Schlaganfallprävention bei Vorhofflimmern – eine neue Ära beginnt


Prof. Dr. med. Hans-Christoph Diener, Essen

Alle Ärzte wissen, dass Vorhofflimmern ein wichtiger Risikofaktor für den Schlaganfall ist. Patienten, die bereits eine transitorische ischämische Attacke (TIA) oder einen Schlaganfall erlitten haben und unter Vorhofflimmern leiden, haben ein besonders großes Risiko. Die einzige bewiesenermaßen wirksame Prophylaxe ist die Antikoagulation mit Vitamin-K-Antagonisten [1]. Angesichts der vielfältigen Probleme, die diese Substanzgruppe mit sich bringt, insbesondere der Tatsache, dass es schwierig ist, den INR-Wert zwischen 2,0 und 3,0 zu halten, ist verständlich, warum auch bei bestehender Indikation nur die Hälfte aller Patienten tatsächlich antikoaguliert wird. Daneben bedeuten die regelmäßigen Gerinnungskontrollen vor allem für ältere, schlecht mobile Menschen mitunter eine unüberwindbare Schwierigkeit. Vitamin-K-Antagonisten haben darüber hinaus eine Vielzahl von Wechselwirkungen mit Nahrungsmitteln und anderen Medikamenten. Daher war es dringend an der Zeit, neue Substanzen zu entwickeln, die all diese Nachteile nicht haben. Dies sind die neuen direkten Thrombinhemmer und die Faktor-Xa-Inhibitoren [2, 3]. Für drei dieser Substanzen liegen jetzt Ergebnisse aus großen randomisierten Studien vor:

In der RE-LY-Studie wurden zwei verschiedene Dosierungen von Dabigatran zweimal täglich im Vergleich mit Warfarin bei über 18000 Patienten mit Vorhofflimmern untersucht [4, 5]. 20% dieser Patienten hatten zuvor bereits eine TIA oder einen ischämischen Insult erlitten [6]. Die Studie zeigte, dass die niedrigere Dosis von Dabigatran (2×110 mg) genauso wirksam ist wie Warfarin und die höhere Dosis (2×150 mg) zu einer signifikanten Reduktion von Schlaganfällen führt. Unter beiden Dosierungen wurde eine 60- bis 80%ige Reduktion von zerebralen parenchymatösen Blutungen und intrakraniellen Blutungen einschließlich Subduralhämatomen erreicht.

Die zweite Substanz ist Rivaroxaban, das in der ROCKET-AF-Studie untersucht wurde. Die Ergebnisse wurden beim amerikanischen Herz-Kongress im November 2010 präsentiert. Für die Studie wurden 14264 Patienten mit Vorhofflimmern rekrutiert. Verglichen wurden 20 mg Rivaroxaban einmal täglich und Warfarin. Die eingeschlossene Patientengruppe hatte einen wesentlich schlechteren klinischen Befund als die Patientengruppe in der RE-LY-Studie; 50% der Patienten hatten bereits eine TIA oder einen Schlaganfall erlitten. Die Studie ergab in der Intention-to-treat-Analyse eine 21%ige relative Risikoreduktion für den Endpunkt Schlaganfall und systemische Embolie zugunsten von Rivaroxaban, die knapp die statistische Signifikanz „verpasste“. In der Per-Protokoll-Analyse zeigte sich allerdings eine signifikante Überlegenheit. Auch unter Rivaroxaban kam es zu einer signifikanten relativen Reduktion intrakranieller Blutungen um 33%.

Apixaban wurde in der AVERROES-Studie bei Patienten untersucht, die entweder keine Vitamin-K-Antagonisten einnehmen wollten oder bei denen der behandelnde Arzt der Meinung war, dass diese Substanzgruppe zu gefährlich sei. In der Studie, die 5600 Patienten umfasste, wurden die Patienten dann entweder mit 2×5 mg Apixaban/Tag oder Acetylsalicylsäure in einer Dosierung zwischen 81 und 324 mg behandelt. Die Studie wurde vorzeitig vom Sicherheitskomitee abgebrochen, da sich eine 54%ige hochsignifikante relative Risikoreduktion zugunsten von Apixaban für die Vermeidung von Schlaganfällen und systemischen Embolien fand. Die Rate an schwerwiegenden Blutungskomplikationen war in den beiden Gruppen vergleichbar. Die Studie wurde beim europäischen Kardiologenkongress im August 2010 in Stockholm präsentiert.

