Dr. Barbara Kreutzkamp, Hamburg
Kolorektalkarzinome sind in den Industrienationen die zweithäufigste Krebsentität. Die Lebenszeitprävalenz liegt bei etwa 5%. Nach Möglichkeiten zur Prävention von Darmkrebs wird daher seit Längerem gesucht.
Durch die Gabe von Acetylsalicylsäure und selektiven Cyclooxygenase-2-Hemmern (Coxiben) konnte die Kolorektalkarzinom-Rezidivrate in zahlreichen Studien um etwa 20% gesenkt werden. Mit einer mittleren Follow-up-Zeit von nur zwei bis drei Jahren waren diese Studien allerdings nicht dafür ausgelegt, den Einfluss der Medikation auf neu entstehende Karzinome zu untersuchen. Eine Prävention mit Coxiben ist nicht möglich, da die Einnahme dieser Substanzen mit einem erhöhten Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen einhergeht. Bei Einnahme von Acetylsalicylsäure ist dies nicht der Fall – im Gegenteil –, weshalb diese Substanz für eine Chemoprävention infrage kommt.
Ein präventiver Effekt einer Einnahme von Acetylsalicylsäure auf die Entstehung von Kolorektalkarzinomen wurde bei einer Langzeit-Nachbeobachtung zweier großer kontrollierter Studien nachgewiesen, in denen die Patienten hoch dosierte Acetylsalicylsäure (≥500 mg/Tag) zur Prävention von Herz-Kreislauf-Erkrankungen einnahmen. Da Acetylsalicylsäure in hohen Dosen aber das Blutungsrisiko deutlich erhöht, können diese für eine Karzinom-Prävention nicht eingesetzt werden. Es stellt sich daher die Frage, ob niedrigere Dosen (75–300 mg/Tag) für eine Prävention geeignet sind. In bisherigen Untersuchungen konnte eine präventive Wirkung von niedrig dosierter Acetylsalicylsäure nicht nachgewiesen werden, was möglicherweise darauf zurückzuführen ist, dass die Beobachtungszeiträume von 10 Jahren zu kurz waren.
Die Autoren einer kürzlich veröffentlichten Analyse werteten deshalb die Daten der Nachbeobachtungszeit dreier großer Studien, in denen die Patienten niedrig dosierte Acetylsalicylsäure zur Prävention vaskulärer Erkrankungen eingenommen hatten, aus. Hierfür wurden die Mortalität und Morbidität der Studienteilnehmer anhand von nationalen Registern (zentrale Ausstellung von Todesscheinen, Krebsregister) ermittelt. Die so gewonnenen Ergebnisse der Nachbeobachtungszeiten der drei Niedrigdosis-Studien ergänzten sie durch die Daten der beiden bereits ausgewerteten Langzeit-Follow-ups der Hochdosis-Studien. Insgesamt wurden so die Morbiditäts- und Mortalitätsdaten von Teilnehmern von fünf Studien, in denen Acetylsalicylsäure regelmäßig zur Primär- oder Sekundärprävention vaskulärer Ereignisse eingenommen wurde, zusammengetragen. In vier der Studien hatten die Probanden entweder Acetylsalicylsäure oder eine Kontrolle (Plazebo oder keine Acetylsalicylsäure) erhalten, in einer Studie wurden verschiedene Acetylsalicylsäure-Dosierungen miteinander verglichen.
Bei der Auswertung der Daten der Nachbeobachtungszeiten wurde der Einfluss der Einnahme von Acetylsalicylsäure auf die Entwicklung von Kolorektalkarzinomen über 20 Jahre untersucht. Stratifiziert wurde dabei unter anderem nach Dosis und Dauer der Einnahme sowie der Lokalisation der Karzinome.
Ergebnisse
Die vier Studien, in denen Acetylsalicylsäure (75–1200 mg/Tag) mit einer Kontrolle verglichen wurde, hatten in der Nachbeobachtung ähnliche Ergebnisse. Diese Daten wurden deshalb gepoolt ausgewertet. Die durchschnittliche geplante Dauer dieser Studien (und damit die geplante Dauer der Einnahme der Medikation) betrug sechs Jahre, die mediane Nachbeobachtungszeit 18,3 Jahre. Während dieser Zeit entwickelten 391 (2,8%) von 14033 Patienten ein Kolorektalkarzinom. Bei genauerer Betrachtung war das Risiko, innerhalb von 20 Jahren an einem Kolonkarzinom zu erkranken oder daran zu sterben, bei den Teilnehmern der Verum-Gruppen signifikant um rund 30% niedriger als bei den Kontrollen, dagegen war das Risiko für ein Rektumkarzinom in beiden Gruppen annähernd gleich hoch (Tab. 1). Bei der Analyse von noch detaillierteren Angaben zur Lokalisation des Karzinoms (soweit Daten vorhanden waren) zeigte sich, dass die regelmäßige Einnahme von Acetylsalicylsäure zwar das Risiko für ein proximales Kolonkarzinom (um rund 60%) senkt, nicht aber das Risiko für ein distales Kolonkarzinom. Die präventive Wirkung der Acetylsalicylsäure war dabei umso stärker ausgeprägt, je länger die Studien dauerten. So war das Risiko, an einem proximalen Kolonkarzinom zu erkranken oder zu versterben, bei Personen mit einer geplanten Einnahme der Acetylsalicylsäure über fünf Jahre oder länger um rund 70% niedriger als bei den Kontrollen (Tab. 1).
