Bluthochdruck bei Kindern und Jugendlichen


Empfehlungen der europäischen Hypertoniegesellschaft

Immer mehr Kinder und Jugendliche leiden unter einem Bluthochdruck – häufig infolge von Bewegungsmangel und Adipositas. Unbehandelt geht die juvenile Hypertonie zumeist in eine Erwachsenenhypertonie über. Daher sind die von der Europäischen Gesellschaft für Hypertonie (European Society of Hypertension, ESH) entwickelten Leitlinien zum Bluthochdruck bei Kindern und Adoleszenten von hoher Bedeutung.
Arzneimitteltherapie 2009;27:395–7.

Ab wann beginnt die kindliche Hypertonie?

Der Blutdruck bei Kindern und Jugendlichen nimmt physiologischerweise in Abhängigkeit von Alter, Körpergröße und Geschlecht zu. Es ist daher nicht einfach, eine exakte Grenze zwischen normalen und erhöhten Werten zu ziehen. Anders als bei Erwachsenen werden hochnormale Blutdruckwerte und Hypertonie nicht anhand von Blutdruckschwellenwerten definiert, sondern unter Bezug auf die Perzentilen der altersentsprechenden Blutdruckwerte.

Die Europäische Gesellschaft für Hypertonie (European Society of Hypertension, ESH) unterscheidet vier verschiedene Blutdruckbereiche (Tab. 1).

Tab. 1. Klassifikation von Blutdruckbereichen [nach Lurbe et al. 2009]

Klassifikation

Bereich

Normal

<90. Perzentile

Hochnormal

≥90. bis <95. Perzentile, bei Adoleszenten auch ≥120/80 mmHg (sogar dann, wenn <90. Perzentile)

Milde Hypertonie (Schweregrad 1)

≥95. Perzentile bis 99. Perzentile + 5 mmHg

Schwere Hypertonie (Schweregrad 2)

>99. Perzentile + 5 mmHg

Die normativen Daten, mit welchen die Perzentilen berechnet wurden, beruhen auf einer US-amerikanischen Studie an über 70000 Kindern (Task Force for Blood Pressure in Children) (Tab. 2).

Tab. 2. Alters- und geschlechtsabhängige Zunahme der Blutdruckschwellenwerte (Beispiel)

Alter

90. Perzentile

95. Perzentile

5 Jahre

Mädchen

Jungen

118/80 mmHg

120/79 mmHg

121/82 mmHg

123/81 mmHg

10 Jahre

Mädchen

Jungen

123/79 mmHg

124/80 mmHg

126/81 mmHg

127/82 mmHg

14 Jahre

Mädchen

Jungen

127/80 mmHg

134/80 mmHg

130/82 mmHg

138/82 mmHg

Diagnostik

Um Folgeschäden vorzubeugen, muss eine Hypertonie rechtzeitig erkannt werden. Kinder und Jugendliche mit schwerer Hypertonie, die nicht therapiert wurde, haben ein erhöhtes Risiko für zerebrovaskuläre Ereignisse, hypertensive Enzephalopathien, Krampfanfälle und eine kongestive Herzinsuffizienz.

Bei allen Kindern ab drei Jahren sollte der Arzt daher routinemäßig den Blutdruck untersuchen. Gemäß den Empfehlungen der ESH müssen mehrere unabhängige Messungen über einen längeren Zeitraum durchgeführt werden, um eine Hypertonie zu diagnostizieren. Die Klassifikation der Blutdruckbereiche (Tab. 1) beruht auf der auskultatorischen Blutdruckmessmethode. Oszillometrisch gewonnene Werte können höher sein. Daher muss ein Bluthochdruck per Auskultation diagnostiziert werden. Um eine Praxis-Normotonie („masked hypertension“) sowie eine Weißkittelhypertonie auszuschließen, sind auch ambulante Blutdruckmessungen erforderlich. Hierbei sind 24-Stunden-Messungen von Vorteil.

