Tumorerkrankungen

Supportivtherapie mit Filgrastim-Biosimilar


Dr. Annemarie Musch, Stuttgart

Nach der Einführung von Epoetin-Biosimilars im Jahr 2007 wurde mit Ratiograstim® das erste Filgrastim-Biosimilar für die Supportivtherapie von Patienten mit Tumorerkrankungen zur Verfügung gestellt. Der rekombinante humane Granulozyten-Kolonie-stimulierende Faktor (G-CSF) ist zugelassen zur Behandlung bestimmter Formen der Neutropenie und zur Mobilisierung peripherer Blutstammzellen. Die von der europäischen Arzneimittelagentur in der Guideline on Similar Biological Medicinal Products geforderte vergleichbare Qualität, Wirksamkeit und Sicherheit des Biosimilars gegenüber dem Referenzprodukt wurde nachgewiesen. Eine Zusammenfassung wichtiger Studienergebnisse präsentierte die Firma ratiopharm direct bei der Einführungspressekonferenz in Frankfurt im Oktober 2008.

Durch die Gabe von rekombinantem humanem Granulozyten-Kolonie-stimulierendem Faktor (G-CSF) können die Dauer einer Neutropenie bei Patienten, die aufgrund einer Tumorerkrankung eine zytostatische Chemotherapie erhalten, verkürzt und das je nach Schwere und Dauer der Neutropenie unterschiedlich große Infektionsrisiko reduziert werden. Hierbei ist der Zeitpunkt der G-CSF-Gabe entscheidend, Schwere und Dauer der Neutropenie können durch eine frühe G-CSF-Gabe (z. B. ein bis zwei Tage nach der zytostatischen Chemotherapie) besonders günstig beeinflusst werden. Dies kann auch zu einer Optimierung der Tumortherapie beitragen – dies gilt insbesondere für Therapien mit kurativer Absicht: Dosisreduktionen und Therapieunterbrechungen aufgrund schwerer Neutropenien und Infektionen können verhindert, die relative Dosisintensität der Therapie und damit die Chance auf ein gutes Therapieergebnis vergrößert werden.

Entsprechend der EORTC-Richtlinie (European Organisation for Research and Treatment of Cancer) sollten Patienten mit einem mit der geplanten zytostatischen Chemotherapie assoziierten Risiko für eine febrile Neutropenie von >20% stets prophylaktisch G-CSF erhalten. Als Beispiele für zytostatische Chemotherapien mit solch einem hohen Risiko für eine febrile Neutropenie können verschiedene Regime zur Therapie des Mammakarzinoms (z.B. Doxorubicin/Cyclophosphamid, gefolgt von Docetaxel), des nichtkleinzelligen Bronchialkarzinoms (z.B. Docetaxel/Carboplatin) und des Non-Hodgkin-Lymphoms (z.B. Cyclophosphamid/Doxorubicin/Vincristin/Prednison [CHOP]) genannt werden.

Die bislang für die Therapie bestimmter Formen der Neutropenie und zur Mobilisierung peripherer Blutstammzellen zur Verfügung stehenden rekombinant hergestellten Formen des humanen G-CSF waren die nicht glykosylierte Form Filgrastim (produziert in Escherichia coli; Neupogen®), pegyliertes Filgrastim (Neulasta®) und die glykosylierte Form Lenograstim (produziert in Ovarialzellen des Hamsters; Granocyte®). Am 15. September 2008 wurde dann auch das erste Filgrastim-Biosimilar (Ratiograstim®) in Europa für diese Indikationen zugelassen. Es ist seit dem 15. November 2008 im Handel verfügbar.

Das Biosimilar hat das von der europäischen Arzneimittelagentur vorgeschriebene spezielle Zulassungsverfahren für Biosimilars durchlaufen (siehe Kasten): Für das Biosimilar konnte in einem umfangreichen Studienprogramm die von der EMEA geforderte hinreichende Ähnlichkeit mit dem Referenzbiopharmazeutikum in Qualität, Sicherheit und Wirksamkeit gezeigt werden.

Phase-III-Studien

In den Phase-III-Studien wurden insgesamt 680 Patienten mit dem Filgrastim-Biosimilar behandelt. Als Referenzprodukt wurde Filgrastim (Neupogen®) eingesetzt.