Tab. 1. Vergleich der 20-Jahres-Inzidenzen und -Mortalitäten bei Patienten, die in den Studien Acetylsalicylsäure (75–1200 mg/Tag) eingenommen hatten, und Teilnehmern der Kontrollgruppen (siehe Text) [Rothwell et al.]. KI: Konfidenzintervall
Inzidenz |
|
Mortalität |
|
|
Alle Studienteilnehmer |
||||
Kolonkarzinom (alle Lokalisationen) |
0,76 (0,60–0,96) |
0,02 |
0,65 (0,48–0,88) |
0,005 |
Proximales Kolonkarzinom |
0,45 (0,28–0,74) |
0,001 |
0,34 (0,18–0,66) |
0,001 |
Rektumkarzinom |
0,90 (0,63–1,30) |
0,58 |
0,80 (0,50–1,28) |
0,35 |
Nur Teilnehmer mit einer geplanten Einnahme der Medikation über mindestens 5 Jahre |
||||
Kolonkarzinom (alle Lokalisationen) |
0,75 (0,58–0,97) |
0,03 |
0,63 (0,45–0,87) |
0,006 |
Proximales Kolonkarzinom |
0,35 (0,20–0,63) |
<0,0001 |
0,24 (0,11–0,52) |
<0,0001 |
Rektumkarzinom |
0,58 (0,36–0,92) |
0,02 |
0,47 (0,26–0,87) |
0,01 |
Auch bei Auswertung der Daten der drei Niedrig-Dosis-Studien zeigte sich, dass bei Personen, die in den Studien Acetylsalicylsäure (75–300 mg/Tag) eingenommen hatten, sowohl die Inzidenz als auch die Mortalität eines Kolorektalkarzinoms signifikant niedriger war als bei den Kontrollen (Abb. 1). So war die 20-Jahres-Mortalität bei Probanden mit einer geplanten Einnahmedauer von mindestens fünf Jahren absolut um 1,76 Prozentpunkte verringert (95%-Konfidenzintervall 0,61–2,91 Prozentpunkte, p=0,001). Interessant ist das Ergebnis, dass

Abb. 1. Kolorektalkarzinom-Inzidenz (a) und -Mortalität (b) bei Personen, die über mehrere Jahre niedrig dosierte Acetylsalicylsäure (75–300 mg) eingenommen hatten, und Kontrollen [Rothwell et al.]
das Risiko für ein Kolorektalkarzinom durch niedrig dosierte Acetylsalicylsäure (75–300 mg/Tag) in einem ähnlich großen Ausmaß gesenkt werden kann, wie es die Auswertung der Nachbeobachtungszeiten der beiden Hochdosis-Studien (500–1200 mg/Tag) ergeben hatte und
dass Dosierungen, die über 75 mg/Tag hinausgingen, gegenüber der 75-mg-Dosis keinen zusätzlichen präventiven Nutzen hatten.
In der Nachbeobachtung der Studie, in der verschiedene Acetylsalicylsäure-Dosierungen miteinander verglichen wurden, hatten Personen, die nur 30 mg/Tag eingenommen hatten, allerdings ein höheres Risiko für ein Kolorektalkarzinom als Personen, die durchschnittlich 283 mg/Tag eingenommen hatten.
Diskussion
Die über mindestens fünf Jahre fortgeführte Einnahme von täglich 75 bis 300 mg Acetylsalicylsäure verringert die Inzidenz und Mortalität von Kolonkarzinomen, insbesondere proximalen Kolonkarzinomen, über einen Zeitraum von 20 Jahren. So kann die Kolorektalkarzinom-Morbidität über 20 Jahre durch die Einnahme von Acetylsalicylsäure (75–300 mg/Tag) um rund 40 bis 50% gesenkt werden. Dabei scheinen 75 mg/Tag ausreichend zu sein; höhere Dosen haben keinen zusätzlichen Nutzen und niedrigere Dosierungen haben keine präventive Wirkung.
Bei der Interpretation der Ergebnisse sollte allerdings berücksichtigt werden, dass es sich primär um Studien zur Prävention kardiovaskulärer Ereignisse handelte, weshalb die Auswahl der Teilnehmer nicht ganz repräsentativ für die Gesamtbevölkerung sein dürfte, zum Beispiel wegen des Überwiegens von männlichen Teilnehmern und einem hohen Anteil von Rauchern.
Man könnte vermuten, dass Personen unter der Einnahme von Acetylsalicylsäure wegen gastrointestinaler Nebenwirkungen häufiger untersucht werden und dass Kolorektalkarzinome bei den in diesem Zusammenhang durchgeführten Darmspiegelungen in einem frühen und damit besser heilbaren Stadium gefunden wurden, doch darauf fanden sich in den Studiendaten keine Hinweise.
Fazit
Die Auswertung der Nachbeobachtungszeiten von fünf Studien ergab, dass eine regelmäßige Einnahme von niedrig dosierter Acetylsalicylsäure über mindestens fünf Jahre vor einem Kolonkarzinom, vor allem einem proximalen Kolonkarzinom, schützen könnte. Es ist daher zu überlegen, ob eine Chemoprävention mit Acetylsalicylsäure zusätzlich zu einer Vorsorgeuntersuchung (Sigmoidoskopie oder Koloskopie) bei Hochrisikopatienten empfohlen werden sollte.
Patienten, die aufgrund kardiovaskulärer Erkrankungen langfristig mit Acetylsalicylsäure behandelt werden, könnten von dieser Therapie einen zusätzlichen Nutzen haben.
Quelle
Rothwell PM, et al. Long-term effect of aspirin on colorectal cancer incidence and mortality: 20-year follow-up of five randomised trials. Lancet 2010;376:1741–50.
Benamouzig R, et al. Aspirin to prevent colorectal cancer: time to act? Lancet 2010;376:1713–4.
Arzneimitteltherapie 2011; 29(03)