Dr. Peter Stiefelhagen, Hachenburg
Nach einer neueren Erhebung sind die Patientengruppen, die in Zentren behandelt werden, nicht repräsentativ für den Verlauf der Erkrankung im medizinischen Alltag. Insgesamt zeigten nur 20 % der Patienten mit einem Morbus Crohn und 10 % der Patienten mit einer Colitis ulcerosa einen chronisch aktiven Verlauf, 30 % bei beiden Erkrankungen einen intermittierenden Verlauf mit Schüben in weiten Abständen und 50 % der Crohn-Patienten bzw. 60 % der Kolitis-Patienten einen initial aktiven und dann über Jahre blanden Verlauf.
Für die Therapie des Morbus Crohn und der Colitis ulcerosa wurden von der Deutschen Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten Leitlinien herausgegeben, die ein standardisiertes Vorgehen ermöglichen, wobei diese Empfehlungen jedoch oft individuell verändert und angepasst werden müssen.
Die gezielte individuelle Therapie chronisch entzündlicher Darmerkrankungen orientiert sich an folgenden Faktoren:
- Art der Diagnose: Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa
- Befallsmuster bzw. Lokalisation der Erkrankung
- Aktivität der Entzündung: leichter, mäßig schwerer oder schwerer Schub
- Aktuelles Erkrankungsstadium: akuter Schub oder Remission
- Erfolg bzw. Nebenwirkungen von bisher eingesetzten Substanzen
Therapie des Morbus Crohn
Bei leichten Fällen mit ileozökaler Lokalisation empfiehlt sich eine Therapie mit Mesalazin, wobei mindestens eine Dosis von 3 g/Tag gegeben werden sollte. Bei fehlendem Ansprechen sollte nach 2 Wochen die Therapie umgestellt werden und zwar auf 3-mal 3 mg/Tag Budesonid (z. B. Entocort®). Mit dieser Behandlung kann in etwa 60 % der Fälle eine Remission erreicht werden. Für Budesonid spricht, dass im Vergleich zu konventionellen Glucocorticoiden Steroid-assoziierte Nebenwirkungen deutlich seltener auftreten –
bei fast gleicher Effektivität. Budesonid unterliegt einer hohen präsystemischen Elimination, die systemische Belastung ist gering.
Eine zusätzliche Gabe von Antibiotika ist nur dann indiziert, wenn infektiöse Komplikationen vermutet werden oder nachgewiesen sind. Spricht die Erkrankung nicht ausreichend auf Budesonid an, so ist eine Therapie mit systemischen Glucocorticoiden unumgänglich.
Bei einem schweren akuten Schub besteht immer die Indikation für ein systemisches Glucocorticoid und zwar in einer Standarddosis von 60 mg Prednisolon-Äquivalent/Tag oder 1 mg/kg Körpergewicht (KG) pro Tag für eine Woche. Dann sollte die Dosierung wöchentlich in 10-mg-Schritten reduziert werden bis zu einer Tagesdosis von 30 mg. Anschließend sollte die wöchentliche Reduktion in 5-mg-Schritten bis zu einer Tagesdosis von 10 mg erfolgen. Nach einer insgesamt 12-wöchigen Glucocorticoid-Therapie kann diese beendet werden. Mit einem solchen Vorgehen kann bei 70 % der betroffenen Patienten eine Remission erreicht werden.
Bei Patienten mit häufigen Schüben empfiehlt sich zusätzlich zur Glucocorticoid-Therapie eine Behandlung mit Azathioprin (2–2,5 mg/kg KG; z. B. Imurek®) oder Mercaptopurin (1–1,5 mg/kg KG;
Puri-Nethol®). Die zusätzliche Gabe des Immunsuppressivums hat einen „Glucocorticoid-sparenden“ Effekt und bedeutet zugleich die Einleitung einer Rezidivprophylaxe. Wenn Azathioprin wegen Nebenwirkungen nicht vertragen wird, ist Methotrexat eine Alternative, beginnend mit einer Dosierung von 25 mg/Woche i. m. mit späterer Dosisreduktion auf 15 mg/Woche i. m. Die Methotrexat-Therapie erfordert immer die zusätzliche Gabe eines Folsäure-Präparats. Zu beachten ist, dass es 2 bis 3 Monate dauert, bis Azathioprin bzw. Methotrexat ihre Wirkung entfalten.
