Jürgen K. Rockstroh, Bonn, und Annemarie Musch, Stuttgart
In Deutschland waren Ende 2007 nach Angaben des Robert Koch-Instituts etwa 59 000 Menschen mit dem humanen Immundefizienz-Virus (HI-Virus) infiziert oder an AIDS erkrankt [1].
Die Prognose der Betroffenen hat sich mit der Entwicklung der antiretroviralen Therapie deutlich verbessert: Nach Einführung der Monotherapie mit dem nucleosidischen Reverse-Transcriptase-Hemmer (NRTI) Zidovudin 1987 gelang der entscheidende Fortschritt 1996 durch die Kombination verschiedener antiretroviral wirkender Arzneistoffklassen, genauer gesagt hier zunächst durch die Hinzunahme des Proteasehemmers Indinavir [2].
Das Ziel der antiretroviralen HIV-Therapie ist die dauerhafte maximale Unterdrückung der Virusvermehrung, da eine Eradikation des Virus bislang nicht möglich ist. Es handelt sich daher um eine (lebenslange) Dauertherapie, die insbesondere durch Langzeittoxizität und Resistenzbildung erschwert werden kann. Die Resistenzbildung war insbesondere zu Beginn der antiretroviralen Therapie problematisch. Heute stellt die Langzeitverträglichkeit meist die größere Herausforderung dar.
Etwa 30 000 HIV-Infizierte erhalten derzeit in Deutschland eine antiretrovirale Therapie, mit der bei über 80 % der Patienten die Reduktion der Virusmenge im Blut unter die Nachweisgrenze und damit das Therapieziel erreicht wird. Die restlichen knapp 20 % der Patienten umfassen auch diejenigen Patienten, die auch heute noch dringend neuer Behandlungsoptionen bedürfen, da sie das Therapieziel bislang nicht erreicht haben. Dies sind meist Patienten, die bereits sehr lange mit HIV infiziert sind und die gesamte Entwicklung der HIV-Therapie „erlebt“ haben. Heute ist bekannt, dass diese Patienten zunächst nur unzureichend (Mono- oder Doppel-NRTI-Therapie) therapiert werden konnten und dadurch dann häufig Resistenzen akkumuliert haben.
Mit Maraviroc steht vorbehandelten Patienten in Deutschland seit Mitte Oktober 2007 eine neue Behandlungsoption zur Verfügung.
Pharmakologie
Pharmakodynamik
Maraviroc (Abb. 1) gehört zur Gruppe der Eintrittshemmer. Es ist der erste Vertreter der so genannten CCR5-Hemmer.
Damit HI-Viren in T-Zellen eindringen können, ist zusätzlich zur Bindung an CD4 auf der Oberfläche von T-Zellen ein weiteres auslösendes Ereignis erforderlich (siehe Kasten). Dies ist meist die Interaktion mit dem ebenfalls membranständigen Chemokin-Corezeptor 5 (CCR5) der T-Zellen. Durch diese Interaktion verändert sich die Konformation von gp41, einem Glykoprotein der Virushülle, und die Fusion der Membranen wird ausgelöst (Abb. 2).
CCR5-Hemmer verhindern die Interaktion des HI-Virus mit CCR5. Maraviroc bindet selektiv und reversibel an CCR5. Es kommt zu einer Konformationsänderung von CCR5. Die Interaktion zwischen HI-Virus und CCR5 über das virale Hüllprotein gp120 ist gestört und die für die Fusion und den endgültigen Eintritt der HI-Viren in die T-Zellen erforderliche Triggerung unterbleibt [9].
Maraviroc verhindert also den Eintritt von HI-Viren in CD4-positive T-Zellen und die Neuinfektion weiterer Zellen.
