Die medikamentöse Behandlung der chronischen lymphatischen Leukämie


Veröffentlicht am: 28.11.2019

Clemens Unger, Freiburg

Die chronische lymphatische Leukämie (CLL) gehört zu den chronischen lymphoproliferativen Erkrankungen. Sie ist durch eine progressive Anreicherung von funktionsgestörten Lymphozyten mit monoklonalem Ursprung charakterisiert. Für die Behandlung der symptomatischen oder fortgeschrittenen CLL gibt es kein Standard-Therapieregime. Die meisten Regime wurden nicht direkt miteinander verglichen oder werden noch in klinischen Studien untersucht. Die Gesamtüberlebensraten sind mit den verschiedenen Regimen ähnlich, Unterschiede bestehen jedoch in den Ansprechraten, in der Zeit bis zur Progression und in den Nebenwirkungen. Entsprechend den Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie (DGHO) empfehlen wir für die Frontline-Therapie bei den meisten Patienten ein Regime mit Fludarabin, Cyclophosphamid und Rituximab (FCR) oder mit Bendamustin plus Rituximab (BR). Zur Hochrisikogruppe gehören Patienten mit del(17p)- oder TP53-Mutationen, sie sind Kandidaten für eine Therapie mit Alemtuzumab und/oder eine allogene Stammzelltransplantation.
Arzneimitteltherapie 2013;31:116–20.

Die WHO-Klassifikation beschreibt die chronische lymphatische Leukämie (CLL) als indolentes, lymphozytisches Lymphom, das durch einen leukämischen Verlauf charakterisiert ist. Dabei ist die CLL immer eine B-Zell-Neoplasie, während die früher als T-Zell-Neoplasie bezeichnete Erkrankung nun T-Prolymphozytenleukämie (T-PLL) heißt.

Die CLL ist die häufigste leukämische Erkrankung. In Deutschland erkranken jährlich etwa 4000 Männer und Frauen, das mediane Alter bei Erstdiagnose liegt für Männer bei 70 und für Frauen bei 72 Jahren. Klinisch ist die CLL durch eine Blut-Lymphozytose charakterisiert, die häufig zufällig festgestellt wird. In späteren Stadien treten sowohl eine Lymphadenopathie als auch eine Hepato-Splenomegalie auf. Die Patienten neigen zu vermehrten Infekten.

Diagnosekriterien nach den Kriterien des „International Workshop on CLL 2008“ sind:

  • Nachweis von mindestens 5000 klonalen B-Lymphozyten pro µl im peripheren Blut
  • Nachweis von kleinen reifen Lymphozyten im peripheren Blutausstrich
  • Koexpression der B-Zell-Antigene CD19, CD20 und CD23 mit dem T-Zell-Antigen CD5 in der Immunphänotypisierung

Durch die Doppelmarkierung von CD19/kappa oder CD19/lambda kann die Monoklonalität der Zellen nachgewiesen werden. Die Diagnostik beginnt mit Anamnese und körperlicher Untersuchung. Das Blutbild beinhaltet auch ein Differenzialblutbild sowie eine multiparametrische Immunphänotypisierung, bei der die Expression von CD19, CD20 und CD23, die Koexpression von CD5 sowie die Monoklonalität von Ig-kappa oder Ig-lambda nachgewiesen werden. Eine Knochenmarkpunktion ist zur Diagnosestellung in der Regel nicht erforderlich. Weitere Untersuchungen beinhalten die genetische Untersuchung zum Nachweis von Deletion 17p13 (ungünstige Prognose) sowie, in Abhängigkeit von Symptomatik und geplanter Therapie, Haptoglobin-Spiegel und Coombs-Test bei Verdacht auf Hämolyse sowie die Bestimmung der quantitativen Immunglobuline bei Verdacht auf Immundefizienz. Eine bildgebende Diagnostik (Sonographie, CT) zur Erfassung des Lymphknotenstatus ist obligat.

Für die Stadieneinteilung nach Binet und Rai (Tab. 1) sind lediglich ein Blutbild und eine körperliche Untersuchung erforderlich.

