Dr. Claudia Heß, Mainz
Hintergrund
Bei einer immunmodulatorisch wirksamen Basistherapie zur Behandlung der multiplen Sklerose (MS), beispielsweise mit Interferon beta-1b, handelt es sich immer um eine prophylaktische Maßnahme. Retrospektiv und prospektiv gewonnene Studiendaten zeigen, dass eine frühe Intervention das Krankheitsgeschehen auch langfristig günstig beeinflusst.
Zu Interferon beta-1b (Betaferon®) liegen mittlerweile mehr als 21 Jahre Therapieerfahrung vor. In der Phase-III-Studie, die zur Zulassung von Betaferon® führte, wurden Patienten mit schubförmiger multipler Sklerose bis zu fünf Jahre randomisiert und kontrolliert mit Interferon beta-1b (50 oder 250 µg jeden 2. Tag) oder Plazebo behandelt. Die anschließende Therapie war dem Arzt überlassen. Für eine retrospektive Auswertung nach rund 16 Jahren standen Daten von 260 der ursprünglich 372 Patienten zur Verfügung. Bis zu einer Verschlechterung des EDSS(Expanded disability status scale)-Scores auf 6,0 Punkte seit Diagnosestellung waren bei Patienten ohne Interferon-beta-1b-Therapie 8,44 Jahre vergangen, unter der längsten Therapiedauer mit Interferon beta-1b von rund 17 Jahren dagegen 13,1 Jahre. Die Daten bestätigten die bereits früher gewonnenen Erfahrungen zur guten Verträglichkeit und zum günstigen Sicherheitsprofil des Arzneistoffs [2].
Eine erneute Auswertung nach durchschnittlich 21 Jahren zeigte für Patienten, die in der Zulassungsstudie mit Interferon beta-1b behandelt worden waren, ein um 39,3% vermindertes Sterberisiko (p=0,027) im Vergleich mit den Patienten, die in den ersten fünf Jahren Plazebo erhalten hatten [3]. Für Patienten, die in der Studie mit der letztlich empfohlenen Dosis von 250 µg Interferon beta-1b alle zwei Tage behandelt worden waren, war das Sterberisiko gegenüber den Patienten der Plazebo-Gruppe um knapp 47% reduziert. Da die Lebenserwartung von MS-Patienten um etwa 8 bis 10 Jahre unter der der Normalbevölkerung liegt, kann eine solche Aussage über das Langzeitoutcome entscheidende Bedeutung für die Therapie erlangen.
„Hit early“
In der BENEFIT-Studie (Betaferon®/Betaseron® in newly emerging multiple sclerosis for initial treatment) wurde untersucht, welchen Nutzen es hat, bereits in einem frühen MS-Stadium eine Interferon-beta-1b-Behandlung zu beginnen. Eingeschlossen waren 468 Patienten mit klinisch isoliertem Syndrom (KIS) und mindestens einer Läsion im initialen MRT. Sie wurden prospektiv zwei Jahre lang (Randomisierung etwa 3:2) Plazebo-kontrolliert mit Interferon beta-1b behandelt (250 µg subkutan an jedem 2. Tag), bis sich die MS in einem zweiten Schub bestätigte oder ein Follow-up von zwei Jahren erreicht wurde. In der anschließenden Nachbeobachtungsphase erhielten alle Patienten das Verum (unverblindet), um die Wirksamkeit der frühen Interferon-Behandlung mit einer später einsetzenden Therapie (Patienten mit Plazebo im ersten Teil) vergleichen zu können. Bei der Studienplanung wurden bereits die neuen MS-Diagnosekriterien berücksichtigt [4].
In der zweijährigen, doppelblinden ersten Studienphase reduzierte Interferon beta-1b die klinische Manifestationsrate der MS im Vergleich zu Plazebo signifikant um nahezu 50%. Eine Auswertung der Ergebnisse nach fünf Jahren zeigte eine Verzögerung des Behinderungsfortschritts um mehr als eineinhalb Jahre (siehe Arzneimitteltherapie 2009;27:259–60). Gleichzeitig zeigte sich bei der Gruppe mit Frühtherapie ein signifikant besserer Erhalt der kognitiven Leistungsfähigkeit (gemessen mit dem PASAT-Test [Paced auditory serial addition test]) gegenüber der Gruppe mit ursprünglicher Plazebo-Behandlung.
Die nun vorgestellten 8-Jahres-Daten wurden mit rund 60% der ursprünglichen Studienpopulation erhoben. Sie zeigten, dass durch eine frühe, initiale und anhaltende Interferon-beta-1b-Therapie der zweite MS-Schub bei mehr als der Hälfte der Patienten um mehr als dreieinhalb Jahre hinausgezögert werden konnte. Das Risiko für eine Krankheitsprogression verringerte sich um 32%. Auch noch im achten Jahr war die jährliche Schubrate in der Verum-Gruppe geringer als in der Gruppe mit initialer Plazebo-Behandlung. Über den gesamten Beobachtungszeitraum gemittelt, traten bei früher Interferon-Behandlung 0,20 Schübe und bei verzögerter Behandlung 0,26 Schübe pro Jahr auf (p=0,0012). Es kann vermutet werden, dass eine frühe Intervention das immunologische Geschehen abschwächt.
Stabiler Krankheitsverlauf bei frühem Therapiebeginn
Eine Eskalationstherapie benötigten während der achtjährigen Beobachtung nur 31 Patienten, also 6,6% der Studienpopulation. Demnach blieb bei rund 93% der Patienten das Krankheitsbild unter Therapie mit Interferon beta-1b stabil. Der EDSS-Score war mit einem Wert von 1,5 während der gesamten Studiendauer niedrig.
Die kognitive Leistungsfähigkeit blieb auch über acht Jahre in der Gruppe mit Frühtherapie gegenüber dem Plazebo-Arm signifikant besser. Das Medikament wurde insgesamt gut vertragen, unerwartete Nebenwirkungen wurden in der Studie nicht beobachtet.
Fazit
Die guten Langzeitdaten zu Interferon beta-1b und die aktuellen 8-Jahresdaten der BENEFIT-Studie dürften dazu beitragen, dass Interferon trotz der Zulassung von Peroralia seinen Platz in der First-Line-Therapie der multiplen Sklerose längerfristig behaupten kann. Patienten profitieren besonders von einer frühen, initialen und anhaltenden Interferon-Therapie. Wegen der notwendigen Injektionen muss jedoch immer wieder die Therapietreue hinterfragt werden, um den Therapieerfolg dauerhaft sicherzustellen.
Quellen
1. Prof. Ralf Gold, Bochum, Dr. Sven Schippling, Zürich; Pressekonferenz „Neues zur Früh- und Langzeittherapie bei MS: Paradigmenwechsel im Blick“, Köln, 1. Dezember 2011, veranstaltet von Bayer HealthCare.
2. Ebers CG, et al. Long-term follow-up of the original interferon-beta1b trial in multiple sclerosis: design and lessons from a 16-year observational study. Clin Ther 2009:31:1724–36.
3. Goodin D, et al. Poster P07. 163 AAN Honolulu 2011.
4. DGN/KKNMS Leitlinie zur Diagnose und Therapie der MS (Stand 12.04.2012). www.dgn.org (Zugriff am 23.04.2012).
Beilagenhinweis: Diese Ausgabe enthält eine Beilage der Firma Conventus – Congressmanagement & Marketing, 07745 Jena. Wir bitten unsere Leser um Beachtung.
Arzneimitteltherapie 2012; 30(05)