Allerdings wirkt Maraviroc nur bei Infektionen mit so genannten CCR5-tropen (auch R5-tropen) HI-Viren, das heißt, HI-Viren, die als auslösendes Ereignis für die Membranfusion eine Interaktion mit CCR5 benötigen. Die meisten HI-Viren sind CCR5-trope Viren. Sie werden insbesondere bei Neuinfizierten nachgewiesen. Daneben gibt es so genannte CXCR4-trope (auch X4-trope) Viren und dual oder gemischt-trope Viren (hier gibt es dual tropic, das ist das Vorhandensein von beiden Rezeptoren auf einer Zelle, und mixed tropic, das ist das Vorkommen von X4- und CCR5-tropen Zellen nebeneinander in einer gegebenen Population). CXCR4-trope Viren sind Viren, bei denen die zusätzliche Interaktion mit CXCR4 oder aber mit beiden Rezeptoren (CCR5 und CXCR4) die Membranfusion auslöst. Diese Viren, vor allem aber dual-trope Viren, treten vermehrt erst in späteren Stadien der HIV-Infektion auf.
Pharmakokinetik
Für Maraviroc wird nach der Einnahme eine variable Resorption mit mehreren Spitzenplasmakonzentrationen beschrieben [4]. Die Resorption war bei Gesunden, die eine 300-mg-Tablette gleichzeitig zu einer fettreichen Mahlzeit einnahmen, verringert. Die maximale Plasmakonzentration (Cmax) und die Fläche unter der Plasmakonzentrations-Zeit-Kurve (AUC) wurden um 33 % reduziert. Dennoch kann Maraviroc zu oder unabhängig von den Mahlzeiten eingenommen werden. In den Studien zur Wirksamkeit und Verträglichkeit gab es hierzu keine Beschränkungen.
Wichtige pharmakokinetische Daten von Maraviroc sind in Tabelle 1 zusammengefasst.
Maraviroc wird in der Leber über das Cytochrom-P450(CYP)-Enzymsystem, insbesondere über das Isoenzym CYP3A4, zu inaktiven Metaboliten verstoffwechselt. Maraviroc ist ein Substrat von P-Glykoprotein. Der Arzneistoff wird zu einem großen Teil über die Fäzes, der Rest über die Nieren eliminiert. In Untersuchungen mit radioaktiv markiertem Arzneistoff wurde nach der Einmalgabe von 300 mg Maraviroc ermittelt, dass 76 % des Arzneistoffs über die Fäzes und etwa 20 % über die Nieren eliminiert werden. Der Rest wurde als Metaboliten ausgeschieden.
Zur Anwendung bei Kindern liegen keine Daten vor. Bei älteren Patienten wurden bislang keine Besonderheiten festgestellt.
Da Maraviroc in der Leber metabolisiert wird, ist bei Patienten mit Leberfunktionsstörungen Vorsicht geboten. Zur Anwendung bei Patienten mit Nierenfunktionsstörungen liegen keine Daten vor. Vorsicht ist geboten, wenn Patienten gleichzeitig andere Arzneistoffe einnehmen, die wie Maraviroc über CYP3A4 verstoffwechselt werden und dadurch die Metabolisierung von Maraviroc hemmen. Die renale Clearance kann dann bis zu 70 % der Gesamtclearance von Maraviroc ausmachen. In diesem Fall wird eine Dosisreduktion von Maraviroc empfohlen.
