Tiefe Beinvenenthrombose bei Schlaganfall

Enoxaparin-Natrium zur Prophylaxe wirksamer als unfraktioniertes Heparin


Prof. Dr. Hans Christoph Diener,Essen

Bei Patienten mit akutem ischämischem Insult und Parese im Bein bzw. Immobilität ist Enoxaparin-Natrium besser wirksam als unfraktioniertes Heparin, um venöse Thromboembolien zu verhindern.

Venöse Thromboembolien sind eine typische Komplikation von Patienten mit akutem ischämischem Insult, insbesondere wenn eine Parese besteht oder wenn die Patienten immobilisiert sind. Als noch keine Thromboseprophylaxe durchgeführt wurde, hatten bis zu 75 % aller Schlaganfallpatienten mit einer schweren Parese im Bein eine tiefe Beinvenenthrombose und bis zu 20 % entwickelten Lungenembolien. 1 bis 2 % aller Todesfälle nach akutem ischämischem Insult waren früher durch tödliche Lungenembolien bedingt. Seit Einführung von unfraktioniertem Heparin ist die Rate an tiefen Beinvenenthrombosen, insbesondere symptomatischen Thrombosen dramatisch zurückgegangen. Die bisher durchgeführten Vergleichsstudien zwischen niedermolekularem Heparin und unfraktioniertem Heparin zeigten einen Trend zugunsten der niedermolekularen Heparine [1, 2]. Die Studien hatten allerdings zu wenige Patienten eingeschlossen, um einen signifikanten Unterschied zu zeigen. Die Fragestellung, ob niedermolekulare Heparine besser wirksam sind, wurde in der großen PREVAIL-Studie untersucht (PREVAIL = Prevention of venous thromboembolism after acute ischaemic stroke) [3].

Studiendesign

In die multinationale multizentrische Studie wurden 1 762 Patienten mit akutem ischämischem Insult eingeschlossen, die nicht in der Lage waren, aufgrund ihrer Beinparese zu gehen. Die Patienten wurden innerhalb von 48 Stunden randomisiert und erhielten entweder über durchschnittlich zehn Tage 40 mg Enoxaparin-Natrium (Clexane®) s. c. einmal am Tag oder zweimal täglich 5 000 I. E. unfraktioniertes Heparin. Die Patienten wurden anhand des National Institutes of Health Stroke Scale-Wertes randomisiert mit einem Schnittpunkt bei einem Wert von 14 (schwerer Schlaganfall ≥ 14, weniger schwerer Schlaganfall < 14).

Der primäre Endpunkt der Studie waren symptomatische und asymptomatische tiefe Beinvenenthrombosen, symptomatische Lungenembolien und tödliche Lungenembolien. Der primäre Sicherheitsendpunkt waren symptomatische intrakranielle Blutungen, schwerwiegende extrakranielle Blutungen und die Sterblichkeit. Bei allen Patienten wurde am Ende der Behandlungsphase eine Venographie durchgeführt. Nur bei den Patienten, bei denen dies nicht möglich war, erfolgte die Untersuchung mit Ultraschall. Eine Lungenembolie wurde durch ein Thorax-CT oder eine Angiographie bestätigt.

Ergebnis

666 Patienten erhielten Enoxaparin-Natrium und 669 unfraktioniertes Heparin. Der primäre Endpunkt wurde bei Gabe von Enoxaparin-Natrium um relativ 43 % vermindert mit einer absoluten Risikominderung von 7,9 %. Der Unterschied war signifikant (p = 0,0001).

Sowohl Patienten mit leichten wie mit schweren Schlaganfällen profitierten von der Behandlung. Die absolute Häufigkeit des primären Endpunkts betrug 10 % für Enoxaparin-Natrium und 18 % für unfraktioniertes Heparin. In absoluten Zahlen betrugen die Ereignisse für Enoxaparin-Natrium und unfraktioniertes Heparin für tiefe Beinvenenthrombosen 68 vs. 121, für Lungenembolien 1 vs. 6 und für symptomatische Venenthrombosen 2 vs. 7. Bei den Blutungskomplikationen kam es zu vier bzw. sechs symptomatischen intrakraniellen Blutungen und zu 7 vs. 0 schwerwiegenden extrakraniellen Blutungen. Die 90-Tages-Sterblickeit betrug 100 bei Enoxaparin-Natrium und 103 bei unfraktioniertem Heparin.

Kommentar

Diese große Studie zeigt, dass Enoxaparin-Natrium zur Vermeidung thromboembolischer Ereignisse signifikant besser wirksam ist als unfraktioniertes Heparin. Es muss allerdings kritisch angemerkt werden, dass in dieser Studie eine geringere Dosis an unfraktioniertem Heparin, nämlich 2-mal 5 000 I. E. gegeben wurde als in Deutschland üblich. Hier werden üblicherweise 3-mal 5 000 I. E. gegeben. Man kann auch durchaus darüber streiten, ob es ein sinnvoller Endpunkt ist, Venenthrombosen im Bein insgesamt zu betrachten, oder ob es nicht ausschließlich um symptomatische tiefe Beinvenenthrombosen geht. Letztere waren nämlich in dieser Studie nicht signifikant unterschiedlich und seltener beim Einsatz von Enoxaparin-Natrium als bei unfraktioniertem Heparin. Es ist allerdings bekannt, dass auch asymptomatische Venenthrombosen zu einem späteren Zeitpunkt das Risiko erneuter Venenthrombosen oder Lungenembolien sowie von venösen Stasen erhöhen. Insgesamt ist die Studie sehr überzeugend, da die Überlegenheit von Enoxaparin-Natrium gegenüber unfraktioniertem Heparin auch in allen Untergruppen gezeigt werden konnte. Erwartungsgemäß ergab sich aber bei den neurologischen Defiziten kein Unterschied. Die PREVAIL-Studie wird eindeutig Auswirkungen auf die Leitlinien zur Behandlung des akuten Schlaganfalls haben.

Quellen

1. Hillbom M, Erila T, Sotaniemi K, Tatlisumak T, et al. Enoxaparin vs. heparin for prevention of deep-vein thrombosis in acute ischaemic stroke: a randomized, double-blind study. Acta Neurol Scand 2002;106:84–92.

2. Diener HC, Ringelstein EB, von Kummer R, Landgraf H, et al. Prophylaxis of thrombotic and embolic events in acute ischemic stroke with the low-molecular-weight heparin certoparin: results of the PROTECT Trial. Stroke 2006;37:139–44.

3. Sherman DG, Albers GW, Bladin C, Fieschi C, et al. on behalf of the PREVAIL Investigators. The efficacy and safety of enoxaparin versus unfractionated heparin for the prevention of venous thromboembolism after acute ischaemic stroke (PREVAIL Study): an open-label randomised comparison. Lancet 2007;369:1347–55.

Arzneimitteltherapie 2008; 26(01)