Signifikanz gleich Relevanz?


Prof. Dr. med. Jürgen Schölmerich, Regensburg

In jedem Heft dieser Zeitschrift werden Daten aus der aktuellen Literatur zu klinischen Studien referiert. Ebenso werden Befunde, die auf Kongressen oder auf in der Regel vom Hersteller des betreffenden Produkts gesponserten Pressegesprächen vorgestellt werden, präsentiert. Bereits bei Originalpublikationen in renommierten Zeitschriften findet sich ein deutlicher Bias zugunsten von Studien mit positivem Ergebnis (Arch Int Med 2009;169:1022–3 und andere). Bei den Pressegesprächen ist dies wohl noch stärker der Fall. Auch die Autoren der Kommentare und Referate unterliegen oftmals der Vorstellung, dass positive Studienergebnisse von höherem Interesse für die Leser, also die potenziellen Nutzer der jeweiligen Therapeutika sind. Dementsprechend werden häufig Studien – insbesondere aus dem Bereich der Hämatologie/Onkologie – dargestellt, die einen statistisch signifikanten Vorteil der additiven Gabe einer neuen, meist ökonomisch anspruchsvollen Substanz zu einer bereits etablierten Therapie zeigen. Für den mit Statistik weniger vertrauten Leser häufig verwirrend sind die verwendeten Parameter für die Wirkung, noch mehr aber die Frage, ob ein Effekt, der bei einer Fallzahl von 500 bis 1000 Patienten signifikant ist, auch von praktischer Relevanz im Einzelfall ist.

Ein gutes Beispiel ist die Gabe des Tyrosinkinasehemmers Erlotinib additiv zu Gemcitabin im Vergleich zu alleiniger Gemcitabin-Gabe bei metastasiertem Pankreaskarzinom (Moore MJ et al. J Clin Oncol 2007;25:1960–6):

Für das Gesamtüberleben ergab sich ein Hazard-Ratio (Vergleich eines Ereigniseintritts über einen definierten Zeitraum) von 0,82 mit einem 95%-Konfidenzintervall, das knapp unterhalb von 1,0 endete (0,69 bis 0,99), und einem p-Wert <0,038. Damit war die Kombinationstherapie gegenüber der alleinigen Gemcitabin-Therapie hinsichtlich des Gesamtüberlebens signifikant überlegen. Betrachtet man nun das mediane Gesamtüberleben (aufgrund der Kaplan-Meier-Analyse geschätzter Zeitpunkt, zu dem 50% der Todesereignisse eingetreten sind), betrug der Unterschied zwischen Gemcitabin alleine mit 5,91 Monaten und der Kombinationstherapie mit 6,24 Monaten etwa 10 Tage. Somit ist für die gesamte Patientenpopulation der Studie (569 Patienten) die Relevanz dieses Effekts zumindest zu hinterfragen.

Zweifelsohne ist der Effekt der Substanz bei Patienten mit einer ausgeprägten Nebenwirkung (schwerer Hautausschlag) deutlicher. Für diese Patienten ist der Therapieeffekt also relevant, leider aber auch das Ausmaß der Nebenwirkungen. Therapien, die vor allem bei einer Subgruppe der Betroffenen wirksam sind, können einen geringeren Einfluss auf den initialen Kurvenverlauf haben, ihre Überlegenheit dann aber im späteren Kurvenverlauf zeigen. In diesem Fall ist das mediane Überleben der Subgruppe ähnlich dem der Gesamtgruppe; betrachtet man jedoch das Hazard-Ratio, das den gesamten Zeitraum der Observation erfasst, wird die Überlegenheit der Therapie sichtbar. Je nachdem welche Parameter in welcher Intensität referiert und kommentiert werden, ist das Bild der Relevanz also unterschiedlich. Ähnliche Beobachtungen lassen sich für die verschiedensten Untersuchungen und neu entwickelte Tumortherapeutika, aber auch für entzündungshemmende Medikamente machen.

Es wäre zu wünschen, dass in allen entsprechenden Mitteilungen in wissenschaftlichen Zeitschriften – am besten in einer übersichtlichen Tabelle – die verschiedenen Parameter, die zur Bewertung eines Effekts genutzt werden, als Ergebnis dargestellt und dann vom Autor des Referats oder Kommentars im Text bezüglich der Relevanz oder der Wirkungs-/Nebenwirkungsbeziehung interpretiert werden. Nur so ist es angesichts der Informationsflut dem Leser möglich, sich selbst ein Bild von der Relevanz beobachteter und mitgeteilter signifikanter Unterschiede zwischen einzelnen Therapiestrategien oder zwischen einer Substanz und einem Plazebo zu machen und zu entscheiden, wie er diese in seiner Therapie nutzt und sie seinen Patienten kommuniziert. Ein signifikanter Effekt ist nicht immer relevant, und auch in Studien ohne signifikanten Gesamteffekt können relevante Effekte für Subgruppen verborgen sein.

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