Tab. 1. Stadieneinteilung nach Binet und Rai

Stadieneinteilung nach Binet

Stadium

Befund

A

Hb >10 g/dl, Thrombozytenzahl normal,
<3 vergrößerte Lymphknoten-Regionen

B

Hb >10 g/dl, Thrombozytenzahl normal,
>3 vergrößerte Lymphknoten-Regionen

C

Hb <10 g/dl, Thrombozytenzahl <100000/µl,
unabhängig von der Zahl befallener Lymphknoten-Regionen

Stadieneinteilung nach Rai

Stadium

Befund

0

Lymphozytose >15000/µl, Knochenmarkinfiltration>40%

I

Lymphozytose und Lymphadenopathie

II

Lymphozytose und Hepato- und/oder Splenomegalie

III

Lymphozytose und Hb <11 g/dl (mit oder ohne
Lymphadenopathie und/oder Organomegalie)

IV

Lymphozytose und Thrombopenie (<100000/µl) (mit oder ohne Anämie, Lymphadenopathie, Organomegalie)

Hb: Hämoglobin

Behandlungsindikation

Nicht alle Patienten benötigen eine Behandlung zum Zeitpunkt der Diagnose. Dies ist deshalb verständlich, weil die CLL eine heterogene Erkrankung mit unterschiedlichen Verlaufsformen darstellt, günstigenfalls mit Überlebensraten wie bei gleichaltrigen Gesunden. Die CLL ist, mit Ausnahme der allogenen Stammzelltransplantation, bislang durch gegenwärtig verfügbare Behandlungsoptionen nicht heilbar.

Prospektive, randomisierte klinische Studien, in denen eine sofortige mit einer verzögert einsetzenden Therapie verglichen wurde, zeigten keine Unterschiede im Langzeitüberleben [1]. Bei neu diagnostizierten, asymptomatischen Patienten in frühen Stadien ist eine „Wait-and-see“-Strategie gerechtfertigt, die durch Studienergebnisse gestützt wird. Eine Metaanalyse von insgesamt über 2000 Patienten mit asymptomatischer Erkrankung im Stadium Rai I/II oder Binet A mit sofortiger versus verzögerter Chlorambucil-basierter Therapie zeigte keine Vorteile im sofortigen Behandlungsarm gegenüber dem verzögerten Therapiearm [1].

Während asymptomatische Patienten im frühen Stadium der CLL im Median mehr als zehn Jahre überleben, gilt dies nicht für symptomatische Patienten oder bei progressiver Erkrankung. Hier liegt die mittlere Überlebenszeit ohne Behandlung zwischen 18 Monaten und drei Jahren [2].

Die Behandlung der Erkrankung ist bei Patienten mit krankheitsbedingten Symptomen oder Hinweis auf Progression indiziert. Mit einer Therapie verbessert sich das Überleben im Median um etwa fünf Jahre.

Folgende krankheitsbedingten Symptome erfordern eine Therapie:

  • Schwäche, Nachtschweiß, Gewichtsverlust, Fieber, schmerzhafte Lymphadenopathie
  • Symptomatische Anämie und/oder Thrombopenie (Rai Stadium III/Binet Stadium C)
  • Autoimmunhämolytische Anämie, schnelle Lymphozytenverdopplungszeit (<6 Monate) oder rasch zunehmende Lymphome bzw. Milz- und/oder Lebervergrößerung, häufige Infekte mit oder ohne Hypogammaglobulinämie

Zum jetzigen Zeitpunkt ist es zu früh, neue prognostische Marker wie beispielsweise ZAP-70, CD 38 oder nichtmutierte Immunglobulin-Vh-Gene als Basis der Therapieentscheidung zu verwenden. Nach wie vor orientieren wir uns am Stadium der Erkrankung und am Krankheitsverlauf und nicht an der Konstellation der prognostischen Marker.

Therapie der CLL

Allgemeine Aspekte

Aktuell gibt es keinen Goldstandard zur Therapie der symptomatischen oder fortgeschrittenen CLL. Die möglichen Behandlungsregime beinhalten Purin-Analoga (z.B. Fludarabin, Pentostatin), alkylierende Substanzen (Chlorambucil, Bendamustin, Cyclophosphamid), monoklonale Antikörper (Rituximab, Alemtuzumab) oder Kombinationen. Über Jahrzehnte war das Alkylans Chlorambucil (Leukeran®) das Medikament der Wahl in der Behandlung der CLL. Da die neuen Substanzen in Bezug auf die Überlebensraten dem Chlorambucil vergleichbar waren, wurden in den klinischen Studien in der Regel die Remissionsraten, die Zeit bis zur Progression und die Toxizität im Vergleich zu Chlorambucil-basierten Regimen geprüft.

