Arzneimittel in der klinischen Entwicklung

Therapie des Reizdarmsyndroms


Dr. Annemarie Musch, Stuttgart

Im Folgenden werden neue Ansätze zur Therapie des Reizdarmsyndroms aufgeführt, die sich durch einen neuen Wirkungsmechanismus auszeichnen und sich in einem bereits fortgeschrittenen Entwicklungsstadium befinden.

Dexloxiglumid

Stoffgruppe

Dexloxiglumid (Abb. 1) (CR 2017; Rottapharm) wird u. a. für die Therapie des Reizdarmsyndroms vom „Obstipationstyp“, d. h. mit Obstipation als Hauptsymptom, entwickelt [1, 4].

Wirkungsmechanismus

Dexloxiglumid ist ein selektiver, reversibler Cholecystokinin-1-Rezeptorantagonist. Es hemmt die Gallenblasenkontraktion und beschleunigt die Magenentleerung und den Transport des Darminhalts.

Pharmakokinetik

Der Arzneistoff wird rasch resorbiert. Die absolute Bioverfügbarkeit liegt u. a. aufgrund des First-Pass-Effekts in der Leber bei 48 %. Die Plasmaproteinbindung beträgt bis zu 98 %. Dexloxiglumid ist ein Substrat und ein schwacher Inhibitor von P-Glykoprotein. Die Metabolisierung erfolgt über die Cytochrom-P450-Isoenzyme 3A4/5 und 2C9. Dexloxiglumid wird überwiegend über die Fäzes ausgeschieden [2, 3].

Studien

Phase III läuft: Erste Ergebnisse liegen aus einer europäischen Langzeitstudie vor (DARWIN, dexloxiglumid, a randomisation/withdrawal IBS novel trial).

In dieser Studie wurden Patienten, die auf die Therapie mit Dexloxiglumid angesprochen haben (Therapiedauer 12 Wochen), über weitere 24 Wochen randomisiert mit Dexloxiglumid oder Plazebo behandelt. Es zeigte sich, dass durch die Fortsetzung der Behandlung mit Dexloxiglumid das Risiko für eine erneute Verschlechterung (Symptome der Erkrankung insgesamt, Bauchschmerzen) signifikant reduziert werden konnte.

Kurzbewertung

In 2 Studien über 12 Wochen wurde kein signifikanter Unterschied gegenüber Plazebo nachgewiesen. In der Verlängerung einer der beiden Studien zeigte sich dann aber ein Nutzen der Therapie darin, dass das Risiko einer erneuten Verschlechterung der Symptome reduziert wird. In die Verlängerung wurden die Patienten aufgenommen, die nach den ersten 12 Wochen auf die Therapie ansprachen. Die genaue Analyse der Daten steht noch aus. Möglicherweise sind andere Indikationen wie GERD (gastro-esophageal reflux disease) für Dexloxiglumid viel versprechender.

Lubiproston

Stoffgruppe

Lubiproston (Abb. 2) (RU 0211, SPI-0211; Handelsname in den USA Amitiza®; Sucampo Pharmaceuticals, Takeda) wird für die Therapie des mit Obstipation einhergehenden Reizdarmsyndroms entwickelt [5, 6].

Wirkungsmechanismus

Lubiproston, ein Prostaglandin-E-Analogon, ist ein selektiver Chloridkanalaktivator (apikale ClC-2-Chloridkanäle befinden sich u. a. im Darm) [7, 8]: Zusammen mit dem gesteigerten Einstrom von Chlorid ins Darmlumen kommt es zu gesteigerter Flüssigkeitssekretion in den Dünndarm: Das intraluminale Volumen und der Innendruck im Darm steigen, peristaltische Wellen werden ausgelöst und die Stuhlpassage wird gesteigert.

Pharmakokinetik

Lubiproston wird nach der Einnahme nur zu einem geringen Teil resorbiert; die Bioverfügbarkeit ist gering (die messbare Plasmakonzentration liegt unter 10 pg/l). Der Einfluss von gleichzeitiger Nahrungsafnahme ist bislang unklar. In den Studien wurde der Arzneistoff meist zu einer Mahlzeit eingenommen.

Ein aktiver Metabolit (M3) entsteht bei der Reduktion durch die Carbonylreductase. Die Metabolisierung findet bereits im Magen und Dünndarm statt, wahrscheinlich vor der Resorption (tierexperimentelle Daten).

Lubiproston wird zu etwa 94 % an Plasmaproteine gebunden und überwiegend über die Nieren ausgeschieden.

Nebenwirkungen

Bislang wurden am häufigsten Übelkeit, Bauchschmerzen und Diarrhö berichtet.

