Frank Block und Annett Schoenhof, Schwerin
In den letzten 20 Jahren gab es enorme Fortschritte in der Therapie der multiplen Sklerose (MS), die vor allem die schubförmige Verlaufsform betreffen. Durch Immunmodulation beziehungsweise Immunsuppression lässt sich die Schubrate reduzieren und langfristig das Risiko für eine Behinderung verhindern. Die ersten wesentlichen Fortschritte stellen die Interferone und Glatirameracetat dar, die seit etwa 20 Jahren im Einsatz sind und sich als wirksame und recht gut verträgliche Basistherapie etabliert haben. Viele neuere klinische Studien zu weiteren Therapieoptionen belegen eine starke Dynamik in diesem Bereich und haben zur Zulassung von fünf weiteren Arzneimitteln geführt. Diese neueren Substanzen, die die Schubrate zum Teil wirksamer reduzieren, weisen allerdings auch mehr oder schwerere unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW) auf (Tab. 1). Deshalb ist ein umfangreiches Monitoring notwendig, um die Nebenwirkungen möglichst rechtzeitig zu erkennen. Die Möglichkeit von UAW ist auch ein relevanter Aspekt, weshalb die Compliance beziehungsweise Adhärenz sich verschlechtern kann. Vor allem die neueren, wirksameren Substanzen haben einen Paradigmenwechsel bezüglich der Therapieziele bewirkt. Die initialen Ziele wie Reduktion der Schubrate und Verminderung der Behinderungsprogression sind den Zielen Freiheit von Krankheitsaktivität und Verbesserung der EDSS (Expanded disability status scale) gewichen [13]. Im Folgenden sollen für die neueren fünf Arzneimittel deren UAW und das dazu gehörige Monitoring beschrieben werden.
Tab. 1. UAW der neueren verlaufsmodifizierenden Arzneimittel
Substanz |
Sehr häufig |
Häufig |
Gelegentlich |
Natalizumab [11] |
Harnwegsinfekt, Nasopharyngitis, Urtikaria, Kopfschmerz, Schwindel, Übelkeit, Erbrechen, Arthralgie, Rigor, Fieber, Abgeschlagenheit |
PML, anaphylaktische Reaktion |
|
Fingolimod [8] |
Kopfschmerzen, Husten, Diarrhö, Rückenschmerzen, erhöhte Leberenzyme |
Leukopenie, Lymphopenie, Depression, Schwindel, Verschwommenes Sehen, Hypertonie, Bradykardie, AV-Block, Dyspnoe, Ekzem, Asthenie |
Makulaödem |
Teriflunomid [6] |
Diarrhö, Übelkeit, Alopezie, erhöhte Leberwerte |
Infektion der oberen Luftwege, Harnwegsinfekt, Neutropenie, leichte allergische Reaktion, Parästhesie, Hypertonie, Schmerzen |
Thrombozytopenie, Hyperästhesie, Polyneuropathie |
Alemtuzumab [9] |
Infektion der oberen Atemwege, Harnwegsinfektion, Leukopenie, Lymphopenie, Kopfschmerzen, Hitzegefühl, Übelkeit, Urtikaria, Pruritus, Ermüdung |
Infektion der unteren Atemwege, Herpes Zoster, Gastroenteritis, vaginale Candidose, Lymphadenopathie, Immunthyreoditis, Hyperthyreose, Hypothyreose, Struma, Schlaflosigkeit, MS-Schub, Schwindel, Tremor, Geschmacksstörung, verschwommenes Sehen, Tachykardie, Bradykardie, Hypertonie, Hypotonie, Dyspnoe, Husten, Epistaxis, Abdominalschmerz, Erbrechen, Diarrhö, Ausschlag, Alopezie, Akne, Myalgie, Arthralgie, Proteinurie, Hämaturie, Menorrhagie, periphere Ödeme, grippeähnliche Symptome, Schmerzen an der Infusionsstelle |
Zahninfektion, genitaler Herpes, idiopathische thrombozytopenische Purpura, Thrombozytopenie, erniedrigter Hb-Wert, Depression, Gefühlsstörung, Konjunktivitis, Engegefühl am Hals, Rachenreizung, Obstipation, Dysphagie, Zahnfleischbluten, erhöhte Transaminasen, Blasenbildung, nächtliche Schweißausbrüche, Amenorrhö, Zervixdysplasie |
Dimethylfumarat [10] |
Diarrhö, Übelkeit, Abdominalschmerz, Hitzegefühl |
Leukopenie, Lymphopenie, Brennen, Erbrechen, Gastritis, Pruritus, Ausschlag, Leberwerterhöhung, Proteinurie, Hitzewallung |
Überempfindlichkeitsreaktion |
MS: multiple Sklerose; PML: progressive multifokale Leukenzephalopathie
Natalizumab
Natalizumab ist ein monoklonaler Antikörper gegen Alpha4-Integrin. Er hemmt die über Alpha4-Integrin vermittelte Lymphozytenadhäsion und damit die Migration aktivierter Lymphozyten durch die Blut-Hirn-Schranke. In der Zulassungsstudie wurde eine Reduktion der Schubrate um 68% beobachtet und die Behinderungsprogression ging um 42% zurück [18]. Diese beeindruckende Wirkung hat in Deutschland im Jahr 2006 zur Zulassung von Natalizumab zur Behandlung der hochaktiven schubförmigen MS geführt.
