RADIANT-Studienprogram

Hemmung von mTOR bei neuroendokrinen Tumoren


Veröffentlicht am: 28.11.2019

Dr. Petra Jungmayr, Esslingen

Im Rahmen eines umfangreichen Studienprogramms werden derzeit der mTOR-Inhibitor Everolimus und das Somatostatin-Analogon Octreotid bei neuroendokrinen Tumoren (NET) untersucht. Bei einer von Novartis Oncology Ende des letzten Jahres in München veranstalteten Pressekonferenz wurden aktuelle Studienergebnisse vorgestellt.

Unter dem Begriff neuroendokrine Tumoren (NET) werden unterschiedliche Krebserkrankungen zusammengefasst, die sich in ihrer Lokalisation (pankreatisch und nichtpankreatisch), Biologie und in ihrem Krankheitsbild unterscheiden. Die Tumoren können hormonell aktiv oder funktionell inaktiv sein. Je nach Art der Hormonproduktion unterscheidet man Karzinoide, Gastrinome, Insulinome, Glukagonome und Somatostatinome. Am häufigsten ist das durch Diarrhöen und ausgeprägte Flush-Episoden gekennzeichnete Karzinoid-Syndrom. Es wird durch einen meist im Magen-Darm-Trakt lokalisierten, Serotonin sezernierenden Tumor hervorgerufen. Eine weitere Einteilung der neuroendokrinen Tumoren erfolgt anhand ihrer Dignität, die von benige bis hoch maligne reicht.

Pro Jahr werden in Deutschland bei steigender Inzidenz etwa 1600 Neuerkrankungen registriert. Die Symptomatik ist häufig unspezifisch und oftmals verstreichen Jahre, bis eine exakte Diagnose gestellt wird. In vielen Fällen ist dann eine kurative operative Entfernung des Tumors nicht mehr möglich. Da neuroendokrine Tumoren in der Regel langsam wachsen, ist eine konventionelle Chemotherapie meist nicht erfolgreich. Aus diesem Grund wird nach anderen Therapieoptionen gesucht. Eine Möglichkeit ist die Gabe von Octreotid zur Tumor- und Symptomkontrolle; ein neuer Ansatz ist die zielgerichtete Therapie mit dem mTor(mammalian target of rapamycin)-Inhibitor Everolimus (siehe Kasten).

Kurzcharakteristika der eingesetzten Wirkstoffe

  • Everolimus (RAD001) ist ein selektiver mTOR-Inhibitor. Durch die Hemmung der Serin- Threonin-Kinase werden Signalkaskaden in der Tumorzelle unterbrochen, über die Zellwachstum, Proliferation und Angiogenese gefördert werden. Seit 2009 ist der oral verfügbare mTOR-Inhibitor Everolimus unter dem Handelsnamen Afinitor® zur Behandlung von Patienten mit fortgeschrittenem Nierenzellkarzinom, bei denen es während oder nach einer gegen VEGF (Vascular endothelial growth factor) gerichteten Therapie zu einer Krankheitsprogression kommt, zugelassen. Everolimus ist ferner unter der Handelsbezeichnung Certican® für die Prävention einer Organabstoßung bei Empfängern von allogenen Nieren- und Herztransplantaten zugelassen.
  • Octreotid ist ein synthetisches Somatostatin-Analogon, das im Vergleich zum nativen Somatostatin eine verbesserte klinische Wirksamkeit aufweist. Es wird zur Behandlung verschiedener neuroendokriner Tumoren (metastasierter Karzinoide mit den Merkmalen des Karzinoid-Syndroms, VIPome, Glukagonome) und bei Akromegalie eingesetzt. Seine Applikation erfolgt entweder dreimal täglich in seiner kurz wirksamen Form (z. B. Sandostatin®) oder als monatliche Depot-Injektion (Sandostatin® LAR®-Monatsdepot).

Das RADIANT-Studienprogramm

Im Rahmen des RADIANT-Studienprogramms (RADIANT: RAD001 in advanced neuroendocrine tumors) werden Wirksamkeit und Verträglichkeit des mTOR-Inhibitors Everolimus als Monotherapie und in Kombination mit Octreotid LAR (long-acting release) bei neuroendokrinen Tumoren untersucht. Dazu wurden weltweit etwa 1000 Patienten rekrutiert.

  • RADIANT-1: In dieser Studie wird eine Everolimus-Monotherapie mit Everolimus in Kombination mit Octreotid LAR bei fortgeschrittenen chemotherapieresistenten pankreatischen neuroendokrinen Tumoren verglichen.
  • RADIANT-2: In dieser Studie werden Wirksamkeit und Sicherheit folgender Therapieregime bei Patienten mit fortgeschrittenen neuroendokrinen Tumoren mit Karzinoid-Syndrom miteinander verglichen: Everolimus plus Octreotid LAR versus Plazebo plus Octreotid LAR.
  • RADIANT-3: Darin wird das Therapieregime Everolimus plus „best supportive care“ mit Plazebo plus „best supportive care“ bei Patienten mit fortgeschrittenen pankreatischen neuroendokrinen Tumoren verglichen.

Das Studiendesign und die primären und sekundären Endpunkte der drei Studien sind in Tabelle 1 zusammengefasst.

