Dr. med. Peter Stiefelhagen, Hachenburg
Bei aller Themenvielfalt, die der Europäische Kardiologenkongress (27. bis 31. August 2011 in Paris) auch in diesem Jahr zu bieten hatte, die aktuell dominierenden Themen in der Kardiologie sind die neuen Antithrombotika und neue Stentbeschichtungen bzw. -technologien.
Neue Thrombozytenfunktionshemmer
Bei den Antithrombotika kämpfen zum einen die neuen Thrombozytenfunktionshemmer Prasugrel und Ticagrelor um eine breitere Akzeptanz im klinischen Alltag. In den aktualisierten Leitlinien der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie werden beide Substanzen jetzt bei Patienten mit einem akuten Koronarsyndrom mit dem Evidenzgrad IB empfohlen. Gleichzeitig werden komplexe Szenarien beschrieben, bei denen diese Substanzen vorrangig eingesetzt werden sollen. Angesichts der aktuellen Studienlage sind jedoch klare differenzialtherapeutische Empfehlungen auch im Hinblick auf das altbewährte Clopidogrel kaum möglich.
Die Marcumar-Ära geht zu Ende
Zum anderen drängen die neuen oralen Thrombin- und Faktor-Xa-Inhibitoren in den Markt, ja es herrscht geradezu eine Goldgräberstimmung. Die Zahl der in Prüfung befindlichen Substanzen wird immer größer. Man muss sicherlich kein Prophet sein, um sagen zu dürfen, dass die „Marcumar-Ära“ mit allen sich daraus ergebenden Konsequenzen hinsichtlich Kostenentwicklung allmählich zu Ende geht. Die neuen Thrombin- bzw. Faktor-Xa-Inhibitoren sollen nicht nur bei der Thromboembolieprophylaxe, sondern auch bei der Therapie der tiefen Beinvenenthrombose und insbesondere bei der Schlaganfallprävention bei Vorhofflimmern sicherer und effektiver sein als Vitamin-K-Antagonisten. Gerade bei der Indikation Vorhofflimmern versucht jede dieser Substanzen ein Stück vom Kuchen abzubekommen, wobei die intensiv propagierte Risikostratifizierung nach dem CHA2DS2-VASc-Score den Kuchen insgesamt deutlich größer werden lässt, denn auf einen kurzen Nenner gebracht kann man sagen: Unabhängig vom Verlauf des Vorhofflimmerns sollten alle betroffenen Patienten – soweit keine Kontraindikation vorliegt – antikoaguliert werden, mit Ausnahme jüngerer gesunder Männer.
Doch für den praktischen Alltag stellt sich die Frage, welche dieser Substanzen die beste ist. Diese Frage lässt sich nicht beantworten, da die mit den einzelnen Arzneistoffen durchgeführten Studien nicht vergleichbar sind und ein Head-to-Head-Vergleich aus nachvollziehbaren Gründen von keinem Hersteller angestrebt wird: nur einer könnte letztendlich gewinnen. Somit dürften Marketingaktivitäten, persönliche Erfahrungen und letztlich der Preis die entscheidenden wettbewerbsbestimmenden Faktoren sein.
Mozart oder Techno?
Bei den Diskussionen über innovative Strategien in der Kardiologie wird es mancher Kongressteilnehmer als wohltuende Abwechslung empfunden haben, dass diesmal ein besonderes, nicht alltägliches Thema präsentiert wurde. Die Rede ist von dem Symposium „Musik und Herz“. Unbestritten kann Musik eine emotionalisierende Wirkung entfalten. Deshalb wird sie bereits seit biblischen Zeiten auch als Therapieprinzip vor allem bei psychiatrischen Erkrankungen eingesetzt. Erst in den letzten Jahren hat sich auch die Kardiologie dieses Themas angenommen. Es wird versucht, mit wissenschaftlichen Methoden den Einfluss der Musik auf kardiovaskuläre Parameter zu erforschen. Nach Meinung von Prof. Hans-Joachim Trappe, Herne, hat Musik nachweisbare Effekte auf Herzfrequenz, Herzfrequenzvariabilität und andere physiologische Parameter. Besonders sinnvoll sei Musik als Prämedikation vor herzchirurgischen Eingriffen, da es die Ängstlichkeitsrate sogar stärker senke als Midazolam. Aber auch nach einer Herzoperation wird durch die Musikapplikation die Stressreaktion deutlich vermindert. Deshalb sollte Musik heute ein integraler Bestandteil der Behandlung nach einer Herzoperation sein. Aber auch im Rahmen von Herzkatheteruntersuchungen und bei Patienten mit depressiven Verstimmungen sowie im Rahmen der Schmerz-, Intensiv- und Palliativmedizin entfaltet Musik positive Effekte.
Doch welches Musik-Genre empfiehlt sich zur Kardioprotektion? Grundsätzlich sollten zunächst die individuellen Wünsche des Patienten berücksichtigt werden. Die besten Effekte lassen sich jedoch durch klassische oder meditative Musik erzielen. Heavy Metal oder Techno können dagegen sogar schädliche Wirkungen entfalten, da sie Stress verstärken und somit lebensgefährliche Arrhythmien auslösen können. Zu den Komponisten, die nach Meinung Trappes in besonderem Maße eine günstige Wirkung entfalten, gehören Bach, Mozart und die italienischen Komponisten.
Schokolade statt Sport?
Und für alle, die sich mit der klassischen Musik nicht anfreunden können, hatte der Kongress noch ein weiteres „Schmankerl“ zu bieten. Nach einer neueren Metaanalyse scheint auch der moderate Genuss von Schokolade, insbesondere dunkler Schokolade, das KHK-Risiko günstig zu beeinflussen (Francor et al., BMJ 2011). Die darin enthaltenen Substanzen wirken nämlich antioxidativ, vasodilatierend und somit auch antihypertensiv.
Klassische Musik und Schokolade! Diese Form der Lebensdiätetik dürfte unseren Patienten sicherlich leichter zu vermitteln und somit auch wirksamer sein als die mit erhobenem Zeigefinger vorgetragenen ständigen Belehrungen bezüglich Gewicht, Ernährung, körperlicher Bewegung und Rauchen.
Weitere Mitteilungen vom diesjährigen europäischen Kardiologenkongress finden Sie auf Seite 351 bis 356 in der Rubrik „Referiert & kommentiert“. (Red.)
Arzneimitteltherapie 2011; 29(11)