Gerinnungshemmung

Andexanet alfa als Antidot gegen Faktor-Xa-Hemmer vielversprechend


Veröffentlicht am: 28.11.2019

Dr. Marianne Schoppmeyer, Nordhorn

Neue orale Antikoagulanzien (NOAKs) oder auch Nicht-Vitamin-K-Antagonisten stellen eine Alternative zu den Vitamin-K-Antagonisten (VKA) dar und haben die Gerinnungshemmung in vielerlei Hinsicht vereinfacht. Allerdings gab es bisher bei einer akuten Blutung weder für VKA noch für NOAKs ein wirksames Antidot, das die Gerinnungsfähigkeit des Blutes schnell wieder normalisieren würde. Mit Andexanet alfa liegt nun ein Wirkstoff vor, der in einer ersten klinischen Studie die Wirkung der NOAKs Apixaban und Rivaroxaban in Minutenschnelle aufhebt.

In klinischen Studien konnte gezeigt werden, dass NOAKs in Wirksamkeit und Sicherheit den VKA zur Prävention von thromboembolischen Ereignissen mindestens ebenbürtig oder sogar überlegen sind. Die NOAKs Apixaban und Rivaroxaban hemmen direkt den Gerinnungsfaktor Xa und sind unter anderem bei Patienten mit nichtvalvulärem Vorhofflimmern zur Schlaganfallprophylaxe sowie zur Therapie und Sekundärprophylaxe tiefer Venenthrombosen und Lungenembolien zugelassen.

NOAKs haben wenige Interaktionen mit Medikamenten und Nahrungsmitteln, sie sind einfach zu dosieren und erfordern keine regelmäßige Kontrolle der Gerinnungsparameter. Demgegenüber stand bisher ein fehlendes Antidot, das im Falle einer akuten Blutung oder bei einer Notfall-OP die Gerinnungsfähigkeit des Blutes schnell wiederherstellt [1]. Auch für VKA steht kein Antidot zur Verfügung. Für den Thrombininhibitor Dabigatran, der ebenfalls zu den NOAKs zählt, wurde allerdings mittlerweile das Antidot Idarucizumab erfolgreich getestet [2] und zugelassen. Nun wird mit Andexanet alfa auch ein Antidot der Faktor-Xa-Inhibitoren Rivaroxaban und Apixaban erprobt. Ebenfalls zur Klasse der Faktor-Xa-Inhibitoren gehört Edoxaban, das in der vorliegenden Studie jedoch nicht untersucht wurde.

Andexanet alfa

Andexanet alfa ist ein rekombinanter modifizierter Faktor Xa, der keine enzymatische Aktivität besitzt und daher auch nicht als Gerinnungsfaktor wirkt. Es bindet mit einer hohen Affinität an die Faktor-Xa-Inhibitoren und verhindert so deren Bindung an den humanen Faktor Xa im Blut und die so induzierte Gerinnungshemmung. Der Wirkstoff wird intravenös gespritzt und wirkt sowohl gegen die direkten als auch gegen die indirekten Faktor-Xa-Hemmer.

Studiendesign

Andexanet wurde in zwei getrennten Studien mit Apixaban (ANNEXA-A) oder Rivaroxaban (ANNEXA-R) getestet [3] (Tab. 1 und 2). Die Probanden erhielten jeweils über vier Tage das Antikoagulanz gefolgt von einer Bolusgabe Andexanet. Im zweiten Teil der Studien folgte nach der viertägigen Antikoagulation eine Bolusgabe Andexanet mit anschließender kontinuierlicher Infusion von Andexanet über zwei Stunden.

Tab. 1. Studiendesign von ANNEXA-A (für Apixaban) [ClinicalTrials.gov]

Studienobjekt

Aufhebung der Apixaban-Antikuagulation

Studienziel

Wirksamkeit und Sicherheit von Andexanet

Studientyp

Interventionsstudie

Studienphase

Phase III

Studiendesign

Randomisiert, doppelblind, Placebo-kontrolliert

Eingeschlossene Studienteilnehmer

Gesunde und ältere Freiwillige (50–75 Jahre)

Intervention

Apixaban 2-mal 5 mg/Tag für 3,5 Tage

An Tag 4:

  • Andexanet alfa 400 mg i.v. (30 mg/min) (n=24) oder
  • Andexanet alfa 400 mg i.v. (30 mg/min ) + Andexanet alfa 480 mg i.v. (4 mg/min) (n=23)
  • Placebo (n=17)

Primärer
Endpunkt

Mittlere prozentuale Änderung der Anti-Faktor-Xa-Aktivität

Sekundäre
Endpunkte

  • Änderung der Plasmakonzentration ungebundenen Apixabans
  • Thrombinsynthese

Sponsor

Portola Pharmaceuticals, Pfizer, Bristol-Myers Squibb, Bayer, Johnson & Johnson

Studienregisternummer

NCT02207725
(ClinicalTrials.gov)

