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Zur Therapie der chronischen HBV-Infektionen werden bei einem Großteil der Patienten antiviral wirkende Nucleos(t)idanaloga eingesetzt (siehe Kasten). Sie hemmen die HBV-Polymerase, die die HBV-DNS-Synthese katalysiert, und unterdrücken so die Virusvermehrung.
Es wird eine langfristige maximale Suppression der Virusvermehrung angestrebt. Dies bedeutet nach derzeitigem Wissensstand eine Dauertherapie mit den Nucleosid- oder Nucleotidanaloga bei den meisten Patienten – möglicherweise auch eine lebenslange Therapie. Problematisch ist hierbei, dass Resistenzen gegenüber den eingesetzten Arzneistoffen selektioniert werden können und die Therapie an Wirkung verliert. Durch die hohe Replikationsgeschwindigkeit des Virus und die fehlende Exonuclease-Aktivität der HBV-Polymerase ist die Mutationsrate hoch und es liegen grundsätzlich verschiedene Varianten des Virus (= Quasispezies) bei einer Infektion vor. Normalerweise dominiert das Wildtypvirus. Wird mit einer Therapie die Virusvermehrung nicht vollständig unterdrückt, kann es zur Selektion anderer Quasispezies kommen. Eine Resistenz kann auftreten. Dieses Resistenzrisiko wird durch zwei arzneistoffspezifische Faktoren beeinflusst:
- Die antivirale Potenz des Arzneistoffs (bei ausgeprägter Unterdrückung der Virusvermehrung ist das Risiko einer Resistenzselektion reduziert)
- Die „genetische Barriere“ (bei hoher genetischer Barriere, wenn also beispielsweise mehrere oder seltene Mutationen erst zur Resistenz führen, ist das Risiko einer Resistenzselektion reduziert)
Die derzeit in Deutschland verfügbaren Arzneistoffe aus diesen Substanzklassen sind die Nucleosidanaloga Lamivudin (Zeffix®), Entecavir (Baraclude®) und Telbivudin (Sebivo®) und das Nucleotidanalogon Adefovir (Hepsera®).
Das Resistenzrisiko ist bei der Gabe von Lamivudin relativ hoch, bei etwa zwei Dritteln der Patienten tritt nach vier Jahren eine Resistenz auf. Bei der Therapie mit Adefovir waren es in einer Studie über einen vergleichbaren Zeitraum (240 Wochen) 20 % der Patienten, bei denen eine Resistenz auftrat.
Weniger als 1 % der mit Entecavir behandelten Patienten wiesen nach vier Jahren Therapie eine Resistenz auf. Für Telbivudin liegen bislang Resistenzdaten über einen Therapiezeitraum von zwei Jahren vor: die kumulativen Resistenzraten betrugen 17,8 % und 7,3 % bei HBeAg-positiven bzw. -negativen Patienten. Werden nur Patienten berücksichtigt, die nach 24 Wochen eine Reduktion der Virusvermehrung unter die Nachweisgrenze (< 300 Kopien/ml) erreichten, betrugen die Resistenzraten 4 % und 2 %. Diese Daten verdeutlichen noch einmal, wie wichtig die maximale Unterdrückung der Virusvermehrung ist und dass sie möglichst rasch nach Therapiebeginn erreicht werden sollte, um das Risiko für eine Resistenzselektion zu senken.
Nationale Konsensus-Leitlinie zur Prophylaxe, Diagnostik und Therapie der HBV-Infektion
Die Therapie chronischer HBV-Infektionen kann mit jedem der verfügbaren Nucleos(t)idanaloga begonnen werden. Individuelle Risikofaktoren bei den Patienten (z. B. hoher HBV-DNS-Wert) sollten berücksichtigt werden, so dass bei Patienten mit Leberzirrhose beispielsweise zu einem Arzneistoff mit hoher Resistenzbarriere oder zu einer Kombination verschiedener Arzneistoffe geraten wird.
Nach Therapiebeginn sollte der HBV-DNS-Wert alle drei Monate bestimmt werden. Der HBV-DNS-Wert im Serum ist ein wichtiger Parameter in der Therapiekontrolle und Entscheidungsgrundlage für den weiteren Verlauf der Therapie.
