Schädel-Hirn-Trauma

Progesteron weder in der Frühtherapie noch bei schwerer Erkrankung wirksam


Prof. Dr. Hans-Christoph Diener, Essen

Zwei prospektive doppelblinde randomisierte Phase-III-Studien zeigten keinen klinischen Effekt in der Behandlung mit Progesteron bei Patienten mit Schädel-Hirn-Trauma – weder in der Frühtherapie des mittelschweren akuten bis schweren Traumas, noch in der verlängerten Behandlung des schweren Schädel-Hirn-Traumas.
Mit einem Kommentar von Prof. Dr. Hans-Christoph Diener, Essen

In den Vereinigten Staaten werden pro Jahr 2,4 Millionen Menschen in Notaufnahmen von Krankenhäusern wegen Schädel-Hirn-Traumen behandelt. Beim Schädel-Hirn-Trauma kommt es zu einer Vielzahl pathophysiologischer Vorgänge wie Hirnödem, axonale Schäden und Blutungen sowie zerebrale Ischämien. Progesteron ist ein potentes Neurosteroid, das in Tierexperimenten zahlreiche neuroprotektive Eigenschaften gezeigt hat. Außerdem hatten zwei kleine prospektive Studien bei Patienten mit Schädel-Hirn-Traumen positive Ergebnisse einer frühen Behandlung mit Progesteron ergeben [1, 2]. Daher schien es gerechtfertigt, zwei größere Studien an Patienten durchzuführen: In der ersten Studie untersuchten amerikanische Forscher den Effekt des frühen Einsatzes von Progesteron in der Behandlung des moderaten akuten bis schweren Schädel-Hirn-Traumas (Wright et al. 2014). Eine zweite internationale Studie (SYNAPSE) überprüfte die Wirksamkeit und Sicherheit von Progesteron beim schwerem Schädel-Hirn-Trauma (Skolnick et al. 2014).

Studiendesign

Die erste Studie stellte eine doppelblinde amerikanische Multicenter-Studie dar, in die Patienten mit moderat akutem bis schwerem Schädel-Hirn-Trauma mit einem Wert auf der Glasgow-Koma-Skala (GCS) zwischen 4 und 12 eingeschlossen wurden. Die Skala misst die Bewusstseinslage eines Verletzten. Die maximale Punktzahl ist 15 (bei vollem Bewusstsein), die minimale 3 Punkte (tiefes Koma). Bei 8 oder weniger Punkten ist von einer schweren Funktionsstörung des Gehirns auszugehen. Die Behandlung begann innerhalb von vier Stunden nach der stumpfen Verletzung. Die Patienten erhielten entweder 0,05 mg Progesteron i.v. pro kg Körpergewicht und pro ml Infusionslösung oder Placebo über insgesamt 96 Stunden. Die Therapie beinhaltete eine Startdosis von 14,3 ml (0,71 mg Progesteron) über eine Stunde, gefolgt von 71 Stunden Erhaltungsdosis mit 10 ml (0,5 mg Progesteron) pro Stunde und einer Dosisreduktion über 8 Stunden von jeweils 2,5 ml (0,125 mg Progesteron) pro Stunde.

Der primäre Endpunkt war die funktionelle Besserung der Symptome, gemessen anhand der erweiterten Glasgow-Outcome-Skala (GOS; für Patienten mit günstigem Krankheitsverlauf) nach sechs Wochen. Die funktionelle Wirksamkeit der Behandlung wurde definiert mit einem höheren Anteil an Patienten (10 Prozentpunkte) in der Verum-Gruppe mit einem günstigen Therapieergebnis im GOS. Sekundäre Endpunkte betrafen die Sterblichkeit und das Resultat im Disability Rating Scale Score (DRSS), der die Behinderung im Alltag misst.

Die zweite doppelblinde Placebo-kontrollierte Studie war eine multinationale Studie, die Patienten von Krebszentren aus 21 Ländern mit schweren Schädel-Hirn-Traumen einbezog. Einschlusskriterien waren ein GCS-Wert ≤8 nach Reanimation, sichtbare pathologische Veränderungen in der Computertomographie sowie zumindest eine reagierende Augenpupille.