Tab. 2. Studiendesign von ANNEXA-R (für Rivaroxaban) [ClinicalTrials.gov]

Studienobjekt

Aufhebung der Rivaroxaban-Antikuagulation

Studienziel

Wirksamkeit und Sicherheit von Andexanet

Studientyp

Interventionsstudie

Studienphase

Phase III

Studiendesign

Randomisiert, doppelblind, Placebo-kontrolliert

Eingeschlossene Studienteilnehmer

Gesunde und ältere Freiwillige (50–75 Jahre)

Intervention

Rivaroxaban 20 mg/Tag für 4 Tage

An Tag 4:

  • Andexanet alfa 800 mg i.v. (30 mg/min) (n=27) oder
  • Andexanet alfa 800 mg i.v. (30 mg/min ) + Andexanet alfa 960 mg i.v. (8 mg/min) (n=26)
  • Placebo (n=27)

Primärer
Endpunkt

Mittlere prozentuale Änderung der Anti-Faktor-Xa-Aktivität

Sekundäre
Endpunkte

  • Änderung der Plasmakonzentration ungebundenen Rivaroxabans
  • Thrombinsynthese

Sponsor

Portola Pharmaceuticals, Bayer, Johnson & Johnson, Pfizer, Bristol-Myers Squibb

Studienregisternummer

NCT02220725
(ClinicalTrials.gov)

Normalisierung der Gerinnung innerhalb von Minuten

Sowohl unter Therapie mit Apixaban als auch mit Rivaroxaban führte Andexanet innerhalb von zwei bis fünf Minuten zu einer signifikanten Abnahme der Anti-Faktor-Xa-Aktivität um 94% (ANNEXA-A) bzw. 92% (ANNEXA-R) gegenüber Placebo (94% vs. 21%, p<0,001 bzw. 92% vs. 18%, p<0,001). Allerdings kam es bei beiden Antikoagulanzien nach der Bolusgabe rasch zu einem erneuten Anstieg der Anti-Faktor-Xa-Aktivität.

Wurde eine Infusion Andexanet über zwei Stunden an die Bolusgabe angeschlossen, konnte die Wirkung für ein bis zwei Stunden nach Beendigung der Infusion erhalten bleiben und kehrte dann auf das Placebo-Niveau zurück (Abb. 1).

Die Thrombinsynthese war bei 100% der mit Apixaban behandelten Probanden innerhalb von zwei bis fünf Minuten wiederhergestellt gegenüber 11% in der Placebo-Gruppe (p<0,001). Bei den mit Rivaroxaban behandelten Probanden war dies bei 96% der Fall gegenüber 7% in der Placebo-Gruppe (p<0,001).

Pharmakologisch aktiv ist lediglich das im Plasma ungebunden vorliegende Antikoagulanz. Die mittlere Konzentration ungebundenen Apixabans konnte in der Verum-Gruppe innerhalb von zwei bis fünf Minuten nach Gabe von Andexanet signifikant gegenüber der Placebo-Gruppe gesenkt werden (Reduzierung um 9,3 ng/ml vs. 1,9 ng/ml, p<0,001). Ähnliche Ergebnisse waren unter Rivaroxaban zu beobachten (Reduzierung um 23,4 ng/ml vs. 4,2 ng/ml, p<0,001).

Schwerwiegende unerwünschte Ereignisse wie eine Thrombose traten nicht auf.

Ausblick

Zurzeit läuft die einarmigen Studie ANNEXA-4, in der untersucht werden soll, ob Andexanet tatsächlich klinische Blutungen stoppen kann. In diese Studie eingeschlossen werden Patienten mit einer akuten Blutung unter Therapie mit den direkten Faktor-Xa-Inhibitoren Apixaban, Rivaroxaban, Edoxaban oder dem indirekten Faktor-Xa-Inhibitor und niedermolekularen Heparin Enoxaparin.

Literatur

1. Ymer HM, et al. New oral anticoagulants: their advantages and disadvantages compared with vitamin K antagonists in the prevention and treatment of patients with thromboembolic events. Ther Clin Risk Manag 2015;11:967–77; online unter www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC4485791/ (Zugriff am 11.02.2016).

2. Pollack CV, et al. Idarucizumab for dabigatran reversal. N Engl J Med 2015;373:511–20.

3. Siegal DM, et al. Andexanet alfa for the reversal of factor Xa inhibitor activity. N Engl J Med 2015;373:2413–24.

Arzneimitteltherapie 2016; 34(04)