Andrea Warpakowski, Itzstedt
Periphere neuropathische Schmerzen entstehen durch Schädigung oder Dysfunktion des peripheren Nervensystems, hervorgerufen durch Unfälle, Operationen, Infektionen, Medikamente oder Alkohol. Die Symptome umfassen brennenden, elektrisierenden oder einschießenden Spontanschmerz, evozierten Schmerz, Taubheitsgefühl, Missempfindungen wie „Ameisenlaufen“, Verlust des tiefen Sehnenreflexes sowie Allodynie und Hyperalgesie. Die bisherigen systemischen Behandlungsmöglichkeiten wie Antidepressiva, Antikonvulsiva, Opioide und Serotonin- und Noradrenalin-Reuptake-Hemmer sind oft mit Nebenwirkungen wie Schwindel und Tagesmüdigkeit, Wechselwirkungen mit anderen Arzneimitteln und einer zu langsam eintretenden Wirkung verbunden; topische Behandlungsoptionen wie Lidocain-Pflaster oder Capsaicin-Salbe müssen täglich angewendet werden.
Die neue Therapieoption, das hoch dosierte Capsaicin-Pflaster, wirkt als Analgetikum direkt am Entstehungsort der Schmerzen, den hyperaktiven Nozizeptoren. Bei der Schmerzwahrnehmung aus der Peripherie spielt der Vanilloidrezeptor Typ 1 (TRPV1: transient receptor potential channel, subfamily V, member 1) eine Schlüsselrolle. TRPV1 ist in den C-Fasern und Aδ-Fasern sowie in einigen Hirnarealen exprimiert, bei neuropathischen Schmerzen nach einer Nervenläsion ist die Expression des TRPV1 verstärkt.
Capsaicin, das natürlicherweise in Chilischoten vorkommt, ist ein TRPV1-Agonist und führt zu einer reversiblen Defunktionalisierung der Vanilloidrezeptoren vom Typ 1. Diese funktionelle Desensibilisierung entwickelt sich nach einmaliger Anwendung innerhalb von Stunden und hält bis zu 12 Wochen an. Das hoch dosierte Capsaicin-Pflaster verringert die Dichte der epidermalen Nervenfasern, da es bei einer kontinuierlichen TRPV1-Aktivierung aufgrund des Calcium-Einstroms zu einer Aktivierung einer Ca2+-sensitiven Protease kommt, was zusammen mit anderen Prozessen zu einer Defunktionalisierung der Nozizeptoren führt. Dieser reversible Effekt ist abhängig von der Capsaicin-Dosis und der Dauer der Anwendung. Nach 24 Wochen ist die Epidermis wieder vollständig re-innerviert und die Funktion der Nozizeptoren wieder hergestellt.
Anwendung
Das folienartige, kutane Pflaster ist 14×20 cm (280 cm2) groß und enthält insgesamt 179 mg trans-Capsaicin, die Konzentration beträgt 8% w/w bzw. 640 μg Capsaicin pro cm2 Pflaster. Das Pflaster sollte durch einen Arzt oder durch Pflegepersonal unter ärztlicher Anleitung appliziert werden. Auf der trockenen und unversehrten Haut werden die schmerzhaften Hautareale markiert und ein topisches Lokalanästhetikum (z. B. 4%iges Lidocain) appliziert. Das bzw. die Pflaster werden zurechtgeschnitten und maximal vier Pflaster pro Anwendung für 30 Minuten an den Füßen bzw. 60 Minuten an anderen Körperstellen aufgeklebt. Ein guter Kontakt zur Haut sollte beispielsweise durch Verbände oder Sandsäcke sichergestellt werden. Bei wiederkehrenden oder persistierenden Schmerzen kann die Behandlung nach 90 Tagen wiederholt werden.
Studienergebnisse
In einer randomisierten doppelblinden Phase-III-Studie erhielten 402 Patienten mit Postzoster-Neuralgie (PHN) sechs Monate nach Abheilung der Läsionen entweder eine 60-minütige Behandlung mit dem 8%igen Capsaicin-Pflaster (n=206) oder mit einem Kontrollpflaster, das 0,04% Capsaicin enthielt (n=196). Zu Studienbeginn betrug die Schmerzintensität auf der numerischen Analogskala (NAS, Bereich 0–10 mit 10 für den stärksten vorstellbaren Schmerz) durchschnittlich 6 Punkte. Initial verursachte die hohe Capsaicin-Dosis zwar Schmerzen, die Schmerzlinderung trat jedoch nach ein bis zwei Tagen ein (Abb. 1). Nach acht Wochen gaben die Patienten mit dem hoch dosierten Capsaicin-Pflaster eine Schmerzreduktion um 29,6% und Patienten mit dem Kontrollpflaster eine Schmerzreduktion um 19,9% an (p=0,001), die bis Woche 12 anhielt (–29,9% versus –20,4%; p=0,002). Capsaicin 8% war sowohl als Monotherapie (mittlere Schmerzreduktion um 34,2% versus 22,7%; p=0,006) als auch in Kombination mit weiteren Schmerzmedikamenten (–25,6% versus –16,4%; p=0,04) signifikant wirksamer als das Kontrollpflaster.

