Der delirante Patient auf der Intensivstation: Hände weg von Benzodiazepinen!


Dr. med. Peter Stiefelhagen, Hachenburg

Was machen wir nur mit dem aggressiven Patienten? Dieser alltägliche Hilferuf auf der Intensivstation signalisiert, welche besondere Belastung aggressive Patienten für Pflegepersonal und Ärzte auf der Intensivstation darstellen, zumal solche Patienten sowohl fremd- als auch selbstgefährdend sein können.

Ursache des aggressiven Verhaltens ist in den meisten Fällen ein Delirium. Doch dieses Problem wird von Intensivmedizinern häufig im Hinblick auf prophylaktische Maßnahmen vernachlässigt und, was die Häufigkeit betrifft, auch unterschätzt. Deshalb wird auch meist kein Delirium-Screening durchgeführt, obwohl dieses Krankheitsbild nicht nur besonders hohe Anforderungen an die Geduld des behandelnden Teams stellt, sondern delirante Patienten auch häufig Komplikationen hervorrufen und insgesamt ein schlechteres Outcome haben. Zu den häufigeren Komplikationen gehören Selbstextubation mit der Notwendigkeit einer Reintubation und das Entfernen von Kathetern bzw. Drainagen. Dies alles dürfte auch den Krankenhausaufenthalt verlängern.

Ursachen für ein Delir

Pathophysiologisch handelt es sich beim Delirium um ein Ungleichgewicht von Neurotransmittern – einem Zuviel an Dopamin steht ein Zuwenig an Acetylcholin gegenüber. Dieses Ungleichgewicht entsteht vermutlich auf der Basis einer zerebralen Minderperfusion. Auch dürfte der zerebrale oxidative Metabolismus gestört sein, was sich im EEG als diffuse Verlangsamung zeigt.

Das Delirium ist mit einer Reihe von beeinflussbaren und nicht beeinflussbaren Risikofaktoren bzw. auslösenden Faktoren assoziiert. Zu den nicht beeinflussbaren Faktoren gehören Alter, Depression, Genetik, Hypertonie, Rauchen und Schwerhörigkeit, beeinflussbare Faktoren sind Azidose, Anämie, Fieber, Infektionen, Sepsis, Hypotonie, metabolische Entgleisungen, respiratorische Erkrankungen und Immobilisierung. Aber auch iatrogene Faktoren, insbesondere die Gabe von Benzodiazepinen und Opiaten, dürften im klinischen Alltag eine wichtige Rolle spielen.

Vorbeugen ist besser als heilen

„In mehreren Untersuchungen konnte gezeigt werden, dass die Gabe von Benzodiazepinen mit der Entstehung eines Deliriums assoziiert ist“, sagte Prof. Christian Sitzwohl von der Anästhesiologischen Universitätsklinik in Wien im Rahmen der diesjährigen Wiener Intensivmedizinischen Tage (15.–18.02.2012) (z. B. [1, 2]). Deshalb empfehle es sich, insbesondere bei älteren, schwer kranken und hypertensiven Risikopatienten auf die Gabe von Benzodiazepinen nach Möglichkeit zu verzichten. „Sedieren Sie Ihren Patienten so wenig wie möglich bei adäquater Schmerztherapie und vermeiden Sie Benzodiazepine“, so seine Empfehlung. Das „Niederbügeln“ vom Patienten solle unterlassen werden. Empfehlenswert sei es, die tägliche Dauersedierung zu unterbrechen und diese nur bei Interventionen mit Bolusgaben eines kurz wirksamen Hypnotikums zu vertiefen. „Mir ist bewusst, dass das kein einfaches Unterfangen ist, aber eine Reduktion der Sedativa hat eine Vielzahl positiver „Nebenwirkungen“ wie weniger Beatmungstage, geringere Ileus-Raten und kürzere Aufenthalte auf der Intensivstation“, so Sitzwohl.

Was tun bei Delir?

Hat sich ein Delir bereits manifestiert, sollte man nicht sofort zur pharmakologischen Keule greifen. Zunächst einmal gilt es, auslösende Faktoren zu eruieren, beispielsweise eine volle Blase. Auch eine beginnende Infektion, Elektrolytentgleisungen, Hypoglykämie, Hypotension, Hyperkapnie und Hypoxie sollten als mögliche Auslöser des Deliriums abgeklärt werden, ebenso wie Schmerzen. Somit kann eine adäquate Schmerztherapie die effektivste Behandlung eines Deliriums sein. Andererseits können sedierende Medikamente, insbesondere Benzodiazepine, ebenfalls ein Auslöser sein.

Das Medikament der ersten Wahl bei einem Delir ist und bleibt Haloperidol in einer Dosierung von 2,5 bis 5 mg alle 20 Minuten, und zwar so lange, bis die Agitation unter Kontrolle ist. Anschließend empfiehlt sich eine präventive Dosis in 4- bis 6-stündigen Abständen über einige Tage. Haloperidol wirkt über eine selektive Blockierung der Dopamin-2-Rezeptoren, wodurch Halluzinationen und Wahnvorstellungen vermindert werden. Vorteilhaft ist, dass die Substanz wenig anticholinerg wirkt. Bei anderen Neuroleptika ist die Wirkung am Dopaminrezeptor weniger selektiv. Doch auch eine Therapie mit Haloperidol geht mit einer Reihe von möglichen Nebenwirkungen einher, darunter extrapyramidale Effekte, maligne Hyperthermie, trockener Mund, Verstopfung und eine Verlängerung der QT-Zeit. Die neueren, atypischen Antipsychotika dürften wohl eine ähnlich gute Wirkung entfalten, Daten aus der Intensivmedizin gibt es für diese Substanzen jedoch bisher nicht. Eine weitere Option ist der Alpha-2-Rezeptoragonist Clonidin. „Wichtig ist nur, dass Sie keine Benzodiazepine zur Therapie einsetzen, da diese Substanzgruppe selbst ein Risiko für die Entstehung eines Delirs ist“, so die Warnung von Sitzwohl.

Literatur

1. Pisani MA, et al. Benzodiazepine and opioid use and the duration of intensive care unit delirium in an older population. Crit Care Med 2009;37:177–83.

2. Girard TD, et al. Delirium in the intensive care unit. Crit Care 2008;12(Suppl 3):S3.

Arzneimitteltherapie 2012; 30(05)