Es ist jedoch noch unbekannt, ob die Profile der 24-Stunden-Messungen von hypertensiven Kindern und Jugendlichen denen erwachsener Bluthochdruckkranker entsprechen. Lurbe et al. heben hervor, dass in Zukunft die von Kindern und Jugendlichen erhaltenen Profile genau ausgewertet werden müssen. Bei Erwachsenen ist bekannt, dass der Blutdruck einem natürlichen biologischen Rhythmus folgt: Morgens steigt er rasch an, hat meistens abends einen zweiten, kleineren Gipfel und fällt nachts deutlich ab („Dipping“). Diese rhythmischen Schwankungen finden sich auch bei den meisten erwachsenen Hypertonikern – allerdings nicht bei allen. „Non-Dipping“ bezeichnet das nächtliche Absinken um weniger als 10 % des Tagesblutdrucks oder gar einen Blutdruckanstieg in der Nacht. Unklar ist, ob der Hochdruck bei kindlichen Hypertonikern meist dem natürlichen biologischen Rhythmus folgt oder ob es auch bei ihnen Non-Dipping gibt.

Wird eine Hypertonie diagnostiziert, sollte zunächst geklärt werden, ob es sich um eine primäre Hypertonie (Synonym: essenzielle, genuine oder idiopathische Hypertonie) mit unbekannter Ursache oder um eine sekundäre Hypertonie als Folge pathologischer Organveränderungen handelt. Eine sekundäre Hypertonie tritt häufig bei Erkrankungen der Niere auf. Auch endokrine Störungen wie Phäochromozytom, Hyperthyreose und Cushing-Syndrom sowie kardiovaskuläre oder neurogene Erkrankungen können zu einem sekundären Hochdruck führen.

Wichtig ist es festzustellen, ob die Hypertonie bereits zu Organschäden geführt hat. Eine der häufigsten Komplikationen ist die linksventrikuläre Hypertrophie (LVH), die zumeist später – im Erwachsenenalter – zu kardiovaskulären Ereignissen führen kann.

Therapie

Bei einer sekundären Hypertonie steht die Behandlung des Grundleidens im Vordergrund. Dies ist bei der primären Hypertonie definitionsgemäß nicht möglich. Bei hochnormalen Blutdruckwerten sollte zunächst auf eine medikamentöse Therapie verzichtet werden. Adipositas ist der wichtigste Risikofaktor für einen erhöhten Blutdruck. Oft reicht es aus, Übergewicht zu reduzieren und Sport zu treiben.

Gelingt es nicht, den Blutdruck auf Werte unterhalb der 95. Perzentile zu senken, ist eine medikamentöse Behandlung meist indiziert. Bei der Entscheidung sollten nicht nur die Blutdruckwerte, sondern auch andere Risikofaktoren wie renale Schädigungen oder Diabetes mellitus berücksichtigt werden. Die vier wichtigsten Medikamentenklassen, die zur Therapie der juvenilen Hypertonie eingesetzt werden, sind Angiotensin-Konversionsenzym-(ACE-)Hemmer, Angiotensin-II-Typ-1-Rezeptorantagonisten (AT1-Blocker), Calciumkanalblocker und Betablocker (Tab. 3). Wie häufig in der Pädiatrie kann allerdings ein Teil der Arzneistoffe nur off Label eingesetzt werden, weil wegen mangelnder Erfahrung die Anwendung bei Kindern nicht empfohlen wird.

Tab. 3. Dosierungsempfehlungen für die medikamentöse antihypertensive Therapie bei Kindern (Anfangsdosis und Einnahmefrequenz) [nach Lurbe et al. 2009]

Arzneistoffklasse

Arzneistoff

Handelsname® (Beispiel)

Dosis

Einnahme

Zulassungsstatus in Deutschland*

ACE-Hemmer

Captopril

Lopirin

0,3–0,5 mg/kg/Dosis

Zwei- bis dreimal täglich

Zugelassen, sorgfältige medizinische Überwachung

Enalapril

Xanef

0,08–0,6 mg/kg/Tag

Ein- bis zweimal täglich

Zugelassen ab 6 Jahren (nur für Indikation Hypertonie)