Studien

Phase III abgeschlossen: In zwei doppelblinden, randomisierten, Plazebo-kontrollierten Studien wurden rund 1 200 Patienten über 12 Wochen behandelt; anschließend wurde die Behandlung bei etwa 500 Patienten über bis zu 52 Wochen in einer offenen Verlängerungsstudie fortgesetzt. Das Gesamtansprechen (allgemeine Linderung der Krankheitssymptome) war gegenüber Plazebo signifikant erhöht. Die Wirkung hielt über 52 Wochen an.

Besonderheiten, Kurzbewertung

Vorteil der Behandlung ist die selektive Beeinflussung des ClC-2-Chloridkanal. Elektrolytstörungen wie veränderte Natrium- oder Kaliumkonzentrationen im Serum scheinen nicht hervorgerufen zu werden. In den USA wurde im Juli 2007 die Zulassung für die Behandlung des mit Obstipation einhergehenden Reizdarmsyndroms beantragt; derzeit ist Lubiproston in den USA zur Behandlung der chronischen idiopathischen Obstipation zugelassen (Amitiza®, 2-mal täglich 24 µg). Die Dosierung für die Indikation Reizdarmsyndrom (2-mal täglich 8 µg) beträgt nur ein Drittel von der zur Therapie der chronischen idiopathischen Obstipation.

Pumosetrag

Stoffgruppe

Pumosetrag (Abb. 3) (MKC-733, DDP733; Dynogen Pharmaceuticals) wird für die Therapie des Reizdarmsyndroms mit Verstopfung entwickelt. Weitere Indikationen sind Refluxkrankheit (GERD = gastro-esophageal reflux disease; NGERD = nocturnal GERD) [9, 12].

Wirkungsmechanismus

Pumosetrag ist ein partieller Agonist am Serotonin(5-HT3)-Rezeptor. DDP733 wirkt prokinetisch, weiterhin ruft es eine rasche Sphinkterkontraktion zwischen Magen und Ösophagus hervor und verhindert so den Reflux von Mageninhalt in die Speiseröhre [10, 11].

Pharmakokinetik

Pumosetrag wird oral gegeben. Der Arzneistoff wird allerdings nur zu einem kleinen Teil resorbiert, die Bioverfügbarkeit im Tierversuch war gering.

Nebenwirkungen

Bislang wurden leichte, vorübergehende unerwünschte Wirkungen berichtet wie Kopfschmerzen, Anorexie, Übelkeit, Diarrhö.

Studien

  • Phase II läuft, erste positive Ergebnisse liegen vor (gesteigerte Darmperistaltik, insbesondere bei Patienten mit geringer Peristaltik in der Ausgangssituation; begleitet von z. B. gesteigerter Stuhlfrequenz, Besserung gastrointestinaler Symptome)
  • Phase IIb ist geplant

Besonderheiten, Kurzbewertung

Antagonisten am 5-HT3-Rezeptor sind etablierte Arzneistoffe zur Behandlung von Zytostatika-induzierter Übelkeit und Erbrechen, für die auch positive Wirkungen bei Patienten mit Reizdarmsyndrom gezeigt wurden. Als Nebenwirkung kann es zu Obstipation kommen, so dass sich diese Arzneistoffe nur für Patienten mit diarrhoischer Form eignen würden.

Pumosetrag, ein partieller Agonist am 5-HT3-Rezeptor, wirkt prokinetisch; möglicherweise insbesondere bei gestörter Motilität im Magen-Darm-Trakt. Ein Vorteil wird in der Selektivität und in der geringen Resorption (hohe Wirkstoffkonzentration im Gastrointestinaltrakt) gesehen.

Renzaprid

Stoffgruppe

Renzaprid (Abb. 4) (Alizyme Therapeutics) wird entwickelt zur Behandlung des Reizdarmsyndroms mit Obstipation als vorherrschendem Symptom [13].

Wirkungsmechanismus

Renzaprid ist ein Serotonin(5-HT4)-Rezeptoragonist und ein Antagonist am 5-HT3-Rezeptor. Es wirkt prokinetisch.

Pharmakokinetik

Renzaprid zeigt eine lineare Pharmakokinetik. Der Arzneistoff wird nicht über Cytochrom-P450-Enzyme metabolisiert.

Studien

Phase III läuft

Besonderheiten, Kurzbewertung

Tegaserod, ebenfalls ein Antagonist am 5-HT4-Rezeptor, wurde in den USA aufgrund des kardiovaskulären Risikos vom Markt genommen, in Europa wurde die Zulassung nicht erteilt. Bislang wurden keine kardiovaskulären unerwünschten Wirkungen berichtet. Nach den bislang publizierten Daten werden die gastrointestinalen Symptome gebessert.