Wenn die Kombination aus Glucocorticoiden und Immunsuppressiva keine ausreichende Wirkung zeigt, sollte die Gabe eines gegen Tumornekrosefaktor alpha (TNF-a) gerichteten Antikörpers (Infliximab [Remicade®], Adalimumab [Humira®]) diskutiert werden. Der Wirkungsmechanismus der Anti-TNF- a-Antikörper ist weiterhin unklar. Für Infliximab wird ein Apoptose-induzierender Effekt diskutiert. Um die Infliximab-Wirkung zu erhalten, ist eine konkomitante Immunsuppression beispielsweise mit Azathioprin erforderlich. Das Dosisschema für Infliximab ist 5 mg/kg KG als Kurzinfusion in Woche 0, 2 und 6, danach eventuell eine Erhaltungstherapie mit der gleichen Dosis alle 8 Wochen. Adalimumab wird alle 2 Wochen s. c. appliziert, initial 160 mg, dann 80 mg und danach 40 mg.
Bei einem isolierten leichten Befall des Kolons sollte die Therapie ebenfalls mit Mesalazin begonnen werden. Eine Therapie mit Budesonid ist nur dann sinnvoll, wenn das proximale Kolon bis zur linken Flexur betroffen ist, da die Substanz das distale Kolon nicht erreicht. Bei mittelschwerem und schwerem Schub sind systemische Glucocorticoide unverzichtbar. Ist nur der obere Gastrointestinaltrakt bzw. der Dünndarm proximal des Ileums befallen, hat Mesalazin keinen Effekt, ebenso wenig Budesonid. Hier ist die primäre Gabe von Glucocorticoiden notwendig.
Von einem chronisch aktiven Morbus Crohn spricht man, wenn die Symptome über 6 Monate persistieren oder trotz Therapie rezidivieren. Bei einem Teil der Patienten besteht eine Steroid-Abhängigkeit, nämlich dann, wenn Glucocorticoide zur Aufrechterhaltung einer stabilen Remission dauerhaft gegeben werden müssen und wenn zwei Versuche zur Dosisreduktion innerhalb von 6 Monaten ergebnislos waren. Wenn die Krankheitsaktivität auch durch hohe Glucocorticoid-Dosen nicht ausreichend beeinflusst werden kann, spricht man von Steroid-Refrakterität. Bei einem chronisch aktiven Morbus Crohn besteht immer die Indikation für Immunsuppressiva. Medikament der ersten Wahl ist Azathioprin, alternativ Mercaptopurin. Wenn diese Substanzen nicht gegeben werden können, ist Methotrexat die Alternative. Neuerdings wird beim chronisch aktiven Morbus Crohn auch die Gabe von Anti-TNF-a-Antikörpern propagiert bei einer langfristigen Ansprechrate von etwa 40 %.
Bei der Remissionserhaltung ist eine Wirkung von Mesalazin bisher nicht eindeutig belegt. Nach der medikamentös induzierten Remission des ersten Schubs sollte die Therapie ganz abgesetzt werden. Ab dem dritten oder vierten Schub der Erkrankung sollte eine Rezidivprophylaxe mit einem Immunsuppressivum begonnen werden. In Einzelfällen kann auch die Gabe von Infliximab alle 8 Wochen diskutiert werden. Glucocorticoide sind zur Remissionstherapie nicht geeignet.
Ist nur das distale Rektum befallen, empfiehlt sich eine topische Therapie mit Mesalazin in Form von Suppositorien, Schäumen oder Klysmen. Als Alternative kommen topische Glucocorticoide in Betracht.