Fludarabin-basierte Regime

Sehr wirksame und häufig genutzte Erstlinientherapien beinhalten das Purin-Analogon Fludarabin (z.B. Fludara®). Langzeit-Nebenwirkungen sind Myelotoxizität und Infektionserkrankungen aufgrund erheblicher und lang dauernder Immunsuppression. Fludarabin wird mit Cyclophosphamid (Endoxan®) und Rituximab (Mabthera®) (FCR) oder mit Rituximab allein (FR) kombiniert. FCR und FR sind bislang nicht direkt verglichen worden.

In einer Phase-III-Studie wurden FCR gegen FC bei über 800 Patienten mit nicht vorbehandelter CLL geprüft [3, 4]. Das Ergebnis zeigte, dass die Hinzunahme von Rituximab die Zahl der kompletten Remissionen erhöhte (44 versus 22%), das progressionsfreie Intervall verlängerte (52 versus 33%) und das Gesamtüberleben (OS) nach drei Jahren verbesserte (87 versus 83%). Dagegen waren Nebenwirkungen wie Grad-3/4-Neutropenie und Neutropenie häufiger. Die ausgeprägte Wirksamkeit der Chemoimmuntherapie zeigt sich mit einem Ansprechen auf die Therapie von insgesamt 95%, mit kompletten Remissionen von 70% und mit einem vierjährigen rückfallfreien Überleben von 69% [5, 6].

Pentostatin-basierte Regime

Pentostatin (Nipent®), ebenfalls ein Purin-Analogon, wurde in einer Reihe von Phase-II-Studien entweder als Einzelsubstanz oder in Kombination mit Cyclophosphamid und Rituximab geprüft [7–9]. Die Ansprechraten lagen um 90%, die kompletten Remissionsraten um 40%. Bei den hämatologischen Toxizitäten waren etwa 50% vom Grad 3/4, unter den nichthämatologischen Toxizitäten waren Infektionen in 9% der Fälle zu verzeichnen.

Cladribin-basierte Regime

Mit Cladribin (Leustatin®) steht neben Fludarabin und Pentostatin ein weiteres Purin-Analogon zur Verfügung, mit dem sich Ansprechraten von bis zu 70% erreichen lassen. Jedoch liegt die Rate der kompletten Remissionen unter 20% und ist damit eher niedrig. Durch die Kombination von Cladribin und Cyclophosphamid könnten aufgrund der Ergebnisse von In-vitro-Daten eventuell höhere Ansprechraten und höhere Raten an kompletten Remissionen erreicht werden [10].

Alemtuzumab-Monotherapie

Der CD52-Antikörper Alemtuzumab zeigt im Vergleich zu Chlorambucil sehr gute Ansprechraten. Sie liegen bei bis zu 80%, die Rate der kompletten Remissionen beträgt um 25%. Das Ansprechen ist dabei offensichtlich abhängig von der Größe der Lymphknoten. Die Ansprechraten betrugen 87% bei Patienten ohne Lymphadenopathie, 40% bei Patienten mit Lymphknoten kleiner als 5 cm und 9% bei Patienten mit Lymphknoten mit einem Durchmesser von mehr als 5 cm [11]. Allerdings sind die Überlebensraten unter beiden Substanzen vergleichbar.

In einer prospektiven Phase-III-Studie wurden 297 zuvor nicht behandelte Patienten randomisiert mit Alemtuzumab (30 mg i.v. über 2 Stunden dreimal wöchentlich für maximal 12 Wochen) oder Chlorambucil (40 mg/m² p.o. einmalig alle 28 Tage für maximal 12 Monate) behandelt [12]. Die Patienten im Alemtuzumab-Arm erhielten prophylaktisch Antibiotika und Virustatika. Nach 25 Monaten Follow-up hatten die Patienten im Alemtuzumab-Arm einen signifikanten Vorteil in Bezug auf das Ansprechen (83 versus 55%), die kompletten Remissionen (24 versus 2%), das längere progressionsfreie Überleben (15 versus 12 Monate) und die höhere Responserate bei Patienten mit 17p-Deletion (64 versus 20%). Andererseits waren bei Alemtuzumab-Therapie Neutropenie (41 versus 25%), symptomatische CMV-Infektion (16 versus 0%) sowie Fieber, Übelkeit und Erbrechen, Hypertonie, Kopfschmerz und Dyspnoe deutlich häufiger. Die Zulassung ist vom Hersteller im August 2012 aus kommerziellen Gründen zurückgenommen worden; der Import aus den USA über ein Compassionate-Use-Programm ist aber möglich.