Fosinopril

Fosinorm

0,1–0,6 mg/kg/Tag

Einmal täglich

Nicht empfohlen**

Lisinopril

Acerbon

0,08–0,6 mg/kg/Tag

Einmal täglich

Nicht empfohlen**

Ramipril

Delix

2,5–6 mg/Tag

Einmal täglich

Nicht empfohlen**

Angiotensin-Rezeptorblocker

Irbesartan

Aprovel

75–150 mg/Tag

Einmal täglich

Nicht empfohlen**

Losartan

Lorzaar

0,75–1,44 mg/kg/Tag

Einmal täglich

Zugelassen ab 6 Jahren

Calciumantagonisten

Amlodipin

Norvasc

0,06–0,03 mg/kg/Tag

Einmal täglich

Nicht empfohlen

Nifedipin

Adalat

0,25–0,5 mg/kg/Tag

Ein- bis zweimal täglich

Zugelassen

Betablocker

Propranolol

Dociton

1 mg/kg/Tag

Zwei- bis dreimal täglich

Zugelassen

Diuretika

Hydrochlorothiazid

Esidrix

0,5–1 mg/kg/Tag

Einmal täglich

Zugelassen

Spironolacton

Aldactone

1 mg/kg/Tag

Ein- bis zweimal täglich

Zugelassen

Furosemid

Lasix

0,5–2,0 mg/kg/Dosis

Ein- bis zweimal täglich

Zugelassen

*für Kinder; **wegen unzureichender Therapieerfahrungen

Die Auswertung von 27 pädiatrischen Studien ergab eine vergleichbare blutdrucksenkende Wirkung von ACE-Hemmern, AT1-Blockern und Calciumkanalblockern. Diuretika werden meist zusammen mit ACE-Hemmern oder AT1-Blockern gegeben – obgleich die Datenlage noch unzureichend ist. Dies gilt auch für andere Antihypertensiva wie direkte Vasodilatanzien, Antisympathotonika oder Alphablocker.

Die Wirksamkeit des ältesten ACE-Hemmers Captopril konnte hinlänglich nachgewiesen werden. Von Nachteil ist jedoch, dass Captopril nur eine kurze Wirkungsdauer hat und daher dreimal täglich eingenommen werden muss. Die Wirksamkeit von Enalapril, Fosinopril und Lisinopril wurde in Plazebo-kontrollierte Studien nachgewiesen. Auch Ramipril führte zu einer Blutdrucksenkung und verminderte darüber hinaus die Proteinurie bei renaler Hypertonie.

Andere Studien belegten die Effizienz von AT1-Blockern wie Irbesartan und Losartan. Der Calciumantagonist Amlodipin reduzierte signifikant den systolischen Blutdruck in einer großen Plazebo-kontrollierten multizentrischen Studie, an welcher 268 Kinder im Alter von 6 bis 16 Jahren teilnahmen. Demgegenüber ist die Datenlage bezüglich Nifedipin begrenzt.

Der Betablocker Propranolol wird seit langer Zeit zur Behandlung des juvenilen Bluthochdrucks eingesetzt. In einer kürzlich durchgeführten Plazebo-kontrollierten Studie wurden 140 Kinder im Alter von 6 bis 11 Jahren 52 Wochen lang untersucht. Propranolol führte zu einer signifikanten Reduktion des systolischen und diastolischen Blutdrucks und erwies sich als gut verträglich.

Die medikamentöse Behandlung beginnt mit nur einem Arzneistoff in der niedrigsten Dosierung. Falls der Blutdruck innerhalb 4 bis 8 Wochen nicht ausreichend gesenkt werden kann, wird die Dosis erhöht, bis therapeutische Wirkungen und Nebenwirkungen eintreten oder die maximal zulässige Dosis erreicht ist. Ist auch dann die therapeutische Wirkung noch unzureichend, wird auf ein anderes Medikament umgestellt. Falls der Blutdruck noch immer nicht ausreichend gesenkt werden konnte, wird ein zweiter Wirkstoff, vorzugsweise mit einem komplementären Wirkmechanismus, hinzugefügt.

Hypertensive Krise

Bei einer Hochdruckkrise ist meist die intravenöse Gabe von blutdrucksenkenden Arzneistoffen erforderlich. Eine Dauerinfusion ist ungefährlicher als die Injektion eines Bolus, da dies zu einer Mangeldurchblutung mit Organschäden führen kann. Nitroprussidnatrium und Labetalol sind die am häufigsten verabreichten Medikamente. Eine orale Gabe auch beim hypertensiven Notfall ist mit Nifedipin, Captopril oder Minoxidil möglich (Tab. 4).