Gelenkmanifestationen sollten nicht mit nichtsteroidalen Antirheumatika behandelt werden. Diese sind bei chronisch entzündlichen Darmerkrankungen kontraindiziert, da sie einen neuen Schub auslösen können. Auch Cyclooxygenase-2-Inhibitoren sind nicht unproblematisch. Empfohlen werden primär systemische Glucocorticoide, eventuell Immunsuppressiva, außerdem Paracetamol und Metamizol.
Therapie der Colitis ulcerosa
Etwa 50 bis 60 % der Patienten mit Colitis ulcerosa leiden an einer Proktosigmoiditis, etwa 20 bis 30 % an einer linksseitigen Kolitis bis zur linken Flexur und nur etwa 15 bis 20 % an einer subtotalen oder totalen Colitis ulcerosa.
Bei der distalen Colitis ulcerosa empfiehlt sich zunächst eine topische Therapie mit Suppositorien, Schaumpräparaten oder Klysmen, wobei Aminosalicylate wirksamer sind als Glucocorticoide. Suppositorien eignen sich natürlich nur bei ganz distaler Lokalisation. Klysmen, aber auch Schaumpräparate können noch die linke Flexur erreichen. Wenn eine solche lokale Therapie nicht zum Erfolg führt, empfiehlt sich eine orale Gabe von Aminosalicylaten, eventuell auch Glucocorticoiden.
Bei ausgedehnter Colitis ulcerosa mit leichter bis mittlerer Aktivität ist eine Therapie mit 3 g Mesalazin täglich oft erfolgreich. Da die Colitis ulcerosa im Rektum meist am stärksten ausgeprägt ist, empfiehlt sich eine Kombination von oralem Mesalazin mit topischem Mesalazin. Mit Mesalazin-Granulat und mit MMX-Mesalazin (Mezavant®) genügt eine einmalige Dosierung pro Tag. Wird mit Mesalazin keine ausreichende Wirkung erzielt oder kann diese Substanz wegen Unverträglichkeit nicht gegeben werden, so besteht die Indikation für Glucocorticoide in einer Dosierung von 1 mg/kg Prednisolon-Äqulivalent, wobei die Dosis wie beim Morbus Crohn stufenweise reduziert werden sollte.
Bei schwerem Schub einer Colitis ulcerosa müssen systemische Glucocorticoide gegeben werden in einer Dosierung von 1 mg/kg Presnisolon-Äquivalent. Ob die gleichzeitige Gabe von Mesalazin einen zusätzlichen Effekt hat, ist nicht bewiesen. Beim fulminanten Schub sollten Glucocorticoide intravenös gegeben und auf mehrere Dosen am Tag verteilt werden. Hier besteht auch die Indikation für eine parenterale Ernährung. Auch wenn eine Wirkung nicht belegt ist, werden solche Patienten auch prophylaktisch mit Breitspektrumantibiotika behandelt.
Bei einer Steroid-refraktären Colitis ulcerosa kann durch eine Ciclosporin-Dauerinfusion (z. B. Sandimmun®) in einer Dosierung von 4 mg/kg Körpergewicht eine ansonsten notwendige Notfallkolektomie vermieden werden. Wenn diese Substanz jedoch spätestens nach einer Woche keine Wirkung zeigt, sollte Ciclosporin wieder abgesetzt werden. Bei Ansprechen erfolgt die Umsetzung auf orales Ciclosporin, wobei die Therapie anhand der Wirkstoffkonzentration im Plasma gesteuert wird. Da der Effekt von Ciclosporin rasch nachlässt, sollte frühzeitig mit einer Azathioprin-Behandlung begonnen werden. Bei zwei Drittel der Patienten, die primär auf Ciclosporin angesprochen haben, kann die Remission mit Azathioprin aufrechterhalten werden. Für Tacrolimus (Prograf®) konnte eine gleich gute Wirkung wie für Ciclosporin dokumentiert werden. Auch Infliximab kann bei der Steroid-refraktären Colitis ulcerosa mit Erfolg eingesetzt werden.
