Simone Reisdorf, Erfurt
In der Therapie von Patienten mit chronischen starken Schmerzen sollte immer auch die Schmerzform – nozizeptiver oder neuropathischer Schmerz – berücksichtigt werden. Beim Rückenschmerz, der etwa 30% der Fälle starker Dauerschmerzen ausmacht, kommen beide Formen sowie auch die kombinierte Form („mixed pain“) vor, denn es können sehr unterschiedliche kausale Schädigungen vorliegen. Neuropathische Komponenten bei Rücken- oder anderen Schmerzen können mithilfe des Fragebogens „PainDETECT“ ohne großen Aufwand ermittelt werden. Er wurde vom Deutschen Forschungsverbund Neuropathischer Schmerz (DFNS) in Zusammenarbeit mit der Industrie entwickelt und ermöglicht das Screening für das Vorliegen neuropathischer Schmerzen [5]. Der Fragebogen wird in ca. fünf Minuten vom Patienten ausgefüllt und beinhaltet Fragen zur Schmerzintensität, dem Schmerzmuster und der -qualität. Er wurde für die Diagnose und inzwischen auch für die Verwendung im Behandlungsverlauf validiert.
Zwei Wirkungsmechanismen in einem
Sowohl auf nozizeptive oder gemischte Schmerzen als auch auf Schmerzen bei diabetischer Neuropathie wirkt das Analgetikum Tapentadol (Palexia® retard); dies haben Studien in den letzten Jahren gezeigt [1–3]. Tapentadol ist ein µ-Opioidrezeptor(MOR)-Agonist und Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (Noradrenalin reuptake inhibitior, NRI) und begründet damit eine neue Klasse zentral wirksamer Analgetika (MOR-NRI).
Tapentadol ist seit August 2010 auf dem deutschen Markt verfügbar und ist indiziert für die Behandlung starker, chronischer Schmerzen bei Erwachsenen, die nur mit Opioidanalgetika angemessen behandelt werden können. Ein Vorteil von Tapentadol ist, dass es nur zu einem geringen Teil über das Cytochrom-P450-Enzymsystem der Leber abgebaut wird, der hauptsächliche Abbau erfolgt über Glukuronidierung, sodass ein vergleichsweise geringes Potenzial für Medikamenteninteraktionen zu erwarten ist.
Es stand in der AMT
Tapentadol, eine innovative Therapieoption bei chronischen Schmerzen. Arzneimitteltherapie 2011;29:310–4.
Linderung nozizeptiver und neuropathischer Schmerzen
An einer kürzlich veröffentlichten offenen Phase-IIIb-Studie nahmen 175 Patienten mit starkem lumbalem Rückenschmerz teil, die entweder mit Klasse-II-Opioiden bislang unzureichend behandelt oder noch nicht suffizient behandelt worden waren. Einschlusskriterium war eine Schmerz- intensität von fünf (vorbehandelt) bzw. sechs Punkten (unbehandelt) auf der numerischen Ratingskala NRS-3 (durchschnittliche Schmerzintensität an drei Tagen von 0=keine Schmerzen bis 10=stärkste vorstellbare Schmerzen). Die Studienteilnehmer wurden anhand des PainDETECT-Fragebogens in Patienten mit rein nozizeptivem (n=49) oder auch mit neuropathischem Schmerz (n=126) eingeteilt und getrennt ausgewertet. Die Patienten durften Klasse-I-Opioide und/oder Nichtopioide beibehalten, Klasse-II-Opioide wurden nach dem Prinzip der Opioidrotation ausschleichend abgesetzt: Alle Patienten erhielten nun Tapentadol; die Anfangsdosis lag bei 50 mg 2-mal täglich, die Höchstdosis bei 250 mg 2-mal täglich.
Primärer Studienendpunkt war die Veränderung der Schmerzintensität bis Woche 6; diese war mit –2,4 bzw. –3,0 Punkten in beiden Patientengruppen signifikant (jeweils p<0,0001). Eine detaillierte Auswertung der neuropathischen Schmerzkomponenten zeigte eine deutliche Abnahme der entsprechenden Symptome – etwa brennender, prickelnder oder einschießender Schmerz – in der Subgruppe der Patienten mit eindeutiger Neuropathie (Besserung bis Woche 12: p<0,0001). Ähnliches galt für Patienten mit möglicher, aber nicht eindeutiger Neuropathiesymptomatik (p=0,0006) [4].
Quelle
Prof. Dr. Ralf Baron, Kiel, Prof. Dr. Walter E. Hae- feli, Heidelberg. Symposium „Tapentadol – Welchen Unterschied kann eine Substanz machen?“, veranstaltet von Grünenthal im Rahmen des Deutschen Schmerzkongresses 2012, Mannheim, 18. Oktober 2012.
Literatur
1. Schwartz S, et al. Safety and efficacy of tapentadol ER in patients with painful diabetic peripheral neuropathy: results of a randomized-withdrawal, placebo-controlled trial. Curr Med Res Opin 2011;27:151–62.
2. Afilalo M, et al. Efficacy and safety of Tapentadol extended release compared with oxycodone controlled release for the management of moderate to severe chronic pain related to osteoarthritis of the knee: a randomized, double-blind, placebo- and active-controlled phase III study. Clin Drug Investig 2010;30:489–505.
3. Buynak R, et al. Efficacy and safety of tapentadol extended release for the management of chronic low back pain: results of a prospective, randomized, double-blind, placebo- and active-controlled Phase III study. Expert Opin Pharmacother 2010;11:1787–804.
4. Steigerwald I, Baron R, et al. Effectiveness and safety of tapentadol prolonged release for severe, chronic low back pain with or without a neuropathic pain component: results of an open-label, phase 3b study. Curr Med Res Opin 2012;28:911–36.
5. Deutscher Forschungsverbund Neuropathischer Schmerz. Pathophysiologie, Prävention und Therapie. www.neuro.med.tu-muenchen.de/dfns/arzt/paindetect.html (letzer Zugriff am 06.03.2013).
Arzneimitteltherapie 2013; 31(05)