Die Behandlung begann im Vergleich zur ersten Studie später (innerhalb von acht Stunden nach der Verletzung) und wurde mit 120 Stunden etwas länger durchgeführt. Die initiale Dosis betrug – wie bei der ersten Studie – 0,71 mg Progesteron i.v. pro Kilogramm Körpergewicht pro Stunde und wurde dann nach einer Stunde ebenso mit 0,50 mg Progesteron i.v. pro Kilogramm Körpergewicht allerdings über 119 Stunden durchgeführt. Hier gab es keine ausschleichende Dosisreduktion.

Primärer Endpunkt stellte der GOS-Wert nach 6 Monaten dar. Sekundäre Endpunkte waren unter anderem der GOS-Wert nach 3 Monaten, die Mortalität nach 1 und 6 Monaten sowie den im weniger eingeschränkten Bewusstseinsbereich erweiterten GOS-Wert nach 3 und 6 Monaten.

Resultate

In Studie 1 wurden zwischen April 2010 und Oktober 2013 insgesamt 882 Patienten 1:1 zu Progesteron oder Placebo randomisiert. Die Patienten waren im Mittel 35 Jahre alt und Dreiviertel waren männlichen Geschlechts.

Für keinen der präspezifizierten Endpunkte ergab sich eine Überlegenheit von Progesteron gegenüber Placebo. Die Studie wurde deshalb vorzeitig wegen abzusehender Erfolglosigkeit („futility“) bereits während der zweiten Zwischenanalyse abgebrochen.

Die häufigste Ursache für das Schädel-Hirn-Trauma waren in beiden Studienpopulationen Verkehrsunfälle.

In Studie 2 wurden über einen Zeitraum von Juli 2010 bis September 2013 insgesamt 1195 Patienten (16-70 Jahre) mit schwerem Schädel-Hirn-Traumen entweder der Progesteron-Behandlung oder Placebo randomisiert (1:1) zugeteilt.

Der GOS-Wert nach 6 Monaten unterschied sich kaum zwischen der Progesteron- und der Placebo-Gruppe und das adjustierte Odds Ration von 0,96 (95%-Konfidenzintervall [KI] 0,77–1,18) zeigte überdies keinen positiven Behandlungseffekt für die Progesteron-Therapie. Auch gab es keinen Unterschied im Anteil der Patienten mit guter Genesung oder geringfügig bleibender Behinderung (beide 50%) wie auch bei Patienten mit Verbleib im Koma oder solchen, die starben (beide 22%). Insgesamt hatten 32% der Patienten einen guten Outcome.

Für alle sekundären Endpunkte sowie die unerwünschten Ereignisse ergaben sich keine Unterschiede zwischen Progesteron und Placebo.

Kommentar

Die Behandlung des Schädel-Hirn-Traumas bewegt sich offenbar in dieselbe Richtung wie die neuroprotektive Therapie beim akuten ischämischen Schlaganfall. Bisher sind alle Studien zur medikamentösen Therapie dieser Erkrankung negativ verlaufen. Dies gilt auch für die beiden großen hier vorgestellten Studien. Sowohl die amerikanische als auch die internationale Studie mit Schwerpunkt in Europa, zeigten keinen Nutzen einer Behandlung mit Progesteron beim Schädel-Hirn-Trauma. Nimmt man beide Studien zusammen, besteht weder eine Wirksamkeit bei sehr früher Behandlung noch eine Wirksamkeit bei schweren Schädel-Hirn-Traumen. Daher steht eine wirksame neuroprotektive Therapie beim Schädel-Hirn-Trauma weiterhin aus.

Die Studien zeigten zudem, dass sich offenbar Ergebnisse aus Tierexperimenten und kleinen Phase-II-Studien nicht direkt auf große Populationen im Menschen übertragen lassen.

Quellen

Wright DW, et al. Very early administration of progesterone for acute traumatic brain injury. N Engl J Med 2014;371:2457–66.

Skolnick BE, et al., SYNAPSE Trial Investigators. A clinical trial of progesterone for severe traumatic brain injury. N Engl J Med 2014;371:2467–76.

Literatur

1. Wright DW, et al. ProTECT: a randomized clinical trial of progesterone for acute traumatic brain injury. Ann Emerg Med 2007;49:391–402.

2. Xiao G, et al. Improved outcomes from the administration of progesterone for patients with acute severe traumatic brain injury: a randomized controlled trial. Crit Care 2008;12:R61.

Arzneimitteltherapie 2015; 33(06)