Tab. 1. Studiencharakteristika

RADIANT-1

RADIANT-2

RADIANT-3

Studientyp

Offene, internationale, multizentrische Phase-II-Studie

Randomisierte, doppelblinde, Plazebo-
kontrollierte, multizentrische Phase-III-Studie

Prospektive, randomisierte, doppelblinde, multizentrische Plazebo-kontrollierte Phase-III-Studie

Erkrankung

Fortgeschrittene chemotherapieresistente Pankreas-NET

Fortgeschrittene NET mit Karzinoid-Syndrom

Fortgeschrittene Pankreas-NET

Anzahl der Teilnehmer

n=160

Arm 1: n=115

Arm 2: n=45

n=429

Arm 1: n=216

Arm 2: n=213

n=410

Arm 1: n=207

Arm 2: n=203

Intervention

Arm 1: 10 mg/Tag Everolimus

Arm 2: 10 mg/Tag Everolimus plus 30 mg Octreotid LAR alle 28 Tage

Arm 1: 10 mg/Tag Everolimus in Kombination mit 30 mg Octreotid LAR alle 28 Tage

Arm 2: einmal täglich Plazebo in Kombination mit 30 mg Octreotid LAR alle 28 Tage

Arm 1: 10 mg/Tag Everolimus in Kombination mit „best supportive care”

Arm 2: täglich Plazebo in Kombination mit „best supportive care”

Primärer Studienendpunkt

Gesamtansprechen (partielle und komplette Remission) in der Monotherapie-Gruppe

Progressionsfreies Überleben

Progressionsfreies Überleben

Sekundäre Endpunkte (Auswahl)

Gesamtansprechen in der Kombinationstherapie-Gruppe

Dauer bis zum Ansprechen

Sicherheit und Verträglichkeit

Progressionsfreies und Gesamtüberleben

Pharmakokinetische Parameter

Gesamtansprechen

Gesamtüberleben

Sicherheit

Biochemisches Ansprechen

Pharmakokinetische Parameter

Tumoransprechen

Gesamtüberleben

Sicherheit

Biochemische und pharmakokinetische Parameter

Studienbeginn

Juni 2006

Dezember 2006

Juli 2007

Studienende

Juli 2011 (geplant)

Oktober 2011 (geplant)

Dezember 2011 (geplant)

NET: neuroendokrine Tumoren; LAR: long-acting release

Die wichtigsten Ergebnisse

RADIANT-1

Das Gesamtansprechen lag nach 26 Monaten bei 9,6% unter der Monotherapie und bei 4,4% unter der Kombinationstherapie. Bei 67,8% der Patienten in der Monotherapie-Gruppe und bei 80,0% in der Kombinationstherapie-Gruppe konnte ein Fortschreiten der Erkrankung verhindert werden (SD, stable disease). Das mediane progressionsfreie Überleben betrug 9,7 Monate unter der Monotherapie und 16,7 Monate unter der Kombinationstherapie [2].

RADIANT-2

Das mediane progressionsfreie Überleben betrug unter Everolimus/Octreotid 16,4 Monate, unter Plazebo/Octreotid 11,3 Monate. Dieser Unterschied war statistisch nicht signifikant (p=0,026; vorgegebenes Signifikanzniveau: α=0,0246). Als Ursache hierfür werden Unterschiede in den beiden Studiengruppen angeführt (z. B. im Hinblick auf eine zytostatische Vorbehandlung, Primärtumoren der Lunge, Differenzen beim WHO-Gesundheitsstatus und Unterschiede zwischen der zentralen und lokalen radiologischen Bewertung der Krankheitsprogression). Die Auswertung auf lokaler Ebene ergab, dass unter der Everolimus-haltigen Therapie das progressionsfreie Überleben signifikant von 8,6 auf 12,0 Monate verlängert wurde (HR=0,78; 95%-KI 0,62–0,98; p=0,018). Um die genannten Differenzen zu berücksichtigen, wurde eine Analyse mithilfe des IPCW-Cox-Modells (IPCW: Inverse probability of censoring weights) durchgeführt: Danach wurde die Krankheitsprogression unter der Everolimus-haltigen Kombinationstherapie statistisch signifikant um 40% im Vergleich zur Octreotid-LAR-Monotherapie reduziert (HR=0,60; p=0,0014) [3].

RADIANT-3

Unter Everolimus plus „best supportive care“ konnte eine Verlängerung des medianen progressionsfreien Überlebens von 4,6 auf 11,0 Monate erreicht werden (p<0,0001); das Risiko der Tumorprogression war unter diesem Therapieregime um 65% im Vergleich zu Plazebo plus „best supportive care“ reduziert (HR=0,35; p<0,0001). Die Raten für eine Tumorkontrolle lagen in der Everolimus-Gruppe bei 77,7% im Vergleich zu 52,7% in der Kontrollgruppe (p<0,001). Im Vergleich zur Plazebo-Gruppe traten unter der Everolimus-haltigen Therapie vermehrt folgende unerwünschte Wirkungen (überwiegend Grad 1 oder 2) auf: Stomatitis, Rash, Diarrhö, Fatigue, Infektionen. Die häufigsten Nebenwirkungen vom Grad 3 und 4 in der Everolimus-Gruppe waren Stomatitis, Anämie und Hyperglykämie [4].

Auf Basis der Ergebnisse von RADIANT-2 und -3 wurde bei der europäischen Arzneimittelbehörde EMA inzwischen die Zulassung für die RAD001-Monotherapie bei fortgeschrittenen pankreatischen NET sowie für die Kombinationstherapie mit Octreotid LAR bei fortgeschrittenen NET mit Karzinoid-Syndrom beantragt.

Quellen

1. Prof. Dr. Matthias Weber, Mainz, Prof. Dr. Marianne Pavel, Berlin; Pressekonferenz „Neuroendokrine Tumoren im Wandel: mTOR-Inhibition als neues Therapieprinzip“, Nürnberg, 28. Oktober 2010, veranstaltet von Novartis Oncology.

2. Yao JC, et al. J Clin Oncol 2010;28:69–76.

3. Pavel M, et al. ESMO 2010, Abstract #LBA8.

4. Yao JC, et al. ESMO 2010 #LBA9A.

Arzneimitteltherapie 2011; 29(05)