Ernährungstherapie bei Intensivpatienten

Wann ist die Gabe von Glutamin indiziert?


Dr. med. Peter Stiefelhagen, Hachenburg

Eine adäquate Ernährung ist für Intensivpatienten von prognostischer Bedeutung. Neben der Kalorien- und Flüssigkeitsgabe hat auch der Einsatz von Nährsubstraten im Sinne einer Immuno- oder Pharmakonutrition einen hohen Stellenwert. In welchen Fällen die Gabe von Glutamin indiziert ist, wurde bei einem von der Firma Fresenius Kabi im Rahmen des Seminarkongresses „Interdisziplinäre Intensivmedizin“ veranstalteten Seminars im März dieses Jahres in Garmisch-Partenkirchen diskutiert.

Bei der Ernährungstherapie kritisch kranker Patienten besteht eine große Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit, das heißt die offiziellen Empfehlungen der Europäischen Gesellschaft für Klinische Ernährung und Stoffwechsel (ESPEN) werden häufig nicht umgesetzt. Nach diesen Empfehlungen sollten alle Patienten, die erwartungsgemäß nicht innerhalb von drei Tagen vollständig mit normaler Kost ernährt werden können, einer enteralen Sondenernährung zugeführt werden. Doch eine solche erfordert zumindest eine partielle digestive und absorptive Funktion des Gastrointestinaltrakts. Diese ist bei Patienten mit intestinaler Obstruktion bzw. Ileus, schwerem Schock oder intestinaler Ischämie nicht gewährleistet, so dass diese Krankheitsbilder Kontraindikationen für eine enterale Ernährung darstellen. Ansonsten ist die enterale Ernährung – soweit möglich – einer parenteralen immer vorzuziehen, denn sie ist physiologisch, metabolisch vorteilhafter und kostengünstig.

Gerade bei Intensivpatienten können durch eine adäquate Ernährung der Krankheitsverlauf günstig beeinflusst, das Auftreten von Komplikationen vermindert und die Prognose verbessert werden. Patienten, die eine enterale Ernährung tolerieren und annähernd bedarfsgerecht ernährt werden können, sollten keine zusätzliche parenterale Ernährung erhalten. Die Ausnahme bilden Patienten mit einer schweren Mangelernährung. In der Akut-/Frühphase einer Erkrankung empfiehlt sich die exogene Zufuhr von 15 bis 25 kcal/kg Körpergewicht (KG), in der anabolen Erholungsphase von 25 bis 30 kcal/kg KG.

Immunonutrition und Pharmakonutrition

Bei kritisch kranken Patienten, insbesondere bei Patienten mit einer schweren Sepsis oder einem septischen Schock, wird zusätzlich der Einsatz von Nährstoffsubstraten propagiert, was als Immuno- bzw. Pharmakonutrition (siehe Kasten) bezeichnet wird. Dazu gehört neben Antioxidanzien und Omega-3-Fettsäuren die semi-essenzielle Aminosäure Glutamin.

Immuno-/Pharmakonutrition:

Als Immunonutrition bezeichnet man speziell zusammengesetzte Ernährungslösungen zur enteralen oder parenteralen Applikation, durch die das Immunsystem unterstützt und in der Folge der Krankheitsverlauf bei Intensivpatienten günstig beeinflusst werden soll. Die Lösungen können unter anderem höhere Konzentrationen von Glutamin und langkettigen, mehrfach ungesättigten Omega-3-Fettsäuren sowie Antioxidanzien enthalten.

Bei Patienten, die – beispielsweise aufgrund einer Darmatonie – die bei der enteralen Immunonutrition erforderlichen Volumina von 1000–2000 ml/d nicht tolerieren, können die genannten Substanzen alternativ in hochkonzentrierter Form im Sinne einer Pharmakonutrition (ca. 500 ml/d) verabreicht werden. In diesem Fall steht die pharmakologische Wirkung der enthaltenen Substanzen gegenüber ihrer ernährenden Wirkung im Rahmen der Immunonutrition im Vordergrund.

