Dr. Petra Jungmayr, Esslingen
Bei einer neu diagnostizierten chronischen myeloischen Leukämie (CML) war bislang Imatinib das Standardmittel zur Erstlinienbehandlung; Nilotinib wurde bei Resistenzen oder einer Unverträglichkeit gegenüber Imatinib in der Zweitlinientherapie eingesetzt. Dies hat sich nun mit der erweiterten Zulassung für Nilotinib geändert (siehe Kasten).
Dosierung und Indikation
Erstlinientherapie: Nilotinib (2×300 mg/d) ist in der EU seit dem 23. Dezember 2010 für die Behandlung erwachsener Patienten mit neu diagnostizierter Ph+-CML in der chronischen Phase zugelassen.
Zweitlinientherapie: Nilotinib (2×400 mg/d) ist in der EU seit November 2007 für die Behandlung erwachsener Patienten mit Ph+-CML in der chronischen und akzelerierten Phase bei Resistenz oder Unverträglichkeit gegenüber einer Vorbehandlung einschließlich Imatinib zugelassen.
Bei der Einnahme ist zu beachten:
- Einnahme im Abstand von rund 12 Stunden
- 2 Stunden vor und 1 Stunde nach der Einnahme nichts essen
- Kann die Kapsel nicht geschluckt werden, kann der Inhalt mit einem Teelöffel Apfelmus vermischt werden und muss dann sofort eingenommen werden
Tasigna® steht in Kapseln mit 150 mg (zur Erstlinientherapie) und 200 mg zur Verfügung.
Die Zulassungsdaten beruhen unter anderem auf den Erkenntnissen der ENESTnd-Studie (ENESTnd = Evaluating nilotinib efficacy and safety in clinical trials of newly diagnosed Ph+ CML patients). In dieser Studie werden Wirksamkeit und Sicherheit von Nilotinib in zwei verschiedenen Dosierungen mit Imatinib bei Patienten mit neu diagnostizierter Philadelphia-Chromosom-positiver chronischer myeloischer Leukämie (Ph+-CML) in der chronischen Phase verglichen. In die offene, multizentrische, randomisierte Phase-III-Studie wurden weltweit in 35 Ländern 846 Patienten eingeschlossen und einem der folgenden Arme zugeordnet:
- 400-mg-Nilotinib-Gruppe (n=281); Dosierung: Nilotinib zweimal täglich 400 mg
- 300-mg-Nilotinib-Gruppe (n=282); Dosierung: Nilotinib zweimal täglich 300 mg
- Imatinib-Gruppe (n=283); Dosierung: Imatinib einmal täglich 400 mg
Der primäre Studienendpunkt war das gute molekulare Ansprechen (major molecular remission, MMR, s. auch Tab. 1) nach 12 Monaten; sekundäre Endpunkte umfassen unter anderem die MMR nach 24 Monaten, die komplette zytogenetische Remission (CCyR) nach 12 Monaten, das ereignisfreie Überleben und das Gesamtüberleben sowie Sicherheit und Verträglichkeit der Therapie. Insgesamt ist ein Follow-up von fünf Jahren vorgesehen.
Tab. 1. ENESTnd: Einige Daten der Analyse nach 18 Monaten (Vergleich von Nilotinib mit Imatinib)
Nilotinib |
Nilotinib |
Imatinib |
|
MMR |
66% |
62% |
40% |
CMR |
21% |
17% |
6% |
CCyR |
85% |
82% |
74% |
Progression in die akzelerierte Phase oder Blastenkrise |
2 (0,7%) |
1 (0,4%) |
12 (4,2%) |
Todesfälle |
5 |
2 |
9 |
CML-bezogene Todesfälle |
2 |
1 |
8 |
Geschätztes Gesamtüberleben nach 18 Monaten |
98,5% |
99,3% |
96,9% |
MMR: gutes molekulares Ansprechen, definiert durch einen Wert von BCR-ABL ≤0,1% IS (IS: internationale Skala); CMR: komplette molekulare Remission → BCR-ABL-Transkripte sind nicht mehr nachweisbar; CCyR: komplettes zytogenetisches Ansprechen
Ergebnisse nach 12 und 18 Monaten
Die Auswertung nach 12 Monaten und eine Zwischenauswertung nach 18 Monaten zeigen die Überlegenheit von Nilotinib im Vergleich mit Imatinib. In beiden Dosierungen induzierte Nilotinib signifikant schneller und häufiger gute molekulare Remissionen und komplette zytogenetische Remissionen als der gegenwärtige Standard Imatinib.
Nach 12 Monaten konnten unter anderen folgende Ergebnisse festgehalten werden (siehe auch Arzneimitteltherapie 2010;28:146–7):
- Unter der Therapie mit Nilotinib (2-mal 300 mg/Tag) erreichten doppelt so viele Patienten eine MMR im Vergleich zu Patienten, die mit 1-mal 400 mg/Tag Imatinib behandelt wurden (44% vs. 22%, p<0,0001).
- Bei einer Dosierung von 2-mal 400 mg/Tag Nilotinib wurde ebenfalls eine höhere MMR-Rate erzielt als unter der Behandlung mit 1-mal 400 mg/Tag Imatinib (43% vs. 22%, p<0,0001).
- Die aktuelle Auswertung der Daten nach 18 Monaten lässt folgende Aussagen zu (siehe auch Tab. 1):
- Bei mehr Patienten unter Nilotinib als unter Imatinib ist die Erkrankung auf molekularer Ebene nicht mehr nachweisbar.
- Unter Nilotinib wurde ein besseres komplettes zytogenetisches Ansprechen erzielt als unter Imatinib.
- Nilotinib bietet einen besseren Schutz vor Krankheitsprogression als Imatinib.
- Unter Nilotinib wurden weniger CML-bedingte Todesfälle registriert als unter Imatinib.
- Unter Nilotinib zeigte sich ein schnelleres Ansprechen als unter Imatinib.
- Die Verträglichkeit von Nilotinib im Rahmen der Studie war gut. Unter Nilotinib traten weniger Ödeme und gastrointestinale Nebenwirkungen auf als unter Imatinib. Hingegen traten unter Nilotinib häufiger dermatologische Ereignisse (Rash, Pruritis) und Kopfschmerzen auf als unter Imatinib. Hämatotoxizitäten wurden in beiden Nilotinib-Studienarmen selten beobachtet. Bei der Behandlung mit Nilotinib trat kein Pleuraerguss auf. 7% der Patienten der 300-mg-Nilotinib-Gruppe, 11% der 400-mg-Nilotinib-Gruppe und 9% der Imatinib-Gruppe brachen die Studie aufgrund von Nebenwirkungen ab.
Quellen
Prof. Dr. Andreas Hochhaus, Jena, Priv.-Doz. Dr. Philipp Le Coutre, Berlin; Launch-Presseveranstaltung „Zulassung von Tasigna® zur Erstlinientherapie der CML: Novartis vollzieht den Generationswechsel in der CML-Therapie“, Frankfurt, 1. Dezember 2010, veranstaltet von Novartis Oncology.
Saglio G, et al. Nilotinib versus imatinib for newly diagnosed chronic myeloid leukemia. N Engl J Med 2010;362:2251–9.
Hochhaus A, et al. Haematologica (EHA Annual Meeting Abstracts) 2010: Abstract #1113.
Hughes T, et al. ASH 2010: Abstract 207.
Arzneimitteltherapie 2011; 29(03)