Nach sechs Monaten sollte ein Wert von < 103 Kopien/ml (200 I. U./ml), im Optimalfall < 300 Kopien/ml, erreicht werden, so dass die Therapie fortgesetzt werden kann (Abb. 1). Eine Kontrolle der Virusmenge im Serum wird aber alle drei (bis sechs) Monate empfohlen, um eine Resistenz so früh wie möglich zu erkennen und zu reagieren. Das klinische Zeichen für eine Resistenz ist eine erneut steigende Virusmenge im Serum, die Zunahme des HBV-DNS-Werts um mehr als eine Logstufe.
Sinkt der HBV-DNS-Wert bis sechs Monate nach Therapiebeginn kontinuierlich, hat aber den angestrebten Bereich von < 103 Kopien/ml noch nicht erreicht, so kann die Therapie ebenfalls fortgesetzt werden – kontrolliert werden sollte auch wieder alle drei bis sechs Monate. Ist nach 12 Monaten Therapie allerdings keine Reduktion des HBV-DNS-Werts auf < 103 Kopien/ml
festzustellen, muss die Therapie angepasst werden.
Eine Anpassung der Therapie ist direkt durchzuführen, wenn sechs Monate nach Therapiebeginn der HBV-DNS-Wert > 103 Kopien/ml beträgt und keine weitere Reduktion zu erkennen ist.
Zur Anpassung der Therapie ist grundsätzlich die Umstellung auf ein anderes oder die Kombination mit einem weiteren Nucleos(t)idanalogon denkbar. Empfohlen wird die Kombination mit einem weiteren Nucleos(t)idanalogon (add-on)! Aufgrund des Risikos von Kreuzresistenzen sollte hierbei ein Arzneistoff der jeweils anderen chemischen Substanzklasse verwendet werden. Wurde die Therapie mit einem Nucleosidanalogon begonnen, so sollte das Nucleotidanalogon Adefovir eingesetzt werden und umgekehrt. Für diese Vorgehensweise spricht beispielsweise, dass das Risiko einer Entecavir-Resistenz bei Patienten mit Lamivudin-Resistenz, die auf die Therapie mit Entecavir umgestellt werden, steigt (> 25 % nach 144 Wochen Therapie).
Für die Kombination mit einem Arzneistoff der anderen chemischen Substanzklasse liegen Daten vor, die zeigen, dass die Patienten von der im Optimalfall sehr frühen Kombination profitieren. In einer Studie erhielten Patienten, die eine Lamivudin-Resistenz entwickelten, zusätzlich Adefovir. Es zeigte sich, dass die Wahrscheinlichkeit, erneut virologisches Ansprechen zu erreichen, größer war, wenn die Anpassung der Therapie früh, also bereits bei einem vergleichweise niedrigen Anstieg der Virusmenge im Serum vorgenommen wurde (Abb. 2). Unterschieden wurde hierbei zwischen früh, d. h. bei einem erneuten Anstieg des HBV-DNS-Werts auf Werte < 105 Kopien/ml, sowie zu späteren Zeitpunkten, wenn die Virusmenge im Serum bereits auf 105 bis 106 Kopien/ml oder > 106 Kopien/ml gestiegen war.
Weiterhin war bei Hinzunahme von Adefovir zur Therapie mit Lamivudin das Risiko für die Resistenz auch gegenüber Adefovir reduziert.
Nach Anpassung der Therapie ist weiterhin eine regelmäßige Kontrolle der Patienten erforderlich.
Die Therapie mit Nucleos(t)idanaloga kann nach den Empfehlungen der Konsensus-Gruppe beendet werden, wenn eine HBsAg-Serokonversion stattgefunden hat und der Anti-HBsAg-Titer bei > 100 I. U./ml liegt.
Bei HBeAg-positiven Patienten kann die Therapie nach HBeAg-Serokonversion beendet werden, wenn sie mindestens sechs, besser 12 Monate darüber hinaus weiterbehandelt wurden. Insgesamt aber ist wie bereits angesprochen mit einer Dauerbehandlung zu rechnen.
