Dagmar Jäger-Becker, Rodgau
Der Morbus Niemann-Pick ist eine autosomal-rezessiv vererbte lysosomale Speicherkrankheit, bei der es zur Akkumulation von Lipiden in verschiedenen Organen (z. B. Milz, Leber, Gehirn) kommt. Anhand des klinischen Erscheinungsbilds werden verschiedene Typen unterschieden. Beim Typ C (geschätzte Prävalenz 1:100000) liegen Mutationen im NPC1-Gen (ca. 95%) oder im NPC2-Gen (ca. 5%) vor, die einen gestörten intrazellulären Lipidtransport mit Akkumulation von Cholesterol und Sphingolipiden in den Lysosomen bedingen. Folge der exzessiven intrazellulären Fettspeicherung ist eine Störung der Zellfunktion bis hin zum Zelltod. Bei den Betroffenen liegt häufig eine Splenomegalie vor, oftmals lange bevor eine neurologische Symptomatik auftritt. Charakteristische neurologische Symptome sind die vertikale Blickparese, Kataplexie, Ataxie, Krampfanfälle und ungeschickte, verlangsamte Bewegungsabläufe (Tab. 1). Erste klinische Symptome können bereits intrauterin (Nachweis eines Aszites) oder kurz nach der Geburt (Ikterus prolongatus) auftreten. Neurologische Auffälligkeiten können auch erst Jahre später manifest werden. Im Erwachsenenalter fallen oft die psychiatrischen Symptome als erstes auf.
Tab. 1. Manifestationen des M. Niemann-Pick C
Neonatale Form |
Neurologische Symptome: Entwicklungsverzögerung, Spastik, Krampfanfälle Neonatale Lebererkrankung (Ikterus prolongatus; cholestatische Hepathopathie) Splenomegalie Tod bis zum 5. Lebensjahr |
Spätinfantile/juvenile Form (neurologische Probleme beginnen im Schulalter) |
Neurologische Symptome: vertikale Blickparese, Ataxie, Spastik, Krampfanfälle, Kataplexie, Dysarthrie, Dysphagie, Lernschwierigkeiten Splenomegalie Tod im Jugendalter |
Adulte Form (langsame Neurodegeneration) |
Neurologische Symptome: verwaschene Sprache, Störung der Grob- und Feinmotorik Psychiatrische Symptome (z.B. Depressionen) Lungenerkrankung (Lungeninfiltrate, Sauerstoff-Diffusionsstörung) |
Die Erkrankung geht häufig mit einer Erhöhung der Plasmakonzentration der Chitotriosidase einher (100–1500 µmol/l; normal <80 µmol/l). Die Messung dieser von aktivierten Makrophagen produzierten Chitinase kann zu diagnostischen Zwecken genutzt werden. Der biochemische Nachweis der Niemann-Pick-Krankheit Typ C erfolgt durch den sogenannten Filipin-Test. Nach Anfärbung mit Filipin zeigt sich ein charakteristisches punktförmiges Fluoreszenzmuster um den Zellkern kultivierter Fibroblasten, das dem intrazellulär angesammelten Cholesterol entspricht. Die weitere Diagnostik besteht in der genetischen Analyse von NPC1 und NPC2.
Mit der Zulassung des Glucosylceramid-Synthase-Inhibitors Miglustat (Zavesca®), einem Iminozucker, der bis dahin nur zur Behandlung des Morbus Gaucher Typ 1 eingesetzt wurde, steht seit Januar 2009 erstmals ein Arzneimittel zur Behandlung progressiver neurologischer Symptome bei Erwachsenen und Kindern mit Niemann-Pick-Krankheit Typ C zur Verfügung. Die Substratreduktionstherapie hat in einer prospektiven offenen klinischen Studie und zwei retrospektiven Kohortenstudien ihre Wirksamkeit belegt und das Fortschreiten der neurologischen Symptome gebremst.