In der Fachinformation werden als häufige Nebenwirkungen Harnwegsinfektionen, Nasopharyngitis, Urtikaria, Kopfschmerzen, Schwindel, Übelkeit, Erbrechen, Arthralgie, Fieber und Abgeschlagenheit genannt [11]. Aus der eigenen Erfahrung ist die Abgeschlagenheit, die bis zu 2 Tage nach der Infusion anhalten kann, die am häufigsten auftretende UAW. Anaphylaktische Reaktionen sind mit knapp 1% insgesamt selten. Sie können ab der zweiten Infusion während der Infusion oder im Zeitraum bis zu einer Stunde nach deren Beendigung auftreten. Bei etwa 10% der Patienten bilden sich Antikörper gegen Natalizumab, die bei 6% persistierend und bei 4% transient sind. Persistierende Antikörper sind mit einer Wirkungsabschwächung von Natalizumab und einer erhöhten Inzidenz von Überempfindlichkeitsreaktionen vergesellschaftet. Die schwerste UAW ist das Auftreten der progressiven multifokalen Leukenzephalopathie (PML). Klinisch macht sich die PML durch subakut auftretende kognitive Veränderungen, epileptische Anfälle und subkortikale Symptome bemerkbar. In der Magnetresonanztomographie (MRT) zeigen sich uni- oder multifokale Läsionen im subkortikalen Marklager, die hyperintens in der T2-gewichteten Sequenz zur Darstellung kommen. Eine Kontrastmittelaufnahme ist meist nicht zu sehen. Die PML trat bereits während der Zulassungsstudien zweimal auf, was dazu geführt hat, dass die Zulassung von Natalizumab vorübergehend ausgesetzt wurde. Aktuell sind bis zum November 2014 weltweit 517 Fälle erfasst, was einer Gesamtinzidenz von 3,78 pro 1000 Behandelte entspricht [22]. Der Verlauf der PML unterteilt sich bei 11% als mild, bei 57% als moderat und bei 32% als schwer. Die Mortalität liegt bei ca. 23%. Risikofaktoren für das Auftreten der PML sind positiver JC-Virus-Antikörperstatus, Vorbehandlung mit einem Immunsuppressivum und Therapiedauer länger als 24 Monate [1].