Bei Steroid-Abhängigkeit besteht wie beim Morbus Crohn die Indikation für eine immunsuppressive Therapie mit Azathioprin (2–2,5 mg/kg KG). Mit dieser Substanz kann bei etwa 50 % der betroffenen Patienten die Glucocorticoid-Behandlung beendet werden.
Im Unterschied zum Morbus Crohn besteht bei der Colitis ulcerosa immer eine Indikation für eine remissionserhaltende Therapie mit Aminosalicylaten beispielsweise 1,5 mg Mesalazin. Die optimale Dauer der Rezidivprophylaxe ist bisher nicht bekannt. Als Mindestdauer gelten 2 Jahre. Bei distaler Kolitis sollte Mesalazin auch zur Erhaltungstherapie topisch gegeben werden. Nach neueren Studien dürfte Mesalazin auch eine prophylaktische Wirkung auf die Entstehung kolorektaler Karzinome haben, so dass eventuell auch eine lebenslange Dauertherapie mit dieser Substanz sinnvoll ist. Als Alternative zu Mesalazin in der Erhaltungstherapie der Colitis ulcerosa bietet sich nach den Ergebnissen neuerer Studien der apathogene E. coli Nissle an.
Neue Therapieansätze
In der Entwicklung sind zahlreiche neue Biologika und immunsuppressiv wirkende Substanzen. Die Wirkung von Wachstumshormonen und Wachstumsfaktoren ist bisher nicht eindeutig geklärt. Gleiches gilt für das Nebenwirkungsrisiko. Probiotika haben schon heute einen Stellenwert in der Rezidivprophylaxe der Colitis ulcerosa. Auch die Gabe von Phosphatidylcholin zur Remissionsinduktion und Remissionserhaltung scheint wirksam zu sein. Zu den vielfältigen Therapiekonzepten, die zurzeit erprobt werden, gehören auch Liganden für den nukleären Gallensäurerezeptor, Thiazolidindione, Wurmeier und Zinkcarnosin.
Fazit
Bei einem leichten Schub des Morbus Crohn empfiehlt sich eine Therapie mit Mesalazin, bei fehlendem Ansprechen Budesonid. Schwere Schübe sollten mit einem systemischen Glucocorticoid in ausschleichender Dosierung behandelt werden. Bei häufigen Schüben oder bei Steroid-Refraktärität oder -Abhängigkeit ist eine immunsuppressive Therapie mit Azathioprin oder Mercaptopurin bzw. Methotrexat indiziert. Als Ultima Ratio kommen Anti-TNF-a-Antikörper zum Einsatz.
Auch bei einer Colitis ulcerosa mit leichter bis mittlerer Aktivität ist Mesalazin der Therapiestandard. Beim distalen Befall kann die Therapie topisch durchgeführt werden. Ein schwerer Schub erfordert eine systemische Glucocorticoidtherapie, beim fulminanten Schub sogar i. v. Bei Steroid-refraktärem bzw. -abhängigem Verlauf besteht die Indikation für eine immunsuppressive Therapie mit Azathioprin.
Zur Remissionserhaltung empfiehlt sich beim Morbus Crohn, allerdings nur bei rezidivierendem Verlauf, eine immunsuppressive Therapie. Bei Colitis ulcerosa sollte immer eine remissionserhaltende Therapie mit Mesalazin durchgeführt werden.
Quelle
Prof. Dr. Wolfgang Kreisel, Freiburg, Prof. Dr. Jürgen Schölmerich, Regensburg. Vorträge im Rahmen der XII. Gastroenterologie-Seminarwoche (Falk-Seminar), Titisee, 19. Februar 2008.
Arzneimitteltherapie 2008; 26(06)