Abb. 1. Postzoster-Neuralgie: das hoch dosierte Capsaicin-Pflaster zeigte einen raschen Wirkeintritt nach 2 Tagen und war nach 8 Tagen signifikant besser als das niedrig dosierte Kontrollpflaster NAS-Score: Schmerzintensität auf der numerischen Analogskala; die Skala umfasst den Bereich 0–10, 10=stärkster vorstellbarer Schmerz
In einer weiteren randomisierten, doppelblinden Phase-III-Studie erhielten 307 HIV-Patienten mit mittleren bis starken neuropathischen Schmerzen an beiden Füßen eine Behandlung mit dem Hochdosis-Pflaster (n=225) oder dem 0,04%igen Kontrollpflaster (n=82) für jeweils 30, 60 oder 90 Minuten. In der Verum-Gruppe betrug die mittlere Veränderung in Woche 2 bis 12 gegenüber Baseline –22,8% und in der Kontrollgruppe –10,7% (p=0,003). Eine längere Anwendung als 30 Minuten brachte keinen weiteren Vorteil. Die Wirkung trat in dieser Studie innerhalb von zwei Wochen ein, danach verringerte sich die Wirkung des Kontrollpflasters rasch, während die Wirkung des Verum-Pflasters weiter anhielt und nur langsam bis Woche 12 abnahm. Die Zeit bis zur erneuten Behandlung war mit dem Verum-Pflaster signifikant länger als mit dem Kontrollpflaster (median 18 versus 13 Wochen; p=0,0003; Abb. 2). In der anschließenden 40 Wochen dauernden offenen Phase der Studie linderte die erneute Anwendung des hochdosierten Pflasters die Schmerzen jedes Mal wieder.

Abb. 2. HIV-assoziierte Neuropathie: Zeit (Median) bis zur erneuten Applikation des 8%igen Capsaicin-Pflasters im Vergleich zum 0,04%igen Kontrollpflaster
Die Nebenwirkungen waren auf die behandelten Hautareale beschränkt: Brennen, Juckreiz, Rötung und Trockenheit waren mit dem Verum-Pflaster häufiger als mit dem Kontrollpflaster und bildeten sich in der Regel innerhalb von zwei Tagen zurück.
Seit der Zulassung im März 2010 wurde das Pflaster stufenweise eingeführt. Im Medizinischen Zentrum StädteRegion Aachen wurden bis Ende September bereits 52 Patienten mit dem neuen Pflaster behandelt. Indikationen waren schwer behandelbare periphere Mononeuropathien, postzosterische Neuralgien, Radikulopathien und Polyneuropathien mit teilweise nicht tolerierbaren Nebenwirkungen und anhaltende Schmerzen trotz Schmerzmedikation. Die Auswertung dieser Fallsammlung ergab eine Ansprechrate (Schmerzreduktion um mindestens 30%) von 84% (n=44) über drei Monate. Im Mittel konnten auch Schmerzmedikamente abgesetzt werden: Nahmen die Patienten vor dem Capsaicin-Pflaster 2,5 Medikamente/Tag ein, waren es vier Wochen nach der Behandlung 1,3 Medikamente/Tag. Ein schwaches bis mäßiges Brenngefühl trat bei allen Patienten auf, das aber mit Kühlelementen abgeschwächt werden konnte. Bei 90% der Patienten trat kurzfristig eine Hautrötung auf.
Quelle
Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Thomas Tölle, München, Dr. med. Till Wagner, Aachen; Pressekonferenz „QutenzaTM im Praxistest – Erfahrungsberichte aus den ersten sechs Monaten“, veranstaltet von Astellas Pharma GmbH im Rahmen des Deutschen Schmerzkongresses, Mannheim, 8. Oktober 2010.
Arzneimitteltherapie 2011; 29(01)