Dr. Annemarie Musch, Stuttgart, Prof. Dr. med. Volker Heinemann, München
In Deutschland zählt das Pankreaskarzinom zu den zehn häufigsten Krebserkrankungen. Das klinische Problem wird allerdings insbesondere bei Betrachtung der Krebstodesursachen deutlich: So ist das Pankreaskarzinom bei Frauen die vierthäufigste Krebstodesursache, bei Männern die fünfthäufigste. Anerkannte Risikofaktoren sind eine positive familiäre Anamnese und Rauchen. Bei mehr als 95 % der Karzinome handelt es sich um duktale Adenokarzinome, also Tumoren, die im exokrinen Bereich des Pankreas entstehen. Um diese Adenokarzinome geht es auch in diesem Bericht.
Ähnlich wie beim Kolonkarzinom ist die Abfolge der Veränderungen, die schließlich in die maligne Entartung des Gewebes beim Pankreaskarzinom münden, gut bekannt. Leider kann aber dieses Wissen nicht in gleichem Maß in einen Fortschritt in der Behandlung umgesetzt werden. Charakteristisch für diese Tumoren ist ihr rasches Wachstum und die früh beginnende Metastasierung. Die Symptome sind zunächst eher unspezifisch wie Oberbauchschmerzen und Gewichtsverlust, aber auch ein Verschlussikterus zählt dazu. Später treten häufig Rückenschmerzen auf. Eine laborchemische oder apparative Früherkennung ist nicht möglich. Die Diagnose erfolgt also meist erst spät, die Erkrankung ist dementsprechend weit fortgeschritten. Eine Operation kommt so für den überwiegenden Teil der Patienten bereits bei Diagnosestellung nicht mehr in Frage: Bei über 90 % der Patienten wird so eine palliative Therapie durchgeführt, um das Überleben der Patienten bei gleichzeitig möglichst guter Lebensqualität zu verlängern. Die Standardbehandlung ist die Gabe des Zytostatikums Gemcitabin. Verschiedene Ansätze zur Verbesserung des Therapieergebnisses durch eine Kombination mit weiteren Zytostatika brachten bislang keinen entscheidenden Fortschritt. Möglicherweise ist aber beispielsweise eine Selektion der Patienten nach bestimmten Gesichtspunkten sinnvoll. Für die Kombination von Gemcitabin mit Capecitabin (Xeloda®) konnte so ein Überlebensvorteil gezeigt werden, wenn nur Patienten mit einem guten Allgemeinzustand berücksichtigt wurden: Patienten mit einem Karnofsky-Index von 90 bis 100, die die Kombination beider Zytostatika erhielten, überlebten mit im Median 10,1 Monaten deutlich länger als Patienten, die Gemcitabin alleine erhielten (7,5 Monate; p = 0,024) [Hermann et al. 2005].
Der signifikante Überlebensvorteil für die Kombination von Gemcitabin und Erlotinib gegenüber der Standardtherapie kann einen Fortschritt in der First-Line-Therapie von Patienten mit fortgeschrittenem Pankreaskarzinom darstellen. Am 29. Januar 2007 erfolgte die Zulassung für Erlotinib in Kombination mit Gemcitabin zur First-Line-Therapie für das metastasierte Pankreaskarzinom in Europa.
Erlotinib hemmt die Tyrosinkinase eines Wachstumsfaktor-Rezeptors, des EGF-Rezeptors (EGF = epidermal growth factor). Die Aktivierung dieses Rezeptors führt zu einer Reihe von Ereignissen, die das Tumorwachstum begünstigen können (z. B. gesteigerte Zellproliferation, antiapoptotische Wirkung, geförderte Angiogenese). Diese scheinen auch in der Entstehung des Pankreaskarzinoms und dem Fortschreiten der Erkrankung eine wichtige Rolle zu spielen. Erlotinib hemmt intrazellulär die Autophosphorylierung des Rezeptors, es kommt zur Unterbrechung der EGF-Signaltransduktion zum Zellkern: Das Tumorzellwachstum wird gehemmt.
Studiendesign
Der Überlebensvorteil der Kombination von Erlotinib und Gemcitabin wurde in der randomisierten, doppelblinden, Plazebo-kontrollierten Phase-III-Studie NCIC-CTG PA.3 mit 569 Patienten mit lokal fortgeschrittenem oder metastasiertem Pankreaskarzinom gezeigt. Ein positiver EGF-Rezeptor-Status war für den Studieneinschluss nicht erforderlich.