Hinsichtlich der infusionsassoziierten Symptome ist eine Überwachung der Patienten (klinische Kontrollen, Puls, Blutdruck) während der Infusion und eine Stunde nach deren Beendigung notwendig. Treten Überempfindlichkeitsreaktionen auf, so ist die Infusion mit Natalizumab umgehend zu beenden und in Abhängigkeit von der Ausprägung der Symptome sind Gegenmaßnahmen wie zum Beispiel Infusion von Glucocorticoiden zu ergreifen. Blutbild und Differenzialblutbild sollten alle drei bis sechs Monate kontrolliert werden. Die Leberwerte sind erstmals vier Wochen nach Therapiebeginn zu bestimmen, danach alle drei Monate. Patienten, die mit Natalizumab behandelt werden, sollten auf neutralisierende Antikörper untersucht werden. Bei persistierenden Antikörpern (positives Ergebnis im Wiederholungstest sechs Wochen später) ist die Therapie mit Natalizumab zu beenden. Um das Auftreten einer PML möglichst früh zu erkennen, sollten eine gezielte Anamnese und neurologische Untersuchung vor jeder Gabe von Natalizumab erfolgen. Zudem müssen nach 12 und 24 Monaten und danach alle 6 Monate MRT-Kontrollen durchgeführt werden. Der Antikörperstatus sollte bei JC-Virus-negativen Patienten regelmäßig alle sechs Monate kontrolliert werden. Bei Verdacht auf PML ist die Diagnose durch die Lumbalpunktion zu sichern. Der Nachweis der JC-Virus-DNA mittels PCR weist eine hohe Sensitivität und Spezifität auf. Ist die PML gesichert, muss die Behandlung mit Natalizumab gestoppt werden. Um die Immunkompetenz zu verbessern, wird eine fünfmalige Behandlung mit Plasmapherese empfohlen.
Fingolimod
Fingolimod bindet an Sphingosin-1-Phosphat-Rezeptoren auf den Lymphozyten und blockiert so die Migration von Lymphozyten aus den Lymphknoten. Es bewirkt eine Schubratenreduktion um 54% gegenüber Placebo [15]. Fingolimod ist seit 2011 mit der identischen Indikation wie Natalizumab zugelassen.
Häufige UAW sind Infektionen, Kopfschmerzen, Schwindel, Rückenschmerzen, verschwommenes Sehen, Anstieg des Blutdrucks, Steigen der Leberwerte und eine Lymphopenie [8]. Die transiente Bradykardie, die ebenfalls häufig auftritt, erreicht ihren Nadir vier bis fünf Stunden nach der Ersteinnnahme und ist nur selten symptomatisch. Bei etwa 0,5% der Patienten kommt es innerhalb von drei bis vier Monaten nach Therapiestart zu Makulaödemen, die mit oder ohne Symptome auftreten können. Bei frühzeitigem Erkennen sind die Makulaödeme nach Absetzen von Fingolimod meist reversibel. Bisher sind zwei Fälle eines hämophagozytischen Syndroms aufgetreten (9 bzw. 15 Monate nach Therapiebeginn). Dieses Krankheitsbild ist durch Fieber, Panzytopenie, Hepatosplenomegalie, Aszites und/oder Pleuraerguss gekennzeichnet und weist mit 30 bis 50% eine hohe Mortalität auf.
Blutbild, Differenzialblutbild und Leberwerte müssen zwei und vier Wochen nach Behandlungsbeginn und dann alle drei Monate kontrolliert werden. Tritt eine Lymphopenie mit Werten <200/µl auf, so muss Fingolimod abgesetzt werden. Eine Erhöhung der Lebertransaminasen bis auf das 5-Fache über die obere Normgrenze kann toleriert werden, bei höheren Werten muss die Therapie beendet werden. Routinemäßig sollte bei allen Patienten drei bis vier Monate nach Therapiebeginn durch eine ophthalmologische Untersuchung ein Makulaödem ausgeschlossen werden. Treten unter der Therapie Sehstörungen auf, muss eine augenärztliche Untersuchung erfolgen. Vor der ersten Einnahme von Fingolimod müssen ein EKG und eine Blutdruckmessung erfolgen und in den ersten sechs Stunden nach der ersten Dosis muss eine Überwachung von EKG und Blutdruck durchgeführt werden. Optimal ist eine kontinuierliche EKG-Überwachung in dieser Zeit. Tritt währenddessen ein AV-Block II. Grades oder III. Grades auf, geht die Herzfrequenz unter 45 Schläge pro Minute oder verlängert sich die QTc-Zeit auf über 500 ms, so ist die Überwachung über die folgende Nacht und bis zur Rückbildung dieser Veränderungen fortzuführen. Bei Patienten, die die Therapie mit Fingolimod 14 Tage oder länger unterbrechen, muss bei Wiederaufnahme der Behandlung erneut die Überwachung mit EKG erfolgen, wie bei der ersten Dosis.