Wirksamkeit
Die Wirksamkeit von Maraviroc wurde unter anderem in 2 Phase-IIb/III-Studien untersucht, den MOTIVATE-Studien (Maraviroc plus optimal background therapy in viraemic, antiretroviral treatment-experienced patients). Insgesamt wurden über 1000 Patienten, die folgende Einschlusskriterien erfüllten, behandelt:
- Infektion mit CCR5-tropen HI-Viren (HIV-1)
- HIV-RNS im Plasma > 5 000 Kopien/ml
Antiretrovirale Therapie bereits über mindestens 6 Monate zuvor mit mindestens drei antiretroviral wirksamen Arzneistoffklassen (≥ 1 nichtnucleosidischer Reverse-Transcriptase-Hemmer [NNRTI], ≥ 1 NRTI, ≥ 2 Proteasehemmer und/oder Enfuvirtid) oder dokumentierte Resistenz oder Unverträglichkeit gegenüber mindestens einem Arzneistoff jeder Klasse
Zusätzlich zu einer optimierten antiretroviralen Hintergrundtherapie (OBT = optimized background therapy) erhielten die Patienten in den Studien randomisiert im Verhältnis 2 : 2 : 1:
- Maraviroc (300 mg) zweimal täglich
- Maraviroc (300 mg) einmal täglich
- Plazebo
Die jeweilige Einzeldosis für Maraviroc war von der Begleitmedikation abhängig: Bei Patienten, die gleichzeitig Arzneistoffe erhielten, die CYP3A4 hemmen – hier mit Ritonavir geboosterte Proteasehemmer (außer Tipranavir) und/oder Delavirdin –, wurde die Maraviroc-Dosis auf 150 mg je Einzelgabe reduziert.
Etwa 90 % der eingeschlossenen Patienten erhielten Proteasehemmer, so dass überwiegend die Dosis 150 mg Maraviroc je Einzelgabe eingesetzt wurde.
Primärer Endpunkt war die Änderung der HIV-RNS-Menge im Blut nach 48 Wochen gegenüber der Ausgangssituation. Eine geplante Zwischenauswertung fand nach 24 Wochen statt.
Die Charakteristika der Patienten in der Ausgangssituation sind in Tabelle 2 zusammengefasst; sie waren in den Behandlungsgruppen vergleichbar.
In der Zwischenauswertung nach 24 Wochen zeigte sich bei den Patienten, die Maraviroc zusätzlich zu einer optimierten antiretroviralen Hintergrundtherapie erhielten, eine signifikant stärkere Reduktion der Virusmenge im Blut gegenüber der Ausgangssituation als bei den Patienten, die eine optimierte antiretrovirale Hintergrundtherapie plus Plazebo erhielten. Zudem wurde in den Maraviroc-Gruppen eine signifikant stärkere Zunahme der CD4-positiven Zellen beobachtet.
Bei der zweimal täglichen Dosierung des CCR5-Hemmers zeigten sich verglichen mit der einmal täglichen Gabe etwas bessere Behandlungsergebnisse. Im Folgenden werden die gepoolten Daten der Behandlungsgruppen, die Maraviroc in der empfohlenen zweimal täglichen Dosierung erhielten, vorgestellt.
Nach 48 Wochen wurde bei den Patienten, die Maraviroc zusätzlich zu einer optimierten antiretroviralen Hintergrundtherapie erhielten, ein signifikant besseres Ergebnis im primären Endpunkt festgestellt als bei den Patienten, die ausschließlich eine optimierte antiretrovirale Hintergrundtherapie plus Plazebo erhielten. Die Virusmenge im Blut konnte in der Maraviroc-Gruppe signifikant stärker gesenkt werden (Abb. 3).
Patienten, die Maraviroc erhielten, erreichten zudem signifikant häufiger eine Reduktion der Virusmenge im Blut unter die Nachweisgrenze als Patienten mit optimierter antiretroviraler Hintergrundtherapie allein (Abb. 4). Auch konnte bei den Patienten der Maraviroc-Gruppe eine signifikant größere Zunahme der Zahl CD4-positiver Zellen gegenüber der Ausgangssituation festgestellt werden (Abb. 5).
In Subgruppenanalysen wurde festgestellt, dass Patienten mit großer Viruslast in der Ausgangssituation von der Therapie mit Maraviroc ebenfalls profitieren, auch wenn das Ansprechen insgesamt niedriger ausfällt als bei den Patienten mit einer niedrigen Ausgangsviruslast: Bei 34,7 % der Patienten, die in der Ausgangssituation eine Virusmenge im Blut von mindestens 100 000 Kopien/ml aufwiesen, wurde eine Reduktion unter die Nachweisgrenze von < 50 Kopien/ml
erreicht (gepoolte Daten). Demgegenüber gelang dies bei Patienten der Plazebo-Gruppe nur bei 9,5 %.