Die Patienten erhielten in dieser Studie Gemcitabin (1 000 mg/m2 i. v. wöchentlich [7 x] für 8 Wochen, dann wöchentlich [3 x] alle 4 Wochen) plus
- Erlotinib (100 mg oral täglich; n = 285) oder
- Plazebo (n = 284).
Primärer Endpunkt war das Gesamtüberleben.
Studienergebnis
Durch die Kombination von Gemcitabin mit Erlotinib konnte bei den Patienten ein signifikanter Vorteil im Gesamtüberleben gegenüber der Gabe von Gemcitabin plus Plazebo erreicht werden (Hazard-Ratio [HR] 0,81; 95%-Konfidenzintervall [95%-KI] 0,67–0,97; p = 0,025) (Abb. 1) (siehe Kasten). Auch das progressionsfreie Überleben war in der Gemcitabin-Erlotinib-Gruppe signifikant verlängert gegenüber dem in der Gemcitabin-Plazebo-Gruppe (HR 0,76; 95%-KI 0,63–0,91; p = 0,003) (Abb. 2.).
In einer Subanalyse zeigte sich, dass der EGF-Rezeptor-Status nicht mit dem Gesamtüberleben korrelierte.
Zu den wichtigsten unerwünschten Wirkungen in dieser Studie zählten Durchfall, Hautausschlag (Grad 3/4 jeweils 6 % bei Gemcitabin plus Erlotinib vs. 1 bzw. 2 % bei Gemcitabin alleine) und Fatigue (Grad 3/4 17 %). Durchfall und Hautausschlag wurden als gut kontrollierbar gewertet durch beispielsweise die Gabe von Loperamid bei Durchfall und eine gezielte lokale Behandlung des Hautausschlags mit Glucocorticoiden oder Antibiotika. Das Auftreten von Hautausschlag ist zugleich aber (auch zum Trost der Patienten, die auf diese Nebenwirkung unbedingt vorbereitet werden sollten) als ein Indikator für das Ansprechen auf die Therapie zu betrachten. So betrug die 1-Jahres-Überlebensrate der Patienten, die einen stärkeren Hautausschlag (Grad ≥ 2) entwickelten, 43 % verglichen mit beispielsweise 11 % bei Patienten, die nur leichten Hautausschlag zeigten (Grad 1). Das mediane Überleben betrug dementsprechend 10,5 gegenüber 5,75 Monaten.
Zusammenfassung und Ausblick
Diesen Studienergebnissen entsprechend ist die Kombination von Gemcitabin mit dem Tyrosinkinase-Hemmer Erlotinib neuer Standard in der palliativen Therapie von Patienten mit metastasiertem Pankreaskarzinom. In retrospektiven Subgruppenanalysen zeichnete sich ab, dass möglicherweise insbesondere Patienten mit einem schlechteren Allgemeinzustand und ältere Patienten (> 65 Jahre) von der Kombinationstherapie profitieren, dies ist – sollte es sich bestätigen – von besonderem Interesse, da bei diesen Patienten meist keine intensive Chemotherapie mit einer Kombination von Zytostatika durchgeführt werden kann.
Die Gabe des Tyrosinkinase-Hemmers empfiehlt sich nach den bisherigen Ergebnissen in der Indikation palliative Therapie des lokal fortgeschrittenen oder metastasierten Pankreaskarzinoms bei allen Patienten unabhängig vom EGF-Rezeptor-Status.
Der Zusammenhang zwischen dem Schweregrad des Hautausschlags, der sich meist nach 10 Tagen oder aber im Zeitraum von 4 bis 8 Wochen nach dem Therapiebeginn entwickelt, und einem Ansprechen auf die Therapie wurde auch bereits beim Einsatz des Tyrosinkinase-Hemmers beim nichtkleinzelligen Lungenkarzinom beobachtet.
In einer laufenden Studie wird die Kombination des Tyrosinkinase-Hemmers mit Capecitabin versus die Kombination mit Gemcitabin untersucht. Bei Versagen dieser Therapie kann ein Wechsel in den jeweils anderen Studienarm (ohne Erlotinib) erfolgen (Arbeitsgemeinschaft Internistische Onkologie; AIO; Klinikum Großhadern Universität München). Auf diese Weise wird gleichzeitig die Wirksamkeit der zytostatika in der Second-Line-Therapie untersucht. In Deutschland gibt es bislang keine zugelassene Second-Line-Therapie.