Teriflunomid
Teriflunomid hemmt die mitochondriale Dihydroorotatdehydrogenase und dadurch die Pyrimidinneusynthese. Teriflunomid führt zu einer Hemmung von Lymphozyten mit einem hohen Aktivierungs- und Proliferationspotenzial, da diese vermehrt Pyrimidin benötigen. Durch zwei Placebo-kontrollierte Phase-III-Studien konnten eine signifikante Reduktion der Schubrate um 31 bis 36% belegt werden [5, 17]. Teriflunomid ist seit August 2013 zur Behandlung der schubförmigen MS zugelassen.
Sehr häufige UAW sind Übelkeit, Durchfall, Haarausfall und Erhöhung der Leberwerte [6]. Infektionen, Neutropenie und Anstieg des Blutdrucks werden als häufige UAW beschrieben. Selten kann es zu einer Polyneuropathie kommen, die nach Absetzen von Teriflunomid reversibel ist.
In den ersten sechs Monaten der Behandlung müssen die Leberwerte alle zwei Wochen kontrolliert werden, danach alle zwei Monate. Blutbild und Differenzialblutbild sollten in den ersten sechs Monaten alle zwei Monate überprüft werden, danach alle drei Monate. Der Blutdruck sollte alle sechs Monate kontrolliert werden.
Alemtuzumab
Alemtuzumab ist ein humanisierter monoklonaler Antikörper, der gegen das Zelloberflächenglykoprotein CD52 gerichtet ist. Darüber hinaus bewirkt es eine antikörper- und komplementvermittelte Depletion der B- und T-Lymphozyten, die bereits schon nach der ersten Infusion festzustellen ist. Alemtuzumab reduziert die Schubrate um 69% gegenüber Interferon beta-1a [3, 4] und ist seit September 2013 zur Behandlung der aktiven, schubförmigen MS zugelassen.
Laut der Fachinformation sind Infektionen der oberen Atemwege und im Harnwegsbereich, Leukopenie, Lymphopenie, Kopfschmerzen, Übelkeit, Hitzegefühl und Urtikaria sehr häufige UAW [9]. Andere Infektionen, vor allem Herpes Zoster, sekundäre Autoimmunerkrankungen der Schilddrüse und diverse infusionsassoziierte Symptome wie Kreislaufreaktionen, Dyspnoe, Muskel- und Rückenschmerzen wurden häufig beobachtet. Die idiopathische thrombozytopenische Purpura und die Nephropathie sind weitere sekundäre Autoimmunkrankheiten. Die sekundären Autoimmunkrankheiten treten mit einer Häufigkeit von bis zu 48% auf [21].
Da die sekundären Autoimmunkrankheiten mehrere Jahre nach der letzten Infusion auftreten können, müssen die Kontrollen zu deren Erfassung mindestens bis jeweils 48 Monate nach der letzten Infusion erfolgen. Untersuchungen von Blutbild, Differenzialblutbild, Creatinin und Urin sollen monatlich durchgeführt werden, der TSH-Wert soll alle drei Monate kontrolliert werden.
Dimethylfumarat
Dimethylfumarat hemmt über verschiedene Mechanismen die inflammatorische Aktivität von Makrophagen. In zwei großen Placebo-kontrollierten Phase-III-Studien führte Dimethylfumarat im Vergleich zu Placebo zu einer Reduktion der Schubrate um 44 bis 53% [12, 14]. Anfang 2014 erfolgte die Zulassung zur Behandlung der schubförmigen MS.
Von den Patienten bemerkte häufige unerwünschte Ereignisse sind gastrointestinale Beschwerden und eine Flush-Symptomatik, beide sind bei Therapiebeginn häufig vorhanden und ihre Inzidenz nimmt innerhalb der ersten drei Monate deutlich ab [10, 14]. Es kann zu einer Reduktion der Leukozyten bzw. Lymphozyten kommen, bei ca. 5% der Studienpatienten war die Lymphopenie höhergradig (<500/µl). Eine Erhöhung der Lebertransaminasen blieb meist unterhalb des 3-Fachen des oberen Normwerts. Unter einem Kombinationspräparat von Dimethylfumarat und Ethylhydrogenfumarat, das zur Behandlung der Psoriasis eingesetzt wird, traten fünf Fälle von PML auf [20]. Im Oktober 2014 wurde ein erster Fall von PML bekannt, der sich bei einem MS-Patienten unter Therapie mit Dimethylfumarat entwickelte [19]. In allen Fällen hatte eine länger anhaltende Lymphopenie bestanden.