Weiterhin wurde in den MOTIVATE-Studien gezeigt, wie wichtig eine Kombination neuer Wirkstoffe wie Maraviroc mit mindestens einem weiteren aktiven, das heißt nach Resistenztestung wirksamen, antiretroviralen Arzneistoff ist. Die Patienten, bei denen im Rahmen der optimierten Hintergrundtherapie mindestens ein weiterer aktiver, antiretroviraler Arzneistoff eingesetzt werden konnte, hatten eine größere Chance, mit der Therapie eine maximale Unterdrückung der Virusvermehrung zu erreichen. Unter Berücksichtigung der erheblichen Vorbehandlung der Patienten war dies insbesondere für Patienten der Fall, die erstmals mit Enfuvirtid (T20) behandelt wurden. Hier erzielten 61 % der Patienten der Maraviroc-Gruppe (zweimal täglich) in Kombination mit T20 eine Reduktion unter die Nachweisgrenze von < 50 Kopien/ml in Woche 48 gegenüber nur 27 % der Patienten in der Plazebo-Gruppe.
Verträglichkeit
In den Phase-III-Studien (MOTIVATE) waren die häufigsten unerwünschten Wirkungen in der Maraviroc-Gruppe, die die zugelassene und empfohlene zweimal tägliche Dosis von 300 mg des CCR5-Hemmers erhielt, Diarrhö, Übelkeit und Kopfschmerzen (Tab. 3). Im Vergleich zur Plazebo-Gruppe wurden keine signifikanten Unterschiede festgestellt.
Wechselwirkungen
Maraviroc wird über CYP3A4 metabolisiert, so dass Wechselwirkungen mit Arzneistoffen, die ebenfalls über dieses CYP-Isoenzym metabolisiert werden und/oder als Inhibitor oder Induktor fungieren, auftreten können [nach 4].
Daher muss beispielsweise die Maraviroc-Dosis von 300 mg zweimal täglich auf 150 mg zweimal täglich reduziert werden, wenn bei der antiretroviralen Therapie gleichzeitig Proteasehemmer eingesetzt werden. Proteasehemmer hemmen CYP3A4 oder werden ebenfalls über dieses CYP-Isoenzym abgebaut. Dies gilt nicht für mit Ritonavir geboostertes Tipranavir und Fosamprenavir.
Dagegen ist bei gleichzeitiger Gabe von Maraviroc und Efavirenz eine Dosiserhöhung auf zweimal täglich 600 mg erforderlich, da Efavirenz ein CYP3A4-Induktor ist.
Wird gleichzeitig mit Maraviroc und Efavirenz aber auch ein Proteasehemmer eingesetzt, muss eine Dosisreduktion von Maraviroc auf zweimal täglich 150 mg vorgenommen werden. Die empfohlene Dosierung von 300 mg Maraviroc zweimal täglich kann bei dieser Dreierkombination beibehalten werden, wenn Fosamprenavir/Ritonavir als Proteasehemmer eingesetzt wird.
Eine detaillierte Übersicht zur Dosisanpassung aufgrund von Arzneimittelwechselwirkungen wird in der Fachinformation von Maraviroc gegeben.
Eine Anpassung des Dosierungsintervalls kann erforderlich sein bei Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion, die gleichzeitig starke CYP3A4-Hemmer einnehmen, oder bei gleichzeitiger Gabe mit Arzneistoffen, die wie Maraviroc ebenfalls über die Nieren eliminiert werden. Eine engmaschige Kontrolle ist hier erforderlich.
Maraviroc ist ein Substrat von P-Glykoprotein. Eine Hemmung dieses Transportproteins durch Maraviroc kann nicht ausgeschlossen werden, wurde bislang aber nicht untersucht.