Quellen
Priv.-Doz. Dr. med. Manfred Lutz, Saarbrücken, Prof. Dr. med. Volker Heinemann, München, Dr. Wolfgang Dietrich, Grenzach-Wyhlen. Einführungspressegespräch „Überwindung des Therapiestillstandes beim Pankreaskarzinom“, München, 2. Februar 2007, veranstaltet von Roche Pharma AG.
Herrmann R, et al. Gemcitabine plus capecitabine versus G alone in locally advanced or metastatic pancreatic cancer. A randomized phase III study of the Swiss Group for Clinical Cancer Research (SAKK) and the Central European Cooperative Oncology Group (CECOG). Proc Am Soc Clin Oncol 2005.
Moore MJ, et al. Erlotinib plus gemcitabine compared to gemcitabine alone in patients with advanced pancreatic cancer. A phase III trial of the National Cancer Institute of Canada Trials Group (NCIC-CTG). Am Soc Clin Oncol 2005.

Abb. 1. Gesamtüberleben von Patienten mit lokal fortgeschrittenem oder metastasiertem Pankreaskarzinom, die entweder Gemcitabin plus Erlotinib oder Gemcitabin plus Plazebo erhielten (primärer Endpunkt der randomisierten, doppelblinden, Plazebo-kontrollierten Phase-III-Studie NCIC-CTG PA.3; HR = Hazard-Ratio, adjustiert an Allgemeinzustand, Schmerz und Ausdehnung der Erkrankung bei Randomisierung)

Abb. 2. Progressionsfreies Überleben von Patienten mit lokal fortgeschrittenem oder metastasiertem Pankreaskarzinom, die entweder Gemcitabin plus Erlotinib oder Gemcitabin plus Plazebo erhielten (HR = Hazard-Ratio, adjustiert an Allgemeinzustand, Schmerz und Ausdehnung der Erkrankung bei Randomisierung)
Hazard-Ratio
Randomisierte klinische Studien, die eine Standardtherapie im Kontrollarm mit einer neuen Therapie im experimentellen Behandlungsarm vergleichen, geben ihre zeitbezogenen Daten (progressionsfreies Überleben, Gesamtüberleben) üblicherweise als mediane Überlebenszeiten oder als Hazard Ratios an.
Das Hazard-Ratio (= relatives Risiko) vergleicht das Risiko eines Ereigniseintritts in zwei Behandlungsarmen über eine definierte Beobachtungsdauer. Das beispielsweise im Rahmen einer Überlebensanalyse gewonnene Hazard-Ratio von 0,80 besagt, dass ein im experimentellen Arm behandelter Patient ein 0,8-fach niedrigeres Sterblichkeitsrisiko als im Kontrollarm hat. Anders ausgedrückt, induziert die experimentelle Therapie eine Risikoreduktion um 20 % oder eine relative Verbesserung des Überlebens um 25 % (1/0,8) im Beobachtungszeitraum. Während sich das Hazard-Ratio also auf den gesamten Beobachtungszeitraum bezieht, spiegelt die Angabe des medianen Überlebens eher einen einzelnen Messzeitpunkt wider, nämlich den aufgrund der Kaplan-Meier-Analyse geschätzten Zeitpunkt, bei dem 50 % der Todesereignisse eingetreten sind.
Therapien, die nicht gleichermaßen allen Patienten helfen, sondern ihre Aktivität überwiegend in einer Subgruppe entfalten, können im Einzelfall einen geringeren Einfluss auf den initialen Kurvenverlauf haben, so dass die Überlebensmediane sehr nahe beieinander liegen. Der Therapieeffekt wird dann erst im späteren Kurvenverlauf sichtbar und zeigt dort die deutliche Überlegenheit der experimentellen Therapie. Derartige Kurvenverläufe werden gerade auch bei Einsatz molekularbiologisch gezielter Therapien erwartet, deren Aktivität von der wirksamen Inhibition der vorhandenen Zielstruktur abhängig ist und daher nicht gleichermaßen bei allen Patienten angetroffen wird.
Arzneimitteltherapie 2007; 25(08)