Studiendesign
In die klinische Studie waren 29 mindestens 12 Jahre alte Patienten mit Morbus Niemann-Pick Typ C eingeschlossen. Sie erhielten 12 Monate lang randomisiert entweder Miglustat 200 mg p. o. dreimal täglich (n=20) oder eine symptomatische Standardtherapie (n=9). 12 Kinder zwischen 4 und 11 Jahren wurden in eine zusätzliche Gruppe aufgenommen und bekamen Miglustat in einer an ihre Körperoberfläche angepassten Dosierung. Primärer Endpunkt war die Geschwindigkeit der horizontalen sakkadischen Augenbewegungen (HSEM) als Marker für das Fortschreiten der Erkrankung. Zu den sekundären Endpunkten gehörten Schlucken, Hörschärfe, Gehfähigkeit (gemessen mit dem „standard ambulation index“) und kognitive Fähigkeiten („mini-mental status examination“ [MMSE]).
Ergebnisse
In der Gruppe der mindestens 12 Jahre alten Studienteilnehmer, die Miglustat erhalten hatten, konnte nach Ausschluss der Patienten, die Benzodiazepine eingenommen hatten, eine signifikante Steigerung der Geschwindigkeit der sakkadischen horizontalen Augenbewegungen (HSEM) festgestellt werden (p=0,028). Auch in der Gruppe der unter 12-Jährigen nahm die Geschwindigkeit der HSEM zu.
Bei den mindestens 12 Jahre alten Studienteilnehmern konnte unter Miglustat darüber hinaus eine Verbesserung des Schluckvermögens im Vergleich zu den mit Standardtherapie behandelten Patienten festgestellt werden. Am Ende der Studie waren beispielsweise mehr Patienten aus der Miglustat-Gruppe in der Lage, problemlos ein Drittel eines Kekses zu schlucken, als in der Vergleichsgruppe (p=0,044). Während in der Gruppe der mit Miglustat behandelten ≥12-Jährigen die Hörschärfe bis zum Studienende konstant geblieben war (bzw. bei einem der Patienten sogar wieder Normalwerte erreicht hatte), hatte sich bei 2 der 9 Studienteilnehmer der Standardtherapie-Gruppe das Hörvermögen verschlechtert. Weiterhin führte Miglustat bei den ≥12-Jährigen im Vergleich zur Standardtherapie-Gruppe zu einer Verlangsamung der Verschlechterung des Mobilitätsindex (mittlere Behandlungsdifferenz –0,715; 95%-Konfidenzintervall –1,438 bis 0,007; p=0,052).
Die häufigsten unerwünschten Arzneimittelwirkungen unter Miglustat bei den ≥12-Jährigen waren Diarrhö (85%), Blähungen (70%), Gewichtsverlust (65%) und Bauchschmerzen (50%), wobei die Inzidenz mit der Zeit abnahm. In der Gruppe der <12-Jährigen waren gastrointestinale Beschwerden weniger häufig. Schwere unerwünschte Ereignisse traten bei je 2 mit Miglustat behandelten Patienten beider Altersgruppen auf, wurden jedoch nicht auf die Studienmedikation zurückgeführt.
In einer nicht kontrollierten Verlängerungsphase führte die Therapie mit Miglustat bei wichtigen Markern für neurologische Fehlfunktionen zu einer Krankheitsstabilisierung bei jugendlichen, erwachsenen und pädiatrischen Patienten.
Quelle
Prof. Dr. Thorsten Marquardt, Münster, Dr. Marianne Rohrbach, Zürich, Prof. Dr. Arndt Rolfs, Rostock. Satelliten-Symposium „Lysosomale Speicherkrankheiten – der Patient im Focus“, veranstaltet von Actelion Pharmaceuticals Deutschland GmbH, Wiesbaden, 18. April 2009.
Patterson MC, et al. Miglustat for treatment of Niemann-Pick C disease: a randomised controlled study. Lancet Neurol 2007;6:765–72.
Arzneimitteltherapie 2009; 27(11)