Alemtuzumab in Kombination

Die Kombination von Alemtuzumab plus Fludarabin ist sehr wirksam, aber auch sehr toxisch, deshalb hat sie sich nicht etabliert. So wurde eine Phase-III-Studie mit Fludarabin in Kombination mit Cyclophosphamid und Rituximab versus Fludarabin, Cyclophosphamid und Alemtuzumab aufgrund exzessiver Toxizität des Alemtuzumab-Arms gestoppt [13]. Die Analyse von 165 auswertbaren Patienten zeigte keinen Nutzen im Gesamtansprechen oder in der Drei-Jahres-Überlebensrate für den Alemtuzumab-Arm. In einer Phase-II-Studie wurde die Kombination Fludarabin, Cyclophosphamid, Rituximab und Alemtuzumab (CFAR) bei 60 Patienten unter 70 Jahren mit nicht vorbehandelter CLL und in einem guten Performance-Status untersucht. Die Gesamtansprechrate betrug 92% bei 70% kompletten Remissionen. Grad-3/4-Toxizitäten beobachtete man bei Neutropenie (33%), Thrombopenie (13%), Anämie (3%) und Infektionen (11%) [14].

Bendamustin

Bendamustin (Levact®) zeigt gegenüber Chlorambucil eine deutlich bessere Ansprechrate, ein Überlebensvorteil konnte aber bislang erneut nicht nachgewiesen werden. In einer großen multizentrischen randomisierten Phase-III-Studie mit 319 nicht vorbehandelten CLL-Patienten wurde Bendamustin 100 mg/m² i.v. Tag 1 und 2 alle 28 Tage über sechs Zyklen gegen Chlorambucil geprüft. Ausgeschlossen waren Patienten mit autoimmun-hämolytischer Anämie, Autoimmun-Thrombopenie, Richter-Syndrom (=Übergang der CLL in ein großzelliges Lymphom [large cell lymphoma, LCL]) oder einer Transformation in eine prolymphozytische Leukämie [15]. Patienten im Bendamustin-Arm hatten ein deutlich besseres Ansprechen (68 versus 31%) und ein deutlich längeres progressionsfreies Überleben (21,6 versus 8,3 Monate). Die Überlebenszeiten waren allerdings vergleichbar. Grad-3/4-Toxizitäten von Bendamustin waren deutlich stärker als bei Behandlung mit Chlorambucil: Neutropenie (23 versus 10%), Thrombozytopenie (12 versus 8%), Anämie (3 versus 0%). Bendamustin war mit gastrointestinaler Toxizität assoziiert und die Patienten benötigten häufiger Antiemetika im Vergleich mit Chlorambucil (36 versus 4%).

Leitlinien-orientierte Therapie der CLL

Nach der derzeit gültigen Leitlinie zur Behandlung der CLL vom Januar 2012 [16] sollte in folgender Weise vorgegangen werden:

Erstlinientherapie

Die Therapieauswahl sollte bei der CLL an der Komorbidität, am genetischen Status, an der Nierenfunktion und weniger am Alter ausgerichtet sein. Wenn möglich, sollte die Therapie im Rahmen klinischer Studien erfolgen. Patienten mit einer 17p-Deletion zeigen ein schlechtes Therapieansprechen und kurze Überlebenszeiten. Ebenfalls mit schlechter Prognose assoziiert war eine TP53-Mutation [17].

Bei Patienten mit normaler Nierenfunktion und fehlender körperlichen Komorbidität besteht die Erstlinientherapie der Wahl außerhalb klinischer Studien in der Kombination Fludarabin, Cyclophosphamid plus Rituximab (FCR). Eine Alternative kann die Kombination von Bendamustin mit Rituximab (BR) sein, insbesondere bei unkontrollierter Autoimmunhämolyse oder eingeschränkter Nierenfunktion. Allerdings liegen für diese Kombination lediglich Phase-II-Daten vor. Für Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion und/oder erhöhter Komorbidität stehen Chlorambucil oder Bendamustin zur Verfügung. Die zusätzliche Gabe von Rituximab erhöht die Wirksamkeit.

Patienten mit Nachweis einer 17p13-Deletion oder einer TP53-Mutation haben eine schlechtere Ansprechrate sowie ein kürzeres progressionsfreies und Gesamtüberleben nach Chemotherapie. Bei diesen Patienten sollten der Einsatz von Alemtuzumab und einer allogenen Blutstammzelltransplantation erwogen werden.