Quellen
Priv.-Doz. Dr. med. Holger Michael Hinrichsen, Kiel, Dr. med. Florian van Bömmel, Berlin. Interaktives Medienseminar „Basiswissen für Journalisten zu Resistenzen und Hepatitis B“, München, 12. Juli 2007, veranstaltet von Gilead Sciences GmbH.

Abb. 1. Algorithmus zur Therapie der chronischen Hepatitis-B-Virus(HBV)-Infektion mit Nucleos(t)idanaloga; Empfehlungen laut nationaler Konsensus-Leitlinie [nach Berg T. Therapie der Hepatitis B – Aktueller Stand und Perspektiven. Gastroenterologe 2006;2:117–25]
Hepatitis-B-Virus (HBV)
Eine chronische HBV-Infektion entsteht bei etwa 5 % der immunkompetenten Erwachsenen; sie ist definiert als mindestens 6 Monate andauernde Infektion, bei der es zu einer Leberzellschädigung kommt (erhöhte Alaninaminotransferase[ALT]-Serumaktivität und/oder histologischer Nachweis). Die Betroffenen haben ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung einer Leberzirrhose und eines Leberzellkarzinoms. In Deutschland gibt es etwa 500 000 Patienten mit chronischer HBV-Infektion.
Behandlungsbedürftig sind Patienten
- mit deutlicher Leberfibrose, mit Leberzirrhose
- mit HBV-DNS-Wert im Serum ≥ 104 Kopien/ml (2 x 103 I. U./ml) oder
- mit HBV-DNS-Wert im Serum < 104 Kopien/ml plus ALT-Serumaktivität ≥ 2fach erhöht vs. obere Normgrenze oder histologischem Nachweis entzündlicher Aktivität und/oder einer deutlichen Fibrose (> minimale Fibrose) in der Leber
Das Ziel der Therapie ist es, die Morbidität und die Sterblichkeit der Infektion zu senken. Idealer Surrogatparameter für dieses Therapieziel ist der Verlust des HBsAg mit anschließender Serokonversion (Nachweis von Anti-HBsAg). Dieses Ziel wird allerdings nur sehr selten (bei etwa 5 bis 10 % der Patienten) erreicht. Angestrebt wird daher, die Virusvermehrung langfristig maximal zu unterdrücken. Als Marker dient der HBV-DNS-Wert im Serum. Ein erhöhter HBV-DNS-Wert korreliert mit erhöhtem Risiko für Leberzirrhose und Leberzellkarzinom. Mit der Therapie sollte der HBV-DNS-Wert auf < 104 Kopien/ml, besser noch < 300 Kopien/ml (60 I. U./ml) gesenkt werden.
Zur Therapie stehen (pegyliertes) Interferon alfa und antiviral wirkende Nucleosid- und Nucleotidanaloga zur Verfügung. Eine Interferon-Gabe sollte zunächst immer erwogen werden. Sie wird für nicht vorbehandelte Patienten mit HBV Genotyp A empfohlen (in Deutschland etwa 30 % der Patienten), die eine niedrige Virusmenge (< 104 Kopien/ml) und ≥ 2fach, besser jedoch mindestens 5fach erhöhte ALT-Serumaktivität gegenüber der oberen Normgrenze aufweisen. In der überwiegenden Zahl der Fälle werden Nucleos(t)idanaloga eingesetzt.

Abb. 2. Patienten mit chronischer Hepatitis-B-Virus(HBV)-Infektion, die bei der Therapie mit Lamivudin eine Resistenz entwickeln, profitieren von der Kombination mit Adefovir; die möglichst frühe Hinzunahme erhöhte die Wahrscheinlichkeit, erneut ein virologisches Ansprechen auf die Therapie zu erreichen (= eine Unterdrückung der Virusvermehrung unter die Nachweisgrenze von 103 Kopien/ml) [nach Lampertico P, et al. Adefovir and lamivudine combination therapy is superior to adefovir monotherapy for lamivudine-resistant patients in HBeAg negative CHB. 42nd EASL 2007: Poster #502]
Arzneimitteltherapie 2007; 25(12)