Knöchelödeme durch Calciumkanalblocker?


Gerd Luippold, Tübingen

Eine 69-jährige Patientin mit arterieller Hypertonie erhält einen Calciumkanalblocker vom Dihydropyridin-Typ. Nach einer Woche klagt die Patientin über zunehmende, beidseitige Knöchelödeme. Eine chronisch-venöse Insuffizienz oder eine pulmonale Hypertonie als Ursache der Ödeme kann ausgeschlossen werden.

  • Wie unterscheiden sich die verschiedenen therapeutisch eingesetzten Calciumkanalblocker?
  • Könnte der Calciumkanalblocker für das Auftreten der Knöchelödeme verantwortlich sein?
  • Welche Medikamente können zu einer Ödembildung führen?

Charakterisierung der Calciumkanalblocker

Calciumkanalblocker verringern den Einstrom von Calciumionen durch den so genannten langsamen, spannungsabhängigen L-Typ-Calciumkanal. In der Klinik werden sie oft als Calciumantagonisten bezeichnet. Aus chemischer Sicht und von ihrem Wirkungsprofil abgeleitet, gehören die Calciumkanalblocker unterschiedlichen Gruppen an. Bei den reinen Calciumkanalblockern unterscheidet man auf Grund des Angriffs an drei verschiedenen Bindungsstellen am Calciumkanal folgende Substanzgruppen [1]:

Dihydropyridine. Prototyp ist Nifedipin. Es flutet schnell an und hat eine kurze Wirkungsdauer. Die Dihydropyridine der zweiten Generation fluten langsamer an und haben eine längere Wirkungsdauer. Beispiele sind Isradipin, Felodipin und Nitrendipin. Dihydropyridine wie Amlodipin, Lacidipin oder Lercanidipin, die nach einmal täglicher Gabe eine lange gleichmäßige Wirkung aufweisen, werden als Vertreter der dritten Generation bezeichnet. Amlodipin hat eine besonders lange Eliminationshalbwertszeit von 35 bis 50 Stunden. Lacidipin und Lercanidipin akkumulieren primär in lipophilen Membrankompartimenten, aus denen sie dann über die Zeit in den Calciumkanal diffundieren.

  • Phenylalkylamine. Die beiden Vertreter dieser Gruppe sind Verapamil und Gallopamil.
  • Benzothiazepine. Der Prototyp der Benzothiazepine ist Diltiazem.

Die Calciumkanalblocker führen zu einer Abnahme der intrazellulären Konzentration an freien Calciumionen und in Folge dessen am Herzen zu einer verringerten Aktivität der Calcium-abhängigen Myosin-ATPase. Dadurch sinken der Umsatz an energiereichem Phosphat und gleichzeitig der Sauerstoffbedarf. An der glatten Gefäßmuskulatur wird der Tonus erniedrigt und damit eine Vasodilatation induziert. Durch Hemmung der elektromechanischen Kopplung verringern Calciumkanalblocker somit die Herzarbeit und die Kontraktilität des Herzmuskels (negativ inotrope Wirkung). Ferner wird eine indirekte Entlastung des Herzens durch Reduktion der Nachlast hervorgerufen. An den Koronarien können Calciumkanalblocker zur Aufhebung von Koronarspasmen eingesetzt werden. Bezüglich der Beeinflussung der Erregungsbildung im Sinusknoten und der Erregungsleitung im AV-Knoten unterscheiden sich die verschiedenen Substanzgruppen. Nur Calciumkanalblocker vom Phenylalkylamin-Typ sowie Diltiazem wirken am Sinusknoten negativ chronotrop und am AV-Knoten negativ dromotrop. Bei den Substanzen vom Nifedipin-Typ, die in therapeutischer Dosierung vorwiegend vasodilatierend wirken, kann eine reflektorische Sympathikusaktivierung zu einer Herzfrequenzsteigerung führen [2]. Eingesetzt werden die Calciumkanalblocker bei arterieller Hypertonie, Angina pectoris und Herzrhythmusstörungen.

Knöchelödeme durch Calciumkanalblocker?

Die Ursache der im vorliegenden Fall beschriebenen Knöchelödeme ist zunächst unklar. Nachdem internistische Ursachen ausgeschlossen werden konnten, erbrachte der Auslassversuch weitere Erkenntnisse: Die beidseitigen Knöchelödeme gingen nach Absetzen des Calciumkanalblockers zurück. Die Behandlung der arteriellen Hypertonie wurde bei der Patientin mit einem ACE-Hemmer fortgeführt, ohne dass ein Rezidiv der Ödeme auftrat.

Calciumkanalblocker sind eine häufige Ursache für Knöchelödeme, die Inzidenz beträgt je nach Untersuchung bis zu 50 %. Die Wahrscheinlichkeit für Knöchelödeme ist bei den Dihydropyridinen höher als bei den Phenylalkylaminen und den Benzothiazepinen [3]. Von den Dihydropyridinen lösen die Vertreter der ersten Generation häufiger periphere Ödeme aus.