Zweitlinientherapie

Die Auswahl der Zweitlinientherapie hängt von Alter, Komorbidität und weiteren klinischen Faktoren wie Art der Primärtherapie und der damit erreichten Remissionsdauer ab. Patienten, die auf die derzeitigen Standardtherapien (FC, FCR, BR) refraktär sind oder nur kurzzeitige Remissionen gezeigt haben, besitzen eine schlechte Prognose, ihre Überlebenszeit beträgt ein bis zwei Jahre ab Salvagetherapie. Für diese Patienten ist Alemtuzumab eine Option. Der monoklonale CD20-Antikörper Ofatumumab (Arzerra®) ist für Patienten zugelassen, die auf ein Fludarabin-haltiges Schema und Alemtuzumab refraktär waren. Alternativ kann bei Patienten in gutem Allgemeinzustand auch R-CHOP (Rituximab plus Cyclophosphamid, Doxorubicin, Vincristin und Prednison) erwogen werden.

Allogene Stammzelltransplantation

Für Patienten mit therapierefraktärer oder frühzeitig rezidivierter CLL sowie für Patienten mit Nachweis einer Deletion von p17 oder einer TP53-Mutation stellt die allogene Stammzelltransplantation eine sinnvolle Therapieoption dar, sofern der Verlauf und die körperliche Situation des Patienten dies zulassen. Ein wichtiger prognostischer Faktor für das Erreichen einer langfristigen Krankheitskontrolle ist das Vorhandensein einer Remission zum Zeitpunkt der Transplantation.

Die klassische allogene Stammzelltransplantation mit myeloablativer Konditionierung zeigt heute eine therapiebedingte Letalität in den verschiedenen klinischen Studien von 30 bis 40%, langfristige Remissionen werden berichtet.

Die allogene Stammzelltransplantation mit modifizierter Konditionierung reduziert die therapiebedingte Letalität auf 15 bis 20%, langfristige Remissionen sind ebenfalls möglich. Alle Transplantationen sollten im Rahmen klinischer Studien durchgeführt werden, sie sind nach wie vor experimentell und keine Standardtherapien.

Autologe Stammzelltransplantation

Die Hochdosistherapie mit autologer Stammzelltransplantation bewirkt höhere Remissionsraten im Vergleich zur Standardchemotherapie, führt aber nicht zur Verbesserung der Überlebensraten. Außerhalb klinischer Studien kann sie nicht empfohlen werden.

Neue Therapieansätze

Neue Therapieansätze zielen auf die biologischen Eigenschaften der CLL-Zellen ab, beispielsweise auf bestimmte Signalwege, auf Zellmembran-Rezeptoren und auf das die Tumorzelle umgebende Milieu.

Lenalidomid, ein Strukturanalogon von Thalidomid und in der Therapie des multiplen Myeloms klinisch etabliert, zeigt Effektivität bei rezidivierter oder refraktärer CLL. Ansprechraten bis zu 50% einschließlich der Beobachtung von kompletten Remissionen werden berichtet [18].

Navitoclax (ABT-263) ist ein oral bioverfügbares BH3-Mimetikum, das an die antiapoptotisch wirkenden Mitglieder der BCL-2-Familie, nämlich BCL-2, BCL-XL und BCL-w bindet und dadurch letztlich Apoptose auslöst. Erste Ergebnisse an Patienten mit refraktärer Erkrankung als auch bei großen Lymphomen und 17p-Deletion zeigen Ansprechen und ergeben ein progressionsfreies Überleben von zwei Jahren [19].

Idelalisib (GS-1101) ist ein spezifischer PI3K-delta-Inhibitor, der CLL-Zellen über die Hemmung der BCR-Signalwege in die Apoptose führt. Erste Ergebnisse einer Phase-I-Studie an 51 Patienten mit refraktärer oder rezidivierter CLL in Kombination mit Rituximab und/oder Bendamustin zeigten für die drei Behandlungsgruppen Gesamtansprechraten von 78, 82 und 87% [20].

Ibrutinib (PCI-32765) ist ein weiterer Kandidat zur Therapie der CLL. Es ist ein irreversibler BTK(Bruton-Tyrosinkinase)-Inhibitor, der oral appliziert wird und die Apoptose von CLL-Zellen induziert [21]. In einer Phase-Ib/II-Studie an 116 älteren therapienaiven sowie jüngeren, rezidivierten oder refraktären CLL-Patienten zeigte sich ein Ansprechen von bis zu 71%. Nach 22 Monaten lag das progressionsfreie Überleben der rezidivierten oder refraktären Patienten bei 76%, das der älteren therapienaiven Patienten bei 96%. Die Verträglichkeit war ausgesprochen gut [22].