Indikation, Dosierung, Einsatz und Handhabung
Maraviroc ist zugelassen zur Behandlung von vorbehandelten Patienten mit HIV-Infektion, bei denen ausschließlich CCR5-trope HI-Viren (Typ 1) nachgewiesen wurden [nach 4]. Der CCR5-Hemmer muss laut Zulassung in Kombination mit anderen antiretroviralen Arzneistoffen eingesetzt werden.
Die empfohlene Dosierung beträgt 300 mg Maraviroc zweimal täglich, wobei abhängig von den anderen gleichzeitig eingesetzten Arzneistoffen aufgrund von Wechselwirkungen eine Reduktion auf 150 mg zweimal täglich oder eine Steigerung auf 600 mg zweimal täglich vorgenommen werden sollte. Maraviroc kann sowohl unabhängig von einer Mahlzeit als auch zu einer Mahlzeit eingenommen werden.
Eine Anwendung bei Kindern wird aufgrund fehlender Daten nicht empfohlen. Bei älteren Patienten (> 65 Jahre) ist Vorsicht geboten, da nur begrenzt Erfahrungen vorliegen.
Kosten der Therapie
Die reinen Arzneimittelkosten für Maraviroc betragen in der empfohlenen Dosis von 300 mg zweimal täglich 36 Euro pro Tag (Apothekenverkaufspreis). Dies ist deutlich höher als die täglichen Therapiekosten für beispielsweise einen mit Ritonavir geboosterten Proteasehemmer wie Lopinavir (25,78 Euro /Tag) in der HIV-Ersttherapie, aber niedriger als die Therapiekosten für einen der neueren Proteasehemmer, die speziell für deutlich behandlungserfahrene HIV-Patienten mit nachgewiesenen Medikamentenresistenzen zugelassen wurden. Die Behandlungskosten betragen hier beispielsweise für Tipranavir 32,34 Euro Tagestherapiekosten zuzüglich 7,37 Euro für die notwendige Ritonavir-Boosterung.
Zusammenfassung, Bewertung, Fazit
Seit Mitte Oktober 2007 ist Maraviroc als neue Option für die Therapie von vorbehandelten HIV-Infizierten in Deutschland im Handel erhältlich. Maraviroc ist der erste antiretrovirale Arzneistoff, der gegen eine humane Zielstruktur gerichtet ist. Die anderen bislang zugelassenen antiretroviralen Arzneistoffe wirken auf virale Proteine.
Das günstige Verträglichkeitsprofil von Maraviroc in Verbindung mit der nachgewiesenen eindrucksvollen Wirksamkeit gibt dem HIV-behandelnden Arzt eine Chance, eine weitere wirksame Substanz in das Armentarium der HIV-Medikamente einzufügen, die er insbesondere bei Patienten mit fortgeschrittener HIV-Infektion und der Notwendigkeit einer Therapieumstellung berücksichtigen wird.
Limitierend ist, dass die Substanz nur bei ausschließlich CCR5-tropen HI-Viren in Frage kommt und diese bei über viele Jahre vorbehandelten Patienten nur bei etwa 50 % der Patienten vorkommen. Trotzdem sollte herausgestellt werden, dass mit der Einführung neuer Substanzklassen, aber auch mit Proteasehemmern, die auch bei mehreren bereits akquirierten Proteasehmmer-assoziierten Medikamentenresistenzen noch aniretroviral voll wirksam sind, sich auch für multiple vorbehandelte Patientengruppen neue antiretrovirale Medikamentenkombinationen ergeben. Allein die dauerhafte Kontrolle der HIV-Replikation vermindert auf viele Jahre gesehen das HIV-assoziierte Erkrankungsrisiko dramatisch. Die Verhinderung der HIV-Krankheitsprogression ist selbst unter Berücksichtigung der nicht unerheblichen zusätzlichen Therapiekosten als sicher kosteneffektiv zu beurteilen. Inwieweit Maraviroc auch bei früheren Therapie-Situationen zum Einsatz kommt, oder als Switch-Substanz aufgrund seines günstigen Verträglichkeitsprofils eingesetzt wird, wird maßgeblich von den Ergebnissen aktuell laufender Studien mit dieser Substanz abhängen. Als erster Eintrittshemmer ist Maraviroc zudem ausgesprochen attraktiv als möglicher Bestandteil einer Postexpositionsprophylaxe. Aufgrund fehlender Daten kann derzeit jedoch noch keine allgemein gültige Empfehlung gegeben werden.