Talnetant

Stoffgruppe

Talnetant (Abb. 5) (SB-223412; GlaxoSmithKline) ist ein selektiver Neurokinin-3(NK3)-Rezeptorantagonist, der zur Behandlung des Reizdarmsyndroms (Phase II), aber auch der Schizophreniebehandlung entwickelt wird (Phase III) [13].

Wirkungsmechanismus

Physiologische Liganden am NK3-Rezeptor sind Tachykinine bzw. Neurokinine, insbesondere Neurokinin B. NK3-Rezeptoren spielen vermutlich eine Rolle bei der Hemmung der gastrointestinalen Motilität und der gesteigerten Schmerzempfindlichkeit –
zwei zentrale Symptome beim Reizdarmsyndrom vom Obstipationstyp. Durch die Gabe von Talnetant können die pathologische intestinale Motilität und die Nozizeption normalisiert werden [14, 15].

Pharmakokinetik

Der Arzneistoff wird oral gegeben. Im Tierversuch wurde eine gute Bioverfügbarkeit gezeigt. Talnetant passiert die Blut-Hirn-Schranke.

Besonderheiten, Kurzbewertung

Viel versprechend ist der neue Behandlungsansatz, da möglicherweise nur die pathologischen Veränderungen der gastrointestinalen Motilität beeinflusst werden. Die zentrale Wirkung des Arzneistoffs (Modulation der Dopamin-Freisetzung), die auch zur gleichzeitigen Entwicklung für die Indikation Schizophrenie führt, weckt Skepsis. Möglicherweise verhält es sich hier aber ähnlich wie beim Reizdarmsyndrom: Neurokinine spielen vorwiegend in der pathologisch veränderten Signaltransmission eine Rolle, so dass die Modulation mit NK3-Rezeptorantagonisten zur Normalisierung der Signaltransmission führt.

In Studien mit Schizophrenie-Patienten wurde so auch keine Veränderung der Prolactin-Spiegel oder des Körpergewichts beispielsweise beobachtet.

Literatur

1. Varga G. Dexloxiglumide Rotta Research Lab. Curr Opin Investig Drugs 2002;3:621–6.

2. Persiani S, et al. Pharmacokinetic profile of dexloxiglumide. Clin Pharmacokinet 2006;45:1177–88.

3. Hall M, Persiani S, Cheung YL, Matthews A, et al. Interaction of dexloxiglumide, a cholecystokinin type-1 receptor antagonist, with human cytochromes P450. Biopharm Drug Dispos 2004;25:163–76.

4. http://www.rottapharm.com/pages/canali/r&d/profili/2017.asp

5. http://www.sucampo.com/inthepipeline.html

6. http://www.amitiza.com/

7. Cuppoletti J, et al. SPI-0211 activates T84 cell chloride transport and recombinant human ClC-2 chloride currents. Am J Physiol Cell Physiol 2004;287:C1173–83.

8. Camilleri M, et al. Effect of a selective chloride channel activator, lubiprostone, on gastrointestinal transit, gastric sensory, and motor functions in healthy volunteers. Am J Physiol Gastrointest Liver Physiol 2006;290:G942–7.

9. http://www.dynogenpharma.com/pipeline_gi.htm

10. Fujita T, et al. Effect of MKC-733, a 5-HT receptor partial agonist, on bowel motility and symptoms in subjects with constipation: an exploratory study. J Clin Pharm Ther 2005;30:611–22.

11. Coleman NS, et al. Effect of a novel 5-HT3 receptor agonist MKC-733 on upper gastrointestinal motility in humans. Aliment Pharmacol Ther 2003;18:1039–48.

12. Evangelista S. Drug evaluation: Pumosetrag for the treatment of irritable bowel syndrome and gastroesophageal reflux disease. Curr Opin Investig Drugs 2007;8:416–22.

13. http://www.alizyme.com/alizyme/products/renzapride/

14. Evangelista S. Talnetant. Curr Opin Investig Drugs 2005;6:717–21.

14. Sanger GJ. Neurokinin NK1 and NK3 receptors as targets for drugs to treat gastrointestinal motility disorders and pain. Br J Pharmacol 2004;141:1303–12.

14. Sarau HM, et al. Nonpeptide tachykinin receptor antagonists: I. Pharmacological and pharmacokinetic characterization of SB 223412, a novel, potent and selective neurokinin-3 receptor antagonist. J Pharmacol Exp Ther. 1997 Jun;281(3):1303-11.

Abb. 1. Dexloxiglumid

Abb. 2. Lubiproston

Abb. 3. Pumosetrag

Abb. 4. Renzaprid

Abb. 5. Talnetant

Arzneimitteltherapie 2008; 26(03)