Eine Kontrolle des Blutbildes, des Differenzialblutbildes und der Leberwerte sollte alle sechs Wochen erfolgen. Bei Patienten, die unter der Therapie mit Dimethylfumarat eine anhaltende Leukopenie (<3000/µl) oder Lymphopenie (<500/µl) entwickeln, sollte nach Mitteilung der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft analog der Fachinformation Fumaderm® die Therapie mit Dimethylfumarat beendet werden [7]. Neben den klinischen Kontrollen sind analog der Vorgehensweise bei Natalizumab Kontrollen mittels MRT sinnvoll, routinemäßig alle 12 Monate.
Fazit
Entsprechend der Wirksamkeit der Arzneimittel werden Teriflunomid und Dimethylfumarat in der prophylaktischen Behandlung der milden bzw. moderaten Verlaufsform der schubförmigen MS eingesetzt, Natalizumab, Fingolimod und Alemtuzumab finden Anwendung in der Therapie der (hoch-)aktiven Verlaufsform. Diese stärker wirksamen Arzneimittel können leider schwerwiegendere UAW verursachen, auch wenn das Risiko dafür insgesamt gering ist (Tab. 1). Somit muss in die Entscheidung für das jeweilige Arzneimittel neben der Wirksamkeit auch das Profil der UAW miteinbezogen werden.
Von vielen chronischen Erkrankungen ist bekannt, dass die Adhärenz hinsichtlich der Therapie im Bereich zwischen 38 und 72% liegt [2]. Die Daten zur MS-Therapie, die es bisher nur zu den Interferonen und zu Glatirameracetat gibt, zeigen, dass in 6 bis 43% die Patienten nicht adhärent sind [16]. Häufige Gründe für die schlechte Adhärenz sind UAW und die Einschätzung, dass die Therapie nicht wirkt. Wie sich die Adhärenz für die neuen oralen Therapien darstellt, wird man abwarten müssen. Bei den beiden Antikörpern Natalizumab und Alemtuzumab, die als intravenöse Infusion verabreicht werden, ist von einer guten Therapietreue auszugehen. Die etwas weiter gefasste Definition von Adhärenz umfasst neben der Einnahme der Arzneimittel auch die Durchführung der notwendigen Kontrollen. Damit diese möglichst sicher erfolgen, muss die Abschätzung über die zu erwartende Adhärenz in die Entscheidung über die Therapie mit einfließen. Wenn diese Entscheidung gefällt ist, muss der Patient umfassend aufgeklärt werden und es sollte eine Art Vertrag zwischen Arzt und Patient geschlossen werden, in dem die notwendigen Kontrollen aufgeführt sind. Diese Kontrollen umfassen die in Tabelle 2 aufgeführten apparativen Untersuchungen und Zwischenanamnesen sowie klinisch-neurologische Untersuchungen. In den Zwischenanamnesen ist nach der Verträglichkeit der Therapie, Auftreten von Schüben und anderen Symptomen zu fragen. Ein veränderter Befund in der neurologischen Untersuchung im Vergleich zu den Vorbefunden kann einen Hinweis auf einen Progress der Erkrankung oder auf das Auftreten anderer Erkrankungen bringen. Falls Anamnese und der neurologische Befund auf einen Progress der MS hindeuten, so sollte das mittels MRT untermauert und dann die Prophylaxe überdacht werden. Bei Hinweisen auf andere Erkrankungen sind diese gezielt abzuklären und dementsprechend Maßnahmen zu deren Behandlung zu ergreifen. Gegebenenfalls muss die laufende Prophylaxe beendet werden. Hinsichtlich der Praktikabilität scheint es für Natalizumab am einfachsten zu sein, da die Infusionen alle vier Wochen in der Praxis oder Ambulanz erfolgen. Mit diesem Arzt-Patienten-Kontakt können die notwendigen Kontrollen sichergestellt werden. Etwas anders verhält es sich bei den oralen Therapien. Die größeren Packungen bei Teriflunomid, Fingolimod und Dimethylfumarat bedeuten alle drei Monate ein Wiederholungsrezept. Da davon auszugehen ist, dass diese Substanzen vom Neurologen verordnet werden, sollte die Ausgabe der Rezepte an die notwendigen Kontrollen gebunden werden. Grundsätzlich problematisch ist die Situation bei Alemtuzumab. Nach der letzten Infusion sind die Kontrollen über die nächsten 48 Monate notwendig. Sollte der Patient neurologisch stabil und schubfrei sein, bekommt ihn der Neurologe nur zu Gesicht, wenn feste Kontrolltermine vereinbart sind, zu denen er die Ergebnisse der Laboruntersuchungen mitbringt, die praktischerweise über den Hausarzt durchgeführt werden.