Die wichtigste Phase-III-Studie war eine Studie mit Mammakarzinom-Patientinnen. In dieser randomisierten Studie erhielten 140 Patientinnen im 1. Zyklus der zytostatischen Chemotherapie (Docetaxel/Doxorubicin) das Filgrastim-Biosimilar und 140 Patientinnen das Referenzprodukt (jeweils 5 µg/kg s. c.). Die Gabe der Studienmedikation erfolgte jeweils am ersten Tag nach der Verabreichung von Docetaxel/Doxorubicin (60 mg/m2 i. v. Bolus bzw. 75 mg/m2 i. v. Infusion über mindestens 1 Stunde, jeweils an Tag 1 eines dreiwöchigen Zyklus) über mindestens 5, maximal 14 Tage pro Zyklus.

Auf Wunsch der EMEA wurde eine weitere Patientengruppe (n = 70) mitgeführt, in der die Patientinnen im 1. Zyklus der zytostatischen Chemotherapie kein G-CSF und in den folgenden Zyklen das Filgrastim-Biosimilar erhielten (Plazebo-Gruppe).

Das Studiendesign der beiden ergänzenden Studien mit Patienten mit Bronchialkarzinom (nichtkleinzelliges/kleinzelliges) und Patienten mit Non-Hodgkin-Lymphom war weitgehend vergleichbar; in diesen Studien gab es jedoch keine Plazebo-Gruppe und die Randomisierung erfolgte im Verhältnis 2:1.

Im primären Endpunkt, der Dauer einer schweren Neutropenie (ANC [absolute neutrophil count] <500/µl) im 1. Zyklus der zytostatischen Chemotherapie, konnte in allen drei Phase-III-Studien eine vergleichbare Wirksamkeit des Filgrastim-Biosimilars mit dem Referenzprodukt gezeigt werden. In der Studie mit Mammakarzinom-Patientinnen litten die Patientinnen in den beiden aktiven Behandlungsgruppen im 1. Zyklus der zytostatischen Chemotherapie durchschnittlich rund 1,1 Tage an einer schweren Neutropenie (p = 0,8305; Per-Protocol-Analyse) (Abb. 1). In der Plazebo-Gruppe betrug die Dauer der schweren Neutropenie durchschnittlich rund 3,8 Tage (vs. Filgrastim-Biosimilar p<0,0001; Per-Protocol-Analyse).

Abb. 1. Durchschnittliche Zahl der neutrophilen Granulozyten (ANC [absolute neutrophil count] ± Standardabweichung) bei Mammakarzinom-Patientinnen im 1. Zyklus einer zytostatischen Chemotherapie mit Docetaxel/Doxorubicin, die entweder ein Filgrastim-Biosimilar (Ratiograstim®), das Referenzprodukt (Neupogen®) oder Plazebo erhielten

Ausblick

Die zugelassenen Indikationen für das Filgrastim-Biosimilar umfassen die zugelassenen Indikationen des Referenzprodukts: Chemotherapie-induzierte Neutropenie, Neutropenie, verursacht durch knochenmarkschädigende Therapie mit nachfolgender Blutstammzelltransplantation, Mobilisation von Blutstammzellen, schwerwiegende kongenitale, zyklische oder idiopathische Neutropenie und Neutropenie bei HIV-Patienten.

Mit der Verfügbarkeit des im Vergleich zum Referenzprodukt preisgünstigeren Filgrastim-Biosimilars ist die Hoffnung verbunden, dass mehr Patienten leitliniengerecht therapiert werden. Der Preis des Biosimilars liegt etwa 15% unter dem des Referenzprodukts (Lauertaxe: Stand 15. Oktober 2008).

Von Experten wird die Austauschbarkeit von nichtglykosylierten Produkten gegenüber der von glykosylierten Produkten (z. B. Epoetin) als weniger problematisch bewertet. Für die Beurteilung der Langzeitverträglichkeit wäre es jedoch von Vorteil, wenn möglichst eine Weiterverordnung des gleichen Produkts erfolgen würde.

Quelle

Dr. Hermann, Allgaier, Ulm, Dr. Hans-Peter Lipp, Tübingen, Prof. Dr. Andreas Engert, Köln. Einführungspressekonferenz „Ratiograstim® – Das erste Biosimilar von ratiopharm“, Frankfurt am Main, 15. Oktober 2008, veranstaltet von ratiopharm direct.

Tipp zum Weiterlesen

Krämer I. Biosimilars sind keine Biogenerics oder Ähnliches ist nicht das Selbe. Krankenhauspharmazie 2007;28:421–6.

Musch A. Biosimilars. Arzneimitteltherapie 2008;26:1.

Arzneimitteltherapie 2009; 27(04)