Mit der Notwendigkeit eines Tropismus-Tests vor dem Einsatz von Maraviroc ergeben sich zunächst einige logistische Hürden, die aber wie viele andere Tests in der Vergangenheit im HIV-Bereich (z. B. HLA-B5701 Testung vor Abacavir-Gabe, genotypischer Resistenztest vor Therapiebeginn, Medikamentenspiegel) lösbar erscheinen. Hier ist in der nahen Zukunft mit verbesserten und alternativen Tropismus-Bestimmungsverfahren zu rechnen.
Literatur
1. http://www.rki.de/cln_048/nn_264978/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/2007/47__07,templateId=raw,property=publicationFile.pdf/47_07.pdf
2. Hammer SM, Squires KE, Hughes MD, Grimes JM, et al. A controlled trial of two nucleoside analogues plus indinavir in persons with human immunodeficiency virus infection and CD4 cell counts of 200 per cubic millimeter or less. AIDS Clinical Trials Group 320 Study Team. N Engl J Med 1997;337:725–33.
3. Moore JP, Doms RW. The entry of entry inhibitors: a fusion of science and medicine. Proc Natl Acad Sci U S A 2003;100:10598–602.
4. Fachinformation Celsentri®, Stand: September 2007.
5. Liu R, Paxton WA, Choe S, Ceradini D, et al. Homozygous defect in HIV-1 coreceptor accounts for resistance of some multiply-exposed individuals to HIV-1 infection. Cell 1996;86:367–77.
6. Dean M, Carrington M, Winkler C, Huttley GA, et al. Genetic restriction of HIV-1 infection and progression to AIDS by a deletion allele of the CKR5 structural gene. Hemophilia Growth and Development Study, Multicenter AIDS Cohort Study, Multicenter Hemophilia Cohort Study, San Francisco City Cohort, ALIVE Study. Science 1996;273:1856–62.
7. de Roda Husman AM, Koot M, Cornelissen M, Keet IP, et al. Association between CCR5 genotype and the clinical course of HIV-1 infection. Ann Intern Med 1997;127:882–90.
8. Huang Y, Paxton WA, Wolinsky SM, Neumann AU, et al. The role of a mutant CCR5 allele in HIV-1 transmission and disease progression. Nat Med 1996;2:1240–3.
9. Dorr P, Westby M, Dobbs S, Griffin P, et al. Maraviroc (UK-427,857), a potent, orally bioavailable, and selective small-molecule inhibitor of chemokine receptor CCR5 with broad-spectrum anti-human immunodeficiency virus type 1 activity. Antimicrob Agents Chemother 2005;49:4721–32.