Tab. 2. Übersicht über die relevanten Kontrollen
Substanz |
Monitoring |
Intervall |
Natalizumab |
Blutbild, Differenzialblutbild |
Alle 3 Monate |
Leberwerte |
4 Wochen nach Beginn, dann alle 3 Monate |
|
Neutralisierende Antikörper |
Bei Infusionsreaktionen oder Anhalt für reduzierte Wirksamkeit |
|
JC-Virus-Antikörper |
Bei negativen Befund alle 6 Monate |
|
MRT |
Nach 12 und 24 Monaten, dann alle 6 Monate |
|
Fingolimod |
EKG |
Am 1. Tag über 6 Stunden |
Blutbild, Differenzialblutbild |
Im 1. Monat alle 2 Wochen, dann alle 3 Monate |
|
Leberwerte |
Im 1. Monat alle 2 Wochen, dann alle 3 Monate |
|
Ophthalmologische Kontrollen |
4 Monate nach Beginn und bei Sehverschlechterung |
|
Teriflunomid |
Blutbild, Differenzialblutbild |
Alle 2 Monate, nach 6 Monaten alle 3 Monate |
Leberwerte |
Alle 2 Wochen, nach 6 Monaten alle 2 Monate |
|
Blutdruck |
Alle 6 Monate |
|
Alemtuzumab |
Blutbild, Differenzialblutbild |
Monatlich bis 48 Monate nach der letzten Infusion |
Creatinin, Urin |
Monatlich bis 48 Monate nach der letzten Infusion |
|
TSH |
Alle 3 Monate bis 48 Monate nach der letzten Infusion |
|
Dimethylfumarat |
Blutbild, Differenzialblutbild |
Alle 6 Wochen |
Leberwerte |
Alle 6 Wochen |
|
MRT |
Alle 12 Monate |
EKG: Elektrokardiogramm; MRT: Magnetresonanztomographie; TSH: Thyreoidea-stimulierendes Hormon
Interessenkonflikterklärung
FB gibt als potenziellen Interessenkonflikt die Firma Biogen Idec an.
AS gibt an, dass im Zusammenhang mit diesem Artikel keine Interessenkonflikte vorliegen
Literatur
1. Bloomgren G, Richman S, Hotermans C, Subramanyam M, et al. Risk of natalizumab-associated progressive multifocal leukencephalopathy. N Engl J Med 2012: 366:1870–80.
2. Briesacher BA, Andrade SE, Fouayzi H, Chan KA. Comparsion of drug adherence rates among patients with seven different medical conditions. Pharmacother 2008;28:437–43
3. Cohen JA, Coles AJ, Arnold DL, Confavreux C, et al. Alemtuzumab versus interferon beta 1a as first-line treatment for patients with relapsing-remitting multiple sclerosis: a randomized controlled phase 3 trial. Lancet 2012;380:1819–28.
4. Coles AJ, Twyman CL, Arnold DL, Cohen JA, et al. Alemtuzumab for patients with relapsing multiple sclerosis after disease-modifying therapy: a randomized controlled phase 3 trial. Lancet 2012;380:1829–39.
