Rosemarie Ziegler, Albershausen
Bisphosphonate werden seit Mitte der 90er Jahre zur Behandlung von Osteoporose und zur Prävention osteoporotischer Frakturen eingesetzt. Die Nebenwirkungen dieser Präparate betreffen häufig den Verdauungstrakt: sie reichen von Verdauungsstörungen, Übelkeit und Abdominalschmerzen bis hin zu Entzündungen und Geschwüren der Speiseröhre. Den Arzneimittelbehörden in den USA, Europa und Japan sind in den letzten Jahren zudem Fälle von Ösophaguskarzinomen in Verbindung mit der Einnahme von Bisphosphonaten mitgeteilt worden. Deshalb wurden jetzt die Daten eines britischen Patientenregisters analysiert, und zwar gleich von zwei voneinander unabhängigen Forschergruppen. In dem Patientenregister „UK General Practice Research Database“ werden Daten wie Diagnosen und Arzneimittelverordnungen von etwa 6 Millionen Hausarztpatienten anonymisiert gesammelt. Die Daten gelten als repräsentativ für die Bevölkerung in Großbritannien.
Während Cardwell et al. einen nicht signifikanten Anstieg der Inzidenz von Ösophaguskarzinomen nach einer durchschnittlich 4,5-jährigen Bisphosphonat-Einnahme feststellten (Hazard-Ratio 1,07; 95%-Konfidenzintervall 0,77–1,49; siehe Arzneimitteltherapie 2011;29:26) [1], ermittelten Green und Kollegen nun ein signifikant erhöhtes Risiko [2]. Verglichen mit der Arbeit von Cardwell et al. war die Chance, einen statistisch signifikanten Zusammenhang nachweisen zu können, bei der von Green et al. jüngst publizierten Studie, einer eingebetteten („nested“) Fall-Kontroll-Studie mit fünf Kontrollen pro Fall und einer wesentlich längeren Beobachtungszeit (durchschnittlich 7,5 Jahre), größer; sie hat also eine größere statistische Aussagekraft.
Green und Kollegen suchten in der Datenbank nach Männern und Frauen, die zwischen 1995 und 2005 mindestens 40 Jahre alt waren und bei denen eine Krebserkrankung diagnostiziert wurde. Es waren 2954 Patienten mit Ösophaguskarzinom, 2018 Patienten mit Magenkrebs und 10641 Patienten mit Kolorektalkarzinom. Diesen stellten sie insgesamt 77750 Kontrollen gegenüber. Als Patienten mit Bisphosphonat-Exposition galten Patienten, die zumindest eine Verordnung eines Bisphosphonats erhalten hatten; ausgeschlossen waren jedoch Patienten, die Präparate erhalten hatten, die zur Behandlung von Knochenmetastasen oder des Morbus Paget zugelassen waren. Ermittelt wurden die relativen Risiken für invasive Karzinome des Ösophagus, des Magens und des Darms in Abhängigkeit von der Verordnung oraler Bisphosphonate. Die Ergebnisse wurden nach Raucher- und Alkoholstatus sowie Body-Mass-Index adjustiert.
Ergebnisse
Das Risiko für Ösophaguskarzinom war für Personen, denen Bisphosphonate verordnet worden waren, signifikant höher als für Personen, denen keine verordnet worden waren (relatives Risiko 1,30; 95%-Konfidenzintervall 1,02–1,66; p=0,02). Das Risiko stieg in Abhängigkeit von der Zahl der Verordnungen und der geschätzten Dauer der Anwendung (Tab. 1). Ein signifikanter Unterschied zwischen den eingesetzten Wirkstoffen (Etidronsäure, Alendronsäure, Risedronsäure) wurde nicht gefunden, für eine Unterscheidung zwischen der täglichen und der einmal wöchentlichen Gabe war das Kollektiv zu klein.
Tab. 1. Adjustiertes relatives Risiko für Ösophaguskarzinom in Abhängigkeit von der Verordnung oraler Bisphosphonate [2]
Verordnung von Bisphosphonaten |
Relatives Risiko (95%-Konfidenzintervall) |
Keine Verordnung Verordnung |
1,00 [Referenz] 1,30 (1,02–1,66) |
Anzahl der Verordnungen |
|
1–9 ≥10 |
0,93 (0,66–1,31) 1,93 (1,37–2,70) |
Geschätzte Einnahmedauer |
|
≤1 Jahr 1–3 Jahre ≥3 Jahre |
0,98 (0,66–1,46) 1,12 (0,73–1,73) 2,24 (1,47–3,43) |
Einen Zusammenhang zwischen dem Auftreten von Magen- oder Darmkrebs und der Bisphosphonat-Einnahme konnte erwartungsgemäß nicht gefunden werden.
Obwohl das relative Risiko für ein Ösophaguskarzinom unter der Einnahme von Bisphosphonaten erhöht ist, bleibt das absolute Risiko für ein solches Karzinom gering: In der Population der 60- bis 79-Jährigen ergibt sich ein errechneter Anstieg der Inzidenz von 1 auf 2 Promille in fünf Jahren durch die Einnahme von Bisphosphonaten. Angesichts der großen Bedeutung der Osteoporose – die Erkrankung ist sehr häufig und geht mit einer deutlich erhöhten Sterblichkeit einher – dürften die Ergebnisse der Studie den Einsatz der Osteoporose-Medikamente nur dann infrage stellen, wenn sich unter einer Bisphosphonat-Therapie Schluckbeschwerden oder andere Symptome einer Ösophagitis entwickeln.
Wichtig ist es jedoch in jedem Fall, vor bzw. während einer Therapie mit Bisphosphonaten auf Kontraindikationen und Nebenwirkungen zu achten sowie die Einnahmevorschriften strikt zu befolgen, um das Risiko für Nebenwirkungen im Bereich der Speiseröhre so gering wie möglich zu halten [3].
Fazit
Die Studie von Green et al. bestätigt einen Zusammenhang zwischen der Einnahme von Bisphosphonaten und dem Auftreten von Speiseröhrenkrebs. Personen, denen ein Bisphosphonat verordnet wurde, hatten insgesamt ein um 30% höheres Risiko, an einem Ösophaguskarzinom zu erkranken als Personen, denen keines verordnet wurde.
Da das absolute Risiko für ein solches Karzinom dennoch sehr niedrig bleibt, sollte die Therapie mit Bisphosphonaten nicht grundsätzlich infrage gestellt werden; dennoch sollte auf Nebenwirkungen im Bereich der Speiseröhre geachtet werden. Patienten sollten auf die Besonderheiten bei der Einnahme hingewiesen werden, um die Gefahr von Nebenwirkungen zu verringern.
Quellen
1. Cardwell CR, et al. Exposure to oral bisphosphonates and risk of esophageal cancer. JAMA 2010;304:657–63.
2. Green J, et al. Oral bisphosphonates and risk of cancer of oesophagus, stomach and colorectum: case-control analysis within a UK primary care cohort. BMJ 2010;341:c4444.
3. Wysowski DK. Oral bisphosphonates and oesophageal cancer. Evidence is inconclusive but cautious prescribing and active follow-up are advised. BMJ 2010;341:516–7.
Arzneimitteltherapie 2011; 29(03)