Abb. 1. Maraviroc (Celsentri)
Prof. Dr. med. Jürgen K. Rockstroh, Medizinische Universitätsklinik Bonn, Innere-Rheuma-Tropen Ambulanz, Sigmund-Freud-Str. 25, 53105 Bonn-Venusberg,
E-Mail: Juergen.Rockstroh@ukb.uni-bonn.de
Dr. rer. nat. Annemarie Musch, Redaktion Arzneimitteltherapie, Birkenwaldstr. 44, 70191 Stuttgart

Abb. 2. Eintritt von HI-Viren in CD4-positive T-Zellen
Zunächst heften sich die Viren an die T-Zellen an: Über das Hüllprotein gp120 erfolgt eine Bindung an CD4 auf der Oberfläche von T-Zellen; hierbei ändert sich die Konformation von gp120 so, dass das Glykoprotein an einen weiteren Rezeptor, meist den Chemokin-Corezeptor 5 (CCR5) binden kann. Die Interaktion mit dem zweiten Rezeptor ist der Auslöser für die Fusion von Virus- und Wirtszellmembran: Durch die Bindung des Virus an den Corezeptor ändert sich die Konformation eines weiteren viralen Hüllproteins, des gp41. gp41 gibt daraufhin ein Fusionspeptid an die T-Zelle ab. Der Kontakt ist nun eng genug für die Fusion der Membranen und den endgültigen Eintritt der Viren in die
T-Zellen [nach 3]
Corezeptor-Bindung und HI-Virusinfektion [5–8]
Die beiden wichtigsten Corezeptoren für den Eintritt von HI-Viren in T-Zellen sind CCR5 und CXCR4. Die Selektivität der Viren für jeweils einen bestimmten Corezeptor oder beide Rezeptoren wird als Tropismus bezeichnet. Die entscheidende Bedeutung der Interaktion zwischen Virus und Corezeptor zeigte sich, als beobachtet wurde, dass Menschen mit einer bestimmten Mutation resistent gegen eine HI-Virus-Infektion sind. Diese Mutation (∆32) im für CCR5 kodierenden Gen führt dazu, dass das membranständige Protein zwar exprimiert wird, aber funktionsuntüchtig ist. Homozygote Merkmalsträger (etwa 1 % der weißen Bevölkerung) sind weitgehend resistent gegen die Infektion mit HI-Viren. Bei heterozygoten Merkmalsträgern (etwa 10 bis 15 % der weißen Bevölkerung) schreitet die Erkrankung langsamer fort.
Tab. 1. Pharmakokinetik von Maraviroc [nach 4]
Absolute Bioverfügbarkeit |
23 % (100-mg-Dosis), 33 % (300-mg-Dosis, geschätzt) |
Verteilungsvolumen |
Etwa 194 l |
Plasmaproteinbindung |
Etwa 76 % (mäßige Affinität zu Albumin und saurem Alpha-1-Glykoprotein) |
Plasmahalbwertszeit (t1/2) |
13,2 h (nach intravenöser Gabe von 30 mg) |
Clearance |
44,0 l/h (total) |
Tab. 2. Charakteristika der Patienten in den beiden Phase-IIb/III-Studien MOTIVATE-1 und -2 (angegeben sind Mittelwerte)
Maraviroc (300 mg zweimal täglich plus optimierte Hintergrundtherapie) (n = 426) |
Plazebo plus optimierte Hintergrundtherapie (n = 209) |
|
Alter [Jahre] (Bereich) |
46,3 (21–73) |
45,7 (29–72) |
Männer [%] |
89,7 |
88,5 |
HIV-RNS, Mittelwert [log10 Kopien/ml] |
4,85 |
4,86 |
CD4-Zellzahl, Median [Zellen/mm3] (Spanne) |
166,8 (2,0–820,0) |
171,3 (1,0–675,0) |
Virusmenge ≥ 100 000 Kopien/ml beim Screening [n] |
179 (42,0 %) |
84 (40,2 %) |
CD4-Zellzahl ≤ 200 Zellen/mm3 [n] |
250 (58,7 %) |
118 (56,5 %) |
Patienten mit genotypischem Empfindlichkeits-Score (GSS-Score) [n] 0 1 2 ≥ 3 |
102 (23,9 %) 138 (32,4 %) 80 (18,8 %) 104 (24,4 %) |
51 (24,4 %) 53 (25,4 %) 41 (19,6 %) 59 (28,2 %) |