Bei einem systemischen Entzündungsprozess mit metabolischer Autokannibalisation kommt es zum Absinken der Glutaminspiegel, was zelluläre Strukturen und Funktionen beeinträchtigt und somit die Manifestation eines Multiorganversagens fördert. Besonders betroffen sind Patienten mit einer Sepsis, Verbrennungen oder einem Polytrauma. Die günstige Wirkung von Glutamin ergibt sich daraus, dass diese Substanz an einer Reihe wichtiger physiologischer Prozesse beteiligt ist. Dazu gehören Entgiftungsmechanismen, antioxidative Prozesse und die Insulinresistenz.

In Abhängigkeit vom klinischen Befund kann die Gabe von Glutamin enteral oder parenteral erfolgen. Von einem Glutamindefizit muss man bei einem Wert von <0,42 mmol/l ausgehen. Es konnte gezeigt werden, dass ein erniedrigter Glutaminspiegel einen unabhängigen Prädiktor für die Letalität darstellt. Deshalb sollte eine rasche Korrektur des Glutamindefizits angestrebt werden. Für die Gabe von Glutamin konnten günstige Wirkungen unter anderem auf die intestinale Absorption, die Immunkompetenz und die Proteinsynthese nachgewiesen werden, was letztlich auch zu einer Reduktion der Krankenhausaufenthaltsdauer und der damit verbundenen Kosten führt.

Wann und wie lange?

Die Indikation für die Gabe von Glutamin besteht bei allen Intensivpatienten, die parenteral ernährt werden müssen. Bei enteraler Ernährung wird die Glutamin-Gabe mit dem Evidenzgrad A für Patienten mit Trauma oder Verbrennungen empfohlen. Dabei sollte Glutamin über 5 bis 7 Tage in einer Dosierung von 0,5 g/kg KG pro Tag gegeben werden. Erste Untersuchungen zeigen jedoch, dass höhere Dosierungen von 0,7 g/kg KG pro Tag vorteilhaft sein könnten. Allerdings muss bei der höheren Dosierung auf die Volumenzufuhr geachtet werden.

Die parenterale Gabe von Glutamin führt zu deutlich höheren Plasmaspiegeln als die enterale Applikation. Zu Beginn der Therapie kann daher auch die Kombination von enteraler und parenteraler Gabe durchaus sinnvoll sein.

Grundsätzlich sollte die Dosierung von Glutamin anhand der Harnstoff- und Ammoniakwerte gesteuert werden. Ob die Bestimmung der Plasmaspiegel oder eine Therapiesteuerung in Abhängigkeit vom CRP-Wert Vorteile bietet, lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht beurteilen. Gleiches gilt für die Frage, ob entsprechend des Krankheitsverlaufs unterschiedliche Phasen spezifischer Glutamin-Bedürfnisse bestehen.

Bezüglich der Sicherheit der Glutamin-Gabe konnte gezeigt werden, dass bei intravenöser Gabe bei Patienten mit einem Hirntrauma weder die Plasma- noch die zerebralen Glutamatspiegel steigen.

Fazit

Glutamin besitzt in allen Zellen wichtige Funktionen. Bei kritisch kranken Intensivpatienten entwickelt sich meist ein Glutamindefizit, was die Morbidität und Letalität erhöht. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit für eine rasche Korrektur des Glutamindefizits, was sowohl enteral als auch parenteral erfolgen kann. Indiziert mit einem Evidenzgrad A ist die Glutamin-Gabe bei allen Intensivpatienten, die parenteral ernährt werden müssen, außerdem bei Patienten mit Verbrennungen oder Traumata, die einer enteralen Ernährung bedürfen. Glutamin sollte über mindestens fünf Tage in einer Dosierung von mindestens 0,5 g/kg pro Tag gegeben werden. Die Therapie ist sicher, insbesondere wurden keine Erhöhungen der Plasma- und zerebralen Glutamatspiegel beobachtet.

Quellen

Dr. med. T. Reimer, Herne, Priv.-Doz. John F. Stover, Zürich; Seminar „Was gibt es Neues für Ihre Intensivpatienten in der klinischen Ernährung mit Glutamin“, veranstaltet von Fresenius Kabi im Rahmen des Seminarkongresses „Interdisziplinäre Intensivmedizin“, Garmisch-Partenkirchen, 8. bis 11. März 2011.

Singer et al. ESPEN guidelines on parenteral nutritition: intensive care. Clin Nutr 2009;28:387–400.

Arzneimitteltherapie 2011; 29(05)