abschnitte zuvor hier wiedergegeben) durchzuführen.

Bei stark ausgeprägter Nierenfunktionsstörung (Creatinin-Clearance < 30 ml/min) sollte Exenatid nicht angewendet werden.

Da Exenatid häufig gastrointestinale Nebenwirkungen hervorruft, wird von einer Therapie bei Patienten mit schweren gastrointestinalen Erkrankungen abgeraten.

Empfehlungen zur Therapie von Kindern und Jugendlichen sowie älteren Patienten (> 75 Jahre) können aufgrund fehlender bzw. nicht ausreichend zur Verfügung stehender Daten nicht gegeben werden. Gleiches gilt für die Anwendung bei Patienten mit einem Body-Mass-Index unter 25.

Kosten der Therapie

Die reinen Arzneimittelkosten für Exenatid betragen für 5-µg- oder 10-µg-Injektionslösung im Fertigpen zu je 60 Einzeldosen jeweils 124,62 Euro (Apothekenverkaufspreis). Es ist auch eine Packungsgröße mit dreimal 1 Fertigpen für 354,58 Euro erhältlich. Ausgehend hiervon ergeben sich Tagestherapiekosten von etwa 4 Euro. Für diesen Preis erhält man derzeit rund 130 I. E. Altinsulin oder konventionelles Mischinsulin. Bei vielen weniger adipösen Patienten mit geringerem Insulin-Bedarf wird damit die Insulin-Therapie billiger sein als die Gabe von Exenatid, wenn man bei beiden Therapieformen die gleiche Intensität der Blutzucker-Selbstkontrolle als zusätzlichen wichtigen Kostenpunkt annimmt.

Eine jüngst veröffentliche Kosten-Nutzen-Analyse [10] hat für Großbritannien einen Kostenvorteil für Exenatid gegenüber einer Insulin-Therapie ergeben. Dieser ergab sich größtenteils aus der extrapolierten kardiovaskulären Risikoverbesserung durch die Gewichtsabnahme unter Exenatid. In Anbetracht der Unsicherheiten eines solchen hypothetischen Modells scheint eine derartige Aussage unseres Erachtens derzeit nicht sinnvoll, hierzu müssen Endpunktstudien mit entsprechenden Langzeitdaten abgewartet werden.

Zusammenfassung und Bewertung

Exenatid stellt eine Behandlungsalternative für Typ-2-Diabetiker dar, die nach Versagen einer Therapie mit oralen Antidiabetika nach den bisherigen Behandlungsleitlinien einer (zusätzlichen) Insulin-Therapie bedürfen. Das Wirkungsprinzip der Substanz besteht im Wesentlichen in einer Steigerung der Insulin-Sekretion mit gleichzeitiger Hemmung der Glucagon-Ausschüttung und der Magenentleerung.

Die antihyperglykämische Wirksamkeit in der Kombinationstherapie mit Metformin und Sulfonylharnstoffen ist mit einer HbA1c-Reduktion um 1 Prozentpunkt als klinisch relevant einzuschätzen. Die Ergebnisse der beiden offenen Studien, in denen Exenatid mit Insulin glargin und biphasischem Insulin aspart (Mischinsulin) verglichen wurde, zeigen eine vergleichbare HbA1c-Verbesserung.

Als Vorteil von Exenatid können eine Gewichtsreduktion von einigen Kilogramm sowie – im Vergleich zu Insulin glargin und Mischinsulin – die bessere Kontrolle postprandialer Blutzucker-Spiegel genannt werden. Verglichen mit Mischinsulin zeigte sich, dass ein größerer Anteil der mit Exenatid behandelten Patienten den HbA1c-Zielwert von ≤ 6,5 % erreichte. Vorteilhaft ist weiterhin, dass Exenatid in fester Dosis eingesetzt wird und eine Anpassung an den aktuellen Blutzucker-Spiegel nicht notwendig ist

Das nächtliche Hypoglykämierisiko scheint im Vergleich zu Insulin glargin reduziert zu sein, die Rate symptomatischer Hypoglykämien wird durch die Hinzunahme von Exenatid nicht verändert. Auf eine Reduktion der Sulfonylharnstoffdosis ist gegebenenfalls zu achten.