Abb. 3. Primärer Endpunk der MOTIVATE-Studien: Reduktion der Virusmenge (HIV-RNS) im Blut nach 48 Wochen Therapie mit Maraviroc zusätzlich zu einer optimierten antiretroviralen Hintergrundtherapie gegenüber der Ausgangssituation; nach 24 Wochen fand eine erste Zwischenanalyse statt (gepoolte Daten, angeben sind Mittelwerte) [nach 4]
Die Patienten der Maraviroc-Gruppe erhielten Maraviroc (300 bzw. 150 mg) zweimal täglich zusätzlich zu einer optimierten antiretroviralen Hintergrundtherapie. Die Patienten der Plazebo-Gruppe erhielten ebenfalls eine optimierte antiretrovirale Therapie

Abb. 4. Reduktion der Virusmenge im Blut unter die Nachweisgrenze (< 400 Kopien/ml bzw. < 50 Kopien/ml) nach 48 Wochen Therapie mit Maraviroc zusätzlich zu einer optimierten antiretroviralen Hintergrundtherapie, Ergebnisse der MOTIVATE-Studien (gepoolte Daten) [nach 4]
Die Patienten der Maraviroc-Gruppe erhielten Maraviroc (300 bzw. 150 mg) zweimal täglich zusätzlich zu einer optimierten antiretroviralen Hintergrundtherapie. Die Patienten der Plazebo-Gruppe erhielten ebenfalls eine optimierte antiretrovirale Therapie

Abb. 5. Veränderung der Zahl CD4-positiver Zellen nach 24 und 48 Wochen Therapie mit Maraviroc zusätzlich zu einer optimierten antiretroviralen Hintergrundtherapie, Ergebnisse der MOTIVATE-Studien (gepoolte Daten, angegeben sind Mittelwerte) [nach 4]
Die Patienten der Maraviroc-Gruppe erhielten Maraviroc (300 bzw. 150 mg) zweimal täglich zusätzlich zu einer optimierten antiretroviralen Hintergrundtherapie. Die Patienten der Plazebo-Gruppe erhielten ebenfalls eine optimierte antiretrovirale Therapie
Tab. 3. Unerwünschte Wirkungen [n] (%) der Therapie mit Maraviroc in den Phase-III-Studien MOTIVATE-1 und -2; die Patienten erhielten in diesen Studien randomisiert Maraviroc oder Plazebo zusätzlich zu einer optimierten antiretroviralen Hintergrundtherapie (OBT) (gepoolte Daten, angegeben sind unerwünschte Wirkungen mit einer Inzidenz ≥ 2 % in ≥ 1 Gruppe) [nach 4]
Maraviroc (300 mg 2-mal täglich plus OBT, n = 426) |
Plazebo plus OBT (n = 209) |
|
Bauchschmerzen |
11 (2,6) |
2 (1,0) |
Schmerzen im Oberbauch |
8 (1,9) |
5 (2,4) |
Obstipation |
13 (3,1) |
3 (5,4) |
Diarrhö |
37 (8,7) |
25 (12,0) |
Dyspepsie |
10 (2,3) |
2 (1,0) |
Flatulenz |
10 (2,3) |
7 (3,3) |
Übelkeit |
51 (12,0) |
24 (11,5) |
Erbrechen |
7 (1,6) |
8 (3,8) |
Fatigue |
33 (7,3) |
16 (7,7) |
Fieber |
7 (1,6) |
7 (3,3) |
Appetitlosigkeit |
9 (2,1) |
5 (2,4) |
Benommenheit |
21 (4,9) |
8 (3,8) |
Dysgeusie |
9 (2,1) |
2 (1,0) |
Kopfschmerzen |
30 (7,0) |
21 (10,0) |
Schlaflosigkeit |
14 (3,3) |
4 (1,9) |
Hautausschlag |
18 (4,2) |
3 (1,4) |
CCR5-inhibitor Maraviroc
The CCR5-inhibtor Maraviroc (Celsentri®) was approved in Europe at the end of September 2007 for the treatment of HIV in pretreated patients. This new compound should be used in combination with other antiretroviral active drugs.
Based on its unique mechanism of action maraviroc is only recommended in patients which depict exclusively CCR5-tropic HIV and where HIV correspondingly solely uses the chemokine receptor 5 for entering a T-cell after initial binding to CD4.
Keywords: Maraviroc, CCR5-inhibitor, HIV
Arzneimitteltherapie 2008; 26(03)