Die Ergebnisse dieser Studien zeigen, dass die neuen Antithrombotika den Vitamin-K-Antagonisten deutlich überlegen sind. Streng genommen haben Vitamin-K-Antagonisten nur noch eine Indikation bei Patienten, die bereits seit Längerem stabil eingestellt sind und bei denen es möglich ist, den INR-Wert zwischen 2,0 und 3,0 zu halten. Acetylsalicylsäure sollte in Zukunft in der Sekundärprävention des Schlaganfalls bei Vorhofflimmern gar nicht mehr eingesetzt werden, da es in der einzigen randomisierten Studie, in der es untersucht wurde, der EAFT-Studie (European atrial fibrillation trial) [1], nicht signifikant besser war als Plazebo und da die AVERROES-Studie eindeutig zeigt, dass Apixaban gegenüber Acetylsalicylsäure eine bessere Wirkung hat. Soweit die guten Nachrichten für unsere Patienten mit Vorhofflimmern.

Die drei genannten Substanzen werden von Boehringer-Ingelheim (Dabigatran), der Fa. Bayer (Rivaroxaban) und von Bristol-Myers Squibb (Apixaban) entwickelt. Wie in solchen Fällen üblich, steht allerdings zu befürchten, dass vor und nach Zulassung der neuen Substanzen zur Schlaganfallprävention bei Vorhofflimmern nicht die Wissenschaftler, sondern die Marketing-Mitarbeiter die Überhand gewinnen. Ich befürchte, dass dann ein Wettkampf von Argumenten beginnt, welche Substanz möglicherweise bei welchen Patienten wirksamer ist, und damit dann das eigentliche Ziel, nämlich so viele Patienten mit Vorhofflimmern wie möglich auf die neuen Substanzgruppen umzustellen, aus den Augen verloren wird. Bei allen Argumenten, die dann aufgetischt werden, sollte nicht vergessen werden, dass für große randomisierte Studien nur die Ergebnisse für den primären Endpunkt wirklich relevant sind. Subgruppen-Analysen sind hilfreich, um neue Hypothesen zu formulieren, tragen aber nicht in allen Fällen dazu bei, einzelne Substanzen mit großer Trennschärfe voneinander zu differenzieren. Daher hoffe ich auf einen Gewinn der Wissenschaft und der klinischen Vernunft über das Marketing.

Literatur

1. European Atrial Fibrillation Trial (EAFT) Study Group. Secondary prevention in non-rheumatic atrial fibrillation after transient ischaemic attack or minor stroke. Lancet 1993;342:1255–62.

2. Hankey GJ, Eikelboom JW. Antithrombotic drugs for patients with ischaemic stroke and transient ischaemic attack to prevent recurrent major vascular events. Lancet Neurol 2010;9:273–84.

3. Camm A, Kirchhof P, Lip G, Schotten U, et al. Guidelines for the management of atrial fibrillation. Europ Heart J 2010;31:2369–429.

4. Connolly SJ, Ezekowitz MD, Yusuf S, Eikelboom J, et al. Dabigatran versus warfarin in patients with atrial fibrillation. N Engl J Med 2009;361:1139–51.

5. Ezekowitz MD, Connolly S, Parekh A, Reilly PA, et al. Rationale and design of RE-LY: randomized evaluation of long-term anticoagulant therapy, warfarin, compared with dabigatran. Am Heart J 2009;157:805–10,10 e1–2.

6. Diener H, Connolly S, Ezekowitz M, Wallentin L, et al. Dabigatran compared with warfarin in patients with atrial fibrillation and previous transient ischaemic attack or stroke: a subgroup analysis of the RE-LY trial. Lancet Neurol 2010; in press.

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