Zu betonen ist, dass die erwähnte Gewichtsreduktion unabhängig von der häufig im Zusammenhang mit der Therapie berichteten Übelkeit eintritt. Die Übelkeit als unerwünschte Wirkung der Therapie ist ein nicht zu vernachlässigender Punkt, die Intensität ist meist schwach bis mäßig und scheint mit der Zeit abzunehmen. Möglicherweise kann durch neue Applikationsformen, wie einer sich derzeit in der Entwicklung befindenden Formulierung zur einmal wöchentlichen Applikation [11], die Übelkeit in Verbindung mit der Therapie reduziert werden. Allerdings muss festgestellt werden, dass die Abbruchquote in den mit Exenatid behandelten Studiengruppen im Wesentlichen aufgrund der gastrointestinalen unerwünschten Wirkungen etwa verdoppelt war. Sonstige schwerwiegende Nebenwirkungen sind nicht beschrieben worden.

Neben den Inkretin-Mimetika sind die Dipeptidylpeptidase-Hemmer (Gliptine) eine zweite Medikamentengruppe, die durch eine Förderung der GLP-1-Wirkung auf eine Verbesserung des Glucosestoffwechsels zielt. Ein Vorteil der Gliptine ist ihre orale Applikation und die fehlende Übelkeit bei ähnlicher Wirkung auf den HbA1c-Wert, ein Nachteil der fehlende Gewichtsverlust. Da die Gliptine durch die Hemmung des Enzyms Dipeptidylpeptidase IV, das neben GLP-1 auch eine Reihe anderer Substrate besitzt, eine pleiotrope Wirkung entfalten können, sind bis zu einer endgültigen Bewertung der Vor- und Nachteile dieser Substanzklasse noch die Ergebnisse klinischer Langzeitstudien abzuwarten.

Zusammenfassend ist Exenatid der erste Vertreter der neuen Gruppe der Inkretin-Mimetika. Aufgrund seines Wirkungsprofils kommt es als Therapieoption am ehesten bei übergewichtigen Patienten mit mäßiger Erhöhung des HbA1c-Werts in Frage. In Anbetracht des relativ hohen Preises der Substanz bieten sich in erster Linie Patienten, die zum Beispiel aufgrund von Sicherheitsbedenken bei der Insulin-Applikation (z. B. Dosierungsprobleme, Diätfehler) keine Insulin-Therapie durchführen sollten, für einen Therapieversuch an. Eine zweimal tägliche subkutane Injektion ist allerdings auch hierbei unerlässlich. Für eine nicht unerhebliche Patientenzahl könnte eine gastrointestinale Unverträglichkeit therapielimitierend sein.

Literatur

1. Fachinformation Byetta®, Stand November 2006.

2. Buse JB, Henry RR, Han J, Kim DD, et al. Effects of exenatide (exendin-4) on glycemic control over 30 weeks in sulfonylurea-treated patients with type 2 diabetes. Diabetes Care 2004;27:2628–35.

3. DeFronzo RA, Ratner RE, Han J, Kim DD, et al. Effects of exenatide (exendin-4) on glycemic control and weight over 30 weeks in metformin-treated patients with type 2 diabetes. Diabetes Care 2005;28:1092–100.

4. Kendall DM, Riddle MC, Rosenstock J, Zhuang D, et al. Effects of exenatide (exendin-4) on glycemic control over 30 weeks in patients with type 2 diabetes treated with metformin and a sulfonylurea. Diabetes Care 2005;28:1083–91.

5. Prof. Dr. Oliver Schnell, München, Prof. Dr. Michael Nauck, Bad Lauterberg, Einführungspressekonferenz „Erstes Inkretin-Mimetikum Exenatid zur Therapie des Typ 2 Diabetes, Byetta® – die neue Alternative vor der Insulintherapie“, Berlin, 17. Januar 2007, veranstaltet von Lilly Deutschland GmbH.

6. John Lechleiter, USA, Joachim Becker, USA, Prof. Dr. Michael Nauck, Germany, Prof. Dr. Anthony Barnett, United Kingdom, Dr. James Malone, USA, Vince Mihalik, USA, Dr. Paul Dodson, United Kingdom, Prof. Dr. Antoine Avignon, France. Press Briefing „Diabetes: The Future is Now“, veranstaltet von Eli Lilly & Company im Rahmen des EASD 2006, Kopenhagen, 14. September 2006.