Supportive Therapie und Behandlung bei Komplikationen

Bei CLL-Patienten werden gehäuft während des Krankheitsverlaufs Infekte beobachtet, die unter anderem durch eine Reduktion der Gammaglobuline erklärt werden können. Die prophylaktische Immunglobulin-Substitution kann das Risiko schwerer Infektionserkrankungen reduzieren, hat aber keine Auswirkungen auf die Letalität [23]. Besondere Aufmerksamkeit ist daher rezidivierenden Infekten zu widmen. Durch die Gabe von Steroiden und Zytostatika erfährt der Patient mit CLL eine weitere Schwächung seines Immunsystems. Durch den Einsatz von Purin-Analoga hat sich das Erregerspektrum in Richtung opportunistischer Infektionen verlagert (Listerien, Pneumocystis carinii, Mycobacterien, virale Infektionen). Studien zeigen, dass 60 bis 80% der CLL-Patienten infektiöse Komplikationen erleiden [24, 25], die wiederum in bis zu 70% der Fälle tödlich verlaufen können.

Bei der CLL kommt es zu einer Vielzahl von Autoimmunphänomenen wie beispielsweise autoimmunhämolytischer Anämie, idiopathischer thrombozytopenischer Purpura (ITP) oder Pure Red Cell Aplasia (PRCA). Das simultane Auftreten einer autoimmunbedingten hämolytischen Anämie und Thrombozytopenie ist unter dem Begriff „Evans-Syndrom“ bekannt [26].

CLL-Zellen können transformieren und Zweit-Hämoblastosen entwickeln. Die eher selten vorkommenden Transformationen und Zweit-Hämoblastosen umfassen akute lymphoblastische Leukämien, akute myeloblastische Leukämien, myelomonozytäre Formen und chronisch myeloische Leukämien. Unter „Richter-Syndrom“ versteht man den Übergang der CLL in ein großzelliges Lymphom (large cell lymphoma, LCL). Dieser Übergang ist begleitet von einer meist abrupten Verschlechterung des Allgemeinbefindens des Patienten mit raschem Tumorwachstum, das häufig nach wenigen Monaten trotz Therapie zum Tode führt.

Interessenkonflikterklärung

Der Autor erklärt, dass keine Interessenkonflikte vorliegen.

Literatur

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3. Cazin B, Divine M, Leprete S, et al. High efficacy with five days schedule of oral fludarabine phosphate and cyclophosphamide in patients with previously untreated chronic lymphocytic leukaemia. Br J Haematol 2008;143:54–9.

4. Hallek M, Fischer K, Fingerle-Rowson G, et al. Addition of rituximab to fludarabine and cyclophosphamide in patients with chronic lymphocytic leukaemia: a randomized, open-label, phase 3 trial. Lancet 2010;376:1164–74.

5. Keating MJ, O’Brien S, Albitar M, et al. Early results of a chemoimmunotherapy regimen of fludarabine, cyclophosphamide, and rituximab as initial therapy for chronic lymphocytic leukemia. J Clin Oncol 2005;23:4079.

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Prof. Dr. med. Clemens Unger, Zentrum für Krebsmedizin, Breisacher Straße 84b, 79110 Freiburg, E-Mail: info@zentrum-krebsmedizin.de




Therapy of chronic lymphocytic leukemia

Chronic lymphocytic leukemia (CLL) is one of the chronic lymphoproliferative disorders and is characterized by a progressive accumulation of functionally incompetent lymphocytes, which are monoclonal in origin. There is no agreed standard front-line treatment regimen for symptomatic or advanced CLL. Most regimens are not directly compared or are still studied in clinical trials. While overall survival rates with the different available regimens are similar, they differ in complete remissions, time to progression and associated toxicities. According to the DGHO-guidelines we suggest for most patients the use of FCR (fludarabine, cyclophoshamide, rituximab) or BR (bendamustine, rituximab) as front-line therapy. Patients with del(17p) or TP53 mutation are at high risk and possible candidates for alemtuzumab and/or allogeneic hematopoietic stem cell transplantation.

Key words: Chronic lymphocytic leukemia, alemtuzumab, bendamustin, cyclophosphamide, fludarabin, rituximab, stem cell transplantation

Arzneimitteltherapie 2013; 31(05)