Tab. 4. Behandlung der hypertensiven Krise bei Kindern [nach Lurbe et al. 2009]

Arzneistoff

Arzneistoffklasse

Verabreichungsmodus

Dosis

Wirkungseintritt

Nebenwirkungen

Nitroprussidnatrium
(Nipruss®)

Direkter Vasodilatator

Intravenöse Infusion

0,5–8 µg/kg/min

Innerhalb von Sekunden

Thiocyanat-Toxizität

Labetalol

Alpha- und Betablocker

Intravenöse Infusion

0,25–3 mg/kg/h

5–10 Minuten

Herzversagen, Bradykardie, kontraindiziert bei Asthma bronchiale

Nicardipin

Calciumantagonist

Intravenöse Infusion

1–3 µg/kg/h

Innerhalb von Minuten

Reflextachykardie

Clonidin
(z.B. Catapresan®)

Antisympathotonikum

Intravenöse Bolusinjektion

2–6 µg/kg/Dosis

10 Minuten

Mundtrockenheit, Sedierung

Esmolol

(Brevibloc®)

Betablocker

Intravenöse Infusion

100–500 µg/kg/min

Innerhalb von Sekunden

Bradykardie, kontraindiziert bei Asthma bronchiale

Enalapril

ACE-Hemmer

Intravenöse Bolusinjektion

0,05–0,1 mg/kg/Dosis

15 Minuten

Kontraindiziert bei beidseitiger Verengung der Nierenarterien

Furosemid

Diuretikum

Intravenöse Bolusinjektion

0,5–5 mg/kg/Dosis

Innerhalb von Minuten

Hypokaliämie

Nifedipin

Calciumantagonist

Oral

0,25 mg/kg/Dosis

20–30 Minuten

Reflektorische Tachykardie

Captopril

ACE-Hemmer

Oral

0,1–0,2 mg/kg/Dosis

10–20 Minuten

Kontraindiziert bei beidseitiger Verengung der Nierenarterien

Minoxidil

(Lonolox®)

Direkter Vasodilatator

Oral

0,1–0,2 mg/kg/Dosis

5–10 Minuten

Salz- und Wasserretention

Zu beachten ist, dass der Blutdruck nicht zu rasch abgesenkt werden darf. Eine Blutdrucksenkung um mehr als 20 % in den ersten sechs Stunden ist gefährlich, da sie zu einer Minderdurchblutung lebenswichtiger Organe führen kann. Innerhalb der nächsten 24 bis 48 Stunden erfolgt eine allmähliche weitere Reduktion des Blutdrucks.

Fazit

Die ESH-Empfehlungen geben erstmalig Pharmazeuten, Ärzten und Patienten eine einheitliche Leitlinie an die Hand, nach der sie sich bei kindlicher Hypertonie richten können. Allerdings wird deutlich, dass die Datenlage noch unzureichend ist. Im Gegensatz hierzu kann man sich beim Erwachsenen auf umfangreiche Untersuchungen stützen. Allein die Definition der adulten Hypertonie beruht auf Beobachtungen an mehr als einer Million Menschen. Nichts von alledem gibt es beim juvenilen Bluthochdruck. Der meist lange zeitliche Abstand zwischen dem Beginn der kindlichen Hypertonie und späteren Organschädigungen macht es schwierig, einen kausalen Zusammenhang nachzuweisen. Aus diesem Grund ist es auch nicht einfach, positive Auswirkungen einer medikamentösen Langzeittherapie im Kindesalter aufzuzeigen, insbesondere die Verhütung bluthochdruckbedingter Organschäden durch Antihypertensiva. Für die Zukunft sind weitere Studien dringend erforderlich.

Quelle

Lurbe E, Cifkova R, Cruickshank JK, Dillon MJ, et al. Management of high blood pressure in children and adolescents: recommendations of the European Society of Hypertension. J Hypertens 2009;27:1719–42.

Dr. med. Claudia Borchard-Tuch, Medizinjournalistin, Forsthofweg 9, 86441 Zusmarshausen

Arzneimitteltherapie 2009; 27(12)