7. Barnett AH, et al. A comparison of exenatide and insulin glargine in patients using a single oral antidiabetic agent. 42nd EASD Annual Meeting, Copenhagen – Malmoe, 14–17 September 2006: Abstract 0782.

8. Nauck MA, et al. Effects of exenatide compared with twice-daily bisphasic insulin aspart in patients with type 2 diabetes using sulfonylurea and metformin. 42nd EASD Annual Meeting, Copenhagen – Malmoe, 14–17 September 2006: Abstract 0001.

9. Nauck MA, Duran S, Kim D, Johns D, et al. A comparison of twice-daily exenatide and biphasic insulin aspart in patients with type 2 diabetes who were suboptimally controlled with sulfonylurea and metformin: a non-inferiority study. Diabetologia 2007;50:259–67.

10. Ray JA, Boye KS, Yurgin N, Valentine WJ, et al. Exenatide versus insulin glargine in patients with type 2 diabetes in the UK: a model of long-term clinical and cost outcomes. Curr Med Res Opin 2007;23:609–22.

11. Musch A. Diabetes mellitus Typ 2: Exenatid einmal wöchentlich? Arzneimitteltherapie 2007;25:197.


Priv.-Doz. Dr. med. Roland Büttner, Klinik und Poliklinik für Innere Medizin I, Universität Regensburg, 93042 Regensburg, E-Mail: roland.buettner@klinik.uni-regensburg.de
Dr. rer. nat. Annemarie Musch, Redaktion Arzneimitteltherapie, Birkenwaldstraße 44, 70191 Stuttgart

Abb. 1. Nordamerikanische Krustenechse (Heloderma suspectum)


Abb. 2. Glucagon-like peptide 1 (GLP-1): Wirkungen des Inkretinhormons beim Menschen

Tab. 1. Pharmakokinetische Daten zu Exenatid [1]

Zeit bis zur maximalen Plasmakonzentration (tmax)

2 h

Maximale Plasmakonzentration (Cmax, nach einer subkutanen Exenatid-Dosis von 10 µg)

211 pg/ml

Mittlere Bioverfügbarkeit AUC0–∞ (nach einer subkutanen Exenatid-Dosis von 10 µg)

1 036 pg x h/ml

Mittleres scheinbares Verteilungsvolumen

28 l

Elimination (dosisunabhängig)

Hauptsächlich glomeruläre Filtration mit anschließender Proteolyse

Mittlere scheinbare Clearance (dosisunabhängig)

9 l/h

Mittlere terminale Halbwertszeit (dosisunabhängig)

2,4 h

Tab. 2. Wirksamkeit der Therapie mit Exenatid zusätzlich zur Gabe von Metformin und/oder Sulfonylharnstoffen bei Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2 nach 30 Wochen (gepoolte Daten, Intention-to-treat-Gruppe; verglichen mit Plazebo war die Wirkung von Exenatid signifikant) [nach 1]

Plazebo

Exenatid 5 µg
zweimal täglich

Exenatid 10 µg
zweimal täglich

Patienten [n]

483

480

483

HbA1c-Wert, Ausgangswert [%]

8,48

8,42

8,45

HbA1c-Wert, Veränderung gegenüber dem Ausgangswert [Prozentpunkte]

–0,08

–0,59

–0,89

Anteil der Patienten, die einen HbA1c-Wert ≤ 7 % erreichten [%]

7,9

25,3

33,6

Körpergewicht, Ausgangssituation [kg]

99,26

97,10

98,11

Körpergewicht, Veränderung gegenüber dem Ausgangswert [kg]

–0,65

–1,41

–1,91

Abb. 3. Wirkung der Therapie mit Exenatid auf die Blutzucker-Kontrolle, gemessen an der Veränderung des HbA1c-Werts gegenüber dem Ausgangswert, in offenen Verlängerungsstudien: 393 Patienten aus Plazebo-kontrollierten Studien setzten nach 30 Wochen, in der sie entweder Exenatid (5 µg oder 10 µg zweimal täglich) oder Plazebo erhielten, die Therapie über weitere 50 Wochen mit Exenatid 10 µg zweimal täglich fort (angegeben sind Mittelwert ± Standardabweichung) [nach 5]

