Medulläres Schilddrüsenkarzinom

Vandetanib als Therapieoption


Veröffentlicht am: 28.11.2019

Dr. Petra Jungmayr, Esslingen

Vandetanib ist ein Proteinkinasehemmer zur Behandlung des fortgeschrittenen und symptomatischen medullären Schilddrüsenkarzinoms (MTC), einer sehr seltenen Tumorentität mit einer jährlichen Inzidenz von rund 500 Fällen innerhalb der EU. Die Daten der Zulassungsstudie und Besonderheiten bei seinem Einsatz wurden bei einer von AstraZeneca veranstalteten Pressekonferenz vorgestellt.

Medulläre Schilddrüsenkarzinome (MTC [medullary thyroid carcinoma]) sind selten und machen rund 3 bis 8% aller Schilddrüsenkarzinome aus. Sie kommen sporadisch oder hereditär im Rahmen einer multiplen endokrinen Neoplasie vor. Alle familiären und rund die Hälfte der sporadisch auftretenden MTC weisen eine genetische Veränderung des RET(Rearranged during transfection)-Protoonkogens auf. Das MTC geht nicht aus Zellen der Schilddrüse, sondern aus spezialisierten C-Zellen hervor, die zwischen den Schilddrüsenzellen liegen. Diese C-Zellen produzieren Calcitonin, das als Marker des Krankheitsverlaufs herangezogen werden kann. Die einzige kurative Therapie ist das Entfernen des Tumors. Ist die Erkrankung metastasiert, sinkt die Ein-Jahres-Überlebensrate von 70 bis 80% auf weniger als 20%. In diesem Stadium sind konventionelle Strahlen- oder Chemotherapien wenig erfolgreich. Eine neue Option ist der Einsatz von Kinase-Inhibitoren wie Vandetanib (Caprelsa®), das seit Februar 2012 zur Therapie des nichtresektablen, lokal fortgeschrittenen oder metastasierten medullären Schilddrüsenkarzinoms zugelassen ist. Vandetanib ist ein oraler Multityrosinkinase-Inhibitor mit unterschiedlichen Wirkungen (Kasten), wobei der genaue Wirkungsmechanismus beim lokal fortgeschrittenen oder metastasierten MTC nicht geklärt ist.

Wirkungsmechanismus von Vandetanib

  • Vandetanib ist ein potenter Inhibitor des vaskulären endothelialen Wachstumsfaktor-Rezeptors 2 (VEGFR-2, auch bekannt als Kinase-Insert-Domain-Rezeptor [KDR]), des epidermalen Wachstumsfaktor-Rezeptors (EGFR) und der RET(Rearranged during transfection)-Tyrosinkinase. Vandetanib ist auch ein submikromolarer Inhibitor der vaskulären endothelialen Rezeptor-3-Tyrosinkinase.
  • Vandetanib hemmt die VEGF-stimulierte endotheliale Zellmigration, Zellproliferation, das Überleben von Zellen und die Bildung neuer Blutgefäße in In-vitro-Modellen der Angiogenese. Darüber hinaus hemmt Vandetanib die durch den epidermalen Wachstumsfaktor (EGF) stimulierte EGF-Rezeptor-Tyrosinkinase in Tumorzellen und Endothelzellen. Vandetanib hemmt in vitro die EGFR-abhängige Zellproliferation und das Überleben der Zelle. Es hemmt außerdem sowohl den Wildtyp als auch die meisten aktiven Mutationen der RET-Kinase und hemmt in vitro signifikant die Proliferation von MTC-Zelllinien.
  • In vivo reduzierte die Gabe von Vandetanib die Tumorzellen-induzierte Angiogenese, die Tumorgefäßpermeabilität, die Mikrogefäßdichte des Tumors, und es verhinderte das Tumorwachstum einer Reihe von menschlichen Xenograft-Tumormodellen in athymischen Mäusen. Vandetanib hemmte in vivo auch das Wachstum von MTC-Xenograft-Tumoren.

Daten aus der Zulassungsstudie

Wirksamkeit und Sicherheit von Vandetanib wurden in mehreren Studien untersucht, unter anderem in der zulassungsrelevanten ZETA-Studie, einer doppelblinden, randomisierten, Plazebo-kontrollierten Phase-III-Studie. An ihr nahmen 331 Patienten mit einem irresektablen, lokal fortgeschrittenen oder metastasierten MTC teil, die in einer 2:1-Randomisierung einer Verum-Gruppe (300 mg Vandetanib pro Tag; n=231) oder Plazebo-Gruppe (n=100) zugeteilt wurden. Der primäre Studienendpunkt war das progressionsfreie Überleben. Nach Progress war eine Open-Label-Behandlung mit Vandetanib möglich. Eine erste Studienauswertung erfolgte im Median nach 24 Monaten. Zu diesem Zeitpunkt hatten 37% der Patienten einen Progress erlitten und 15% waren verstorben. Es wurden folgende Ergebnisse ermittelt:

  • Das progressionsfreie Überleben lag in der Verum-Gruppe bei 30,5 Monaten (eigentlich nicht erreicht; Voraussage mittels Weibull-Modell) versus 19,3 Monaten in der Plazebo-Gruppe. Das entspricht einer Risikoreduktion von 54% (Hazard-Ratio 0,46; 95%-Konfidenzintervall 0,31–0,69; p<0,001).
  • In der Verum-Gruppe lag die objektive Ansprechrate bei 45%, im Plazebo-Arm bei 13%, wobei 12 Patienten das Ansprechen erst in der Open-Label-Phase, also unter Vandetanib, zeigten.
  • Ein Unterschied im Gesamtüberleben wurde nach 24 Monaten nicht festgestellt (wohl aufgrund des Studiendesigns mit erlaubtem Cross-over). Eine Analyse der Überlebensraten soll erfolgen, wenn 50% der Patienten verstorben sind. Bisher wurden keine neuen Daten veröffentlicht.
  • In der Analyse verschiedener Subgruppen erreichten Patienten mit erblichen medullären Schilddrüsenkarzinomen, die alle eine RET-Mutation aufwiesen, ein Ansprechen von 46,4%, bei Vorliegen sporadischer RET-Mutationen ein Ansprechen von 51,8%. Es wurden auch somatische RET-Mutationen im Tumorgewebe bestimmt. Hier fand sich bei Patienten mit einer M918T-Mutation (diese Mutation weist auf ein aggressives Wachstum hin) ein besseres Ansprechen und ein längeres progressionsfreies Überleben als bei den Patienten ohne diese Mutation (Ansprechen 54,5% vs. 30,9%).
  • Die Nebenwirkungen ergeben sich teilweise aus dem Wirkungsmechanismus des Tyrosinkinase-Inhibitors. Die häufigsten unerwünschten Ereignisse, die in der zulassungsrelevanten Studie beobachtet wurden, waren Diarrhö, Hautausschläge, Übelkeit, Hypertonie, Kopfschmerzen, Müdigkeit, Appetitverlust und gastrointestinale Beschwerden. Problematische Nebenwirkungen einer Therapie mit Vandetanib sind mögliche QT-Verlängerungen und Torsades de pointes.

Besonderheiten bei der Therapie mit Vandetanib

  • Patientenpass Vandetanib wurde aufgrund potenzieller schwerwiegender Herzrhythmusstörungen nur unter strengen Auflagen – Risk Evaluation and Mitigation Strategy (REMS) – zugelassen. Alle Ärzte, die Vandetanib verschreiben, müssen mit der Arzt-Information und den Behandlungsrichtlinien vertraut sein. Der verschreibende Arzt muss die Risiken der Vandetanib-Therapie mit dem Patienten besprechen. Mit jeder Verschreibung wird dem Patienten der Patientenpass ausgehändigt.
  • Mutationsstatus Es wird empfohlen vor Therapiebeginn den RET-Mutationsstatus zu bestimmen, da die Wirksamkeit bei negativem RET-Mutationsstatus verringert sein kann. Diese Testung ist keine Pflicht, da Patienten unabhängig von ihrem RET-Status von der Behandlung mit Vandetanib profitieren können.

Fazit

Mit Vandetanib kann das progressionsfreie Überleben von Patienten mit einem medullären Schilddrüsenkarzinom verlängert werden. Da der spontane Verlauf des medullären Schilddrüsenkarzinoms auch bei fortgeschrittener Erkrankung sehr unterschiedlich sein kann, sollte für jeden Patienten der potenzielle Nutzen der Behandlung gegen die zu erwartenden Nebenwirkungen abgewogen werden, bevor eine Therapie mit Vandetanib eingeleitet wird.

Quellen

Prof. Dr. Christine Spitzweg, München; Dr. Michael Kreißl, Würzburg; Pressekonferenz „AstraZeneca erwartet Zulassung eines neuen Medikaments gegen medulläres Schilddrüsenkarzinom“, Berlin, 23. Februar 2012, veranstaltet von AstraZeneca.

Wells S, et al. Vandetanib in patients with locally advanced or metastatic medullary thyroid cancer: A randomized, double-blind phase III trial. J Clin Oncol 2011;29:767–72.

www.clinicaltrials.gov NCT 00410761 [Zugriff am 11.03.2013].

Fachinformation Caprelsa®; Stand Februar 2012.

www.ema.europa.eu [Zugriff am 12.04.2012].

Arzneimitteltherapie 2013; 31(05)