5. Confavreux C, O’Connor P, Comi G, Freedman MS, et al. Oral teriflunomide for patients with relapsing multiple sclerosis (TOWER): a randomised, double-blind, placebocontrolled, phase 3 trial. Lancet Neurol 2014;13:247–56.
6. Fachinformation Aubagio® (Stand November 2014). Genzyme.
7. Fachinformation Fumaderm® (Stand September 2013). Biogen Idec.
8. Fachinformation Gilenya® (Stand November 2013). Novartis Pharma.
9. Fachinformation Lemtrada® (Stand September 2013). Genzyme.
10. Fachinformation Tecfidera® (Stand Januar 2014). Biogen Idec.
11. Fachinformation Tysabri® (Stand Oktober 2013). Biogen Idec.
12. Fox RJ, Kita M, Yang M, Raghupathi K, et al. Placebo-controlled phase 3 study of oral BG-12 or glatiramer in multiple sclerosis. N Engl J Med 2012;367:1087–97.
13. Gold R, Hartung H-P, Stangel M, Wiendl H, et al. Therapieziele von Basis- und Eskalationstherapien zur Behandlung der schubförmigen Multiplen Sklerose. Akt Neurol 2012;39:342–50.
14. Gold R, Kappos L, Arnold DL, Bar-Or A, et al. Placebo-controlled phase 3 study of oral BG-12 for relapsing multiple sclerosis. N Engl J Med 2012;367:1098–107.
15. Kappos L, Radue EW, O’Connor P, Polman C, et al. A placebo-controlled trial of oral fingolimod in relapsing multiple sclerosis. N Engl J Med 2010;362:387–401.
16. Kern S, Reichmann H, Ziemssen T. Therapieadhärenz in der neurologischen Praxis. Nervenarzt 2008;79:877–90.
17. O’Connor P, Wolinsky JS, Confavreux C, Comi G, et al. Randomized trial of oral teriflunomide for relapsing multiple sclerosis. N Engl J Med 2011;365:1293–303.
18. Polman CH, O’Connor PW, Havdova E, Hutchinson M, et al., A randomized, placebo-controlled trial of natalizumab for relapsing multiple sclerosis. N Engl J Med 2006;354:899–910.
19. Rote Hand Brief, Tecfidera, Biogen Idec, 03.12.2014.
20. Sheremota W, Brown AD, Rammohan KW. Dimethyl fumarate for treating relapsing multiple sclerosis. Expert Opin Drug Saf 2015;14:161–70.
21. Tuohy O, Costelloe L, Hill-Cawthorne G, Bjornson I, et al. Alemtuzumab treatment of multiple sclerosis: long-term safety and efficacy. J Neurol Neurosurg Psychiatry 2015; 86:208–15.
22. Tysabri-Register, Biogen Idec.

Prof. Dr. med. Frank Block ist Arzt für Neurologie und Chefarzt der Neurologischen Klinik der Helios-Kliniken Schwerin. Seine klinischen Schwerpunkte sind Schlaganfall, Bewegungsstörungen und Schmerztherapie. Wissenschaftlich beschäftigt er sich mit der Neuropharmakologie, hierbei insbesondere mit den Nebenwirkungen.
Prof. Dr. Frank Block, Dr. Annett Schoenhof, Neurologische Klinik, Helios Kliniken Schwerin, Wismarsche Str. 393–397, 19049 Schwerin, E-Mail: frank.block@helios-kliniken.de
Adverse effects of new drugs for therapy of multiple sclerosis
Pharmacotherapy for multiple sclerosis (MS) has high requirements with regard to efficacy and safety since MS is a chronic disease with manifestation at an early age. There are five newer drugs which are used for modifying the development of the disease. Teriflunomide and dimethyl fumarate are used for the milde or moderate form, whereas natalizumab, fingolimod and alemtuzumab are brought into action for the active or very active form. These highly efficacious drugs may induce serious side effects. Thus, a certain monitoring is necessary to detect these side effects rather early. The side effects of these five drugs are discussed in this manuscript. Furthermore, the monitoring which is needed to discover the serious side effects will be demonstrated.
Key words: adverse effect, alemtuzumab, dimethyl fumarate, fingolimod, multiple sclerosis, natalizumab, teriflunomide.
Arzneimitteltherapie 2015; 33(06)