Abb. 4. Wirkung der Therapie mit Exenatid auf das Körpergewicht, gemessen an der Veränderung des Körpergewichts gegenüber dem Ausgangswert, in offenen Verlängerungsstudien: 393 Patienten aus Plazebo-kontrollierten Studien setzten nach 30 Wochen, in der sie entweder Exenatid (5 µg oder 10 µg zweimal täglich) oder Plazebo erhielten, die Therapie über weitere 50 Wochen mit Exenatid 10 µg zweimal täglich fort (angegeben sind Mittelwert ± Standardabweichung) [nach 5]

Abb. 5. Reduktion des HbA1c-Werts bei Typ-2-Diabetikern, die zusätzlich zu Metformin oder Sulfonylharnstoffen in einer Cross-over-Studie Exenatid oder Insulin glargin für 16 Wochen erhielten (Mittelwert ± Standardabweichung) [nach 7]

Tab. 3. Empfehlungen zur gleichzeitigen Gabe von Exenatid mit oralen Arzneistoffen, mit denen aufgrund der Verzögerung der Magenentleerung Wechselwirkungen zu erwarten sind [nach 1]

Arzneistoffgruppe

Empfehlung

Arzneistoffe, die schnell gastrointestinal resorbiert werden sollten oder eine
geringe therapeutische Breite haben
Arzneistoffe dieser Gruppe, die zu einer Mahlzeit eingenommen werden müssen

Sorgfältige Kontrolle der Patienten und standardisierte Applikationsweise

Einnahme zu einer Mahlzeit, zu der keine Gabe von Exenatid erfolgt

Arzneistoffe, deren Wirkung besonders vom Erreichen einer Mindestkonzentration abhängt (z. B. Antibiotika, orale Kontrazeptiva)

Einnahme mindestens 1 Stunde vor der Exenatid-Injektion

Arzneistoffe, die in magensaftresistenter Formulierung verabreicht werden
(z. B. Protonenpumpenhemmer)

Einnahme mindestens 1 Stunde vor oder 4 Stunden nach einer Exenatid-Injektion

CSE-Hemmer

Dosisanpassung nicht unbedingt erforderlich, regelmäßige Kontrolle der Blutfettwerte (Veränderungen von LDL- und Gesamtcholesterol-Wert sind zu erwarten)

Warfarin, Cumarin-Derivate

Zu Beginn der Therapie mit Exenatid und bei Dosissteigerung sollte die Thromboplastinzeit engmaschig überwacht werden.

Exenatid

+ Neues Wirkungsprinzip
+ Körpergewicht sinkt
+ Alternative zu Insulin

– Parenterale Applikation
– Relativ häufig Übelkeit als unerwünschte Arzneimittelwirkung
– Hohe Kosten

Therapy with the incretin mimetic exenatide (Byetta®)

Exenatide (Byetta®) is the first incretin mimetic to be approved by the American (April 2005) and European (November 2006) regulatory agencies for the therapy of type 2 diabetes. It acts as a functional analog of the human glucagon-like peptide 1, an intestinal peptide which stimulates pancreatic insulin secretion, inhibits pancreatic glucagon output and decreases appetite. Clinical studies have shown that Exenatide given on top of metformin and/or sulfonylurea therapy can reduce the HbA1c in type 2 diabetic patients by up to 0.8–1.0 % together with a slight weight reduction. When compared directly to long acting insulin analogues or mixed insulin compounds it seems to be equally efficient with respect to glycemic control.

Exenatide has to be injected subcutaneously twice daily. Major side effects include nausea and other gastrointestinal complaints as vomiting or diarrhea, dizziness and headache. Hypoglycemia rates are comparable to those observed with sulfonylurea and insulin therapy.

Taking the lacking long term data and the relatively high price into account, the clinical acceptance of exenatide must be awaited. For the time being, it can be assumed that it will be used primarily for patients who refuse insulin therapy or when compliance problems are anticipated.

Keywords: Exenatide, type 2 diabetes, glycemic control

Arzneimitteltherapie 2007; 25(08)