In einer doppelblind durchgeführten klinischen Studie an mehr als 800 älteren Patienten induzierte Amlodipin in 19 % der Fälle Knöchelödeme, im Vergleich dazu war diese Nebenwirkung bei 9 % der Patienten mit Lercanidipin- und 4 % mit Lacidipin-Einnahme zu beobachten [4]. Die durch Calciumkanalblocker induzierten Beinödeme werden nicht durch Salz- und Wasserretention hervorgerufen. Deshalb ist das Ansprechen auf Diuretika gering. Als Ursache der Beinödeme durch Calciumkanalblocker gilt eine verminderte präkapilläre Gefäßkonstriktion. Dadurch steigt der intrakapilläre Druck und führt zu einer vermehrten kapillären Flüssigkeitsfiltration ins Interstitium. Dieser Effekt wird durch eine aufrechte Körperhaltung des Patienten verstärkt.

Unterschiede der einzelnen Calciumkanalblocker scheinen durch eine zusätzliche postkapilläre Erweiterung, wie beispielsweise für Lercanidipin beschrieben, hervorgerufen zu werden. In diesem Zusammenhang soll erwähnt werden, dass ACE-Hemmer in der Lage sind, die kapilläre Drucksteigerung der Calciumkanalblocker durch venöse Dilatation zu kompensieren.

Weitere Arzneimittel, die Knöchelödeme auslösen können

Neben den Calciumkanalblockern können in erster Linie Medikamente, die eine Salz- und Wasserretention auslösen, Ödeme verursachen. Ödeme sind durch eine Ausdehnung des Extrazellulärraums gekennzeichnet. Das Volumen der extrazellulären Flüssigkeit wird durch den Na+-Gehalt in diesem Kompartiment bestimmt. Dabei ist die Na+-Ausscheidung durch die Nieren der entscheidende Faktor für die Aufrechterhaltung des Extrazellulärraums. An der Steuerung der renalen Na+-Exkretion sind zahlreiche Mechanismen beteiligt, von denen die glomeruläre Filtrationsrate, das Renin-Angiotensin-Aldosteron-System und der renale Perfusionsdruck die wichtigste Rolle spielen. Primär können die blutdrucksenkenden Substanzen, die durch Vasodilatation oder Senkung des Herzzeitvolumens einen sekundären Hyperaldosteronismus induzieren, Ödeme verursachen [5].

In Tabelle 1 sind weitere Medikamente, die Ödeme induzieren können, aufgelistet. Neben den Calciumkanalblockern spielen hierbei die nichtsteroidalen Antirheumatika eine wichtige Rolle. Die Inzidenz beträgt etwa 5 %. Nichtsteroidale Antirheumatika hemmen die Synthese der Prostaglandine, die bei reduziertem zirkulierendem Blutvolumen für die Aufrechterhaltung der renalen Durchblutung und der Na+-Exkretion benötigt werden. In der Folge kann es zu Hypervolämie, arterieller Hypertonie, Verschlechterung einer Herzinsuffizienz und akutem Nierenversagen mit der Folge eines Ödems kommen [5].

In der Praxis sollte bei auftretenden peripheren Ödemen eine unerwünschte Arzneimittelwirkung als Ursache in die differenzialdiagnostischen Überlegungen einbezogen werden.

Literatur

1. Aktories K, Förstermann U, Hofmann F, Starke K. Allgemeine und spezielle Pharmakologie und Toxikologie. 9. Auflage. München, Jena: Urban und Fischer, 2005.

2. Mutschler E, Geisslinger G, Kroemer HK, Ruth P, et al. Mutschler Arzneimittelwirkungen kompakt. 1. Auflage. Stuttgart: Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft mbH, 2005.

3. Cho S, Atwood JE. Peripheral edema. Am J Med 2002;113:580–6.

4. Messerli FH, Grossmann E. Pedal edema – not all dihydropyridine calcium antagonists are created equal. Am J Hypertens 2002;15:1019–20.

5. Ely JW, Osheroff JA, Chambliss L, Ebell MH. Approach to leg edema of unclear etiology. J Am Board Fam Med 2006;19:148–60.

6. Dendorfer U, Mann J. Volumen- und Elektrolytstörungen bei medikamentöser Therapie. Internist 2006;47:1121–8.


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Lösen Calciumkanalblocker Knöchelödeme aus?

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Ja, die Einnahme von Calciumkanalblockern, insbesondere von Dihydropyridinen der ersten Generation, löst häufig Knöchelödeme aus.

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Welche Medikamente können zur Ödembildung führen?

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Verschiedene Antihypertensiva, nichtsteroidale Antiphlogistika, Glucocorticoide, Estrogene, Progesteron, Glitazone, MAO-Hemmer


Prof. Dr. med. Gerd Luippold, Medizinische Fakultät, Universität Tübingen,
E-Mail: gerd.luippold@uni-tuebingen.de


Tab. 1. Medikamente, die (Bein-)Ödeme verursachen können [6]

Antihypertonika

Calciumkanalblocker

Betablocker

Clonidin

Hydralazin

Minoxidil

Methyldopa

Hormone

Glucocorticoide

Estrogene

Progesteron

Testosteron

Andere

Nichtsteroidale
Antirheumatika

Glitazone

Monoaminoxidase-Inhibitoren

Arzneimitteltherapie 2008; 26(01)